Entscheidungsdatum
12.07.2021Norm
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2Spruch
W196 2157925-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, diese durch Mag. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2017, Zl. 811534508-1440645 BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.03.2021 zu Recht erkannt
A)
Der Beschwerde vom 15.05.2017 wird stattgegeben und ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, iVm § 9 Absatz 3 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, auf Dauer unzulässig ist.
Gemäß §§ 54 und 55 Abs. 2 AsylG 2005 idgF. wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung " für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Ukraine, brachte am 22.12.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.
Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 22.12.2011 brachte der Beschwerdeführer auf Befragen vor, er habe für die Partei von Julia Timoschenko als EDV Fachmann gearbeitet. Er sei dann 2007 von der Polizei aufgesucht und geschlagen worden. 2011 habe er ein Fotostudio eröffnet, wobei auch erotische Fotos produziert wurden. Die Polizei habe ihn dann wegen dieser Fotos erpresst und er habe Schmiergeld zahlen müssen. Als er nicht mehr zahlen konnte, habe der Beschwerdeführer flüchten müssen.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2013 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde er aus dem österreichischen Staatsgebiet in die Ukraine ausgewiesen. (Spruchpunkt III.).
Dabei führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass eine Bedrohung des Beschwerdeführers in der Ukraine weder durch Behörden noch durch Dritte habe festgestellt werden können und sich auch keinen begründeten Hinweis auf eine Flüchtlingseigenschaft ergeben hätten. Der Beschwerdeführer sei im arbeitsfähigen Alter und könne in der Ukraine einer Arbeit nachgehen und so für sein Auskommen sorgen. Er habe im Bundesgebiet kein Familienleben, keine sonstigen sozialen Kontakte und keine Integrationsschritte wie Kurs oder Schulbesuche gesetzt.
3. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 29.03.2013 durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde. Er brachte vor, dass der Beschwerdeführer im Gegensatz zu den Feststellungen der Erstbehörde jahrelang politisch tätig gewesen wäre und dafür politischer Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre. Die Recherche der Erstbehörde sei unzureichend und es werde eine mündliche Verhandlung beantragt um sein Vorbringen beweisen zu können.
4. Am 03.09.2015 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher der Beschwerdeführer mit seinem bevollmächtigten Vertreter teilnahm. Ein Vertreter des Bundesamtes ist entschuldigter Weise nicht erschienen. Dabei gab er auf Ukrainisch Folgendes an:
Er fühle sich völlig gesund, sei ledig, am XXXX in Mariupol geboren und habe eine Freundin die in Deutschland lebe. Im Herkunftsstaat Ukraine würden die Eltern leben und eine Schwester lebe in Russland. Er sei griechischer Volksgruppenzugehörigkeit, und gehöre der orthdoxen Religionsgemeinschaft an. Er habe elf Jahre die Grundschule besucht und in einem Verlag gearbeitet, später ein Kaffeehaus betrieben, war Manager eines Autosalons und Fotograf. EDV mäßig habe er für einige Unternehmen gearbeitet.
Er sei bei der Partei von Julia Timoschenko gewesen und im Jahre 2009 als Wahlbeobachter tätig gewesen. Er könne sich daran aber nicht mehr genau erinnern. Nach den Wahlen sei er von der Partei eingeladen worden ihnen bei dem Computerprogramm zu helfen, weil er sich mit EDV gut auskenne. Er habe ein Buchhaltungsprogramm geschrieben. Es sei nur eine vorübergehende Arbeit gewesen. Nach einiger Zeit seien Miliz Mitarbeiter zu ihm gekommen und hätten ihn befragt, weil das Buchhaltungsprogramm mit Finanztransaktionen zu tun gehabt habe. Diese Mitarbeiter der Miliz seien öfter gekommen und das letzte Mal hätten sie ihn auch geschlagen. Dann sind sie nicht mehr gekommen und der Beschwerdeführer habe seine Tätigkeit als Fotograf fortgesetzt. Bei einem von ihm gemachten Foto einer jungen Frau habe die Polizei behauptet, es handle sich um Pornografie und der Beschwerdeführer habe nicht das Gegenteil beweisen können.
5. Mit Erkenntnis des BVwG vom 23.10.2015 wurde die Beschwerde gemäß § 3 AsylG 2005 hinsichtlich Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 8 AsylG 2005 wurde die Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen und gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
Durch das Gericht wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer in der Ukraine keiner Verfolgung ausgesetzt war, noch eine aktuelle drohe. Der Beschwerdeführer ist unbescholten und nicht selbsterhaltungsfähig. Er versteht die deutsche Sprache nicht und ist kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation. In den vier Jahren die der Beschwerdeführer in Österreich verbracht hat sei keine außergewöhnliche Integration entstanden. Der Beschwerdeführer ist abhängig von der Grundversorgung da keine Integration am Arbeitsmarkt besteht. Auch, leistete er bislang keine gemeinnützige Arbeit. Der Beschwerdeführer konnte vier Unterstützungsschreiben vorlegen und die Bestätigung an einem Deutschkurs teilgenommen zu haben.
Das angeführte Erkenntnis erwuchs infolge Zustellung an den Beschwerdeführer am 30.10.2015 in Rechtskraft.
6. Am 03.03.2017 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im fortgesetzten Verfahren eine neuerliche Einvernahme des Beschwerdeführers bezüglich der Rückkehrentscheidung zu Aspekten seines Privat- und Familienlebens statt.
7. Am 21.04.2017 wurde dem Beschwerdeführer im fortgesetzten Verfahren durch Bescheid des BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, erlassen. Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist, die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Die Behörde legte ihrer Entscheidung umfassende Feststellungen zur Situation in der Ukraine zugrunde. Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Beschwerdeführer in Österreich kein Familienleben führt und bezüglich des Privatlebens von keiner besonderen Integration auszugehen ist. Trotz geringer Deutschkenntnisse, Teilnahme an einem Kulturfestival und ehrenamtlicher Arbeit beim Roten Kreuz sei bei einer Gesamtabwägung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände eine Rückkehrentscheidung gerechtfertigt.
Zum Entscheidungszeitpunkt sei überdies gegenüber der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, entsprechend den behördlichen Länderfeststellungen, keine Verschlechterung der allgemeinen tatsächlichen Gegebenheiten im Heimatstaat des Beschwerdeführers hervorgekommen.
8. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 15.05.2017 durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde.
Er brachte vor, dass die Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe und den Bescheid dadurch mit Rechtswidrigkeit belastet habe. Darüber hinaus sei der belangten Behörde eine verfehlte Beweiswürdigung vorzuwerfen wenn sie vermeint der Beschwerdeführer habe keinen unter § 55 AsylG fallenden Sachverhalt geltend gemacht. Es sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer jedenfalls arbeitsfähig und auch arbeitswillig sei. In der Folge könne davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer, die Legalisierung seines Aufenthalts vorausgesetzt, in Zukunft seinen Lebensunterhalt aus eigener Arbeitskraft bestreiten können werde.
Der Beschwerdeführer befände sich seit sechs Jahren in Österreich, spreche Deutsch und verfüge über ein Zertifikat der Stufe A2. Der Beschwerdeführer habe viele FreundInnen gefunden und sich ein soziales Umfeld aufgebaut. Weiters führe der Beschwerdeführer eine Beziehung mit einer Freundin die in Wien wohne. Er habe sich mehrfach ehrenamtlich engagiert, am Projekten teilgenommen und die belangte Behörde verkenne demnach, dass der Beschwerdeführer ein schützenswertes Privatleben in Österreich führe. Weiters habe die belangte Behörde verkannt, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 56 Asylgesetz erfülle, da er bereits seit über fünf Jahren in Österreich aufhältig sei, davon drei Jahre legal. Daher erfülle er die Voraussetzungen des Modul 1 der Integrationsvereinbarung und könne dies durch ein gültiges A2 Zertifikat nachweisen.
In Bezug auf die Zulässigkeit der Abschiebung habe die Behörde keinerlei Begründung in der Beweiswürdigung getätigt. Der Beschwerdeführer fühle sich als politisch verfolgt, aufgrund seiner Mitgliedschaft zur Timoschenko-Partei und die belangte Behörde habe kein Ermittlungsverfahren diesbezüglich getätigt. Auch die fehlerhafte Interessensabwägung bezüglich der Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens, die auf Umständen beruht die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind, sei durch die belangte Behörde rechtswidrig vorgenommen worden. Die Behörde sei daher zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die Verhängung einer Rückkehrentscheidung zulässig wäre. Es werde daher auch der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
9. Am 16.03.2021 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher der Beschwerdeführer mit seinem bevollmächtigten Vertreter teilnahm. Ein Vertreter des Bundesamtes ist entschuldigter Weise nicht erschienen. Dabei gab er auf Deutsch und Russisch Folgendes an:
……
R: Wie gut verstehen Sie mich?
BF auf Deutsch: Ja. Nachgefragt: Es geht.
R: Können Sie mir auf Deutsch oder auf Russisch sagen, ob Sie eine Frau, Kinder oder Freundin haben? Mit wem wohnen Sie zusammen?
BF: Das ist ein bisschen kompliziert. Wenn ich irgendwelche Papiere hätte, dann wäre ich schon längst verheiratet. Nachgefragt: Es ist kompliziert, eine Beziehung aufzubauen, wenn man keine rechtliche Grundlage hat. Nachgefragt: Ich habe eine Freundin. Sie heißt XXXX Ich hatte schon einige Freundinnen in der Zeit hier und kann mich an keine einzigen Familiennamen erinnern.
RV: Der BF vergisst leicht Namen.
R: Seit wann sind Sie mit I XXXX zusammen?
BF: Als ich noch in Niederösterreich gelebt habe. Seit 5 Jahren bin ich mit ihr zusammen.
R: Was machen Sie den ganzen Tag mit I XXXX oder alleine? Arbeiten Sie?
BF: Ja. Ich mache Termine beim russischen Konsulat. Ich kann die Visitenkarte zeigen. Ich mache Internetseiten für die Kunden. Das sind russische Kunden.
BF legt vor: eine Visitenkarte.
R: Machen Sie es umsonst?
BF: Nein ich werde dafür bezahlt.
R: Wie viel verdienen Sie dort?
BF: Ein Termin 20 Euro.
R: Wovon leben Sie finanziell?
BF: Ich bekomme vom Staat nur 150€, den Rest finanziere ich mir durch meine Arbeit. In den letzten Jahren habe ich über 1000 Termine gehabt. Ein Termin wird online vereinbart, auch die Pass Ausstellungen werden online gestellt. Die Tschetschenen können das nicht machen. Nachgefragt: Die sind nicht gebildet dafür, das ist sehr kompliziert.
R: Arbeiten Sie noch für das Rote Kreuz?
BF: Nein, jetzt nicht mehr. Ich wurde nach Wien gebracht. Das Rote Kreuz, wo ich tätig war, das war in H XXXX .
R: Was machen Sie jetzt hier in Ihrer Freizeit, wenn Sie keine Termine in der Russischen Botschaft haben?
BF: Ich gehe gerne ins Museum. Ich gehe ins MUMOK, Andy Warhol, Weltmuseum. Vor einer Woche war ich im Technischen Museum. Dort gibt es jetzt keine spezielle Ausstellung. Ich liebe die Albertina. Ich bin eigentlich bei jeder neuen Ausstellung dabei. Ich habe den Kulturpass, dann ist es unentgeltlich für mich.
R: Ich habe im Akt gelesen, dass Sie getanzt haben oder eine Tanzschule besucht haben.
BF: Ja, das war Sporttanzen, es war Balltanzen. Samba, Rumba. Ich war ein Jahr in Wien in der Tanzschule. Jetzt ist Corona. Deswegen kann ich die Trainings nicht fortsetzen.
R: Mit wem trainieren Sie?
BF: Jetzt habe ich keine Tanzpartnerin.
R: Haben Sie einen Integrationskurs gemacht?
BF: Nein, ich hätte von der Diakonie zu einem Deutschkurs mit einem Integrationskurs geschickt werden sollen. Da ich zwei negative Bescheide hatte, wurde mir so ein Kurs nicht gewährt. Vielleicht gibt es auch einen getrennten Integrationskurs. Mir hat man das nicht gesagt.
BFV: Sie haben auch Hobbys bzw. was würden Sie gerne machen, was würden Sie gerne arbeiten, wenn Sie arbeiten könnten?
BF: Ich kann im Lieferservice arbeiten. Ich möchte als Fotograf arbeiten. In der letzten Zeit habe ich einen neuen Fotoapparat für mich ausgesucht, eine Nikon D750.
10. Am 08.04.2021 brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme mit einer Nachreichung von drei Unterstützungserklärungen zu seiner weiteren Integration ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist ukrainischer Staatsangehöriger und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Ukrainer und der orthodoxen Glaubensrichtung an. Er ist ledig, seine Mutter, sein Stiefvater und eine Halbschwester leben noch in der Ukraine. Der Beschwerdeführer spricht als Muttersprache Ukrainisch und Russisch sowie etwas Deutsch. Der Beschwerdeführer ist in der Ukraine geboren, hat dort die Schule besucht und den Beruf eines EDV Fachmanns ausgeübt.
Er befindet sich seit 2011 in Österreich. Sein Asylantrag vom 22.12.2011 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2013 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde er aus dem österreichischen Staatsgebiet in die Ukraine ausgewiesen. (Spruchpunkt III.).
Mit Erkenntnis des BVwG vom 23.10.2015 wurde die dagegen erhobene Beschwerde gemäß § 3 AsylG 2005 hinsichtlich Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 8 AsylG 2005 wurde die Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen und gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Das angeführte Erkenntnis erwuchs infolge Zustellung an den Beschwerdeführer am 30.10.2015 in Rechtskraft.
Am 21.04.2017 wurde dem Beschwerdeführer im fortgesetzten Verfahren durch Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, erlassen. Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist, die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 15.05.2017 durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde.
Am 16.03.2021 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, damit das erkennende Gericht einen aktuellen Stand in Bezug auf die Integrationsleistung des Beschwerdeführers bekommen konnte.
Der Beschwerdeführer ist bislang in Österreich unbescholten.
Der Beschwerdeführer ist abgesehen von einer Knieverletzung gesund. Schwere Erkrankungen in körperlicher oder psychischer Hinsicht sowie Hinweise auf einen längerfristigen Pflege-oder Rehabilitationsbedarf konnten nicht festgestellt werden. Festgestellt wird, dass in der Ukraine sowohl die medizinische Grundversorgung als auch der Erhalt von Medikamenten gewährleistet ist.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Einreise im Jahr 2011 also seit zehn Jahren in Österreich. In dieser Zeit hat er Deutschkurse besucht, jedoch bisher nur ein Deutschzertifikat auf dem Niveau A2 am 03.03.2017 erlangt. Sonstige Aus- Weiter- oder Fortbildungen oder Kurse hat er nicht absolviert. Er konnte allerdings zahlreiche aussagekräftige Unterstützungserklärungen vorlegen und er hat im Rahmen des Mostviertelfestivals an einem Filmprojekt über seine Geschichte mitgearbeitet. Auch beim Roten Kreuz in Niederösterreich hat der Beschwerdeführer regelmäßig ehrenamtlich mitgearbeitet, war sehr beliebt und ein gerngesehener Helfer.
Der Beschwerdeführer bezieht zwar Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung ist aber wegen seiner EDV Kenntnisse und auch seiner Ausbildung in der Lage sich seinen Lebensunterhalt erwirtschaften zu können. Auch bereits während des Verfahrens konnte er mit kleineren Aufträgen seine finanzielle Lage verbessern. Er möchte im Lieferservice oder als Fotograf arbeiten.
Er hat den Kulturpass und besucht regelmäßig die Museen und spezielle Ausstellungen. Als Hobby ist er Turniertänzer wobei wegen Corona Schließungen derzeit kein Training stattfindet. Der Beschwerdeführer ist zwar unverheiratet hat allerdings seit fünf Jahren eine Lebensgefährtin.
Zur Lage der Ukraine:
Politische Lage
Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20.05.2019 Präsident Wolodymyr Selensky, Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman.
Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wird über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt (AA 20.5.2019). Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Auch die unterschiedlichen Auslegungen der Gerichte in Bezug auf das Wahlrecht sind Gegenstand der Kritik. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus. Die im Oktober 2014 abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahlen wurden im Allgemeinen als kompetitiv und glaubwürdig erachtet, aber auf der Krim und in von Separatisten gehaltenen Teilen des Donbass war die Abstimmung erneut nicht möglich. Infolgedessen wurden nur 423 der 450 Sitze vergeben (FH 4.2.2019). Der neue Präsident, Wolodymyr Selensky, hat bei seiner Inauguration im Mai 2019 vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).
In der Rada sind derzeit folgende Fraktionen und Gruppen vertreten:
Partei
Sitze
Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)
135
Volksfront (Narodny Front)
81
Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)
38
Selbsthilfe (Samopomitsch)
25
Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)
21
Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)
20
Gruppe Wolja Narodu
19
Gruppe Widrodshennja
24
Fraktionslose Abgeordnete
60
(AA 20.5.2019)
Nach der „Revolution der Würde“ auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 verfolgte die Ukraine unter ihrem Präsidenten Petro Poroschenko eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Zu den Schwerpunkten seines Regierungsprogramms gehörte die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs- und Justizreform. Dennoch wurden die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen nicht erfüllt. Die Parteienlandschaft der Ukraine ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ und nationalistisch über rechtsstaats- und europaorientiert bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Der Programmcharakter der Parteien ist jedoch kaum entwickelt und die Wähler orientieren sich hauptsächlich an den Führungsfiguren (AA 22.2.2019).
Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj gewann am 21. April 2019 die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit über 73% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4%). Poroschenko erhielt weniger als 25% der Stimmen (RFE/RL 30.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Selenskyj wurde am 20.5.2019 als Präsident angelobt. Er hat angekündigt möglichst bald parlamentarische Neuwahlen ausrufen zu lassen, da er in der Verkhovna Rada über keinen parteipolitischen Rückhalt verfügt und demnach kaum Reformen umsetzen könnte. Tatsächlich hat er umgehend per Dekret vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).
Es ist ziemlich unklar, wofür Präsident Selenskyj politisch steht. Bekannt wurde er durch die beliebte ukrainische Fernsehserie „Diener des Volkes“, in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).
Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA 27.2.2019; CNN 21.4.2019; Stern 23.4.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 18.3.2019
-AA – Auswärtiges Amt (20.5.2019): Ukraine, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukraine/201830, Zugriff 27.5.2019
- CNN – Cable News Network (21.4.2019): Political newcomer Volodymyr Zelensky celebrates victory in Ukraine's presidential elections, https://edition.cnn.com/2019/04/21/europe/ukraine-election-results-intl/index.html, Zugriff 24.4.2019
- DS – Der Standard (21.4.2019): Politikneuling Selenski wird neuer Präsident der Ukraine, https://derstandard.at/2000101828722/Politik-Neuling-Selenski-bei-Praesidenten-Stichwahl-in-der-Ukraine-vorn, Zugriff 24.4.2019
- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019
- KP – Kyiv Post (22.4.2019): Election watchdog Opora: Presidential election free and fair, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/election-watchdog-opora-presidential-election-free-and-fair.html, Zugriff 24.4.2019
- Stern (23.4.2019): Ihor Kolomojskyj, der milliardenschwere Strippenzieher hinter der Sensation Selenskyj, https://www.stern.de/politik/ausland/ukraine--ihor-kolomojskyj--der-strippenzieher-hinter-der-sensation-selenskyj-8678850.html, Zugriff 24.4.2019
- UA – Ukraine Analysen (27.2.2019): Präsidentschaftswahlen 2019, per E-Mail
- RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (23.5.2019): Zelenskiy's Decree On Disbanding Ukrainian Parliament Enters Into Force, https://www.rferl.org/a/zelenskiy-s-decree-on-disbanding-ukrainian-parliament-enters-into-force/29958190.html, Zugriff 27.5.2019
Sicherheitslage
In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).
Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russland seinen Einfluss auf den Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH 4.2.2019).
Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2019 verlängert (AA 22.2.2019).
Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).
Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 18.3.2019
- FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.4.2019): Ein Signal an Selenskyj, https://www.faz.net/aktuell/politik/putin-verteidigt-russische-staatsbuergerschaft-fuer-ukrainer-16157482.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0, Zugriff 26.4.2019
- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019
- SO – Spiegel Online (24.4.2019): Putins Provokation, https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-wladimir-putin-kuendigt-an-russische-paesse-im-besetzten-donbass-auszuteilen-a-1264280.html, Zugriff 29.3.2019
- USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html, Zugriff 10.4.2019
Ostukraine
In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).
In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es insbesondere 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 22.2.2019).
In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz, und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. In der LPR wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten, die meist nicht einmal für eine kurzfristige Inhaftierung geeignet wären. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Hitze, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Ein unabhängiges Monitoring der Haftbedingungen wird von den Machthabern nicht oder nur eingeschränkt erlaubt. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie Folter, Hunger, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 13.3.2019).
In der Region Donbass unterdrücken die Separatisten die Rede- und Pressefreiheit durch Belästigung, Einschüchterung, Entführungen und Übergriffe auf Journalisten und Medien (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019, ÖB 2.2019). Die Separatisten verhindern auch die Übertragung ukrainischer und unabhängiger Fernseh- und Radioprogramme in von ihnen kontrollierten Gebieten. Mittlerweile haben die Separatisten im Osten des Landes ihre Bemühungen verstärkt, Online-Inhalte zu blockieren, welche angeblich die ukrainische Regierung oder die ukrainische kulturelle Identität unterstützen. Es sind nur Demonstrationen zulässig, welche von den lokalen „Behörden“ unterstützt oder organisiert werden. In der DNR/LNR können nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen nicht frei arbeiten. Es gibt eine steigende Zahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den Separatisten gegründet wurden (USDOS 13.3.2019).
Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB 2.2019).
Die meisten LGBTI-Personen sind aus den separatistischen Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk geflohen oder verstecken ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität (USDOS 13.3.2019).
Die Separatisten in der Ostukraine haben Berichten zufolge einige religiöse Führer inhaftiert. Im Februar 2018 wurden in Luhansk religiöse Gruppen, die nicht den „traditionellen“ Religionen angehören, darunter Protestanten und Zeugen Jehovas, verboten (FH 4.2.2019).
Die separatistischen Kräfte erlauben keine humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung, sondern nur solche internationaler humanitärer Organisationen. Infolgedessen sind die Preise für Grundnahrungsmittel angeblich für viele Bewohner der nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete der Ostukraine zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen „humanitären Hilfe“ an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 13.3.2019).
Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie. Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019).
Im Zuge der Kampfhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten kam es 2014 in jenen Gebieten, in denen nicht die ukrainischen Streitkräfte selbst, sondern Freiwilligenbataillone eingesetzt waren, mitunter zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diese Bataillone wurden in der Folgezeit sukzessive der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt, nur das Bataillon Ajdar wurde in die Armee eingegliedert. Offiziell wurden Freiwilligenbataillone danach nicht mehr an der Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen kam, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, evtl. auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Infolge des Übergangs von der ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine, geführt vom SBU, Anm.) zu der nunmehr von der Armee koordinierten OVK (Operation der Vereinigten Kräfte) mit April 2018, wurden verbliebene Freiwilligenverbände endgültig in die regulären Streitkräfte eingegliedert oder haben die OVK-Zone verlassen (AA 22.2.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 18.3.2019
- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002209.html, Zugriff 25.4.2019
- PCU – Protection Cluster Ukraine (3.2019): Mine Action in Ukraine, https://www.unhcr.org/ua/wp-content/uploads/sites/38/2019/04/2019_03_advocacy_note_on_mine_action_eng-1.pdf, Zugriff 17.5.2019
- ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 11.4.2019
- USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html, Zugriff 29.3.2019
Rechtsschutz / Justizwesen
Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Einige Richter behaupteten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 13.3.2019).
Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommenen Gesetzesänderung zur „Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren“ sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung („re-attestation“) aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).
2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat („council of prosecutors“) ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).
Nachdem unter Präsident Janukowitsch die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats eingemahnte Verfassungsreform jahrelang hinausgezögert wurde, wurde von Präsident Poroschenko durch seinen im Juli 2014 vorgelegten Gesetzesentwurf zur Änderung der ukrainischen Verfassung ein neuer Impuls gesetzt. Die darin vorgesehenen Schritte zu dezentraleren Strukturen mit erweiterten Kompetenzen der gewählten Gemeinde- und Bezirksräte, nicht zuletzt im Hinblick auf die Verteilung und Verwaltung öffentlicher Mittel, dem Ausbau der regionalen Selbstverwaltung und der erstmaligen Verankerung des Prinzips der Subsidiarität, wurden von der Venedig-Kommission begrüßt. Jedoch gibt es für die Annahme der Verfassungsreform in zweiter Lesung derzeit keine Mehrheit im Parlament. Vor allem die verfassungsrechtliche Absicherung der im Rahmen des Minsk-Prozesses zur Beilegung des Konflikts in der Ostukraine festgelegten Dezentralisierung steht unter starker Kritik einiger Parteien, weil diese eine „Ermächtigungsklausel“ zur Schaffung eines Gesetzes über den Sonderstatus des Donbasss enthält. In der Praxis wurden jedoch bereits Erfolge bei der finanziellen Dezentralisierung erzielt, sowie zahlreiche Gemeinden zusammengelegt, die dadurch mit mehr finanziellen Mittel ausgestattet sind und effizienter arbeiten können. Ohne eine verfassungsmäßige Absicherung der Dezentralisierungsreform bleibt diese jedoch vorerst weiterhin unvollendet (ÖB 2.2019).
Die jüngsten Reforminitiativen bleiben hinter den Erwartungen zurück, werden aber fortgesetzt (FH 4.2.2019).
Quellen:
- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019
- ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 11.4.2019
- USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html, Zugriff 29.3.2019
Sicherheitsbehörden
Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Sicherheitskräfte verhindern oder reagieren im Allgemeinen auf gesellschaftliche Gewalt. Zuweilen wenden sie jedoch selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen, oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen (z.B. im Falle der Zerstörung eines Roma-Camps durch Nationalisten, gegen die die Polizei nicht einschritt). Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht, Beamte, die Verfehlungen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 13.3.2019).
Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, die im Juli 2015 in vorerst 32 Städten ihre Tätigkeit aufnahm. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „Re-Attestierungsprozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EU Advisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Feber 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz „Über die Nationalpolizei“ sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde und der Staatliche Migrationsdienst. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das nach dem Abgang von Katia Dekanoidze befürchtete Zurückrollen diverser erzielter Reformen, ist laut Einschätzung der EUAM, jedenfalls nicht eingetreten. Das im Juni 2017 gestartete Projekt „Detektive“ – Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffung eines „Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)“ auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter der Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine „Strategie des Innenministeriums bis 2020“ sowie ein Aktionsplan entwickelt.(ÖB 2.2019).
Die Nationalpolizei muss sich mit einer, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und des Konflikts im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage auseinandersetzen. Über Repressionen durch Dritte, für die der ukrainische Staat in dem von ihm kontrollierten Staatsgebiet mittelbar die Verantwortung trägt, indem er sie anregt, unterstützt oder hinnimmt, liegen keine Erkenntnisse vor (AA 22.2.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 18.3.2019
- ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 11.4.2019
- USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html, Zugriff 29.3.2019
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafung, die gegen die Menschenwürde verstößt, ist gemäß Artikel 28 der ukrainischen Verfassung verboten. Die Ukraine ist seit 1987 Mitglied der UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) und seit 1997 Teilnehmerstaat der Anti-Folter-Konvention des Europarats (AA 22.2.2019).
Trotzdem gibt es Berichte, dass Strafverfolgungsbehörden an solchen Misshandlungen beteiligt waren. Obwohl Gerichte keine unter Zwang zustandegekommene Geständnisse mehr als Beweismittel verwenden, gibt es Berichte über von Exekutivbeamten durch Folter erzwungene Geständnisse. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln die Maßnahmen, angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer aus Gründen der nationalen Sicherheit inhaftiert war/ist oder verdächtig war/ist „pro-russisch“ eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Während die Behörden manchmal Anklagen gegen Angehörige der Sicherheitsbehörden erheben, kommt es bei einschlägigen Ermittlungen oft nicht zu Anklagen, während die mutmaßlichen Täter weiter ihrer Arbeit nachgehen. Laut Bericht einer NGO kommt es nur in drei Prozent der Strafverfahren gegen Strafverfolgungsbehörden wegen körperlichen Missbrauchs von Festgenommenen zu einer Anklage. Das Innenministerium gibt an, dass Sicherheitskräfte 80 Stunden an verpflichtenden Menschenrechtsschulungen erhalten. Polizeiakademien bieten ebenfalls Kurse zu Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Verfassungsrechten, Toleranz und Nichtdiskriminierung, Verhütung häuslicher Gewalt und Folter (USDOS 13.3.2019).
2017 hat das ukrainische Innenministerium bis 1. Dezember ca. 2.000 Beschwerden bezüglich Menschenrechtsverstößen durch Polizeibeamte erhalten. 125 Ermittlungen wurden eingeleitet (davon 83 wegen Körperverletzung, 3 wegen Folter). Im selben Zeitraum begann die Staatsanwaltschaft 43 Untersuchungen (davon 22 wegen Körperverletzungen, 6 wegen Folter). Mit der Gründung des State Bureau of Investigation (SBI) ist dieses u.a. auch für die Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen Sicherheitsbeamte zuständig. Einige Häftlinge berichteten, dass ihre Beschwerden bezüglich Misshandlung bei der Festnahme trotz sichtbarer Verletzungen von Richtern ignoriert wurden (CoE 6.9.2018).
Von der ukrainischen Seite der Kontaktlinie zu den Separatistengebieten der Ostukraine gibt es Berichte über Entführungen bzw. nicht-kommunizierte Haft bei nahezu völliger Straflosigkeit. Dies geschieht vor allem durch den Geheimdienst (SBU); die Opfer werden der Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst (FSB) oder bewaffneten Gruppen verdächtigt. Die ukrainischen Behörden sollen sich bei diesen Verhaftungen mitunter auch nationalistischer Gruppen bedient haben, welche die Gefangenen dann dem SBU übergaben. Auch von Misshandlung und Folter ist die Rede, wenn auch nicht in der Systematik und in dem Maßstab wie in den Separatistengebieten (USDOS 13.3.2019). Der SBU bestreitet dies trotz anderslautender Erkenntnisse der Beobachtungsmission des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden wegen illegaler Haft aufgenommen (AA 22.2.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 18.3.2