Entscheidungsdatum
04.08.2021Norm
BFA-VG §18 Abs2 Z1Spruch
W212 2237655-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2020, Zahl: 1270465506-201068226, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 52 Abs. 6 FPG 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger der Ukraine, wurde am 29.10.2020 im Zuge einer polizeilichen Kontrolle im Bundesgebiet bei Arbeiten auf einer Baustelle angetroffen, ohne im Besitz einer arbeitsmarktbehördlichen Bewilligung oder eines Aufenthaltstitels gewesen zu sein. In der Folge wurde er wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet zur Anzeige gebracht und nach den Bestimmungen des BFA-VG festgenommen. Der Beschwerdeführer wies sich mit einem gültigen ukrainischen Reisepass aus, in welchem ein zur mehrfachen Einreise berechtigendes polnisches Visum der Kategorie D mit einem Gültigkeitszeitraum von 26.06.2020 bis 31.12.2020 enthalten war.
Anlässlich seiner ebenfalls am 29.10.2020 durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, zum Zeitpunkt seiner Einreise EUR 160,- bei sich gehabt zu haben, von denen noch EUR 20,- übrig wären. Der Beschwerdeführer habe in Polen bei Wohnungsrenovierungen gearbeitet und halte sich seit drei Tagen in Österreich auf, um einen Freund zu besuchen. Dem Beschwerdeführer wurde vorgehalten, dass er bei der Ausübung einer unerlaubten Erwerbstätigkeit betreten worden sei, weshalb von seinem Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausginge, sodass § 52 Abs. 6 FPG nicht zur Anwendung gelangen würde. Der Beschwerdeführer gab dazu an, nur geholfen zu haben. Im Bundesgebiet habe er bei dem erwähnten Freund Unterkunft genommen, dessen Adresse ihm nicht bekannt sei. Er sei verheiratet und habe zwei minderjährige Töchter. In Österreich oder anderen Staaten der EU habe er keine Angehörigen, seine Familie lebe in der Ukraine. In der Ukraine drohe ihm keine Verfolgung. Dem Beschwerdeführer wurde zur Kenntnis gebracht, dass die Behörde beabsichtige, gegen seine Person die Schubhaft zu verhängen und eine mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung zu erlassen. Dazu gab der Beschwerdeführer an, nichts Unrechtes gemacht zu haben.
Mit Mandatsbescheid vom 29.10.2020 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie der Abschiebung an.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2020 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen ihn gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG iVm § 10 Abs. 2 AsylG und § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.) und ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 4 FPG nicht gewährt werde (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 7 FPG wurde ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot gegen diesen verhängt (Spruchpunkt V.). Weiters wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf im Rahmen der Entscheidungsbegründung Feststellungen zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und stellte dessen ukrainische Staatsbürgerschaft und seine Identität fest. Der Beschwerdeführer habe sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, zumal er bei der Ausübung einer unerlaubten Erwerbstätigkeit betreten worden sei. Der Beschwerdeführer weise kein schützenswertes Familien- oder Privatleben im Bundesgebiet auf und habe seine engsten familiären Bindungen in der Ukraine. Da die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung gegenüber den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würden und auch keine Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 vorliegen würden, sei eine Rückkehrentscheidung auszusprechen gewesen.
Da sich weder aus den Feststellungen zum Zielstaat noch aus den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers eine relevante Gefahrenlage ergeben habe, sei die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine festzustellen gewesen.
Zum Ausspruch eines Einreiseverbotes wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei bei der Ausübung einer unerlaubten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet betreten worden und habe damit seine mangelnde Bereitschaft, die österreichische Rechtsordnung zu respektieren, erkennen lassen. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens und der Lebensumstände des Beschwerdeführers habe daher ergeben, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der ausgesprochenen Dauer notwendig sei, um der von seiner Person ausgehenden Gefährdung zu begegnen. Aus dem gleichen Grund sei eine sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich.
Jener Bescheid wurde vom Beschwerdeführer am 30.10.2020 persönlich übernommen.
Am 30.10.2020 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehr in sein Heimatland. Der Beschwerdeführer ist in der Folge am 07.11.2020 unter Übernahme der Ausreisekosten freiwillig aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgereist.
3. Gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des dargestellten Bescheides wurde durch die damals bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation am 27.11.2020 die gegenständliche Beschwerde eingebracht, zu deren Begründung im Wesentlichen ausgeführt wurde, die Behörde habe ein mangelhaftes Verfahren durchgeführt, zumal sie den Beschwerdeführer lediglich oberflächlich befragt und in der Beweiswürdigung lediglich auf bestimmte Aktenbestandteile verwiesen hätte. Zudem sei das Privatleben des Beschwerdeführers im Schengenraum unzureichend berücksichtigt worden, zumal dieser in Polen arbeiten würde und auf dieses Einkommen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes angewiesen wäre. Der Beschwerdeführer verfüge über einen gültigen polnischen Aufenthaltstitel sowie einen gültigen Reisepass. Eine Aufforderung gemäß § 52 Abs. 6 FPG sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt, vielmehr sei der Beschwerdeführer am 29.10.2020 sofort festgenommen und in Schubhaft genommen worden. Auch dafür, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegen würde, welche die sofortige Ausreise erforderlich machen würde, lägen keinerlei Anhaltspunkte vor, zumal der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten sei und ohnehin beabsichtigt hätte, freiwillig und unverzüglich auszureisen. Selbst wenn man von einem rechtswidrigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ausgehen würde, hätte aufgrund der Bestimmung des § 52 Abs. 6 FPG keine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfen.
4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 11.12.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Ukraine und führt die im Spruch angeführten Personalien; seine Identität steht aufgrund der Vorlage eines biometrischen ukrainischen Reisepasses fest.
Außerdem verfügte er über ein zur mehrfachen Einreise berechtigendes polnisches Visum der Kategorie D mit einem Gültigkeitszeitraum von 26.06.2020 bis 31.12.2020. Der Beschwerdeführer reiste letztmals am 14.07.2020 ins Gebiet der Schengenstaaten sowie laut seinen Angaben etwa am 26.10.2020 ins österreichische Bundesgebiet ein.
In Österreich war und ist er nicht in Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer Niederlassungsbewilligung. Er ist weder privat, noch familiär in Österreich integriert. Strafgerichtlich ist er unbescholten.
1.2. Der Beschwerdeführer wurde im Zuge einer polizeilichen Kontrolle am 29.10.2020 im Bundesgebiet bei Arbeiten auf einer Baustelle angetroffen, ohne im Besitz einer arbeitsmarktbehördlichen Bewilligung oder eines Aufenthaltstitels gewesen zu sein. In der Folge wurde er wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet zur Anzeige gebracht und nach den Bestimmungen des BFA-VG festgenommen. Am gleichen Datum wurde die Schubhaft über ihn verhängt. Der Beschwerdeführer wurde seitens der belangten Behörde nicht dazu aufgefordert bzw. verpflichtet, sich in das Hoheitsgebiet von Polen zu begeben.
Am 07.11.2020 reiste er unter der Inanspruchnahme von finanzieller Rückkehrhilfe freiwillig in die Ukraine aus.
Die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit war nicht erforderlich.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
Die Identität des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem vorliegenden Reisepass, in welchem auch das polnische Visum D sowie das Datum seiner letzten Einreise in den Schengenraum ersichtlich war (AS 21).
Dass er strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus dem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich. Dass dieser bei der Verrichtung einer unerlaubten Erwerbstätigkeit angetroffen wurde, ergibt sich aus dem polizeilichen Anhalteprotokoll vom 29.10.2020 (AS 1) sowie der polizeilichen Anzeige vom gleichen Datum (AS 11).
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer über keinen österreichischen Aufenthaltstitel verfügte, ergibt sich aus den Auszügen des IZR und ZMR in Verbindung mit den eigenen Aussagen des Beschwerdeführers. Aus dem Einvernahmeprotokoll (AS 39ff) ergibt sich auch, dass der Beschwerdeführer in Österreich in keiner Weise verankert ist und er sich ausschließlich zu Berufszwecken im Bundesgebiet aufhielt.
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren nicht aufgefordert wurde, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet von Polen zu begeben, ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt und der entsprechenden rechtlichen Würdigung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid.
Die am 07.11.2020 erfolgte Ausreise des Beschwerdeführers und der vorangegangene Antrag auf freiwillige Rückkehrhilfe ergeben sich aus den diesbezüglich im Akt einliegenden Unterlagen (AS 153 ff und 189).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A) Stattgabe der Beschwerde:
3.1. Gemäß § 52 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich 1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder 2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
Gemäß § 52 Abs. 6 FPG hat sich ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Z 10 leg. cit. als Drittstaatsangehöriger jeder Fremder, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.
Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner ukrainischen Staatsangehörigkeit sohin Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG, als Inhaber eines biometrischen Reisepasses aber nach Art. 1 Abs. 2 iVm Anlage II der Verordnung (EG) Nr. 539/2011 vom 15.03.2001, ABl. L 81 vom 21.03.2001, S. 1, von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit.
Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2) oder wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind bis zu drei Monaten (Artikel 21 SDÜ gilt), sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen (Z 3).
Auch nach dem Regelungskonzept des Artikel 6 der Verordnung (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex) berechtigt ein von einem Schengen-Staat ausgestellter Aufenthaltstitel den Inhaber grundsätzlich, sich mit einem gültigen Reisedokument bis zu 90 Tage in einem Zeitraum von 180 Tagen frei im Hoheitsgebiet der übrigen Schengen-Mitgliedstaaten zu bewegen.
Im vorliegenden Fall wurde der Aufenthalt des Beschwerdeführers unabhängig vom Datum seiner Einreise in das Bundesgebiet unrechtmäßig, zumal dieser einer unrechtmäßigen Beschäftigung nachging.
Gemäß § 52 Abs. 6 FPG hat sich ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 leg.cit. zu erlassen.
Nach der Judikatur des VwGH ist § 52 Abs. 6 FPG vor dem Hintergrund der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG zu lesen. Schon aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zu dieser Bestimmung ergibt sich unzweifelhaft, dass der Gesetzgeber damit die Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie beabsichtigte (vgl. 1078 BlgNR XXIV. GP, S 29). In der Bestimmung wird angeordnet, dass ein nicht rechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger mit einem Aufenthaltstitel oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates zunächst zu verpflichten ist, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Nur wenn dieser Ausreiseverpflichtung nicht entsprochen wird oder eine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist, hat eine Rückkehrentscheidung zu erfolgen. Demnach bedarf es also vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung einer „Verpflichtung“ des Drittstaatsangehörigen, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Die Frage der „Unverzüglichkeit“ stellt sich in Bezug auf die Zeitspanne, die seit Ausspruch der „Verpflichtung“ ergangen ist. Wird ihr „unverzüglich“ entsprochen, hat eine Rückkehrentscheidung zu unterbleiben (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234 mit Verweis auf das Erkenntnis vom 10.04.2012, 2013/22/0310; VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21/0172 mwN).
Hinsichtlich der Frage, ob vom Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht und daher seine sofortige Ausreise erforderlich ist, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gefährdungsprognose zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass ein weiterer Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (VwGH 22.11.2012, 2011/23/0453). Es ist darüber hinaus auch zu berücksichtigen, dass der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass es im Kontext des § 52 Abs. 6 FPG nicht schlichtweg auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ankommt, sondern (iS eines zusätzlichen Kriteriums) darauf, ob angesichts einer solchen Gefährdung die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus dem Bundesgebiet erforderlich ist (VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007; 27.08.2020, Ra 2020/21/0172, Rz 14).
Der Beschwerdeführer ging in Österreich unbestritten der Schwarzarbeit nach, zumal er im Bundesgebiet am 29.10.2020 auf einer Baustelle mitarbeitete, ohne im Besitz einer arbeitsrechtlichen Bewilligung oder eines Aufenthaltstitels gewesen zu sein. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt seins Aufgriffs sowie der Erlassung des angefochtenen Bescheides zum Aufenthalt in Polen berechtigt und wäre dieser grundsätzlich aufzufordern gewesen, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet jenes Mitgliedstaates zu begeben, von dem die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung stammt. Das hat die belangte Behörde unterlassen. Im Übrigen wurde dem Beschwerdeführer der angefochtene Bescheid, mit dem eine Rückkehrentscheidung erlassen worden war, einen Tag nach seiner Einvernahme bzw. in der Schubhaft ausgehändigt, wobei er bereits zuvor festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum verbracht wurde, sodass es ihm auch vor diesem Hintergrund nicht möglich gewesen wäre, einer Aufforderung zur Ausreise im Vorfeld des Ausspruchs der Rückkehrentscheidung und Verhängung der Schubhaft nachzukommen.
Aber auch für eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit im Sinne des § 52 Abs. 6 letzter Satz zweiter Fall FPG (mit welcher neben dem verhängten dreijährigen Einreiseverbot auch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung begründet worden ist) reichen die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen nicht aus. Für diese Annahme ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, für die insoweit auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erstellung einer Gefährlichkeitsprognose bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots zurückgegriffen werden kann (vgl. das Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, Zl. 2011/21/0237). Es ist daher auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die geforderte Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. Dasselbe gilt für das den Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen zu Grunde liegende Verhalten (vgl. etwa VwGh 27.08.2020, Ra 2020/21/0172, Rz 14). Wenn auch ein öffentliches Interesse an der Verhinderung von Schwarzarbeit unbestritten ist, so reichen jedoch die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen für eine nachvollziehbare Darstellung der Gefährdungsannahme - welche im Übrigen auch für die Beurteilung der Dauer eines Einreiseverbotes erforderlich gewesen wäre - nicht aus. Die Behörde beschränkte sich auf die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet der Schwarzarbeit nachgegangen ist. Dabei berücksichtigte es nicht die zu dieser Bestimmung ergangene Judikatur, wonach es nicht genüge, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern darüber hinaus darzutun sei, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen habe. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich gewesen sind (vgl. etwa VwGH 28.05.2020, Ra 2020/21/0128, Rz 18 mwN). In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten ist. Die belangte Behörde beschränkte ihre Erwägungen im Wesentlichen auf einen Verweis auf den Polizeibericht vom 29.10.2020, ohne sich jedoch mit dem Gesamtverhalten des Beschwerdeführers zu befassen. Der Beschwerdeführer wurde weder zur ausgeübten Erwerbstätigkeit noch zu seinem Aufenthaltszweck in Österreich näher befragt und es lassen sich der Aktenlage keine Anhaltspunkte auf ein weiteres (verwaltungs-)strafrechtliches Fehlverhalten des Beschwerdeführers entnehmen; sein festgestelltes Fehlverhalten beschränkt sich demnach im Wesentlichen darauf, dass er am 29.10.2020 dabei betreten wurde, wie er am Abbau eines Gerüsts auf einer Baustelle mitwirkte. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer das erste Mal bei einer unerlaubten Tätigkeit betreten wurde und das genaue Ausmaß dieser Tätigkeit im Bescheid gar nicht festgestellt wurde.
3.3. Der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, dass der Bescheid auch mit weiteren Begründungsmängeln behaftet ist. Denn auch wenn die Regelung des § 52 Abs. 1 FPG eine Verpflichtung der Behörden, gegen jeden Fremden, der sich in Österreich nicht rechtmäßig im Sinne des § 31 FPG aufhält, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, zu implizieren scheint, so ist gemäß § 9 BFA-VG jedenfalls die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung zu prüfen; dadurch ergibt sich die Pflicht der Behörden, von einer Aufenthaltsbeendigung dann abzusehen, wenn diese gegen Art. 8 EMRK verstoßen würde. Diesbezüglich ist festzustellen, dass eine Auseinandersetzung mit dem Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Polen gänzlich unterblieben ist und er diesbezüglich auch gar nicht befragt wurde.
Die Frage nach dem Eingriff in das Privat- und Familienleben eines Drittstaatsangehörigen darf nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, sondern ist auch die Situation in anderen Mitgliedsstaaten in den Blick zu nehmen. Dies folgt unzweifelhaft daraus, dass Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot grundsätzlich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten bezogen sein soll (VwGH vom 15.12.2011, 2011/21/0237, VwGH vom 26.03.2015, 2013/22/0284).
3.4. Aus diesen Gründen ist – in Stattgabe der Beschwerde – die mit Spruchpunkt II. des gegenständlich angefochtenen Bescheides verhängte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 6 FPG ersatzlos zu beheben, ebenso wie die darauf aufbauenden Spruchpunkte III. bis VI.
4. Entfall der mündlichen Verhandlung:
Im gegenständlichen Fall konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 VwGVG unterbleiben, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere wurden VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21/0172; 21.12.2017, Ra 2017/21/0234 und VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007 herangezogen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung freiwillige Ausreise illegale Beschäftigung Kassation öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Rückkehrentscheidung behoben Schwarzarbeit UnbescholtenheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W212.2237655.1.00Im RIS seit
22.11.2021Zuletzt aktualisiert am
22.11.2021