TE Vwgh Erkenntnis 1996/11/21 95/20/0354

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Veröffentlicht am 21.11.1996
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §20 Abs2;
B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art18;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. April 1995, Zl. 4.304.836/19-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. April 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Syrien, der am 21. Oktober 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 24. Oktober 1990 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 11. Februar 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme, welche in Anwesenheit der gerichtlich beeideten Dolmetscherin Frau Mag. C durchgeführt wurde, angegeben:

"Ich war 1970 3 Monate im Gefängnis, weil ich als Kurde anderen Kurden geholfen habe (Versorgung mit Waffen).

Nach meiner Entlassung 1970 wurde ich aufgefordert der Baath-Partei beizutreten. Weil ich als Kurde dies nicht wollte, wurde mir mein syrischer Reisepaß abgenommen. Ich bin im Irak geboren und ich gehöre der yassidischen Sekte an. Als Kurde und Angehöriger dieser Sekte wurde ich in Syrien angefeindet. Von da an habe ich in Kibar unter Kurden gewohnt und vom Gemüseanbau meinen Lebensunterhalt bestritten. Einen Teil meines Einkommens mußte ich immer an die syrischen Behörden abliefern. Ich wurde in der Folge auch nicht als Syrer anerkannt, weil ich Kurde bin und ich habe auch keinen syrischen Reisepaß ausgestellt bekommen. Nach Österreich reiste ich mit einem gefälschten türkischen Reisepaß. 1977 hat es einen islamischen Aufstand gegen die syrische Regierung gegeben, dem sich auch die Kurden angeschlossen haben.

Ich habe gegen die syrischen Truppen mitgekämpft und wurde dabei verletzt. Ich kam in ein Militärhospital aus dem ich in meine Heimatstadt Kibar (kurdischer Teil Syriens) geflüchtet bin. 1989 gab es Spannungen zwischen dem Irak und Syrien und das syrische Militär machte mobil. Wir Kurden wurden zu einer Einheit ohne Syrer zusammengezogen und in das Grenzgebiet Irak geschickt. Von dort bin ich wieder nach Kibar geflüchtet, weil ich in einen möglichen Krieg nicht verwickelt werden wollte.

In der Folge hatte ich Angst von den Syrern verhaftet zu werden, weil ich desertiert bin. Ich konnte mich in Kibar, das im unwegsamen Gelände an der Grenze zum Irak liegt, vor den syrischen Behörden verstecken. Gefahr drohte für mich auch aus dem Irak, da wir in unmittelbarer Grenznähe wohnten und die irak. Behörden die Kurden in letzter Zeit auf das Schlimmste verfolgten. Ein Bruder wurde von den syrischen Behörden eingesperrt und ist jetzt noch in Haft, nur weil er der yassidischen Sekte angehört und die Syrer davon Kenntnis erlangten."

In seiner gegen die Entscheidung der ersten Instanz erhobenen Berufung brachte er vor:

"Ich bitte folgende Fehler zu korrigieren:

-

mein Name lautet S,

-

ich wurde als KURDE in SYRIEN geboren und bin nicht türkischer Staatsbürger,

-

ich bin kein Kurde sondern Angehöriger des Zartosht, also einer Glaubensrichtung, die den islamischen Glaubensgrundsätzen nicht entspricht.

Ich gehörte der kurdischen Partisanengruppe an, die um das Überleben unseres Stammes kämpfte. Als ich verhaftet wurde, brachte man mich nach endlosen Verhören, während der ich getreten und geschlagen wurde, ins Gefängnis. Nach 3 Monaten gelang es den Eltern meiner Frau mittels Bestechungsgelder mein Entkommen aus dem Gefängnis zu organisieren.

Gemeinsam mit meiner Frau und meinem Kind gelang es uns, nach Österreich zu flüchten.

Wegen meiner Tätigkeit im Untergrund und der verworrenen, allen Menschenrechten widerstrebenden Situation kann ich unter keinen Umständen zurück. Wohin auch?

Ich bitte um eine nochmalige Überprüfung meines Asylansuchens und um eine nochmalige Befragung im Beisein eines Dolmetschers oder (und) einer Vertrauensperson."

Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 29. Dezember 1992, welcher aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0050, infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, aufgehoben wurde.

Die belangte Behörde räumte dem Beschwerdeführer im fortgesetzten Verfahren die Möglichkeit ein, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz, welche er im Rahmen seiner Berufung möglicherweise nicht gerügt habe, nunmehr zu relevieren.

Der Beschwerdeführer brachte im Schriftsatz vom 10. März 1995 daraufhin vor:

"Zu Beginn sei festgehalten, daß es für einen Flüchtling, welcher kein Wort Deutsch spricht, manchmal nicht nur schwer ist, zu überprüfen, welches Vorbringen bei seiner Einvernahme tatsächlich übersetzt wird, sondern auch festzustellen, ob sämtliches Vorbringen in der Berufung von Hilfspersonen, welche sicher in ihrer sozialen Tätigkeit zu bewundern sind, richtig übersetzt und wiedergegeben wird. Der BF verweist nochmals darauf, daß der Klient im Jahre 1977 aus dem Militärspital geflüchtet ist und sich in sein Heimatdorf begeben hat. Die Schußverletzung aus dem Jahre 1977 ist noch immer sichtbar. Diesbezüglich wird beantragt, einen medizinischen Sachverständigen zum Beweis dafür dem Verfahren beizuziehen, daß diese Schußverletzung, wie der BF vorgebracht hat, bei Kampfhandlungen bei syrischen Truppen entstanden sein kann. Dieses Beweisthema ist auch keineswegs unerheblich, da von der Behörde erster Instanz auch die Glaubwürdigkeit des BW in Zweifel gezogen wurde. Das betreffende Projektil müßte sich noch immer im Fuß befinden.

Weiters weist der BW zahlreiche Folterverletzungen auf, dies vor allem auf den Füßen, diese resultieren von glühenden Verbrennungen, welche dem BW zugefügt wurden.

Von dieser Folter hat er auch während seiner Einvernahme vor der Behörde erster Instanz berichtet.

Daraus läßt sich bereits ableiten, daß die gesamten Angaben, welche der BW bei seiner Einvernahme vor der Behörde erster Instanz getätigt hat, unvollständig bzw. völlig mangelhaft übersetzt wurden. Bei dem Übersetzer handelte es sich nicht um einen gerichtlich beeideten, sondern um einen Ägypter, der vermutlich auch kein Amtsdolmetscher, sondern allenfalls auch ein Flüchtling gewesen sein könnte."

Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 26. April 1995. Sie begründete im wesentlichen, daß aufgrund der Beiziehung einer gerichtlich beeideten Dolmetscherin keine unvollständig bzw. mangelhaft übersetzte erstinstanzliche Einvernahme vorliege. Der Beschwerdeführer habe überdies die Vollständigkeit und inhaltliche Richtigkeit der Einvernahme mit seiner Unterschrift bestätigt. Die Inhaftierung im Jahre 1970 und der Vorfall im Jahre 1977 seien Umstände, die schon längere Zeit vor seiner Ausreise zurücklägen, weshalb sie für das gegenständliche Verfahren unbeachtlich seien.

Die angeblich im Jahr 1977 bei Kampfhandlungen im Zuge eines islamischen Aufstandes erlittene Verletzung könne keine Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Konvention indizieren, zumal der Beschwerdeführer diese Verletzung nach seinen eigenen Angaben im Zuge einer militärischen Auseinandersetzung erlitten habe.

Der Beschwerdeführer habe als Grund für das Verlassen seines Heimatlandes angegeben, daß er im Jahr 1989 vom Militär desertiert sei. Unter falschem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1994, Zl. 93/19/0377 (richtig: 93/01/0377), und die dort zitierte Vorjudikatur verneinte die belangte Behörde die asylrechtliche Relevanz der Desertion.

Die Inhaftierung des Bruders des Beschwerdeführers wegen dessen Zugehörigkeit zur yassidischen Sekte sei kein Nachteil, der den Beschwerdeführer selbst betreffe, und daher nicht beachtlich.

Dem angebotenen Beweismittel der persönlichen Einvernahme bzw. der Erstellung eines medizinischen Gutachtens kam die belangte Behörde nicht nach. Sie ging unter Hinweis auf § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 auf das "überschießende" Berufungsvorbringen nicht näher ein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Verfahrensrüge des Beschwerdeführers, seine erstinstanzliche Einvernahme sei wegen Nichtbeiziehung eines "Amtssachverständigen" bzw. eines "beeideten Sachverständigen" mangelhaft, ist lediglich entgegenzuhalten, daß die Rüge von einer aktenwidrigen Annahme ausgeht, weil der Beschwerdeführer nicht im Beisein eines "Ägypters" (wie er im Schriftsatz vom 10. März 1995 behauptet) als Dolmetsch einvernommen wurde, sondern im Beisein der gerichtlich beeideten Dolmetscherin Mag. C. Daß es sich bei Frau Mag. C nicht um eine Dolmetscherin für die arabische Sprache handle, bzw. daß der Beschwerdeführer die arabische Sprache nicht beherrsche, hat er weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde behauptet.

Der im Zuge der Verfahrensrüge geäußerten "Anregung, der Verwaltungsgerichtshof möge das gegenständliche Verfahren unterbrechen und einen Gesetzesprüfungsantrag hinsichtlich der neuen Fassung des § 20 (2) AsylG beim Verfassungsgerichtshof einbringen", ist nicht zu folgen, da der Verwaltungsgerichtshof keine Verfassungswidrigkeit in der zitierten Norm erblickt.

Wenn der Beschwerdeführer die Nichtbeiziehung eines medizinischen Sachverständigen zum Beweis seiner Folterverletzungen und seiner Schußverletzung rügt, ist ihm einerseits zu entgegnen, daß die belangte Behörde diese Angaben nicht als unglaubwürdig gewertet hat, andererseits aber, daß es auf sie aus rechtlichen Gründen nicht ankommt. Denn insoweit die belangte Behörde die Vorfälle der Jahre 1970 und 1977 als für das Vorliegen von begründeter Furcht vor Verfolgung zeitlich zu weit zurückliegend gewertet hat, befindet sie sich mit dieser Rechtsansicht im Einklang mit der

hg. Rechtsprechung, derzufolge geltend gemachte Umstände, denen es an einem entsprechenden zeitlichen Konnex zur Ausreise eines Asylwerbers (der Beschwerdeführer reiste erst am 14. September 1990 aus) fehlt, nicht zur Glaubhaftmachung eines Fluchtgrundes geeignet sind (vgl. ua. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/1081). Im konkreten Fall ist ein Zusammenhang der Vorfälle der Jahre 1970 und 1977 mit der Ausreise des Beschwerdeführers deshalb nicht herzustellen, weil diesen Vorfällen eine aktive Beteiligung des Beschwerdeführers im Kampf der Kurden gegen die syrischen Behörden zugrundelag, der Beschwerdeführer sich jedoch anschließend in seinem Heimatort aufhielt, dort ca. zwölf Jahre unbehelligt blieb, obwohl den Behörden seiner Heimat sein Aufenthaltsort offensichtlich bekannt war. Er wurde im Zuge einer allgemeinen Mobilmachung durch die Behörden seiner Heimat zum Militär im Jahre 1989 einberufen und leistete der Einberufung auch Folge. Der Beschwerdeführer hat nicht behauptet, nach 1977 bis zu seiner Ausreise für die kurdische Sache tätig gewesen zu sein. Auch seine Desertion hat er nicht in einen solchen Zusammenhang gebracht.

Insoweit der Beschwerdeführer vermeint, gestützt auf das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, daß seine Desertion im Jahre 1989 asylrechtlich relevant sei, ist ihm zu entgegnen: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt weder die Flucht eines Asylwerbers vor einem drohenden Militärdienst bzw. die Desertion aus einem Militärdienst noch die Furcht vor einer wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion drohenden, unter Umständen auch strengen Bestrafung, einen Grund für die Anerkennung als Flüchtling dar, sofern nicht Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, die Einberufung, die Behandlung während des Militärdienstes oder die Bestrafung wegen Verweigerung des Wehrdienstes oder Desertion sei infolge eines der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe für den Beschwerdeführer ungünstiger als für andere Betroffene (vgl. das mehrfach zitierte Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, uva.). Daß die Desertion und die ihm drohende Bestrafung auch einen asylrechtlich relevanten Aspekt hätte, hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht behauptet. Angesichts der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Umstände der allgemeinen Mobilmachung aufgrund von Spannungen zwischen dem Irak und Syrien und dem Umstand, daß die Heimatstadt des Beschwerdeführers nach seinen Angaben an der Grenze zum Irak liegt, ist aus dem bloßen Umstand, daß die Kurden in einer eigenen Einheit ohne Syrer zusammengezogen und in das Grenzgebiet zum Irak geschickt wurden, keine asylrechtlich relevante Schlechterstellung zu erkennen. Zudem begründet der Beschwerdeführer seine Desertion lediglich mit dem Wunsch, nicht in einen möglichen Krieg verwickelt werden zu wollen. Anders als in dem dem hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, zugrundegelegenen Fall hat die belangte Behörde im gegenständlichen Fall auch darauf Bedacht genommen, daß aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers für den Fall seiner Aufgreifung und Verurteilung keine Gefahr einer differenzierten Bestrafung im Vergleich zu anderen syrischen Staatsangehörigen ableitbar sei.

Der Verneinung eines Zusammenhanges durch die belangte Behörde zwischen der Inhaftierung des Bruders des Beschwerdeführers wegen dessen den Behörden bekanntgewordener Zugehörigkeit zur yassidischen Sekte tritt der Beschwerdeführer nicht entgegen. Auch der Verwaltungsgerichtshof kann hierin keine Rechtswidrigkeit erblicken, zumal der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nicht vorgebracht hat, daß seine Zugehörigkeit zur yassidischen Sekte den Behörden bekannt geworden sei.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der von dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200354.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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