TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/4 I416 2167055-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.08.2021
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Entscheidungsdatum

04.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I416 2167055-1/17E

S C H R I F T L I C H E A U S F E R T I G U N G D E R A M 1 5. 07. 2 0 2 1

M Ü N D L I C H V E R K Ü N D E T E N E N T S C H E I D U N G

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 19.07.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.07.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste legal aus dem Irak aus und stellte nach schlepperunterstützter, illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 04.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am 06.01.2015 wurde er durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen. Dabei gab er befragt zu seinen persönlichen Verhältnissen an, dass er XXXX heiße, am XXXX in Mosul geboren und Staatsangehöriger des Irak sei. Er sei ledig, seine Muttersprache sei arabisch, er gehöre der Volksgruppe der Araber an und sei muslimischen/sunnitischen Glaubens. Im Irak habe er neun Jahre die Schule besucht und sei zuletzt Soldat im irakischen Militär gewesen. Im Irak würden noch seine Eltern, seine drei Brüder und seine drei Schwestern leben. Zu seiner Fluchtroute gab er an, dass er im September 2014 von Erbil aus legal mit dem Flugzeug in die Türkei gereist sei und von dort über Griechenland und Serbien nach Österreich gelangt sei. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er wörtlich aus: „Ich war im Irak Soldat beim Militär. Ich wurde deshalb von den Leuten des „IS“ mit dem Tod bedroht. Außerdem möchte ich nicht mehr für das irakische Militär arbeiten, weil die Regierung die Sunniten unterdrückt. Die Regierungsmitglieder sind Schiiten. Aus Angst um mein Leben habe ich deshalb beschlossen, den Irak zu verlassen. Das sind meine einzigen Fluchtgründe.“ Im Fall seiner Rückkehr habe er Angst vom IS oder von der Regierung getötet zu werden, da er das Militär verlassen habe.

3.       Mit Schriftsatz vom 05.07.2016 legte der Beschwerdeführer die Kopie eines irakischen Militärausweises und die Kopie eines irakischen Personalausweises vor.

4.       Mit Schriftsatz der Caritas vom 12.07.2016 wurde die Erklärung des Beschwerdeführers hinsichtlich der beabsichtigten freiwilligen Rückkehr übermittelt und gleichzeitig um die Übernahme der Heimreisekosten ersucht. Mit Schreiben der Caritas vom 28.07.2016 wurde der belangten Behörde der Widerruf der freiwilligen Rückkehr übermittelt und darin angeführt, dass der Beschwerdeführer seine Meinung geändert habe.

5.       Am 16.05.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er Araber sei, dem moslemischen Glauben (Sunnit) angehöre, aus Mosul stamme und Staatsangehöriger des Irak sei. Er gab weiters an, dass er von 2010 bis 2014 in der irakischen Armee als Soldat gedient habe. Zu seiner familiären Situation führte er aus, dass seine Eltern und seine Geschwister immer noch in Mosul leben würden. Sein Vater sei Angestellter gewesen und jetzt in Pension und habe er zudem noch zwei Tanten und drei Onkel in Mosul. Gefragt, weshalb er seine Erklärung zur freiwilligen Rückkehr zurückgezogen habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er sehr betrunken gewesen sei, auf der Straße geschlafen habe und kein Geld gehabt habe. Die Frau bei der Caritas habe zu ihm gesagt, er sei betrunken und solle wieder nüchtern werden und sich das noch mal überlegen. Als er dann wieder nüchtern gewesen sei, habe er seinen Antrag zurückgezogen und sich bei der Dame entschuldigt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass er damals das Militär verlassen und in einem Restaurant gearbeitet habe. Am 23.07. sei der IS zu ihm gekommen und habe ihn mitnehmen wollen, woraufhin er sofort zu seiner Tante geflohen sei. Der IS sei dann zu ihm nach Hause gekommen, habe alles durchsucht und Sachen von ihm verbrannt. Sie hätten auch seine Zeugnisse als Polizeihundeführer verbrannt und den Beschwerdeführer als Ungläubigen und Verräter beschimpft. Er habe sich dann mehrere Tage bei verschiedenen Tanten und seiner Großmutter versteckt. Am siebten Tag habe er einen gefälschten Ausweis gekauft und sei am 29. oder 30.07. mit dem Taxi vom Mosul nach Bagdad gefahren. Der IS habe verboten, dass Soldaten aus Mosul ausreisen und sei er auch bei der Ausreise aufgehalten worden. Da der falsche Name jedoch nicht auf der Liste der ehemaligen Soldaten gestanden sei, habe er passieren können. Nachgefragt führte er aus, dass er die Armee bereits offiziell verlassen habe, da sonst seine Familie in Gefahr wäre und der IS statt ihm seine Brüder mitnehmen würde. Nachgefragt, ob er offiziell ausgetreten oder desertiert sei, führte der Beschwerdeführer aus, dass die ganze Armee damals aus Mosul geflohen sei und sich aufgelöst habe. Sein Vorgesetzter, für den er vier Jahre gearbeitet habe, sei nach Erbil geflohen. Der IS habe die Hunde zuerst eingesperrt und dann getötet. Er selbst sei für den Schutz des Bürgermeisters von Mosul eingesetzt worden, für den es jetzt einen Haftbefehl gäbe. Die Regierung wolle nun die verlorengegangenen Waffen und Diensthunde zurückhaben und würde die Regierung von ihm jetzt $ 30.000 für die Schäferhündin zurückfordern, mit der er über zwei Jahre gearbeitet habe und für welche er verantwortlich gewesen sei. Er führte weiters an, dass er zwei Jahre als Personenschützer und zwei Jahre als Hundeführer eingesetzt gewesen sei. Nachgefragt, welche Gründe es gäbe, die gegen eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sprechen, gab er an, dass er vor das Militärgericht müsse. Dies sei einem Schreiben aus dem Internet zu entnehmen und käme er drei oder fünf Jahre in Militärhaft, weswegen er ja geflohen sei. Außerdem habe er offiziell $ 30.000 Schulden, das sei die offizielle Version des Vorgesetzten. Mittlerweile sei der IS schon fast weg, er habe jetzt aber Probleme mit der Regierung. Nachgefragt, weshalb die Regierung von ihm $ 30.000 als Ersatz fordern solle, gab der Beschwerdeführer wörtlich zu Protokoll: „Weil ich ja zum Militär gehöre und er Bürgermeister war.“ Gefragt, woher er von der Forderung der Regierung wissen würde, gab der Beschwerdeführer wörtlich zu Protokoll: „Der General, er war unser Befehlshaber, hat mir das gesagt. Er hat mich immer respektiert und mich deswegen informiert, wegen der Schulden und auch wegen des Militärgerichtsverfahrens.“ Auf die Frage, ob es nicht normal wäre, dass es darüber schriftliche Unterlagen gäbe, führte der Beschwerdeführer wörtlich aus: „Nein, das gibt es dort nicht. Das Militär macht nichts schriftlich, das kommt im Fernsehen oder im Internet, aber nicht persönlich.“ Zu seinen persönlichen Lebensumständen im Bundesgebiet führte er weiters aus, dass er ins Fitnessstudio gehe und mit Freunden zum Hauptplatz. Er habe auch einen Deutschkurs besucht und habe derzeit einen Hund, mit dem er spazieren gehe. Dieser gehöre einer Freundin, bei welcher er lebe. Sie sei Lehrerin und derzeit auf Schullandwochen. Nachgefragt, wovon er in Österreich leben würde, gab er an, dass er von der Grundversorgung lebe und ihm seine Eltern vor einem Jahr Geld geschickt hätten. Kontakt habe er zurzeit zu seiner Familie keinen, da sein Vater wisse, dass er Alkohol trinke. Außerdem habe dieser ihn immer zur Moschee zum Beten schicken wollen, er jedoch habe ein normales Leben führen wollen, weshalb sie nicht mehr reden. Wohnen würde er in Österreich bei seiner Freundin. Auf die Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderinformationen verzichtete der Beschwerdeführer und legte er im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme folgende Unterlagen vor: irakischer Personalausweis lautend auf XXXX , die Kopie eines irakischen Militärausweises, die Kopie des irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises, die Kopie des irakischen Personalausweises seines Vaters und seiner Mutter, die Kopie einer irakischen Lebensmittelkarte, ein Internetausdruck „Information für Deserteure“ und zwei Lichtbilder.

6.       Mit Bescheid vom 19.07.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt und wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen, sowie „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

7.       Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 24.07.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

8.       Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 04.08.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, und infolge einer mangelhaften Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlichen Beurteilung. Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, auf das individuelle Vorbringen einzugehen und sei sie damit ihrer Pflicht gemäß § 18 Abs. 1 Asylgesetz nicht ausreichend nachgekommen. Hinsichtlich des Fluchtvorbringens wurde vollinhaltlich auf die Schilderungen in der Einvernahme „vom 09.05.2017“ verwiesen und ausgeführt, dass sich aus seinem Gesamtvorbringen schlüssig ergebe, dass die Furcht vor einer Verfolgung durch die Regierung im Irak als berechtigt anzusehen sei und der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine für die Asylgewährung hinreichend intensive asylrelevante Verfolgung durch staatliche Organe zu befürchten hätte. Zudem erscheine aufgrund der erst vor kurzem geschehenen Befreiung Mosuls eine Rückkehr aus humanitärer Sicht für irakische Asylwerber menschenunwürdig und gäbe es auch keine innerstaatliche Fluchtalternative, da sich die gesamte Familie noch in Mosul aufhalten würde. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge Spruchpunkt I. dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die gegen den Beschwerdeführer gefällte Rückkehrentscheidung aufgehoben wird, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die gegen den Beschwerdeführer festgestellte Abschiebung aufgehoben wird, in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigenden Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG erteilen und eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumen.

9.       Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 09.08.2017 vorgelegt.

10.      Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L524 abgenommen und der Gerichtsabteilung I416 neu zugewiesen. Am 04.10.2018 langte der verfahrensgegenständliche Beschwerdeakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I416 ein.

11.      Mit Schriftsatz vom 18.10.2018 wurden folgende Dokumente vorgelegt: Bestätigung über den Besuch von Deutschkursen zwischen September und Dezember 2017 und ein arabisches Schreiben.

12.      Am 24.06.2021 und 25.06.2021 langten insgesamt zwei Unterstützungsschreiben beim erkennenden Gericht ein.

13.      Mit den Schriftsätzen vom 07.07.2021 und 12.07.2021 wurden folgende Urkunden vorgelegt: Zwei Arbeitsvorverträge, Ergänzende Stellungnahme zum Arbeitsvorvertrag bei der Firma XXXX GmbH, Nachweis hinsichtlich Dienstleistungsschecks für den Zeitraum März bis Juni 2021, Bestätigung der XXXX GmbH über die Verrichtung von gemeinnützigen Hilfstätigkeiten im Auftrag der Stadt XXXX vom 24.06.2021, Bestätigung des XXXX über die ehrenamtliche Mithilfe des Beschwerdeführers an der Adventvesper im Jahr 2018 und 2019 vom 22.06.2021, ein Schreiben des Vereins Aktiver Tierschutz XXXX vom 28.02.2019 bezüglich der Beaufsichtigungspflicht im Rahmen des Ausführens von Hunden und diverse personalisierte Empfehlungsschreiben.

14.      Am 15.07.2021 erfolgte in Anwesenheit des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht, in welcher er noch folgende Unterlagen vorlegte: Anmeldebestätigung ÖIF vom 17.06.2021, zwei Unterstützungsschreiben, Remunerantentätigkeit GBG, Mietvertrag samt Verlängerung, AMS Unterlagen hinsichtlich AuslBG, Antrag auf Beschäftigungsbewilligung für die Firma XXXX , Mitteilung AMS hinsichtlich Erschöpfung des Kontingents der Firma XXXX vom Juni 2021.

Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis mündlich verkündet.

15.      Mit Schriftsatz der nunmehr ausgewiesenen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 19.07.2021 wurde die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund, leidet an keinen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie an. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2014 reiste der Beschwerdeführer legal mit dem Flugzeug von Bagdad nach Erbil und von dort weiter in die Türkei und gelangte anschließend nach einer Busfahrt ausgehend von Istanbul an die türkische Küste. Von dort gelangte er mit einem Schlauchboot nach Griechenland, wo er erkennungsdienstlich behandelt wurde. Anschließend reiste er schlepperunterstützt über Serbien bis nach Österreich. Der Beschwerdeführer reiste (spätestens) am 04.01.2015 ins Bundesgebiet ein und hält sich seither durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer stammt aus Mosul und besuchte dort sechs Jahre die Grund- und drei Jahre die Mittelschule. Anschließend verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Soldat. In Mosul leben noch Verwandte des Beschwerdeführers und verfügt der Beschwerdeführer nach wie vor zumindest über Kontakt zu seiner Mutter.

Der Beschwerdeführer ist ledig und verfügt im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte. Er hat jedoch während seines bisherigen Aufenthaltes diverse private Bekanntschaften in Österreich geschlossen, mit welchen er seine Freizeit verbringt.

Der Beschwerdeführer besuchte während seines Aufenthaltes in Österreich Deutschkurse auf den Niveaus A1 bis A2 und verfügt über keine berücksichtigungswürdigen Deutschkenntnisse. Zuletzt war der Beschwerdeführer für einen Kurs auf dem Niveau A2 am 10.07.2021 angemeldet. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer eine Sprachprüfung auf dem Niveau A2 positiv abgelegt hat. Er hat an keinen Aus- oder Weiterbildungen teilgenommen und ist kein Mitglied in einem Verein. Er verrichtete bereits gemeinnützige Tätigkeiten in einem Tierheim und übernahm Arbeiten in der Kirche. Seit 01.04.2019 wird der Beschwerdeführer für gemeinnützige Hilfstätigkeiten im Auftrag der Stadt XXXX herangezogen und unterstützt außerdem seit Jänner 2021 verschiedene Privatpersonen mit Hilfstätigkeiten wie Gassi-Gehen mit deren Hunden, Rasen mähen, Hausarbeiten oder Reparaturen und erhält er dafür Dienstleistungschecks. Des Weiteren half er ehrenamtlich beim Projekt „ XXXX “ beginnend mit Oktober 2018 sowie „ XXXX “ mit. Nicht festgestellt werden konnte jedoch, ob der Beschwerdeführer im Juni und Oktober 2019 jeweils 80 Stunden sowie im Mai 2020 88 Stunden Remunerantentätigkeiten geleistet hat.

Der Beschwerdeführer suchte bereits mehrfach beim AMS um Ausstellung einer Beschäftigungsbewilligung für eine Tätigkeit als Küchengehilfe oder (gastgewerbliche) Hilfskraft an, wobei seine Anträge negativ beschieden bzw. wegen Nichteinbringung fehlender Unterlagen zurückgewiesen wurden. Er verfügt über zwei aktuelle Arbeitsvorverträge mit der vorgesehenen Verwendung einerseits als Hausarbeiter/Housekeeper und andererseits als Küchenhilfe/Pizzakoch.

Seinen Lebensunterhalt in Österreich finanziert sich der Beschwerdeführer nach wie vor durch Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ging er während seinem Aufenthalt in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Eine entscheidungsrelevante Teilnahme des Beschwerdeführers am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Österreich kann trotz seiner Aufenthaltsdauer von rund sechseinhalb Jahren nicht festgestellt werden. Er weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Es liegen keine Hinweise für ein Vorliegen von entscheidungsrelevanten Anknüpfungspunkten in sozialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Natur in Österreich bzw. allenfalls gesetzter Integrationsschritte des Beschwerdeführers vor.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Irak Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung/Verfolgung durch „die Regierung“ bzw. den IS konnte mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Fall seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein würde. Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak übermittelt. Zudem wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Berichte ergänzend eingebracht: EASO Bericht „Iraq Security situation“ vom Oktober 2020, der EASO Bericht „Country Guidance Iraq – Guidance note and common analysis“ vom Jänner 2021, der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland „Irak Gezielte Gewalt gegen Individuen“ vom März 2019, der EASO Bericht „Irak Interne Mobilität“ vom Februar 2019, der EASO Bericht „Irak Zentrale sozioökonomische Indikatoren“ vom Februar 2019, der UNHCR-Bericht „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen [HCR/PC/IRQ/2019/05]“ vom Mai 2019, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak bezüglich der Sicherheitslage, Wohnverhältnisse, Grund- und medizinische Versorgung in Mosul vom 29.08.2019, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak sozioökonomische und Sicherheitslage in Mosul vom 27.04.2020, Anfragebeantwortung zum Irak: Sozioökonomische Lage in Mosul: Aktueller Stand des Wiederaufbaus, Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Wohnraum, Wasserversorgung, sanitäre Verhältnisse, Arbeitsmarkt, medizinische Versorgung, Armutsgefährdung, Unterschiede zwischen den Lebensverhältnissen von Sunniten und Schiiten in Mosul vom 16.04.2021, Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitsrelevante Vorfälle in Mosul seit 2020; Anfragebeantwortung zum IRAK vom 24.10.2016 bezüglich Fernbleiben, Desertion, Kündigung von Polizei und Armee; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum IRAK vom 08.09.2017 hinsichtlich Rekrutierung, Desertion/Fernbleiben, Kündigung bei/von Polizei, Armee, PMF, etc. – Update der AFB; Anfragebeantwortung zum Irak vom 06.12.2019 bezüglich des Strafmaßes im Fall einer Desertion von Militärangehörigen (insbesondere 2015 und 2016); Gefahr für Sunniten durch schiitische Milizen vom 16. April 2021, Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation bezüglich der Versorgungs- und Sicherheitslage in Bagdad vom 07.09.2020 und 21.01.2021 und den Asylländerbericht der ÖB Amman vom Oktober 2020 zu Grunde gelegt.

Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

Politische Lage:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

-        AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

-        DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

-        Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

-        Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

-        NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

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-        Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

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-        Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

-        ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).

(ACCORD 26.2.2020)

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage Ninewa

Das Gouvernement Ninewa befindet sich im Norden und Nordwesten des Irak. Es grenzt an Syrien und die Gouvernements Dohuk, Erbil, Salah al-Din und Anbar. Das Gouvernement ist in neun Bezirke unterteilt: Mosul (auch Hauptstadt), Tel Kayf, Sheikhan, Akre, Tal Afar, Sinjar, Ba'aj, al-Hatra und Hamdaniya. Die Bezirke Akre und Nord-Scheikhan werden seit 1991 von der KRG verwaltet.

Das Gouvernement Ninewa hatte 2019 eine geschätzte Bevölkerung von 3.828.197 Einwohnern und ist eines der ethnisch vielfältigsten Gouvernements des Irak. Sunnitische Araber bilden die Mehrheit, aber auch andere Gruppen teilen sich Macht und Einfluss. Die Hauptstadt von Ninawa ist Mossul im Nordosten und mit einer geschätzten Bevölkerung von mehr als 1,5 Millionen Einwohnern. Die zweitgrößte Stadt ist Tal Afar, nordwestlich von Mossul. Andere große Städte sind Sinjar im Westen und Qayara im Süden.

Ninewa ist das ethnisch vielfältigste Gouvernement des Irak. Die Mehrheit bilden sunnitische Araber, aber auch andere Gruppen teilen Macht und Einfluss: Die Kurden dominieren in den Distrikten Akre und Sheikhan. Die Distrikte Akre und Sheikhan wurden von der KRG seit der Errichtung der Grünen Linie nach dem Waffenstillstand zwischen Saddam Hussein und den Kurden im Jahr 1991 verwaltet. Die Ninewa-Ebene, östlich und nordöstlich von Mosul, ist das Gebiet, auf dem die Mehrheit der Christen des Gouvernements und die Angehörigen der ethno-religiösen Gruppe der Shabak leben (dieses Gebiet enthält auch große Ölfelder). In Tal Afar sind die Turkmenen (sowohl sunnitischer als auch schiitischer Religion) mehrheitlich vertreten, während in Sinjar mehrheitlich Jesiden leben, ebenso wie in ihrer heiligen Stadt Lalish im Distrikt Sheikhan. Aufgrund der ethnischen Vielfalt in Ninewa erhielt ein Großteil des Gouvernements die Einstufung als umstrittenes Gebiet gemäß Artikel 140 der irakischen Verfassung. Die Kontrolle über die nördlichen und östlichen Teile des Gouvernements bleibt umstritten. Die Grenzlinie der Kontrollgebiete zwischen kurdischen und irakischen Einheiten liegt heute in der Ninewa-Ebene und im Tal-Afar-Distrikt.

In Ninewa ging der Besetzung durch den Islamischen Staat ein jahrelanger Zustand von gewalttätigem Extremismus und organisiertem Verbrechen voraus, verursacht von verschiedenen konkurrierenden Milizen, von denen einige Vorläufer des Islamischen Staates und/oder Rivalen waren. Ninewa wird sowohl als „langjähriges Zentrum des sunnitisch-arabischen Nationalismus im Irak“ beschrieben wie auch als Hochburg von Al-Qaida im Irak.

Mosul wurde im Juni 2014 vom IS übernommen und besetzt, was zur Vertreibung von fast einer Million Menschen innerhalb weniger Wochen führte. Der Kampf um die Rückeroberung Mosuls wurde als die härteste Konfrontation zwischen dem IS und den irakischen Regierungstruppen während des gesamten Konflikts von 2014 bis heute bezeichnet. Der Sieg über die Milizen des IS wurde im Juli 2017 offiziell verkündet. Die Stadt Mosul erlitt während des gesamten Konflikts schwere Schäden. Während der Feindseligkeiten wurde eine große Zahl von Zivilisten getötet, Schätzungen zufolge waren 4.194 Tote und Verwundete zu beklagen. Eine Quelle gab an, dass mehr als 40.000 Zivilisten infolge der massiven Luft- und Artillerieangriffe der irakischen Sicherheitskräfte und der internationalen Koalition getötet worden sein könnten. Noch heute sind die Trümmer mit Sprengkörpern verschiedener Art kontaminiert, darunter nicht explodierte Minen und Sprengfallen.

Im November 2018 veröffentlichte die UNAMI einen Bericht, wonach 202 Massengräber seit Juni 2014 entdeckt wurden, von denen Berichten zufolge die überwiegende Mehrheit Opfer des Islamischen Staates beinhalten. Schätzungen vom UNAMI zufolge wurden 6.000 bis über 12.000 Opfer des Islamischen Staates dermaßen begraben, wobei die meisten in Massengräbern den Gouvernements Ninewa (95), Kirkuk (37), Salah al-Din (36) und Anbar (24) beigesetzt sind. Zu den Opfern zählen Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, Mitglieder und ehemalige Mitglieder der irakischen Streitkräfte und der Polizei sowie einige ausländische Arbeiter. Die meisten Massengräber in Ninawa wurden um Mosul und Distrikt Sinjar aufgefunden. Die unbestätigte Zahl der Opfer in den Massengräbern in Ninewa liegt zwischen 4.000 und 10.500. Minderheitengemeinschaften reagierten auf die Bedrohung durch den Islamischen Staat und die Tatsache, dass die irakische Armee und in gewissem Ausmaß auch die Peschmerga während der Offensive des Islamischen Staates 2014 ihre Posten aufgaben, indem sie lokalen Milizen in großer Zahl etablierten und ihre Loyalität dahingehend ausrichteten.

Sicherheitskräfte im Gouvernement Ninewa

Nach dem Sieg über das sogenannte Kalifat sind in Ninewa eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen aktiv. Die wichtigsten bewaffneten Akteure können in die folgenden Kategorien eingeteilt werden: Irakische Sicherheitskräfte (ISF), Volksmobilmachungseinheiten (PMF), kurdische Sicherheitskräfte (Peschmerga) an der autonomen Region Kurdistan ausgerichtete Milizen, nicht ausgerichtete Milizen, ausländische Streitkräfte und Aufständische.

Die regulären Einheiten der ISF in Ninewa untersteht dem Ninewa Operations Command (NOC), mit Ausnahme des Counterterrorism Service (CTS), der der irakischen Regierung direkt unterstellt ist. Das NOC befindet sich in Ost-Mosul. Quellen zufolge sind die ISF in Ninewa der (zahlenmäßig) bedeutendste Teil der staatlichen Sicherheitskräfte. Das CTS hat den Ruf, die am besten ausgebildete, effektivste und disziplinierteste Einheit des Irak zu sein. Es hat die Fähigkeit, über konfessionelle Grenzen hinweg zu rekrutieren, und dies hat zu seiner weit verbreiteten Akzeptanz im Irak beigetragen. Die CTS-Soldaten durchlaufen vor der Aufnahme ein striktes Überprüfungsverfahren und dürfen sich weder politischen Parteien anschließen, noch sich konfessionell äußern bzw. betätigen. Das CTS besteht aus drei Brigaden, von denen die ISOF-2 die zentrale Einheit in Ninewa und hauptsächlich in der Nähe von Mossul stationiert ist. Bei den Kämpfen um Mossul hatte das CTS eine zentrale Rolle und erlitt schwere Verluste bei den Kämpfen. Es kehrte zu seiner früheren Rolle als schnelle Reaktionstruppe mit hoher Mobilität zurück. Die Kommandostruktur des CTS arbeitet parallel zum NOC und berichtet nicht an das Verteidigungsministerium, sondern direkt an den Premierminister.

Das Gouvernement Ninewa ist seit Februar 2018 in drei Bereiche unterteilt. Die Stadt Mossul wird von der örtlichen Polizei kontrolliert. Die Außenbezirke von Mossul werden von verschiedenen PMF-Milizen kontrolliert, wobei sowohl schiitische als auch lokale Milizen vertreten sind. Der Rest des Gouvernements, insbesondere die südlichen und nördlichen Gebiete von Ninewa, wird von der irakischen Armee kontrolliert. Die irakische Armee unterhält eine namhafte Streitmacht in Ninewa, nämlich die 15. und 16. Infanteriedivision, die 20. Infanteriedivision und Teile der 9. Panzerdivision sind derzeit dem NOC zugeordnet. Vor der militärischen Auseinandersetzung mit dem Islamischen Staat hatte die irakische Armee ein schwieriges Verhältnis zur sunnitisch-arabischen Bevölkerung in Ninewa. Sie war bekannt für Misshandlungen an Kontrollpunkten und harsche Reaktionen auf aufständische Angriffe. Darüber hinaus erfolgte die Rekrutierung in den früheren Jahren der US-Besatzung nach dem Sturz Saddam Husseins überwiegend in kurdischen Kreisen, weil sunnitische Araber nicht bereit waren, in der (neuen) irakischen Armee Dienst zu leisten. Nach der Befreiung vom Islamischen Staat hat sich das Image der irakischen Armee in Ninewa erheblich verbessert, obwohl viele lokale Führer sich dafür einsetzen, ihren Einfluss zu verringern. Auch das Verteidigungsministerium strebt den Abzug von Armeeeinheiten aus Städten und eine Konzentration auf große Armeestützpunkte an. Dessen ungeachtet kommt der irakischen Armee weiterhin eine wichtige Rolle bei der Sicherung von Mossul zu, indem sie Checkpoints besetzt und sicherheitspolitische Entscheidungen beeinflusst. Ein Teil der neuen Popularität der irakischen Armee rührt von der Präferenz der sunnitischen Bevölkerung für die Armee im Vergleich zu den von den Schiiten dominierten Milizen her.

Die lokale Polizei ist innerhalb des Gouvernements Ninawa tätig und weniger militarisiert als die irakische Bundespolizei. Lokale Polizeikräfte verfügten häufig nur über ungepanzerte Fahrzeuge und tragen nur leichte Schusswaffen. Die Polizei des Gouvernements Ninewa (shurta muhafiza Ninewa) ist für die Gefahrenabwehr und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im Gouvernements verantwortlich und steht der lokalen Bevölkerung theoretisch am nächsten. Lokale Polizeikräfte sind auch in erster Linie für die Abwehr von Terrorismus und Kriminalität verantwortlich. Aus diesem Grund sind sie einem höheren Risiko ausgesetzt, von Aufständischen angegriffen zu werden. Sie werden vor Ort angeworben, dies bedeutet jedoch auch, dass sie und ihre Familien leichter entführt oder ermordet werden können. Quellen gaben im April 2018 an, dass die Stadt Mossul von der örtlichen Polizei kontrolliert wird.

Irakische Grenzschutzbeamte (haras hadud alIraq) operieren hauptsächlich an der syrischen Grenze im Westen von Ninewa, insbesondere in der Grenzstadt Rabia. Die Grenzschutzbeamten sind auch dafür verantwortlich, Kämpfer des Islamischen Staates daran zu hindern, aus Syrien nach Ninewa einzusickern. Sie erhalten jedoch Unterstützung von den PMF bei der Sicherung abgelegener Grenzregionen.

Die irakische Bundespolizei (shurta itihadiya) und ihre Emergency Response Division (ERD, furqa ar-red as-suriya) wurden bei der Befreiung von Mossul eingesetzt, sind aber derzeit nur mehr untergeordnet im Gouvernement Ninawa vertreten. Einige Einheiten der irakischen Bundespolizei wurden Anfang 2018 nach Kirkuk verlegt, die im Gouvernement Ninawa verbliebenen Einheiten werden aber als schlagkräftig beschrieben.

PMF-Einheiten kontrollieren Quellen zufolge den östlichen Teil des Gouvernements Ninewa und gelten (nach der irakischen Armee) als zweitbedeutendster Akteur in Ninewa. Die Außenbezirke von Mosul werden von verschiedenen PMF-Milizen kontrolliert, darunter sind sowohl schiitische als auch lokale Milizen. In einem Bericht der International Crisis Group vom Juli 2018 wurde festgestellt, dass sich mehrere PMF-Milizen, darunter Asa'ib Ahl al-Haqq, die al-Abbas Fighting Division und Kataeb Sayed al-Shuhada, in der Nähe von Mossul befinden. Im Süden des Gouvernements unterhält Saraya al-Salam einige Einheiten, während im Westen die Milizen Sarayat al-Jihad, Harakat Hizbollah al-Nujaba und die Ali al-Akbar-Brigade aktiv sind. Seit Mai 2017 wird die Stärke der PMF-Milizen in Ninewa auf 18 000 Kämpfer geschätzt. In einem Bericht vom Februar 2018 wies die International Crisis Group darauf hin, dass Sinjar seit Oktober 2017 von vom Iran unterstützten PMF-Milizen militärisch und politisch kontrolliert wird. Im Distrikt Sinjar sind PMF-Milizen an der irakisch-syrischen Grenze stationiert, diese haben jesidische Stammesführer kooptiert und rekrutieren Jesiden vor Ort. Sie kontrollieren auch strategische Straßen und ernennen Verwaltungsbeamte.

Anfang August 2018 erließ der stellvertretende Vorsitzende des irakischen Komitees für Volksmobilisierung drei Anordnungen zur Umstrukturierung und Umverteilung der PMF, die in Ninewa zuerst umgesetzt wurden. Die PMF begann zunächst, sich aus den Unterbezirken Rabi’a und Zummar in Tal Afar und aus Teilen von Sinjar zurückzuziehen. Am 21.08.2018 hob der Ministerpräsident die Anordnungen jedoch auf und stellte ihre Rechtmäßigkeit in Frage, ohne zuvor den Oberbefehlshaber konsultiert und mit dem irakischen Befehl für gemeinsame Operationen abgestimmt zu haben. Der Premierminister erklärte später, dass die Neuverteilung von PMF-Milizen den Aufständischen die Möglichkeit bieten würde, Angriffe zu starten, und verfügte, dass alle PMF-Operationen durch das Büro des Premierministers koordiniert werden müssten, welches künftig das Komitee für Volksmobilisierung leiten würde.

Die im Gouvernement Ninewa stationierten schiitischen Schabak-Milizen ergänzen die größeren PMF-Einheiten, insbesondere jene der Badr-Brigaden. Die Schabak-Kämpfer sind Teil der 30. Brigade der PMF, zu der auch eine chaldäische Subtruppe gehört, die als Babylon-Brigade bekannt ist und von dem chaldäischen Kommandeur Rayan al-Kildani angeführt wird. Die Babylon-Brigade war in Frontkampf- und bei der Sicherung von Gebieten aktiv und wurde für ihre harsche Behandlung sunnitischer Araber bekannt. Die Einheit hat auch PMF-Einheiten bei Operationen im Gouvernement Ninewa in den Orten Qayara und Nimrud begleitet. Sie betreiben auch weiterhin Checkpoints in Bartela.

Andere lokale Gruppen sind die Ninewa Plains Protection Units (NPU), eine vorwiegend christliche Miliz, die die Sicherheit in Karakosch überwacht. Sie wird von der Assyrischen Demokratischen Union gesponsert und ist in die PMF eingegliedert. Die Ninewa Plains Forces (NPF) ist eine schiitische Schabak-Einheit in Ost-Mosul und in der Ninewa-Ebene, die ebenfalls Teil der PMF ist. Eine weitere Gruppe ebenfalls mit dem Namen Ninewa Plains Forces ist eine von der autonomen Region Kurdistan unterstützte christliche Gruppe (siehe dazu unten). Die Babylon-Brigade

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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