Entscheidungsdatum
12.07.2021Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W174 2195194-1/26E
W174 2195199-1/26E
W174 2195198-1/18E
W174 2195268-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria Mugli-Maschek, als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX auch XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , 2.) des XXXX , geboren am XXXX auch XXXX , 3.) des XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX und 4.) der XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.3.2018, jeweils betreffend 1.) Zl. 1126967409-161207657, 2.) Zl. 1126967202-161207635, 3.) Zl. 1128434802-161207665 und 4.) Zl. 1170395001-171132972 nach einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind Ehegatten und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer reisten nach Österreich ein und stellten am 2.9.2016 Anträge auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer im Wesentlichen an, afghanische Staatsangehörige und verheiratet zu sein. Beide stammten aus Herat in Afghanistan und gehörten dem sunnitischen Glauben sowie der tadschikischen Volksgruppe an.
Die Erstbeschwerdeführerin habe von 2002 bis 2008 unregelmäßig die Schule besucht, der Zweitbeschwerdeführer sei von 1998 bis 2002 im Distrikt Babachi und von 2002 bis 2004 im Iran in die Schule gegangen, sein letzter ausgeübter Beruf sei Maler gewesen.
Zu seinem Fluchtgrund brachte der Zweitbeschwerdeführer vor, es habe eine Feindschaft mit dem Onkel väterlicherseits und dessen Familie gegeben. Dabei sei es um das Erbe vor der Hochzeit und um die Hochzeit seines Vaters vor ca. 35 Jahren in Afghanistan gegangen. Es handle sich um eine Familienfehde.
Die Erstbeschwerdeführerin erklärte, sie sei ausgereist, weil ihr Ehemann wegen der Familienfehde Probleme gehabt habe. Eigene Fluchtgründe brachte sie nicht vor. Bei einer Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben, weil sie auch von den Feinden ihres Gatten bedroht worden sei.
Vorgelegt wurden die Tazkiras der Beschwerdeführer im Original.
3. Nach der Geburt der Viertbeschwerdeführerin im Bundesgebiet stellte die gesetzliche Vertretung am 4.10.2017 für ihre Tochter einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren, wobei keine eigenen Fluchtgründe für das Kind angegeben wurden.
4. Anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 6.3.2018 legte die Erstbeschwerdeführerin zunächst ein Empfehlungsschreiben vor. Sie erklärte, gesund, afghanische Staatsangehörige und in der Provinz Herat in Babachi im Distrikt Injil geboren zu sein. Sie gehöre dem sunnitischen Glauben und der Volksgruppe der Tadschiken an. Bis zum 16. Lebensjahr habe sie in ihrem Heimatort gelebt, anschließend in Teheran, wo sie vor ca. fünf Jahren den Zweitbeschwerdeführer geheiratet habe.
In Afghanistan habe sie fünf Klassen die Schule besucht, gearbeitet habe sie nie und verfüge über keine Berufsausbildung.
Nach dem Tod ihres Vaters hätten sie (die Erstbeschwerdeführerin, ihre Mutter und ihre Schwester) kein Oberhaupt mehr gehabt und jemand, der viel älter als sie gewesen sei, habe um die Hand der Beschwerdeführerin angehalten. Er hätte sie unbedingt heiraten wollen und aus Angst sei die Mutter mit ihren beiden Töchtern in den Iran geflogen. Sechs Monate später habe ihre Tante für ihren Sohn (den Zweitbeschwerdeführer) um ihre Hand angehalten und die Erstbeschwerdeführerin ihn geheiratet.
Jener ältere Mann habe bereits mit ihrem Vater über die Erstbeschwerdeführerin gesprochen und einen Monat nach dem Tod des Vaters um ihre Hand angehalten. Danach hätte die Familie sich noch ein paar Monate in Afghanistan aufgehalten, bevor sie ausgereist seien. Wo sich dieser Mann jetzt befinde wisse die Erstbeschwerdeführerin nicht und habe auch keine genaueren Informationen über ihn. Dieser habe sie persönlich bedroht. Als sie rausgegangen sei, habe er immer gesagt, er wolle sie heiraten. Sie habe Angst vor ihm, manchmal habe er an ihrer Kleidung gezogen, sie sich aber immer losgerissen.
Ihre Angaben aus der Erstbefragung, wonach sie auch wegen der Fluchtgründe ihres Gatten bedroht würde, stritt die Beschwerdeführerin ab.
Sie habe in der Heimat kein schönes Leben gehabt, sie habe nicht hinausgekonnt und die Schule nicht besuchen können. Frauen seien sehr schlecht behandelt worden.
Im Bundesgebiet verrichte sie ihre alltäglichen Erledigungen manchmal alleine, manchmal mit ihrem Mann. Das Kopftuch trage sie, wenn ihr danach sei. Sie pflege soziale Kontakte mit Freunden und Schulkollegen, auch mit Männern, sei westlich orientiert und äußere ihre Meinung frei.
Der Zweitbeschwerdeführer erklärte im Wesentlichen, gesund zu sein und legte diverse Integrationsunterlagen (ÖSD Zertifikat A1, Teilnahmebestätigungen an Alphabetisierungs- und Deutschkursen, Empfehlungsschreiben, Arbeitsbestätigungen als ehrenamtlicher Helfer sowie eine Teilnahmebestätigung an einem ÖIF Werte- und Orientierungskurs) vor.
Vor fünf bis sechs Jahren habe er im Iran die Erstbeschwerdeführerin geheiratet. Er sei sunnitischer Moslem, gehöre mütterlicherseits der Volksgruppe der Tadschiken und väterlicherseits der der Paschtunen an. Jedoch sehe er sich mehr als Tadschike.
Bis zum Alter von ca. 18 oder 19 Jahren habe er in seinem Geburtsort (Babachi, Injil in der Provinz Herat) gelebt und sei dann in den Iran gezogen. In Afghanistan habe er fünf Jahre die Schule besucht. Elf Jahre lang sei er Maler und Anstreicher in Afghanistan und im Iran gewesen. Berufsausbildung habe er keine, im Alter von ca. 17 habe er zu arbeiten begonnen.
Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, sein Vater habe Probleme mit dessen Bruder gehabt, weil er die Mutter des Zweitbeschwerdeführers, eine Tadschikin, geheiratet habe. Zudem habe es Erbschaftsstreitigkeiten gegeben. Die Familie seines Vaters sei gegen Karsai gewesen, das bedeute, sie seien Taliban. Sein Vater hätte nach dem Tod des Großvaters viel haben sollen, sei nach seiner Hochzeit jedoch zerstritten gewesen und die Schwierigkeiten wären immer mehr geworden. Seinen Vater habe der Beschwerdeführer nie darüber befragt, er wisse dies alles nur von seiner Mutter. Die Gespräche zwischen ihr und dem Vater hätte er mitbekommen. Dieser hätte unbedingt sein Erbe gewollt und als der Bruder des Beschwerdeführers habe heiraten wollen, habe der Vater wegen des Hausbaus das Erbe gefordert. Erhalten habe er es jedoch nicht, sondern sei mehr und mehr bedroht worden. Nachdem sich der Zweitbeschwerdeführer mit seiner Mutter bei der Tante mütterlicherseits aufgehalten habe, sei bei der Rückkehr die Haustüre offen gewesen und sie hätten im Wohnzimmer die Leiche des Vaters gefunden. Die beiden Brüder wären seit damals verschwunden. Der Mord am Vater sei ca. drei Wochen nachdem dieser den Onkel besucht habe passiert.
Nach der Beerdigung hätten sie ca. sechs Monate bei der Tante mütterlicherseits gelebt. Die Leichen der Brüder hätten sie nie gefunden. Dann sei die Familie in den Iran ausgereist, der Ehemann der Tante mütterlicherseits habe den Verkauf ihres Hauses organisiert und das Geld überwiesen. Die Erstbeschwerdeführerin sei seine Cousine mütterlicherseits und habe bereits im Iran gelebt, als er dort hingekommen sei.
Sein Vater habe seiner Mutter erzählt, dass ihm sein Bruder mit dem Umbringen bedroht habe, falls er sich nicht scheiden lasse und auch wegen des Erbes. Da es sich bei den Verwandten um Taliban handle, hätte die Polizei nicht helfen können. Während sie sich bei der Tante mütterlicherseits aufgehalten hätten, sei er persönlich nicht bedroht worden, sie hätten aber gehört, dass Bewaffnete mit einem Motorrad um ihr Haus herumgeirrt wären, um sie zu suchen. Diese Leute hätte sie dann auch weiterhin bei der Tante gesucht.
Familienstreitigkeiten gebe es schon lange, zwischen der Heirat seines Vaters und dessen Ermordung seien 35 Jahre vergangen, in denen er Probleme gehabt habe, die weiterhin bestünden.
5. Am 11.3.2018 langten bei der belangten Behörde eine Deutschkursteilnahmebestätigung samt Empfehlungsschreiben für die Erstbeschwerdeführerin ein.
6. Mit den gegenständlichen im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
7. Dagegen wurde rechtzeitig mit gemeinsamem Schriftsatz Beschwerde in vollem Umfang an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.
8. Am 31.1.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der auch das Bundesamt als Verfahrenspartei teilnahm.
Die Erstbeschwerdeführerin, erklärte im Wesentlichen zunächst, gesund, sunnitische Muslima und Tadschikin zu sein. Geboren sei sie in Herat, wo sie bis zu ihrem 15. Lebensjahr wohnhaft gewesen sei. Dann sei sie in den Iran gezogen, habe dort vor ca. acht Jahren den Zweitbeschwerdeführer geheiratet und dauerhaft gewohnt. Zuletzt sei sie im Alter von 22 Jahren für eine Woche in Afghanistan gewesen, als die Familie zurückgeschoben worden sei. Nach einer Woche seien sie wieder in den Iran zurückgekehrt.
In Afghanistan hätten sie und ihr Mann im selben Wohnbezirk bzw. Viertel gelebt. Sie selbst sei mit ihrer Mutter und Schwester in den Iran gezogen, ihr Mann damals schon dort gewesen. Soweit sie wisse, sei er ein Jahr vor ihr dort hingezogen.
Die Schule habe sie in Afghanistan besucht, insgesamt bis zur fünften Klasse. Mit acht Jahren hätte sie damit begonnen, aber dadurch, dass die Schule nicht regelmäßig offen gewesen sei, habe sie länger gebraucht, d. h. bis zu ihrem 15. Lebensjahr. Es habe sich um eine normale Mädchengrundschule gehandelt. Aus Sicherheitsgründen habe es keine Möglichkeit für einen regelmäßigen Schulbesuch gegeben und die Schule sei nicht regelmäßig offen gewesen. Vor allem für Frauen sei es noch schwieriger gewesen. Manchmal habe ihr Vater sie begleitet, manchmal sei sie auch alleine unterwegs gewesen und habe viel Angst gehabt. Ihre Familie sei nicht sehr konservativ und nicht sehr religiös. Die finanzielle Situation in der Heimat sei durchschnittlich gewesen, der Vater habe als Koch das Familienleben finanziert bevor er vor ca. zehn oder elf Jahren gestorben sei. Danach habe ihre Mutter das Leben nicht mehr finanzieren können und auch gemeint, alleine als Witwe mit zwei Töchtern nicht mehr in Afghanistan leben zu können, weswegen sie in den Iran gezogen seien.
Im Großen und Ganzen sei die Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan immer mit ihrer Mutter und Schwester zu Hause gewesen. Wenn die Schule offen gewesen sei, sei sie dorthin gegangen und direkt nach Hause zurückgekommen, ansonsten sei sie fast nicht hinausgegangen. Wenn sie nicht zur Schule gegangen sei, habe sie das Haus nicht verlassen dürfen und auch große Angst gehabt, alleine auszugehen. Das Haus habe sie nur mit einer Burka verlassen können. Der Vater habe gearbeitet, eingekauft und alles erledigt.
Der ältere Mann, der sie hätte heiraten wollen, habe in unmittelbarer Nähe zu ihnen gewohnt. Als ihr Vater noch gelebt habe, habe der Mann ihm mehrmals gesagt, dass er die Erstbeschwerdeführerin heiraten wolle. Nachdem ihr Vater gestorben sei, habe dieser Mann auf dem Schulweg versucht mit ihr zu reden und sie habe große Angst bekommen, weil er auch viel älter gewesen sei. Er sei auch damals zu ihnen nach Hause gekommen, habe bei der Tür mit ihrer Mutter gesprochen und erklärt, unbedingt die Erstbeschwerdeführerin ehelichen zu wollen. Auf der Straße habe er auf sie gewartet und gesagt, er sei sehr reich und könne ihr Leben finanzieren, er habe ein schönes Haus und wolle sie unbedingt haben. Er habe versucht, ihre Burka anzufassen und immer wieder betont, sie endlich heiraten zu wollen. Sie habe viel Angst bekommen und deshalb bei der Behörde gesagt, dass sie diesen Mann schlecht gefunden habe, weil er viel älter gewesen sei.
Nachdem er um ihre Hand angehalten habe, seien sie ca. sechs oder sieben Monate in Afghanistan geblieben. Dass sie bei der Erstbefragung nichts über diesen Mann erzählt habe, erklärte sie damit, dass ihr diesbezüglich keine Fragen gestellt worden wären.
Ihr Gatte sei der Sohn ihrer Tante väterlicherseits. Er sei ein angenehmer, liebevoller Mann und sehr guter Vater. Er gehe immer mit Respekt mit ihr um und frage immer auch nach ihrer Meinung, wenn es um Entscheidungen gehe. Beschimpft oder geschlagen habe er sie niemals. Wenn sowas passieren würde, würde sie sofort die Polizei rufen und um Hilfe bitten.
Zuhause kleide sich die Erstbeschwerdeführerin so, wie sie wolle, im Sommer trage sie auch T-Shirts mit Spaghettiträgern und eine kurze Hose. Wenn sie hinausgehe ziehe sie sich dem Wetter entsprechend an. Im Winter klarerweise mit Jacke und Hose, aber im Sommer trage sie ganz normal einen kurzen Ruck, eine kurze Hose, T-Shirt, Tops, Spaghettiträger. Seitens der erkennenden Richterin wurde angemerkt, dass die Beschwerdeführerin in der Verhandlung eine schwarze Hose und eine weiße Bluse mit einer schwarzen Weste anhabe, das Haar sei offen und sie sei geschminkt.
Vorgelegt wurden 13 Fotos, welche die Beschwerdeführerin und ihre Kinder im Alltag zeigen.
Dass sie anlässlich ihrer Einvernahme bei der Behörde ein Kopftuch getragen habe, erklärte die Erstbeschwerdeführerin damit, dass sie ganz am Anfang in Österreich noch diese Angst gehabt habe und nicht ohne eine Kopfbedeckung habe herausgehen können. Langsam habe sie dann gedacht, sie könne hier problemlos ohne irgendeine Kopfbedeckung das Haus verlassen. In Afghanistan habe sie selbst überhaupt nicht über ihre Kleidung entscheiden können. Die Burka habe sie überhaupt nicht gemocht und sei gar nicht einverstanden damit gewesen, habe aber keine andere Wahl gehabt. Im Iran habe sie einen Tschador tragen müssen. Mit Tschador oder Burka sei eine Frau sicher nicht frei, die Freiheit, die man mit normaler Bekleidung habe, um sich zu bewegen, habe man mit dieser Kopfbedeckung nicht. Grundsätzlich finde sie diese nicht in Ordnung.
An dem Leben, das sie in Afghanistan geführt habe, lehne sie ab, dass eine Frau dort keine Rechte und gar keine Freiheit habe. Sie habe nicht alleine das Haus verlassen oder Freunde treffen oder sogar einkaufen gehen dürfen. Die Möglichkeiten, die Rechte, die eine normale Frau außerhalb Afghanistans habe, zum Beispiel zu arbeiten und eine Ausbildung zu machen, diese Möglichkeiten hätten Frauen in Afghanistan nicht.
Vor der Pandemie habe die Erstbeschwerdeführerin im Bundesgebiet ihren Sohn morgens zur Schule gebracht und auch abgeholt. Sie sei zum Deutschkurs gegangen, habe regelmäßig Freunde getroffen, sie hätten gemeinsam gegessen und sich zum Kaffee und Kuchen getroffen. Im Sommer sei sie schwimmen gegangen, Fahrrad fahren und habe auch viel Zeit mit ihrer Familie auswärts verbracht und viele Freunde getroffen. Sonst koche sie auch zu Hause und übe für ihren Deutschkurs. Einkaufen gehe sie manchmal alleine, manchmal kaufe ihr Mann Lebensmittel und manchmal gingen sie zu zweit. Ihre Deutschkenntnisse reichten dafür aus. Den Arzt besuche sie alleine, ihr Gatte kümmere sich unterdessen um die Kinder. Die Kinder bringe sie zum Arzt.
Zum Schwimmen gehe sie in ein öffentliches Bad, dort trage sie einen normalen Badeanzug. Der Großteil ihrer Freunde seien Österreicher und Österreicherinnen, einige von ihnen habe sie durch ihren Deutschkurs kennengelernt oder im Sozialmarkt. Vor der Pandemie hätten sie sich regelmäßig getroffen, unter der Woche ca. zweimal und am Wochenende wirklich regelmäßig. Manchmal habe die Erstbeschwerdeführerin alleine Freunde getroffen und ihr Mann sei zum Beispiel mit den Kindern unterwegs gewesen. Manchmal hätten sie als Familie gemeinsame Freunde getroffen. Zudem habe sie auch Freunde aus dem Iran bzw. aus Afghanistan.
Die Familie lebe von der Grundversorgung. Sie habe keine Arbeitserlaubnis, sonst hätte sie sich sehr gewünscht, hier in Österreich zu arbeiten. Ihr Mann sei ehrenamtlich tätig gewesen. Wenn sie arbeiten ginge, hätte er überhaupt kein Problem damit und freue sich, wenn sie auch arbeiten könne. Für das Geld der Familie sei zum Großteil die Erstbeschwerdeführerin verantwortlich, manchmal würden sie gemeinsam entscheiden.
Die wichtigsten Unterschiede zu ihrem Leben in Afghanistan seien die Rechte bzw. die Freiheit, die man als Frau hier in Österreich habe. Man könne hier eine Ausbildung machen, arbeiten gehen, für sich entscheiden, alleine aus dem Haus gehen, feiern, schwimmen und einkaufen gehen. Solche Sachen seien in Afghanistan für eine Frau unvorstellbar.
Wenn sie in Österreich bleiben könne, wolle sie zuerst besser Deutsch lernen, eine Ausbildung machen und wünsche sich beruflich, Verkäuferin im Modebereich zu werden. Sonst könne sie auch sehr gut mit alten Menschen umgehen und zum Beispiel als Pflegerin tätig sein.
Sie habe bereits A1 und A2 Kurse gehabt, die A2 Prüfung sei wegen der Pandemie verschoben worden. Damit sie als Verkäuferin arbeiten dürfe, müsse sie noch besser Deutsch lernen und danach eine Ausbildung absolvieren.
Vorgelegt wurden ein A1 Zertifikat, sowie Teilnahmebestätigungen Deutsch A2, Teile 1 und 2. Während der Pandemie verwende sie YouTube bzw. übe sie mit Freunden über eine WhatsApp Gruppe die deutsche Sprache.
Ihre Kinder hätten hier viel mehr Möglichkeiten als in der Heimat. Sie könnten eine Ausbildung machen, arbeiten, selbstständig über ihr Leben entscheiden und in Freiheit leben. Die Erziehung in Afghanistan sei ganz anders, Kinder müssten dort nach der Tradition erzogen werden. Sie habe mehr Wünsche für ihre Tochter, weil sie selbst vieles in Afghanistan miterlebt habe. Sie wünsche sich, dass ihre Kinder in zehn Jahren weiter frei leben könnten, besonders ihre Tochter und dass diese nicht die Ängste bekomme, die sie selbst als Kind miterleben habe müssen. Sie solle die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen, sich frei zu bewegen und das Leben zu genießen.
Nach einer Rückkehr fürchte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie als Frau wieder kein Recht auf ein normales Leben haben werde und sie habe große Angst um ihre Tochter. In Afghanistan würde diese genauso leben müssen, wie sie selbst als Kind und junges Mädchen gelebt hätte. Sie habe Angst vor der afghanischen Gesellschaft, wie die Menschen dort seien, die Mentalität und die Kultur machten ihr Angst.
Der Zweitbeschwerdeführer gab zunächst an, gesund, afghanischer Staatsangehöriger, verheiratet, sunnitischer Moslem und in der Stadt Herat geboren zu sein. Seine Muttersprache sei Dari, der Vater Paschtune, die Mutter Tadschikin, er selbst stelle sich als Tadschike vor.
Bis zum 17. oder 18. Lebensjahr habe er sich in Herat aufgehalten, dann sei er mit seiner Mutter in den Iran gezogen, die Gattin sei ein Jahr später in den Iran gekommen. Es handle sich um die Tochter seines Onkels mütterlicherseits. In Afghanistan hätten die beiden keinen Kontakt zueinander gehabt, jedoch nur drei oder vier Straßen entfernt gelebt.
In Afghanistan habe er fünf Jahre die Schule besucht und zwar von 8. bis zum 13. Lebensjahr, im Iran habe er keine Ausbildung genossen. Sein Vater habe das Leben finanziert, auch die beiden Brüder hätten gearbeitet. Er selbst habe im Alter von 13 oder 14 zu arbeiten begonnen. Später im Iran habe er das Leben selbst finanzieren müssen, wegen des Aufenthalts aber immer schwarzgearbeitet. Vorgehalten, er habe vor der Behörde angegeben, ca. 17 Jahre alt gewesen zu sein, als er mit der Arbeit begonnen habe, erwiderte der Zweitbeschwerdeführer, zunächst habe er mit seinen beiden Brüdern zusammengearbeitet, so wie ein Lehrling und mit 17 sei er selbstständig gewesen.
Bei der Erstbeschwerdeführerin handle es sich zu 100 Prozent um eine unabhängige Frau, die alles alleine schaffen könne. Ihre Situation in Afghanistan kenne er nur aus ihrer Erzählung. Hier habe sie zu Hause irgendetwas an, dass ihr gefalle. Grundsätzlich sei ihre Kleidung ihre eigene Sache, sie entscheide, was sie anhabe, egal ob zu Hause oder draußen. Zum Beispiel trage sie zu Hause kurze Hosen und ein Top mit Spaghettiträgern. Kopftuch habe sie keines, sie möge keine Kopfbedeckung und keinen Hijab. Das habe mit der Vergangenheit in Afghanistan zu tun.
Vor der Pandemie hätten sie ihre Deutschkurse gehabt, die sie regelmäßig besucht hätten. Seine Frau oder er hätten ihren Sohn zur Schule und zum Kindergarten gebracht, seien spazieren gegangen, Fahrrad gefahren, zum Spielplatz mit den Kindern und im Sommer schwimmen gegangen. Der Zweitbeschwerdeführer könne weiterhin nicht schwimmen, seine Frau aber sehr gut. Dabei trage sie einen Badeanzug, womit er überhaupt kein Problem habe. Manchmal gehe er einkaufen, manchmal sie, manchmal alle gemeinsam. Wenn es etwas Schweres zum Tragen gebe, mache er das.
Seine Gattin fahre alleine Fahrrad, sei vor der Pandemie alleine zum Deutschkurs gefahren und habe alles selbstständig gemacht. Normalerweise besuche sie alleine den Arzt, die Kinder bringe zum großen Teil die Erstbeschwerdeführerin zum Arzt. Falls dies aus irgendeinem Grund nicht gehe, erledige der Zweitbeschwerdeführer dies. Ihre Termine mache sie sich selbst aus und könne auch mit den Ärzten reden.
Die Familie habe viele Freunde, größtenteils Österreicher und Österreicherinnen. Entweder habe die Erstbeschwerdeführerin sie bei ihren Deutschkursen kennengelernt, oder es seien Nachbarn gewesen. In ihrem jetzigen Wohnort würden sie auch Leute kennen, es seien Bekannte und Freunde der Erstbeschwerdeführerin. Vor der Pandemie hätten sie sich gegenseitig besucht, hätten gemeinsame Spaziergänge gemacht und sich zum Essen oder Kaffeetrinken getroffen. Seine Frau treffe die Freunde auch alleine, während er sich um die Kinder kümmere. Es gebe auch Freunde aus verschiedenen anderen Nationalitäten, wie Syrien, Afghanistan, dem Irak.
Sie lebten von der Grundversorgung, da er keine Arbeitserlaubnis habe, habe er nur ehrenamtlich gearbeitet.
Vorgelegt wurden eine Arbeitsbestätigung seiner Gemeinde betreffend gemeinnützige Tätigkeiten, das Schreiben eines Malermeisters vom Jänner 2021, den Zweitbeschwerdeführer als Maler und Beschichtungstechniker einstellen zu wollen, soweit Arbeitsaufträge vorhanden seien, das Zeugnis der Integrationsprüfung sowie Besuchsbestätigungen zum Deutsch-Integrationskurs B1, Teile 1 und 2.
Seine Frau würde der Zweitbeschwerdeführer 100-prozentig unterstützen, damit sie in Österreich einen Job finde. Für das Geld der Familie sei grundsätzlich seine Gattin zuständig, sie hätten einen gemeinsamen Haushalt, aber sie kümmere sich um die finanziellen Angelegenheiten. Sie wünsche sich, berufstätig zu werden, ihr Traumjob wäre Verkäuferin, aber sie würde sich etwas Anderes aussuchen, wenn dies nicht möglich wäre. Für seine Gattin sei es sehr wichtig, arbeiten zu gehen. Sie habe schon Informationen dazu bekommen, die Sprache sei wichtig und sie müsse weiterhin Deutsch lernen und dann auch eine Ausbildung machen, um als Verkäuferin tätig zu sein.
Für seine Kinder wünsche sich der Zweitbeschwerdeführer, dass sie hier weiterhin die Möglichkeit hätten, zur Schule zu gehen und eine Ausbildung zu machen.
Nachdem sein Vater getötet worden sei, seien sie sofort zu einer Tante mütterlicherseits gegangen und hätten dort sechs Monate gewohnt, bevor sie in den Iran gegangen seien. Die bewaffneten Personen, die damals auf dem Motorrad um das Haus der Tante mütterlicherseits gefahren wären, seien vom Onkel väterlicherseits, der ein Taliban wäre, gewesen. Mehr als das wisse er jedoch nicht. Diese Personen hätte er früher gesehen, als sein Vater noch gelebt habe. Bei der Diskussion des Vaters mit dessen Bruder seien sie auch anwesend gewesen.
Seitens der erkennenden Richterin wurde auf das vorliegende Informationsmaterial zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat verwiesen und der Beschwerdeführervertretung eine Frist von 14 Tagen für eine schriftliche Stellungnahme gewährt.
9. Am 22.1.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme der Beschwerdeführer zu den ausgehändigten Länderinformationen ein, in der im Wesentlichen auf die prekäre Lage der Frauen in Afghanistan hingewiesen wurde.
Am 2.1.2021 langten beim Bundesverwaltungsgericht die von der Behörde übermittelten Tazkiras im Original der Beschwerdeführer ein.
10. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 19.4.2021 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführern die aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan und räumte eine Frist von einer Woche ab Zustellung zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme und zur Bekanntgabe allfälliger Änderungen an ihrer persönlichen Situation ein.
Diese Stellungnahme wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 20.4.2021 übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind Ehegatten und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer stammen aus Herat, der Drittbeschwerdeführer wurde im Iran geboren, die Viertbeschwerdeführerin kam im Bundesgebiet zur Welt. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer heirateten in Teheran.
Die Beschwerdeführer gehören der Volksgruppe der Tadschiken und dem sunnitischen Glauben an, der Vater des Zweitbeschwerdeführers war Paschtune.
Die Erstbeschwerdeführerin besuchte in Afghanistan eine Grundschule für Mädchen und absolvierte fünf Klassen. Bis zum ca. 15 oder 16. Lebensjahr lebte sie in ihrem Heimatort, anschließend in Teheran.
Der Zweitbeschwerdeführer besuchte in der Heimat mehrere Jahre die Schule und reiste im Alter von ca. 18 Jahren in den Iran aus. Sowohl in der Heimat als auch in Teheran war er als Maler und Anstreicher tätig.
Die Erstbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin gehören zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen bzw. Mädchen. Die Erstbeschwerdeführerin führt mittlerweile einen westlich orientierten, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken. Die Kinder werden im Bundesgebiet westlich sozialisiert, die gesamte Familie ist westlich orientiert.
1.2. Zur Lage im Herkunftsland:
Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Version 3, Stand 1.4.2021, die Kurzinfo der Staatendokumentation zur COVID-19-Situation in Afghanistan vom 21.7.2020, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender, Stand 30.08.2018, die EASO Guidelines, die Analyse der Staatendokumentation Gesellschaftlichen Einstellung zu Frauen in Afghanistan, Stand 25.6.2020 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan vom 3.5.2019 über Kinderehen, Zwangsehen stellen einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses dar und werden als Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen.
2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten der belangten Behörde, den vorliegenden Gerichtsakten und dem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahren, vor allem der Einvernahme der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung und dem persönlichen Eindruck, den die erkennende Richterin dort gewinnen konnte.
2.1. Die oben genannten Feststellungen zu Person und Herkunft der Beschwerdeführer resultieren aus ihren dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verfahrensakten, den vorgelegten Dokumenten und ihren diesbezüglich einheitlichen und glaubwürdigen Angaben und Sprachkenntnissen.
Die Feststellungen zur Erstbeschwerdeführerin als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin und ihres Gatten (des Zweitbeschwerdeführers) in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem persönlichen Eindruck, der dort gewonnen werden konnte. Diese Angaben werden zudem durch die – unter Punkt I. detailliert angeführten – Bestätigungen, Zeugnisse, Zertifikate, Unterstützungserklärungen und Fotos untermauert.
Die Erstbeschwerdeführerin vermochte zu überzeugen, dass sie sich aus innerer Überzeugung einer westlichen Wertehaltung und einem westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild zugewandt hat, danach lebt und daran festzuhalten gewillt ist, wobei ihr westlich orientierter Lebensstil auch von ihrem in Österreich lebenden Ehegatten mitgetragen wird.
Die erkennende Richterin gewann im Rahmen der Verhandlung den Eindruck, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine Frau handelt, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt, demgegenüber bereits stark westliche Werte verinnerlicht hat und – aus Überzeugung und in Abkehr zu der konservativ-afghanischen Tradition – auch danach lebt.
Die Erstbeschwerdeführerin hat in der Beschwerdeverhandlung verdeutlicht, dass sie ihr Äußeres und ihre Lebensführung an das Leben westlicher Frauen anpasst und dass sie die in Afghanistan für Frauen üblichen traditionellen Einschränkungen und gesellschaftlichen Vorgaben aus Überzeugung ablehnt. Sie hat glaubhaft dargelegt, vom Willen getragen zu sein, den Alltag selbstständig und ohne Hilfe ihres Ehemannes zu bestreiten. Sie bildet sich weiter, verwaltet das Geld der Familie, geht alleine einkaufen, zu (österreichischen) Freunden – unter denen es auch Männer gibt – bringt ihre Kinder zu Ärzten und sucht bei entsprechendem Bedarf alleine den Arzt auf. Sie kleidet sich westlich, sucht diese ihre Kleidung für sich selbst aus, betreibt Sport, fährt Fahrrad und geht schwimmen, wobei sie einen Badeanzug trägt. Das Kopftuch hat sie abgelegt und lehnt aus innerer Überzeugung Kleidungsstücke wie Burka oder Tschador wegen der damit verbundenen Beschränkung ihres freien Lebens als Frau ab. Zudem konnte sie glaubhaft machen, eine Berufsausbildung – vorzugsweise als Verkäuferin in einem Modegeschäft – anzustreben und in Hinkunft auch selbst berufstätig sein zu wollen.
An dem Leben, das sie in Afghanistan geführt hat, lehnt sie ab, dass eine Frau dort keine Rechte und keine Freiheit hatte. Sie konnte weder alleine das Haus verlassen, noch Freunde treffen oder einkaufen gehen. Einen Beruf durfte sie nicht ausüben.
Auch konnte sie glaubhaft machen, dass für sie ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt für sich und die Tochter maßgeblich ist. Für sich und ihre Kinder wünscht sie sich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben und es ist ihr sehr wichtig, dass auch die Tochter eine Ausbildung machen, arbeiten, selbstständig über ihr Leben entscheiden und in Freiheit – ohne die traditionellen Beschränkungen in Afghanistan – leben kann.
All dies wird vom Zweitbeschwerdeführer unterstützt, der seine Frau in ihrer westlichen Lebenseinstellung unterstützt, indem er zum Beispiel auf die Kinder aufpasst.
Insgesamt führt die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil, der zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.
2.2. Die getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen. Diese Berichte verschiedener anerkannter und zum Teil in Afghanistan agierenden Institutionen, ergeben in ihrer Gesamtheit ein nachvollziehbares und schlüssiges Bild über die Lage im Heimatland der Beschwerdeführer. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Die Länderfeststellungen wurden den Beschwerdeführern vorgehalten und es wurde ihnen nicht entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf die vorliegenden anzuwenden.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
3.2. Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht. Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Als Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "begründete Furcht vor Verfolgung" (VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011 ua).
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233, mwH).
Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081; VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach, eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).
Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).
Die Erstbeschwerdeführerin gehört zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen.
Nach der Rechtsprechung des VwGH können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren. Es sind daher konkrete Feststellungen zur Lebensweise der Asylwerberin im Entscheidungszeitpunkt zu treffen und ist ihr diesbezügliches Vorbringen einer Prüfung zu unterziehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).
Wie oben in den Feststellungen und der Beweiswürdigung gezeigt, führt die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.
Den getroffenen Länderfeststellungen sowie den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 (siehe Abschnitt III.A.7f.) ist zu entnehmen, dass die Fortführung dieser Lebensweise in Afghanistan zu einer asylrelevanten Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen führen würde.
Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich die Erstbeschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aus Gründen ihrer politischen Gesinnung bzw. Religion (überwiegende Orientierung an dem als "westlich“ zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild) und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten afghanischen Frauen außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Erstbeschwerdeführerin nicht, weil im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer derartigen Verfolgung auszugehen wäre.
Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn 1. dieser nicht straffällig geworden ist und (Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art 3 Z13, BGBl. I Nr. 84/2017) 3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig ist (§ 7).
Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
Gemäß Abs. 5 leg. cit. gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten; b. der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragenen Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat; c. ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigten und d. der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung, jeweils schon vor der Einreise bestanden hat.
Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 leg. cit. von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
Nach den Materialien (RV 952, 22. GP, 54) dient § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband. Ziel der Bestimmungen ist, Familienangehörigen (§ 2 Abs. 1 Z 22) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status des Asylberechtigten zu gewähren, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen (VwGH 6.8.2020, Ra 2020/14/0343).
Da der Erstbeschwerdeführerin bereits aus dem Titel der "westlichen Orientierung" und in der Folge den übrigen Beschwerdeführern gemäß § 34 Abs. 1 und 2 AsylG Asyl zu gewähren war, war auf das übrige asylrelevante Fluchtvorbringen nicht weiter einzugehen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Deshalb war spruchgemäß zu entscheiden.
3.3. Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage Konversion ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen oder es steht in vielen Punkten die Tatfrage im Vordergrund.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung von Familienangehörigen Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung Familienangehöriger Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft mündliche VerhandlungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W174.2195198.1.00Im RIS seit
24.11.2021Zuletzt aktualisiert am
24.11.2021