TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/28 W142 2163823-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.07.2021
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Entscheidungsdatum

28.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W142 2163823-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) von XXXX , StA. Somalia, betreffend seinen Antrag auf internationalen Schutz vom 14.06.2015, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen zu Recht erkannt:

A) I. Der Antrag des XXXX auf internationalen Schutz vom 14.06.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist ein Staatsangehöriger aus Somalia, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In seiner Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch gab der BF zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt an, in Mogadischu geboren zu sein. Er sei Moslem, ledig und gehöre der Volksgruppe der Ashraf an. Sein Bruder sei 2005 von den Terrororgansiation Al Shabab rekrutiert worden. Er habe dies nicht gewollt und sei daher erschossen worden. Danach hätten sie ihn rekrutieren wollen. Er habe Angst um sein Leben und sei daher geflüchtet.

3. Am 07.04.2017 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) eine Säumnisbeschwerde gemäß Art 130 Abs. 1 Z 3 B-VG ein.

4. Die Säumnisbeschwerde samt Akt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 10.07.2017 zur Vorlage gebracht.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.10.2017 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch und im Beisein eines Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt entschuldigt nicht teilnahm. Zu seinem Fluchtgrund gab der BF wie folgt an (Schreibfehler korrigiert):

[…]

R: Das heißt, von Ihrer Geburt an bis zum Zeitpunkt 20.02.2015 (Verlassen Somalias) haben Sie sich ständig in Somalia aufgehalten?
BF: Ja.

R: Was war Ihre ständige Wohnadresse in Somalia?
BF: Ich habe im Gebiet in Benade, Bezirk Hoodan, XXXX gewohnt.

R: Haben Sie noch Verwandte, die in Somalia leben?
BF: Meine Familie lebt nicht in Somalia.

R: Wo lebt Ihre Familie?
BF: Im Flüchtlingslager in Kenia.

R: Können Sie mir die Familienmitglieder nennen, die im Flüchtlingslager in Kenia leben?
BF: Meine Mutter namens XXXX und meine Geschwister (drei Brüder namens XXXX , er ist 16 Jahre alt, XXXX , er ist 18 Jahre alt, und XXXX , er ist ca. 15 Jahre alt).

R: Sie meinen, dass Sie derzeit dieses Alter haben? War das das Alter, als Sie Somalia verlassen haben?
BF: Das war das Alter zum Zeitpunkt meiner Ausreise.

R: Haben Sie sonst noch Verwandte?
BF: Nein.

R: Sind Sie verheiratet?
BF: Ja.

R: Wo lebt Ihre Frau?
BF: Meine Frau und meine Familie leben zusammen in einem Flüchtlingslager in Kenia.

R: Wissen Sie, in welchem Flüchtlingslager Ihre Familie untergebracht ist?
BF: Das Lager heißt Ifo.

R: Seit wann lebt Ihre Familie in diesem Flüchtlingslager?
BF: Sie sind kurz nach mir gegangen, als ich Somalia verlassen habe.

R: Woher wissen Sie, dass sich Ihre Familie im Flüchtlingslager in Kenia befindet?
BF: Meine Mutter hat mich informiert.

R: Wann hat Ihnen Ihre Mutter dies mitgeteilt?
BF: Ich weiß den Tag nicht genau. Es war am 3. 2015.

R: Was meinen Sie jetzt mit 3?
BF: Es war März.

R: Wo haben Sie sich befunden, als Ihnen Ihre Mutter das mitteilte?
BF: Ich war in der Türkei.

R: Wie hat Ihnen Ihre Mutter dies mitgeteilt?
BF: Per Telefon.

R: Ihre Mutter hat Sie angerufen?
BF: Ich habe sie angerufen. Sie hat mich wieder zurückgerufen.

R: Sind Sie nach wie vor in telefonischem Kontakt mit Ihrer Mutter?
BF: Ja.

R: Können Sie mir die Telefonnummer Ihrer Mutter angeben?
BF: Meinen Sie die jetzige Telefonnummer?

R: Ja. Haben Sie sie?
BF: XXXX .

R: Was ist das für eine Nummer? Ist das eine Handy-Nummer oder eine Festnetznummer?
BF: Es ist eine Handynummer.

R: Das heißt, Ihre Mutter besitzt ein Handy und ist im Flüchtlingslager?
BF: Ja. Meine Mutter und meine Frau benützen dieses gemeinsam.

R: Wo befindet sich Ihr Vater?
BF: Ich habe noch nie meinen Vater gesehen. Er ist im Jemen verstorben.

R: Wie hat Ihr Vater geheißen?
BF: XXXX .

R: Wann ist Ihr Vater gestorben?
BF: 2016, als ich in Österreich war.

R: Wieso haben Sie dann Ihren Vater noch nie gesehen, wenn er 2016 verstorben ist?
BF: Meine Eltern waren geschieden.

R: Haben Sie eine Schule besucht?
BF: Ich habe zu Hause Unterricht erhalten, zwei Jahre.

R: Wer hat Sie unterrichtet?
BF: Ein Lehrer.

R: Dieser Lehrer ist jeden Tag zu Ihnen nach Hause gegangen und hat Sie unterrichtet?
BF: Ja. Unter der Woche.

R: Wurden nur Sie unterrichtet oder auch andere Kinder?
BF: Auch meine anderen Geschwister.

R: Wie konnte sich das Ihre Mutter finanziell leisten, einen Privatlehrer zu haben?
BF: Sie hat auf der Straße Gemüse und Kohle verkauft.

R: Sie können lesen und schreiben?
BF: Ja.

R: Wie sind Sie von Ihrem Heimatort bis nach Österreich gelangt? Können Sie mir die Reiseroute beschreiben?
BF: Meine Reise hat in Mogadischu angefangen. Ich bin nach Istanbul geflogen. Dann bin ich weitergefahren und nach Izmir gegangen. Ich bin nach Chios gegangen. Dann bin ich nach Griechenland gegangen. Dort haben sie einen Fingerabdruck gemacht. Sieben Tage bin ich geblieben. Dann bin ich mit dem Schiff gefahren und nach Athen gegangen.

R: Von Athen sind Sie dann wie nach Österreich gelangt?
BF: Ich war dort zweieinhalb Monate. Dann bin ich weitergefahren mit dem Zug. Ich bin nach Saloniki gegangen. Dann bin ich nach Serbien gegangen. Dann bin ich nach Wien gekommen.

R: Können Sie mir das genaue Datum angeben, wann Sie Mogadischu mit dem Flugzeug verlassen haben?
BF: Am XXXX .

R: Können Sie sich erinnern, mit welcher Airline Sie geflogen sind?
BF: Nein.

R: Haben Sie das Flugticket noch?
BF: Nein.

R: Was ist der Grund: Wieso haben Sie Somalia verlassen?
BF: Wegen einem Problem.

R: Können Sie mir das Problem näher schildern?
BF: Ja. Ich und mein älterer Bruder hatten ein Geschäft in Suuqabakaaraha.

R: Ist das ein Dorf?
D: Das ist ein Markt.

R: Was hatten Sie für ein Geschäft?
BF: Das war ein gemischtes Geschäft. Kosmetikshop, Essen.

R: Wo liegt der Markt Suuqabakaaraha?
BF: In Mogadischu.

R: In welchem Bezirk von Mogadischu liegt dieser Markt?
BF: Hawlwadaag.

R: Seit wann hatten Sie dieses Geschäft?
BF: Seit ungefähr sechs Jahren.

R: Wie hieß der Bruder, mit dem Sie dieses Geschäft hatten?
BF: XXXX .

R: Wieso hatten Sie ein Geschäft in Mogadischu, wenn Sie im Gebiet Benade gelebt haben?

BF: Es ist das Gleiche. Benade ist das Bundesland. Mogadischu ist die Hauptstadt. Dort, wo ich gewohnt habe ist im Bezirk Hoodan. Gearbeitet habe ich in Suuqabakaaraha.

R: In welcher Stadt haben Sie mit Ihrer Familie gelebt?
BF: In Mogadischu.

R: Sie hatten mit Ihrem Bruder XXXX ein Geschäft. Was ist passiert, was war der Grund? Warum haben Sie Ihr Heimatland verlassen?
BF: Eines Tages kamen zu uns vier Männer, die bewaffnet waren. Sie hatten Pistolen und eine Bombe. Sie hatten normale Kleidung. Sie haben uns gesagt, dass sie Al-Shabaab-Mitglieder sind. Sie wollten, dass wir Mitglieder werden und sie sagten, dass sie uns trainieren würden.

R: Wann sind diese vier Männer zu Ihnen gekommen?
BF: Das war 2015.

R: Wissen Sie ein näheres Datum, können Sie sich erinnern, wann diese gekommen sind?
BF: Nein. Ich erinnere mich nicht.

R: Sind diese Männer zu Ihnen und Ihrem Bruder ins Geschäft gekommen?
BF: Ja.

R: Was haben Sie und Ihr Bruder zu diesen Al-Shabaab-Männern gesagt?
BF: Ich habe sie gefragt, ob sie Beweise habe, dass sie Al-Shabaab-Mitglieder sind. Sie haben uns die Pistolen und Bomben gezeigt.

R: Wieso wollten Sie Beweise haben, dass sie Al-Shabaab-Mitglieder sind?
BF: Ich habe gedacht, dass sie normale Jugendliche sind, weil sie normale Kleidung anhatten.

R: Diese Pistolen und Bomben, hatten diese Al-Shabaab-Mitglieder bei sich getragen?
BF: Ja.

R: Wie viele Bomben hatten diese Männer?
BF: Ich habe nur eine Bombe gesehen, aber es waren vier Männer.

R: Was war das für eine Bombe?
BF: Es war eine kleine Bombe, die man in der Hand halten kann. Man nennt es Handbombe.

R: Was hatten diese für Pistolen, was waren das für Pistolen?
BF: Ich weiß es nicht. Ich habe gesehen, dass sie Pistolen gehabt haben.

R: Können Sie mir den Vorfall dann weiter schildern, was haben die Al-Shabaab-Mitglieder dann weiter gemacht?
BF: Als sie gesagt haben, dass sie uns trainieren wollen, konnten wir nicht gleichzeitig ablehnen und sagten, dass wir uns das überlegen.

R: Sind die Al-Shabaab-Männer dann wieder weggegangen?
BF: Ja. Sie sind weggegangen.

R: Wurden Sie insgesamt ungefähr fünfmal angerufen, nachdem Sie telefonisch erfahren hatten, dass Ihr Bruder gestorben ist?
BF: Bevor mein Bruder gestorben war, haben sie einmal angerufen und nachdem sie mir gesagt haben, dass der Bruder gestorben ist, haben sie mich viermal angerufen.

R: Wie oft sind die Al-Shabaab-Leute zu Ihnen ins Geschäft gekommen?
BF: Nur einmal.

R: Bevor Ihr Bruder gestorben ist, haben die Al-Shabaab-Leute Sie angerufen. Was haben sie gesagt?
BF: Sie haben mir gesagt, dass sie meinen Bruder entführt haben und dass sie wissen, wo ich mich befinde.

R: Sie wurden auf Ihrem Handy angerufen?
BF: Ja.

R: Woher haben die Al-Shabaab-Leute Ihre Handynummer gewusst?
BF: Weil diese auf der Tür von meinem Geschäft stand.

R: Wurde sonst noch jemand von Ihrer Familie bedroht?
BF: Nein.

R: Wenn Sie zurückkehren müssten in Ihr Heimatland, was würden Sie befürchten?
BF: Dass die Al-Shabaab mich töten, weil ich abgelehnt habe, ihnen beizutreten.

R: Wann haben Sie geheiratet?
BF: Am XXXX .

R: Wie heißt Ihre Ehefrau?
BF: XXXX .

R: Wissen Sie, wie alt Ihre Ehefrau ist?
BF: Sie war damals 20 Jahre alt.

R: Wissen Sie das genaue Geburtsdatum?
BF: Nein. Sie hat nur zu mir gesagt, dass Sie 20 Jahre alt ist.

R: Sind Sie alleine von Mogadischu abgereist? Wurden Sie von jemandem begleitet?
BF: Ich war alleine. Ich habe andere somalische Leute am Flughafen getroffen.

R: Wo ist Ihr Reisepass?
BF: Der Schlepper hat alles organisiert. Ich habe keinen Pass in der Hand gehabt.

R: Sie sind alleine gereist. Da müssen Sie den Reisepass in der Hand gehabt haben.
BF: Ich habe gemeint, dass mich niemand aus meiner Familie begleitet hat, sondern es war nur der Schlepper.

R: Der Schlepper hat Sie bis wohin begleitet?
BF: Er hat mich begleitet bis in die Türkei.

R: Wie hat der Schlepper geheißen?
BF: XXXX .

R: Wo haben Sie den Schlepper getroffen in Somalia?
BF: Das hat meine Mutter alles organisiert. Wir haben uns nur getroffen am Flughafen.

R: Wie viel wurde dem Schlepper bezahlt?
BF: Meine Mutter hat zu mir gesagt, insgesamt 5.000 Dollar.

R: Woher hatte Ihre Mutter so viel Geld?
BF: Sie hat unser Geschäft verkauft.

R: Ihr Geschäft, wo Sie am Markt gearbeitet haben?
BF: Ja.

R: Wie konnte Sie so schnell das Geschäft verkaufen, damit Sie aus Mogadischu ausreisen konnten?
BF: Sie hat gleichzeitig Geld ausgeborgt und später das Geschäft verkauft, als ich schon ausgereist war.

R: Wie lange hat das gedauert, bis Ihre Mutter das Geschäft verkauft hat?
BF: Meine Mutter hat gesagt, nach zweieinhalb Wochen nach meiner Ausreise.

R: Wissen Sie, wie alt Ihr Vater war, als er gestorben ist?
BF: Meine Mutter hat gesagt, dass er 54 Jahre alt war.

R: Wie alt war Ihr Bruder XXXX ?
BF: Er war 25 Jahre alt.

R: 25 Jahre war er, als er gestorben ist?
BF: Ja.

R: Wieso ist Ihre Mutter samt Ihren Geschwistern und der Ehefrau nach Kenia gereist?
BF: Sie kann nicht mehr dort leben. Mein Bruder ist verstorben und ich bin geflüchtet. Sie hatte Angst, dass meine anderen Geschwister das gleiche Problem wie ich bekommen würde.

R: Können Sie das genaue Datum angeben, seit wann Ihre Familie in Kenia lebt?
BF: Seit März 2015. Sie sind bis jetzt dort.

R: Haben Sie hier in Österreich Deutschkurse besucht?
BF: Ja.

R: Haben Sie Papiere mit? Haben Sie in Österreich schon gearbeitet oder arbeiten Sie?
BF: Ich arbeite jetzt.

Der BFV legt Integrationsdokumente vor. Diese werden als Beilage A zum Akt genommen. Des Weiteren legt der BFV ein Foto vor. Dieses Foto wird als Beilage B zum Akt genommen.

R an BF: Was wollen Sie mit diesem Foto aussagen, was ist das für ein Foto?
BF: Es war ein Seminar.

R: Welches Seminar?
BF: Vom Roten Kreuz.

R: Über was war dieses Seminar?
BF: Wie kann man in Österreich leben? Es war über den Straßenverkehr und wie man Auto fährt.

R: Haben Sie hier in Österreich Verwandte?
BF: Nein.

R: Sie haben gesagt, Sie arbeiten. Was arbeiten Sie?
BF: Ich arbeite im Flüchtlingsheim. Ich wasche die Wäsche.

R: Seit wann arbeiten Sie im Flüchtlingsheim?
BF: Ich habe im April 2017 angefangen zu arbeiten, ich arbeite bis jetzt.

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs?
BF: Ja.

R: Wann haben Sie diesen Deutschkurs immer? Haben Sie diesen wöchentlich?
BF: Zweimal in der Woche.

R: Sind Sie gesund?
BF: Ja.

BFV: Keine Fragen.

R: Haben Sie Berichte zur Situation in Ihrem Heimatland?
BF: Nein.

BFV: Nein.

Erörtert wird der Bericht des Bundesamtes, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, Stand: 27.06.2017 (Beilage C).

o) Fact Finding-Mission Report, Somalia, August 2017 (Beilage D).

BFV: Die Dürre ist immer noch ein großes Problem in Somalia. Die Lebensmittel sind schwer zu bekommen und werden immer teurer. Die Al-Shabaab hat immer in Mogadischu eine verdeckte Präsenz. Mogadischu ist sehr gefährlich. Es wird auf S 74 des Fact Finding-Mission Report (siehe Beilage D) verwiesen. 20 Personen sind tot pro Monat in Mogadischu. Gestern waren zwei Bomben in Mogadischu explodiert. Von einer Bombe gibt es mehr als hundert Tote. Es gibt keine inländische Fluchtalternative, weil er keine Familie oder Verwandte in Somalia hat und ein Mitglied einer unbewaffneten Minderheitengruppe Ashraf ist.

R: Möchten Sie noch etwas zur Situation in Ihrem Heimatland angeben?
BF: Es gab gestern und vorgestern Bombardierungen. Über 270 Leute sind dort gestorben. Die Lage ist nicht sicher.

[…]

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 14.08.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch und im Beisein eines Rechtsvertreters des BF eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt entschuldigt nicht teilnahm. Zu seinem Fluchtgrund gab der BF wie folgt an (Schreibfehler korrigiert):

[…]

R: Sind Sie gesund?
BF: Ich bin gesund.

R: Wo sind Sie geboren?
BF: In Mogadischu.

R: Haben Sie in Mogadischu bis zu Ihrer Ausreise aus Somalia gelebt?
BF: Ja.

R: Welche Schulausbildung haben Sie?
BF: Ich habe zu Hause Unterricht erhalten.

R: In welchen Fächern wurden Sie unterrichtet?
BF: Englisch, Arabisch und Mathe.

R: Wie viele Jahre wurden Sie zu Hause unterrichtet?
BF: Ca. eineinhalb Jahre.

R: Wie alt waren Sie, als Sie Somalia verlassen haben?
BF: Ich war ca. 22 Jahre alt.

R: Haben Sie in Somalia gearbeitet? Wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt bestritten?
BF: Wir hatten ein Geschäft und dort habe ich gearbeitet.

R: Wo hat sich dieses Geschäft genau befunden?
BF: Im Market Bakar.

R: Wo liegt dieser Markt, in Mogadischu?
BF: In Holooadak (phonetisch).

R: Was war das für ein Geschäft? Können Sie es näher beschreiben?
BF: Es war ein gemischtes Geschäft. Wir haben dort Kleidung, Kosmetik und Lebensmittel verkauft.

R: Wem hat dieses Geschäft gehört? Hat es Ihrem Vater gehört?
BF: Es hat meiner Mutter gehört.

R: Wie viele Geschwister haben Sie?
BF: Wir sind fünf Burschen. Ich habe vier Brüder, mit mir sind wir fünf Brüder.

R: Haben Sie auch Schwestern?
BF: Nein.

R: Sind Ihre Geschwister jünger als Sie?
BF: Einer ist älter als ich und die übrigen sind jünger als ich.

R: Können Sie die Namen Ihrer Brüder aufschreiben und können Sie ihr derzeitiges Alter hinzufügen?
BF XXXX 30 Jahre, XXXX 28 Jahre, XXXX 23 Jahre, XXXX 22 Jahre, XXXX 20 Jahre. (siehe Beilage A).

R: Wo befinden sich Ihre Brüder derzeit?
BF: Mein ältester Bruder ist getötet worden und die restlichen sind im Flüchtlingslager in Kenia.

R: Wann wurde Ihr ältester Bruder getötet? Wissen Sie das?
BF: Das war im Jahr 2015, ein genaueres Datum weiß ich nicht.

R: Von wem wurde Ihr Bruder getötet?
BF: Von der Al-Shabaab.

R: Haben Sie gesehen wie Ihr Bruder getötet wurde?
BF: Nein, ich war nicht anwesend.

R: Wo wurde Ihr Bruder getötet?
BF: Im Bakara (phonetisch) Markt, wo wir das Geschäft hatten.

R: Wurde Ihr Bruder im Geschäft getötet?
BF: Nein, sie haben ihn aus dem Geschäft herausgeholt und ihn draußen getötet.

R: Wieso wurde Ihr Bruder getötet? Was war der Grund?
BF: Weil wir abgelehnt haben, dass wir mit der Al-Shabaab arbeiten bzw. dass sie uns trainieren.

R: Sie sollten also rekrutiert werden?
BF: Ja.

R: Seit wann befinden sich Ihre restlichen Brüder in Kenia im Flüchtlingslager?
BF: Seitdem ich meine Heimat verlassen habe und bis jetzt sind sie dort.

R: Was ist mit Ihrem Vater? Lebt Ihr Vater noch?
BF: Mein Vater ist im Jemen verstorben.

R: Wissen Sie, wann das geschehen ist?
BF: Ich war hier in Österreich und es war im Jahr 2016.

R: Wieso war Ihr Vater im Jemen, was war der Grund dafür?
BF: Weil er dort gewohnt hat, meine Eltern waren geschieden.

R: Seit wann hat Ihr Vater im Jemen gelebt?
BF: Seit 1999.

R: Ist Ihr Vater eines natürlichen Todes gestorben?
BF: Ja, er war krank.

R: Haben Sie Ihren toten Bruder gesehen?
BF: Meinen Sie, als er getötet wurde?

R: Haben Sie seine Leiche gesehen?
BF: Ja, seine Leiche habe ich gesehen, aber ich habe nicht gesehen, wie und wo er getötet wurde. Ich habe ihn erst gesehen, als er zu uns gebracht wurde.

R: Wer hat ihn zu Ihnen gebracht?
BF: Als er getötet wurde, brachten sie ihn zum Markt und die Besitzer der Nachbargeschäfte haben ihn zu uns gebracht. Wenn ich dort gewesen wäre, hätten sie mich auch getötet.

R: Woher wissen Sie, dass die Al Shabaab Ihren Bruder getötet haben?
BF: Weil die Al Shabaab zuvor zu uns gekommen sind und uns aufgefordert haben, mit ihnen zu kämpfen. Zuerst wollten Sie uns trainieren und dann sollten wir für sie kämpfen.

R: Wann ist die Al Shabaab zu Ihnen nach Hause gekommen und hat Ihnen gesagt, Sie sollten für sie kämpfen?
BF: Sie sind nicht zu uns nach Hause gekommen, sondern ins Geschäft.

R: Wann war das?
BF: Ich erinnere mich nicht an das genaue Datum.

R: Können Sie mir das Jahr nennen, wann die Al Shabaab zu Ihnen ins Geschäft gekommen ist?
BF: Das war im Jahr 2015.

R: Waren Sie im Geschäft anwesend, als die Al Shabaab zu Ihnen ins Geschäft gekommen ist?
BF: Ja, ich und mein ältester Bruder waren im Geschäft.

R: Wo haben Ihre restlichen Brüder gearbeitet?
BF: Sie haben nicht gearbeitet, weil sie jung waren.

R: Wie oft ist die Al Shabaab zu Ihnen ins Geschäft gekommen und hat gesagt, Sie und Ihr Bruder sollen für sie kämpfen?
BF: Zwei Mal.

R: Wie viele Al Shabaab-Männer sind beim ersten Mal zu Ihnen ins Geschäft gekommen?
BF: Vier Männer.

R: Was haben die genau zu Ihnen gesagt, diese vier Männer?
BF: Sie sagten, dass sie Al Shabaab-Männer sind. Sie sagten, dass sie uns trainieren wollen. Wir konnten uns entscheiden und wir haben gesagt, dass wir uns das überlegen wollen.

R: Wie haben diese vier Männer ausgesehen? Können Sie mir diese beschreiben?
BF: Sie hatten einen Schal und einen Bart. Sie trugen kurze Hosen und ein langes Kleid.

R: Und Sie haben diesen vier Al Shabaab-Männern gesagt, Sie würden sich das überlegen. Wie haben diese darauf reagiert?
BF: Sie kannten uns, weil wir dort ein Geschäft hatten und sie haben uns eine Chance gegeben.

R: Beschreiben Sie die genaue Situation detailliert. Haben die Al Shabaab-Männer gesagt, wann sie wiederkommen würden?
BF: Sie haben einfach zugestimmt, dass wir eine Zeit bekommen, um zu überlegen. Ich habe nicht an die Ideologie der Al Shabaab geglaubt.

R: Wie viel Zeit wurde Ihnen gegeben?
BF: Sie sagten, dass sie nach zwei Tagen wiederkommen würden. Ich war nie wieder im Geschäft.

R: Und beim zweiten Mal, als die Al Shabaab gekommen ist, wer hat sich da im Geschäft befunden?
BF: Mein älterer Bruder, ich war an diesem Tag nicht im Geschäft anwesend.

R: Wo haben Sie sich an diesem Tag befunden?
BF: Ich war in Medina. Nachdem die Al Shabaab das erste Mal zu uns ins Geschäft gekommen waren, war ich danach nie wieder im Geschäft.

R: Nach dem Tod Ihres älteren Bruders, wie lange haben Sie sich dann noch in Somalia aufgehalten?
BF: Zwei Wochen, aber ich war nur zu Hause.

R: Können Sie mir die genaue Adresse angeben, wo Sie gelebt haben?
BF: Es gibt keine bestimmte Adresse, aber ich habe im Bezirk Madina gewohnt.

R: Wo haben Sie mit Ihrer Familie gelebt, in einem Haus oder in einer Wohnung?
BF: Unser Haus war ein Wellblechhaus, das aus drei Zimmern bestand.

R: Wie weit war Ihr Haus, wo Sie gewohnt haben, von Ihrem Geschäft entfernt?
BF: Mit dem Auto 15 Minuten.

R: War die Al Shabaab auch bei Ihnen zu Hause?
BF: Schon, aber ich war nicht anwesend, meine Mutter war anwesend.

R: Wann war die Al Shabaab bei Ihnen zu Hause?
BF: Das war im Jahr 2015, aber ein genaueres Datum weiß ich nicht.

R: War die Al Shabaab bei Ihnen zu Hause vor dem Tod Ihres älteren Bruders oder nach seinem Tod?
BF: Es war nach seinem Tod.

R: Waren Sie noch aufhältig in Somalia, als die Al Shabaab zu Ihnen nach Hause gekommen ist?
BF: Ich war in Mogadischu, aber ich habe mich in einem anderen Haus versteckt.

R: In welchem Haus haben Sie sich versteckt?
BF: Bei einem Freund.

R: Wie hat dieser Freund geheißen?
BF: Er heißt XXXX .

R: Wann haben Sie sich bei Ihrem Freund versteckt?
BF: Ich erinnere mich nicht an das genauere Datum, aber das war, als mein Bruder getötet wurde. Da habe ich mich in diesem Haus versteckt. Ich hatte Angst.

R: Das heißt, nach dem Tod Ihres Bruders haben Sie sich gleich in diesem Haus versteckt?
BF: Ja.

R: Das heißt, Sie sind nach dem Tod Ihres Bruders nie wieder in Ihr eigenes Haus gegangen?
BF: Ja.

R: Wie viel haben Sie für die Reise nach Europa bezahlt?
BF: 5.000 Dollar.

R: Woher hatten Sie das viele Geld?
BF: Meine Mutter hat ihr Geschäft verkauft und sie hat mir das Geld gegeben, aber sie sagte, sie habe sich das Geld vorher ausgeborgt und danach hat sie das Geschäft verkauft.

R: Wissen Sie wann Ihre Mutter das Geschäft verkauft hat?
BF: Ich habe sie nicht gefragt.

R: Wie konnte Ihnen Ihre Mutter das Geld geben, wenn Sie nie wieder zu Hause, sondern bei Ihrem Freund waren?
BF: Sie ist nicht zu mir gekommen. Sie hat einen Schlepper organisiert und dieser ist zu mir gekommen.

R: Wie haben Sie dann Somalia verlassen, um Richtung Europa zu reisen?
BF: Mit dem Flugzeug bin ich in die Türkei geflogen.

R: Wann sind Sie aus Somalia abgeflogen?
BF: Es war im Februar 2015.

R: Können Sie den genauen Tag benennen, wann Sie Somalia mit dem Flugzeug verlassen haben?
BF: Nein, ich erinnere mich nicht. Ich kann mich nicht an alles erinnern, weil ich große Angst hatte.

R: Sind Sie das erste Mal geflogen?
BF: Ja.

R: Sind Sie von Mogadischu abgeflogen?
BF: Ja.

R: Wo ist der Reisepass? Sie mussten doch einen Reisepass gehabt haben, um abfliegen zu können?
BF: Der Schlepper hat alles organisiert und er hat einen gefälschten Pass für mich organisiert.

R: Hat Sie der Schlepper in die Türkei begleitet?
BF: Ja, er ist mitgeflogen.

R: Sind Sie noch mit anderen Somaliern mit gefälschten Reisepässen geflogen?
BF: Ja, es gab welche, aber ich habe nicht mit denen gesprochen.

R: Wie lange hat der Flug von Mogadischu in die Türkei (ich nehme an nach Istanbul) gedauert?
BF: Ich weiß es nicht. Ich bin eingeschlafen während des Fluges.

R: Und in der Türkei sind Sie mit dem Flugzeug in Istanbul angekommen?
BF: Ja.

R: Wie lange sind Sie in Istanbul geblieben?
BF: Ich war dort nur eine Woche.

R: Wo haben Sie sich genau in Istanbul aufgehalten, wissen Sie das?
BF: Nein.

R: Wie sind Sie dann von Istanbul nach Österreich gereist?
BF: Von Istanbul bin ich nach Izmir gegangen, dort ist eine Insel. Dann bin ich nach Chios (phonetisch) gegangen. Dann bin ich in Griechenland angekommen. Von Chios bin ich mit dem Schiff nach Griechenland gefahren.

R: Wie lange haben Sie sich in Griechenland aufgehalten?
BF: Ich war dort ca. zweieinhalb Monate.

R: Wie sind Sie von Griechenland nach Österreich gereist?
BF: Von Griechenland bin ich in das Dorf Sililong (phonetisch), welches sich auch noch in Griechenland befunden hat, gegangen. Dann bin ich nach Serbien gegangen. Von dort bin ich mit dem Auto gefahren und bin in Wien angekommen.

R: Das heißt, ein Schlepper hat Sie von Serbien nach Wien gebracht?
BF: Nein. Der Schlepper ist in der Türkei geblieben.

R: Mit welchem Auto sind Sie dann gefahren?
BF: Wir waren viele somalische Flüchtlinge, wir haben uns dieses Auto gemietet.

R: Sind Sie in telefonischem Kontakt mit Ihrer Mutter?
BF: Meine Mutter ruft mich an.

R: Wann hat sie das letzte Mal angerufen?
BF: Vor drei Wochen.

R: Was hat sie Ihnen erzählt?
BF: Wir haben uns normal unterhalten. Ich konnte nicht gut hören, weil das Netzwerk nicht so gut war.

R: Wo befindet sich Ihre Mutter derzeit?
BF: Im Flüchtlingslager in Kenia.

R: Und Ihre anderen Brüder sind bei ihr?
BF: Ja.

R: Wie heißt das Flüchtlingslager in dem sich Ihre Mutter befindet?
BF: Ifo.

R: Schicken Sie Ihrer Mutter Geld?
BF: Nein.

R: Ihr ältester Bruder wurde von Al Shabaab-Männern getötet?
BF: Ja.

R: Wie haben Sie genau davon erfahren, dass Ihr Bruder getötet wurde?
BF: Die Al Shabaab-Männer haben mich angerufen und haben mich darüber informiert und sie sagten, dass sie auch mich töten würden, wenn sie mich sehen.

R: Wieso genau wurde Ihr Bruder getötet? Sie haben gesagt, dass Sie es sich überlegen durften, ob Sie mit den Al Shabaab kämpfen wollten. Warum wurde Ihr Bruder also getötet?

BF: Sie haben uns eine Zeit gegeben und wir haben es nicht geschafft, während dieser Zeit eine Entscheidung zu treffen. Unglücklicherweise war mein Bruder im Geschäft. Dann haben Sie ihn getötet.

R: Woher hatte die Al Shabaab Ihre Telefonnummer?
BF: Meine Telefonnummer stand an unserem Geschäft. Als die Al Shabaab mich angerufen haben, sagten sie mir, dass sie mich töten wollen.

R: Wo haben Sie sich genau befunden, als die Al Shabaab Sie angerufen hat und Ihnen gesagt hat, dass sie Sie töten wollen?
BF: Ich war bei meinem Freund.

R: Sie haben doch gewusst, dass die Al Shabaab-Männer wiederkommen würden und Sie fragen würden?
BF: Ja.

R: Warum haben Sie dann Ihren Bruder alleine im Geschäft gelassen, wenn Sie das wussten?
BF. Ich war bei meinem Freund, als mein Bruder getötet wurde.

R: Warum waren Sie bei Ihrem Freund?
BF: Mein Bruder war alleine im Geschäft und ich war zu Hause.

R: Waren Sie zu Hause oder waren Sie bei Ihrem Freund?
BF: Ich war zu Hause. Ich bin zu meinem Freund gegangen, nachdem mein Bruder getötet wurde. Ich wollte nicht zu Hause bleiben, sonst hätten sie auch mich getötet und deshalb bin ich zu meinem Freund gegangen.

R: Sie sind also sofort, als Sie gehört haben, dass Ihr Bruder getötet wurde, zu Ihrem Freund gegangen und zwar am selben Tag, als Ihr Bruder getötet wurde?
BF: Ja.

R: Haben Sie noch Verwandte in Somalia?
BF: Nein.

R: Haben Sie Tanten und Onkeln?
BF: Alle meine Verwandten sind im Flüchtlingslager.

R: Von welchen Verwandten sprechen Sie nun?
BF: Ich habe nur eine Tante ms.

R: Haben Sie Verwandte hier in Europa?
BF: Nein.

R: Was glauben Sie würde Ihnen passieren, wenn Sie nach Somalia zurückkehren müssten?
BF: Ich kann dort nicht einen Tag bleiben, weil die Al Shabaab mich töten würden. Ich glaube nicht an das, was die Al Shabaab glaubt. Wenn jemand gegen die Al Shabaab ist, können sie ihn töten.

R: Wie sind Sie auf die Idee gekommen nach Österreich zu reisen?
BF: Meinen Sie in Griechenland war?

R: Wann haben Sie sich entschieden nach Österreich zu kommen?
BF: Als ich in der Türkei war, habe ich mich entschieden, dass ich nach Österreich kommen will.

R: Hat man Ihnen gesagt, dass Sie nach Österreich reisen sollen, als Sie in der Türkei waren?
BF: Nein, das habe ich selbst entschieden.

R: Woher kannten Sie Österreich? Österreich ist ein kleines Land.
BF: Wegen dem Fußballspiel.

R: Wegen welchem Fußballspiel?
BF: Wegen der Weltmeisterschaft.

RV: Österreich hat nie in der Weltmeisterschaft gespielt. Vielleicht war es wegen Red Bull Salzburg, die waren eine zeitlang sehr gut.
BF: Trotzdem kannte ich Österreich, weil in Österreich Frieden herrscht.

R: Haben Sie Deutschkurse hier in Österreich besucht?
BF: Ja.

R: Welche haben Sie besucht? Haben Sie Zertifikate darüber?
BF: Die Teilnahmebestätigungen habe ich schon vorgelegt, aber ich habe noch keine Prüfung gemacht.

R: Warum haben Sie noch keine Prüfung gemacht?
BF: Ich bekomme keinen Deutschkurs mehr. Damals, als ich nach Österreich kam, hatte ich einen Deutschkurs, aber jetzt bekomme ich keinen mehr.

R: Warum haben Sie nicht einmal das A1-Zertifikat gemacht?
BF: Ich habe gearbeitet, vormittags und nachmittags.

R: Was haben Sie gearbeitet?
BF: Ich habe die Wäsche gewaschen.

R: Wo haben Sie die Wäsche gewaschen?
BF: Im Flüchtlingsheim. Ich habe für alle Flüchtlinge die Wäsche gewaschen.

R: Wie viele Flüchtlinge haben da gearbeitet und die Wäsche gewaschen?
BF: Ich war allein. Dort habe ich ca. drei Jahre gearbeitet.

R: Haben Sie dafür Geld bekommen?
BF: Ja, im Monat ca. 240 Euro.

R: Haben Sie eine Bestätigung über diese Tätigkeit?
RV legt eine Bestätigung vom XXXX , Tiroler Soziale Dienste vor. Diese wird als Beilage B zum Akt genommen.

R: Auf dieser Bestätigung ist nicht ersichtlich, seit wann Sie diese Tätigkeit ausüben.
BF: Ich habe dort mehrmals nachgefragt und ich habe diese Bestätigung bekommen, die heute vorgelegt wurde.

Der RV legt weiters eine Teilnahmebestätigung des Öst. RK vom XXXX vor. Diese wird als Beilage C zum Akt genommen.

R: Arbeiten Sie derzeit?
BF: Ja. Ich wasche die Wäsche im Flüchtlingsheim.

R: Wie stellen Sie sich das Leben hier in Österreich vor? Wie wollen Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen?
BF: Ich kann auf einer Baustelle arbeiten, auch bei der Post.

R: Was könnten Sie bei der Post machen?
BF: Ich meine Pakete zustellen.

R: Können Sie mir auf Deutsch einen typischen Tag in Österreich beschreiben, den Sie hier erleben?
BF (auf Deutsch): Heute gehen in Arbeit bis 10:00 bis 12. Dann 5 bis 7. Dann ich machen Essen. Etwas gehen spazieren und Bahnhof und kochen. Kaufen Hendlfleisch, Kartoffeln. Dann zurück zu Hause.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
BF: Ich bleibe zu Hause und höre von Youtube Deutschkurse.

R an RV: Haben Sie Fragen?
RV: Nein.

R: Vier Al Shabaab-Männer sind zu Ihnen in das Geschäft gekommen und haben Ihnen und Ihrem Bruder zwei Tage Zeit gegeben, ob Sie für die Al Shabaab kämpfen. Nach diesen zwei Tagen sind die Al Shabaab-Männer wiedergekommen und haben Ihren Bruder getötet. Stimmt das?
BF: Ja, das stimmt.

Erörtert werden folgende Berichte: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, Landkarte von Somalia, Sicherheitslage in Somalia, ECOI-Net 14.08.2020, Ausdruck betreffend Anzahl der Coronafälle in Somalia, Stand 05.08.2020, Bericht des US Department of State, Somalia, 11.03.2020. Der RV legt einen Artikel von ZEIT ONLINE „Was, wenn das Virus Afrika erreicht?“ Dieser wird als Beilage D zum Akt genommen.

R an RV: Von wann stammt dieser Artikel?
RV: Vom 08.02.2020.

Weiters legt der RV einen Bericht über ein Interview mit einer Ärztin der SOS-Kinderdörfer in Somalia vor.

R an RV: Von wann stammt dieser Bericht?

RV: Es steht leider kein Datum drauf.
R: Es sind nur zwei Seiten von sechs angegebenen Seiten vorgelegt worden.
RV: Die restlichen Seiten, also von Seite 3 bis 6 sind nur Werbungsanzeigen.

Der Bericht wird als Beilage E zum Akt genommen.

R: Wollen Sie etwas zur Situation in Ihrem Heimatland angeben?
BF: Nein.

R an RV: Wollen Sie etwas angeben bzw. eine Stellungnahme abgeben?
RV: Ich möchte auf die vorgelegten Berichte verweisen.

R: Könnten Sie nicht in einem anderen Teil Somalias leben?
BF: Nein.

R: Und warum nicht? ZB in Somaliland, Puntland, etc.?
BF: Ich kenne dort niemanden.
..…

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person und den Fluchtgründen des BF wird festgestellt:

1.1. Der BF ist somalischer Staatsangehöriger, gehört dem Clan der Ashraf an und bekennt sich zum muslimischen Glauben (Sunnit). Seine Identität steht nicht fest.

Zu dem vom BF vorgebrachten Fluchtgrund ist festzustellen, dass eine Verfolgung des BF in Somalia aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung nicht glaubhaft gemacht werden konnte.

Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass ihn die Al Shabab rekrutieren wollten und aufgrund seiner Weigerung töten wollen.

Dem BF droht nicht allein wegen seiner Zugehörigkeit zum Clan der Ashraf individuell physische und/oder psychische Gewalt in Somalia.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.

In Somalia verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte. Seine Mutter und seine Brüder leben in einem Flüchtlingslager in Kenia. Der Vater des BF verstarb im Jahr 2016 aufgrund eines natürlichen Todes in Jemen. Die Eltern des BF waren geschieden und kannte der BF seinen Vater nicht. Es kann nicht festgestellt werden, wann der BF Somalia verlassen hat. Der BF verfügt über eine geringe Schulausbildung und hat keine Berufsausbildung.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer derzeit die reale Gefahr droht, im Fall der Rückkehr nach Somalia grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF ist um eine Integration in Österreich bemüht und in Österreich nicht straffällig geworden.

1.2. Zur verfahrensrelevanten Situation in Somalia:

COVID-19

Zwischen 19.3.2020 und 2.1.2021 wurden über 81.000 Menschen getestet, knapp 4.700 waren infiziert (HIPS 2021, S.24). Im August 2020 wurde der internationale Flugverkehr wiederaufgenommen (PGN 10.2020, S.9). Regeln zum social distancing oder auch Präventionsmaßnahmen wurden kaum berücksichtigt (HIPS 2021, S.24). Trotz Warnungen wurden Moscheen durchgehend – ohne Besucherbeschränkung – offengehalten (DEVEX 13.8.2020). Mitte Feber 2021 warnte die Gesundheitsministerin vor einer Rückkehr der Pandemie. Die Zahl an Neuinfektionen und Toten stieg an (Sahan 16.2.2021b). Ende Feber 2021 wurden alle Demonstrationen in Mogadischu verboten, da eine neue Welle von Covid-19 eingetreten war. Zwischen 1. und 24. Feber verzeichnete Somalia mehr als ein Drittel aller Covid-19-Todesopfer der gesamten Pandemie (PGN 2.2021, S.16). Testungen sind so gut wie inexistent. Die offiziellen Todeszahlen sind niedrig, das wahre Ausmaß wird aber wohl nie wirklich bekannt werden (STC 4.2.2021). Die Zahl an Infektionen dürfte höher liegen, als offiziell bekannt. Viele potenziell Infizierte melden sich nicht, da sie eine gesellschaftliche Stigmatisierung fürchten (UNFPA 12.2020, S.1). Auch, dass es in Spitälern kaum Kapazitäten für Covid-19-Patienten gibt, ist ein Grund dafür, warum viele sich gar nicht erst testen lassen wollen – ein Test birgt für die Menschen keinen Vorteil (DEVEX 13.8.2020). Mit Stand 9.3.2021 waren in Somalia 4.544 aktive Fälle registriert, insgesamt 319 Personen waren verstorben. Seit Beginn der Pandemie waren nur 84.278 Tests durchgeführt worden (ACDC 9.3.2021).

Die informellen Zahlen zur Verbreitung von Covid-19 in Somalia und Somaliland sind also um ein Vielfaches höher als die offiziellen. Einerseits sind die Regierungen nicht in der Lage, breitflächig Tests (es gibt insgesamt nur 14 Labore) oder gar Contact-Tracing durchzuführen. Gleichzeitig behindern Stigma und Desinformation die Bekämpfung von Covid-19 in Somalia und Somaliland. Mit dem Virus geht eine Stigmatisierung jener einher, die infiziert sind, als infiziert gelten oder aber infiziert waren. Mancherorts werden selbst Menschen, die Masken tragen, als infiziert gebrandmarkt. Die Angst vor einer Stigmatisierung und die damit verbundene Angst vor ökonomischen Folgen sind der Hauptgrund, warum so wenige Menschen getestet werden. Es wird berichtet, dass z.B. Menschen bei (vormals) Infizierten nicht mehr einkaufen würden. IDPs werden vielerorts von der Gastgemeinde gemieden – aus Angst vor Ansteckung. Dies hat auch zum Verlust von Arbeitsplätzen – z. B. als Haushaltshilfen – geführt. Dabei fällt es gerade auch IDPs schwer, Präventionsmaßnahmen umzusetzen. Sie leben oft in Armut und in dicht bevölkerten Lagern, und es mangelt an Wasser (DEVEX 13.8.2020).

Somalia ist eines jener Länder, dass hinsichtlich des Umgangs mit der Pandemie die geringsten Kapazitäten aufweist (UNFPA 12.2020, S.1). Humanitäre Partner haben schon im April 2020 für einen Plan zur Eindämmung von Covid-19 insgesamt 256 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNSC 13.11.2020, Abs.51). UNSOS unterstützt medizinische Einrichtungen, stellt Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. Bis Anfang Juni konnten die UN und AMISOM eine substanzielle Zahl an Behandlungsplätzen schaffen (darunter auch Betten zur Intensivpflege) (UNSC 13.8.2020, Abs.69). Trotzdem gibt es nur ein speziell für Covid-19-Patienten zugewiesenes Spital, das Martini Hospital in Mogadischu. Dieses ist unterbesetzt und schlecht ausgerüstet; von 150 Betten verfügen nur 11 über ein Beatmungsgerät und Sauerstoffversorgung (Sahan 25.2.2021c). In ganz Somalia und Somaliland gab es im August 2020 für Covid-Patienten nur 24 Intensivbetten (DEVEX 13.8.2020). Es gibt so gut wie keine präventiven Maßnahmen und Einrichtungen. Menschen, die an Covid-19 erkranken, bleibt der Ausweg in ein Privatspital – wenn sie sich das leisten können (Sahan 25.2.2021c). Der türkische Rote Halbmond hat Somalia im Feber 2021 weitere zehn Beatmungsgeräte zukommen lassen (AAG 26.2.2021). Im März 2021 spendete die Dahabshil Group dem Staat Sauerstoffverdichter, mit denen insgesamt 250 Patienten versorgt werden können. Die Firma übernimmt auch die technische Instandhaltung (Sahan 11.3.2021). Insgesamt bleiben Test- und Behandlungsmöglichkeiten für Covid-19-Infizierte aber beschränkt (UNFPA 12.2020, S.1).

Nachdem die Bildungsinstitutionen ihre Arbeit wiederaufgenommen hatten, sind nicht alle Kinder zurück in die Schule gekommen. Dies liegt an finanziellen Hürden, an der Angst vor einer Infektion, aber auch daran, dass Kinder zur Arbeit eingesetzt werden. Außerdem zeigt eine Studie aus Puntland, dass die Zahl an Frühehen zugenommen hat. Gleichzeitig wurden Immunisierungskampagnen und auch Ernährungsprogramme unterbrochen. Manche Gesundheitseinrichtungen sind teilweise nur eingeschränkt aktiv – nicht zuletzt, weil viele Menschen diese aufgrund von Ängsten nicht in Anspruch nehmen; der Patientenzustrom hat sich in der Pandemie verringert (UNFPA 12.2020, V-VI).

Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, S.2; vgl. UNFPA 12.2020). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (IPC 3.2021, S.2). Auch der Export von Vieh – der wichtigste Wirtschaftszweig – ist wegen der Pandemie zurückgegangen (UNFPA 12.2020, S.1)

Internationale und nationale Flüge operieren uneingeschränkt. Ankommende müssen am Aden Adde International Airport in Mogadischu und auch am Egal International Airport in Hargeysa einen negativen Covid-19-Test vorweisen, der nicht älter als vier Tage ist. Wie in Mogadischu mit Personen umgegangen wird, welche diese Vorgabe nicht erfüllen, ist unbekannt. Möglicherweise werden diese zusätzlich getestet und in Quarantäne geschickt. In Hargeysa werden Personen ohne Test auf eigene Kosten in eine von der Regierung benannte Unterkunft zur zweiwöchigen Selbstisolation geschickt. Die Landverbindungen zwischen Dschibuti und Somaliland wurden wieder geöffnet, der Hafen in Berbera ist in Betrieb (GW 12.2.2021).

Restaurants, Hotels, Bars und Geschäfte sind offen, es gelten Hygienemaßnahmen und solche zum Social Distancing. Die Maßnahmen außerhalb Mogadischus können variieren. Es kann jederzeit geschehen, dass Behörden Covid-Maßnahmen kurzfristig verschärfen (GW 12.2.2021).

Politische Lage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 2.4.2020, S.5). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2020, S.4).

Staatlichkeit: Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Somalia hat in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 2.4.2020, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 4.3.2020a, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2020, S.33). Die Regierung ist bei der Umsetzung von Aktivitäten grundsätzlich stark von internationalen Institutionen und Geberländern abhängig (FH 4.3.2020a, C1). Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 11.3.2020, S.24). Generell sind drei entscheidende Punkte abzuarbeiten: die Überarbeitung der Verfassung; der Aufbau der föderalen Architektur; und die Entwicklung eines angemessenen Wahlsystems. Der Stillstand zu Anfang des Jahres 2021 ist das Ergebnis des Versagens der Regierung Farmaajo, auch nur einen dieser Punkte zu lösen (ECFR 16.2.2021).

Regierung: Die Präsidentschaftswahl fand im Feber 2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 2.4.2020, S.6; vgl. ÖB 3.2020, S.2; USDOS 11.3.2020, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 11.3.2020, S.1). Premierminister Hassan Ali Kheyre wurde mit einem Misstrauensvotum des Parlaments am 25.7.2020 seines Amtes enthoben (UNSC 13.8.2020, Abs.5). Im September 2020 wurde Mohamed Hussein Roble als neuer Premierminister angelobt (UNSC 13.11.2020, Abs.6). Insgesamt verfügt die Regierung in der eigenen Bevölkerung und bei internationalen Partnern nur über wenig Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in den Staat ist gering (BS 2020, S.34/40).

Parlament: Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Anfang 2017 besetzt (USDOS 11.3.2020, S.24). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt (AA 2.4.2020, S.6; vgl. USDOS 11.3.2020, S.24). Beide Häuser wurden also in indirekten Wahlen besetzt, das Unterhaus nach Clanzugehörigkeit. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 11.3.2020, S.1). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2020, S.11). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2020, S.20). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 2.4.2020, S.4; vgl. BS 2020, S.20). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 11.3.2020, S.26; vgl. ÖB 3.2020, S.3; BS 2020, S.11). Auch die Regierung ist entlang dieser Formel organisiert (ÖB 3.2020, S.3). Insgesamt wird das Parlament durch Stimmenkauf entwertet, und es hat auf die Tätigkeiten von Präsident und Premierminister wenig Einfluss (BS 2020, S.20).

Demokratie: Seit 1969 wurde in Somalia keine Regierung mehr direkt gewählt (FP 10.2.2021). Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2020, S.11/15). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 11.3.2020, S.23f) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA 2.4.2020, S.5f). Für 2021 vorgesehene Wahlen wurden zuerst verschoben (UNSC 13.8.2020, Abs.7). Und es kam im September 2020 hinsichtlich des Prozederes zu einer Einigung mit den Bundesstaaten. Das vereinbarte Modell entspricht in etwa jenem von 2016. Dabei werden von Ältesten, Bundesstaaten und Vertretern der Zivilgesellschaft Wahldelegierte ausgesucht, welche wiederum die einzelnen Parlamentsabgeordneten wählen. Pro Abgeordnetem sollen 101 Wahlmänner und -Frauen ausgewählt werden (2016: 51). Statt der National Independent Electoral Commission soll die Wahl von sogenannten Electoral Implementation Committees (EIC) umgesetzt werden. Die Abgeordneten zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten ausgewählt (UNSC 13.11.2020, Abs.2f; vgl. FP 10.2.2021). Neben einem 25köpfigen EIC des Bundes sollte zusätzlich in jedem Bundesstaat ein eigenes elfköpfiges EIC eingesetzt werden (UNSC 13.11.2020, Abs.21). Dieses Modell war von allen relevanten politischen Stakeholdern, von Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft vereinbart und vom Bundesparlament ratifiziert worden (UNSC 13.11.2020, Abs.88).

Politische Lage: Allerdings hat sich um die Bestellung der Mitglieder dieser EICs ein neuer Konflikt entsponnen (FP 10.2.2021). Präsident Farmaajo war schließlich nicht in der Lage, sich mit Ahmed „Madobe“, Präsident von Jubaland, und Said Deni, Präsident von Puntland, auf die Umsetzung des im September 2020 vereinbarten Fahrplans für Neuwahlen zu einigen (IP 12.2.2021; vgl. FP 10.2.2021). Und so ist das Mandat des Parlaments im Dezember 2020 ausgelaufen (SG 8.2.2021), jenes von Präsident Farmaajo formell am 8.2.2021 (IP 12.2.2021; vgl. ECFR 16.2.2021). Damit verfügt Somalia über keine legitime Regierung mehr. Allerdings weigert sich Farmaajo sein Amt abzugeben (ECFR 16.2.2021). Er hofft offenbar darauf, dass das Parlament Artikel 53 des Wahlgesetzes in Kraft setzt, wonach Wahlen ausgesetzt und die Amtszeit der Regierung im Katastrophenfall um sechs Monate verlängert würde. Die Covid-19-Pandemie bietet hier einen Vorwand (BMLV 25.2.2021).

Die Führer von Puntland und Jubaland (FP 10.2.2021; vgl. Sahan 22.2.2021) sowie eine Allianz aus 14 Präsidentschaftskandidaten, darunter die ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamed und Sharif Sheikh Ahmed, erkennen Farmaajo nicht mehr als Präsidenten an (Sahan 9.2.2021b; vgl. IP 12.2.2021, FP 10.2.2021). Die Allianz aus Oppositionsparteien sprach sich für die Bildung einer Übergangsregierung aus (FP 10.2.2021). Somalia befindet sich somit in einer schweren Verfassungs- und politischen Krise (Sahan 9.2.2021a). Das Versagen, einen Kompromiss zu finden, hat nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht (FP 10.2.2021). Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (IP 12.2.2021). Es besteht die Angst, dass Präsident Farmaajo durch das Festklammern an der Macht einen neuen Bürgerkrieg auslösen könnte (SG 8.2.2021). Ende Feber und Anfang März 2021 wurden neuerliche Verhandlungen über eine Umsetzung des beschlossenen Wahlsystems angesetzt – auf Druck der internationalen Gemeinschaft (AMISOM 3.3.2021; vgl. UNSOM 2.3.2021).

Föderalisierung: Auch wenn diese Entscheidung zur Föderalisierung umstritten war, und die Umsetzung von Gewalt begleitet wurde, konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (BS 2020, S.10; vgl. AI 13.2.2020, S.13). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (Banadir Regional Administration/BRA) (AI 13.2.2020, S.13). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).

Die Fortschritte der Jahre 2012-2016 wurden von der Regierung Farmaajo weitgehend rückgängig gemacht (ECFR 16.2.2021). Dass in vier der fünf Bundesstaaten im Zeitraum 2018-2019 eine neue Führung gewählt werden solle, sah die Bundesregierung als Chance, sich durch die Platzierung loyaler Präsidenten Einfluss zu verschaffen. Dementsprechend mischte sich die Bundesregierung in die Wahlen ein (HIPS 2020, S.1/4ff; vgl. ECFR 16.2.2021). Zudem hat sie Truppen entsendet, um die politische Kontrolle zu erlangen (ECFR 16.2.2021). Die Präsidenten von HirShabelle, dem SWS und von Galmudug gelten nunmehr als der somalischen Bundesregierung freundlich gesinnt (Sahan 11.2.2021b).

Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Die entstandene Pattsituation zwischen Bund und Ländern hat anfangs zum Stillstand bei wichtigen Fragen geführt – etwa hinsichtlich der Wahlen, der Verfassung und der Sicherheit (UNSC 13.2.2020, Abs.6). Schließlich hat Farmaajo Somalia aber an den Rand eines institutionellen Kollaps’ geführt (ECFR 16.2.2021).

Bei der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten kommt u. a. die Krise am Golf zu tragen: Der Konflikt zwischen den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) – unterstützt von Saudi-Arabien – und Katar – unterstützt von der Türkei – wurde auch nach Somalia exportiert und trägt dort erheblich zur Vertiefung der Spaltung bei (BS 2020, S.41). Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Nachbarland Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien – beide Staaten sind Truppensteller (ISS 15.12.2020).

Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Übergangsverfassung sieht vor, dass das Bundesparlament über den Status der Region Benadir – und damit den Status von Mogadischu – entscheiden muss. Es kam auch zu einer Kampagne, wonach Benadir zu einem eigenen Bundesstaat werden sollte. Dadurch wäre aber die künstliche Clanbalance der Bundesstaaten insgesamt gefährdet (HIPS 2021, S.18). Als Konsequenz ist der Status der Bundeshauptstadt nach wie vor nicht geklärt. Die BRA ist kein Bundesstaat, verfügt aber über eine funktionierende Regionalregierung und wird vom Bürgermeister von Mogadischu geführt (AI 13.2.2020, S.13). Die Hauptstadt untersteht direkt der Bundesregierung (HIPS 2021, S.9), der somalische Präsident ernennt Bürgermeister und Stellvertreter (HIPS 2021, S.18).

In Mogadischu bleiben die Hawiye/Abgaal sowie die Hawiye/Habr Gedir in ihren Machtpositionen; in Dayniile auch die Hawiye/Murusade (FIS 7.8.2020, S.38).

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung: 29.03.2021

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2021). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Die Sicherheitslage bleibt instabil (BS 2020, S.38) bzw. volatil, mit durchschnittlich 285 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat. Die m

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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