TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/6 I416 2161222-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.08.2021
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Entscheidungsdatum

06.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I416 2161222-1/11E

S C H R I F T L I C H E A U S F E R T I G U N G D E R A M 2 8. 07. 2 0 2 1

M Ü N D L I C H V E R K Ü N D E T E N E N T S C H E I D U N G

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH - BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 17.05.2017, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.07.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.        XXXX , ein irakischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 08.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Der Beschwerdeführer gab anlässlich seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.07.2015 zu seiner Fluchtroute an, dass er am 14.04.2015 von Bagdad aus legal in die Türkei geflogen sei und von dort über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt sei. Zu seinen Fluchtgründen gab er einerseits die wirtschaftliche Lage und dass er mit dem Tode bedroht werde, an. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er den Tod.

3.       Am 23.05.2016 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er am XXXX in Diyala im Irak geboren sei, der Volksgruppe der Araber, der muslimischen Religionsgemeinschaft/sunnitische Glaubensrichtung angehöre und irakischer Staatsangehöriger sei. Er sei ledig und habe keine Kinder. Im Irak habe er sechs Jahre die Grundschule besucht und als Polizist, Taxifahrer und Kühltechniker gearbeitet, hauptsächlich jedoch als Kühltechniker und Verkäufer. Im Irak in Mukdadiya würden noch seine Eltern, seine Schwester und vier Brüder leben, ein Bruder befinde sich in Finnland. Gewohnt habe er zusammen mit seiner Familie im Haus des Großvaters und habe er 3 bis 4x die Woche Kontakt mit ihnen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass es im Jahr 2007 zur Auseinandersetzungen gekommen sei, zu diesem Zeitpunkt habe er als Polizist gearbeitet. Er sei dreimal von unbekannten Personen bedroht worden, einmal hätten diese seinem Bruder in dem Friseurgeschäft aufgesucht und ihm gesagt das sie ihn umbringen werden, da er Polizist sei, dies seien maskierte Männer gewesen. Das zweite Mal hätten diese einen Drohbrief mit einer Kugel an seine Adresse zu Hause geschickt und beim dritten Mal hätten sie seinem Bruder wieder gedroht und gesagt, dass sie seinen Kopf in einer Kiste nach Hause schicken würden, wenn er seine Arbeit als Polizist nicht aufgeben würde. Er habe deshalb seine Arbeit als Polizist aufgegeben und habe sich zu Hause versteckt, aufgrund eines Bombenangriffes habe sein Vater ein Bein verloren, weshalb er arbeiten habe gehen müssen und habe er ein Lebensmittelgeschäft geführt, nachdem es seinem Vater wieder besser gegangen sei, habe dieser das Lebensmittelgeschäft geführt und habe er als Taxifahrer gearbeitet. Einige Mitglieder der Miliz hätten in diesem Lebensmittelgeschäft eingekauft, für die Ware aber kein Geld zahlen wollen. Er habe die Schulden aufgeschrieben und diese Personen anzeigen wollen, da sie sich weigerten das Geld zu bezahlen. Diese hätten ihm mit dem Tode gedroht im Falle, dass er sie anzeigen würde. Seine Cousins und deren Eltern seien nicht weit von Ihnen entfernt getötet und geköpft worden, danach habe es Racheangriffe zwischen Schiiten und den Sunniten gegeben, wobei jedes Mal Menschen gestorben seien, er selbst sei durch die schiitischen Milizen mit dem Tode bedroht worden, einerseits da er Sunnit sei, aber hauptsächlich deshalb, weil er mit den Amerikanern gearbeitet habe. Aus diesem Grund habe er auch die Droh-SMS erhalten. Nachgefragt, führte er aus, dass er durch Mitglieder der Miliz mit dem Tode bedroht worden sei, da er über die Polizei deren Schulden einfordern wollte und habe die letzte SMS- Bedrohung in dazu gebracht, die Entscheidung über seine Flucht zu treffen. Bekommen habe sein Vater die SMS und habe dieser diese an ihn weitergeleitet, er habe nur eine ausgedruckt von wem die SMS stamme wisse er nicht, er wisse auch nicht wann er die SMS genau bekommen habe. Gefragt, wann und was er für die Amerikaner gearbeitet habe, führte er aus das er als Kühltechniker gearbeitet habe, gewesen sei dies von 2008 bis 2009. Er führte weiters aus, dass seine Schwester mit dem Sohn eines religiösen Scheichs verheiratet sei, weshalb der Bruder seines Schwagers entführt und gegen eine sehr große Geldsumme freigelassen worden sei, er habe mit dem Bruder seines Schwagers als Kühltechniker bei den Amerikanern gearbeitet dieser sei Bauunternehmer für die Amerikaner gewesen und habe er Angst gehabt auch entführt zu werden, weil er mit diesem gearbeitet habe. Er führte weiters aus, dass er vom IS nie konkret bedroht worden sei, in den Irak könne er nicht zurück, weil er nicht für die Miliz in seinem Gebiet arbeiten wolle und Angst habe in die Hände der ungerechten Regierung zu fallen. Zu seinen persönlichen Lebensumständen im Bundesgebiet führte er aus, dass er gesund sei, Freunde auch außerhalb der Unterkunft habe, dass er arbeitsfähig sei, dass er nach wie vor gläubiger Moslem sei und in einer betreuten Unterkunft in der Grundversorgung leben würde. Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme folgende Dokumente vor: Unterstützungsschreiben, irakischen Führerschein im Original, irakischer Polizeiausweis im Original, irakischer Arztbericht vom 01.06.2013 im Original, ein Schreiben vom Innenministerium Irak vom 15.6.2013, einen Ausdruck einer SMS, ein Zertifikat der amerikanischen Streitkräfte in Kopie, eine Lebensmittelkarte in Kopie, eine Wohnkarte des Vaters in Kopie, sowie eine Bestätigung über die Teilnahme am Deutschkurs an der VHS.

4.       Am 31.1.2017 wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer führte aus, dass er völlig gesund sei, er jedoch Probleme mit seinem linken Bein habe und er vermute, dass sich auch ein kleiner Teil in seinem hinteren Kopfbereich befinde und er dies von einem Arzt untersuchen lassen werde. Nachgefragt, führte er dazu aus, dass er wegen seiner gesundheitlichen Probleme in Österreich weder in ständiger ärztlicher Behandlung noch Therapie stehe. Nachgefragt, ob sich an seinen Gründen für seine Flucht aus seinem Herkunftsland seit der letzten Einvernahme etwas geändert habe, gab der Beschwerdeführer wörtlich zu Protokoll: „Mein Leben ist jetzt mehr in Gefahr, weil mein Schwager getötet wurde und wir haben beide die gleiche Arbeit gemacht. Wir waren Partner und wurden beide auf die gleiche Art bedroht.“ Der Beschwerdeführer führte weiters aus, dass sich an seinen persönlichen Lebensumständen seit seiner letzten Einvernahme nichts geändert habe. Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass er vom 01.03.2007 bis zum 01.03 2008 als Polizist in der Polizeileitung in Al Mukdadiya, als Wache gearbeitet habe und er einfacher Polizist gewesen sei. Er führte weiters aus, dass er vom März 2008 bis wenige Tage vor seiner Ausreise im April 2015 ein Lebensmittelgeschäft in der Nähe seiner Unterkunft gehabt habe und er gleichzeitig für die Amerikaner als Bauaufseher zwischen 2009 bis 2011 gearbeitet habe. Dazu führte er aus, dass er ihn keinen Kasernen oder Stützpunkten der Amerikaner gearbeitet habe, sondern als Bauaufseher im Auftrag einer Baufirma tätig gewesen sei, und habe er Verwaltung und Wohngebäude für die Amerikaner errichtet. Dieses Bauunternehmen habe dem Bruder seines Schwagers gehört, sein Schwager sei 2016 durch einen Kopfschuss getötet worden. Gleichzeitig sei er zwischen 2010 bis kurz vor seiner Ausreise im April 2015 als Taxifahrer mit seinem eigenen Taxi tätig gewesen. Nachgefragt, in welcher Stadt er die Bauarbeiten für die Amerikaner durchgeführt habe, führte er aus, dass dies in Al Mukdadiya gewesen sei. Der Beschwerdeführer führte gefragt weiters an, dass er im Irak vom Staat nicht persönlich bedroht worden sei, sondern durch die Milizen bedroht worden sei, dies seien staatliche Milizen gewesen, er wisse jedoch nicht welche, da es mehrere seien, persönlich mit der Miliz in Kontakt getreten sei er jedoch nicht. Gefragt, wie die Bedrohung genau ausgesehen habe, führte er an, dass er im Jahr 2007 drei schriftliche Drohbriefe erhalten habe, vorlegen könne er diese jedoch nicht. Er wurde auch, als er für die Baufirma gearbeitet habe, zweimal per SMS bedroht, er könne sich jedoch nicht erinnern, wann dies genau gewesen sei. Nachgefragt, ob er noch weitere Bedrohungen erhalten habe, gab er an, dass sein verstorbener Schwager eine Droh-SMS erhalten habe, als er bereits in Österreich gewesen sei, auch diese könne er nicht vorlegen, weitere Bedrohungen habe es nicht gegeben. Auf Vorhalt, dass er bei der Einvernahme vom 23. Mai 2016 angegeben habe, dass er nicht in den Irak zurückkehren könne, weil er nicht für die Milizen in seinem Gebiet arbeiten möchte und wie er dies gemeint habe, gab der Beschwerdeführer wörtlich zu Protokoll: „Ich wurde seitens der Milizen (schiitische Milizen) nicht persönlich aufgefordert für sie zu arbeiten. Aber jedermann in unserem Gebiet muss früher oder später für sie arbeiten. Diese Miliz arbeiten im Auftrag der Garküchenregierung. Sie nennen sich auch die Volksarmee.“ Zu seinen persönlichen Lebensumständen im Bundesgebiet führte er aus, dass er in einer Privatunterkunft in XXXX leben würde, dass er in keiner Lebensgemeinschaft oder familienähnlichen Lebensgemeinschaft leben würde und dass er kein Mitglied in einem Verein sei. Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme neun Schriftstücke und drei Fotos und eine Bestätigung der VHS XXXX bezüglich des Besuchs des Deutschkurses für Asylwerber A1/2 vor.

5.       Mit den im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ erteilt und „gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen und „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für seine freiwillige Ausreise wurde „gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG" mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgestellt (Spruchpunkt IV.).

6.       Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 17.05.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe, als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

7.       Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 02.06.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte Rechtswidrigkeit zur Folge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, inhaltliche Rechtswidrigkeit, unrichtige Beweiswürdigung sowie unrichtige und mangelhafte/ergänzungsbedürftige Tatsachenfeststellungen. Begründend wurde zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass die vom Bundesamt getroffenen Feststellungen in den entscheidungswesentlichen Punkten unzutreffend und unvollständig seien und auf Verfahrensmängeln aufbauen würden. So sei es insbesondere unzutreffend, dass der Beschwerdeführer persönlich nie bedroht worden sei, dass er widersprüchliche Aussagen bezüglich erhaltener Drohbriefe gemacht habe und seine Angaben in mehreren Punkten unglaubwürdig sein. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine dem Beschwerdeführer aufgrund seines Antrages den Status des Asylberechtigten, in eventu den Status des subsidiär Schutzberechtigten gewähren in eventu aussprechen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in seinem Fall auf Dauer unzulässig sei und ihm vom amtswegen einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG erteilen, in eventu den angefochtenen Bescheid hinsichtlich sämtlicher Spruchpunkte zu beheben und die Verwaltungssache zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen jedenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen.

8.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 12.06.2017 vorgelegt.

9.       Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.09.2019 wurden die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L518 abgenommen und der Gerichtsabteilung I416 neu zugewiesen. Am 27.09.2019 langte der verfahrensgegenständliche Beschwerdeakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I 416 ein.

10.      Mit Eingabe vom 16.07.2021 wurden folgende Integrationsunterlagen vorgelegt: Erklärung hinsichtlich des Nichtvorliegens von Gewerbeausschlussgründen datiert mit 01.07. 2021, Kursbestätigung Deutsch für Asylwerber vom 01.02.2017, ein ÖSD Zertifikat A1 vom 20.01.2018 sowie ein Empfehlungsschreiben inklusive Fotos vom 12.7.2021.

11.      Am 28.07.2021 erfolgte in Anwesenheit des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht. In dessen Verlauf wurden seitens des Beschwerdeführers folgende Unterlagen vorgelegt: ZMR Auszug vom 26.07.2021, Auszug aus dem GISA vom 28.07.2021, zwei personalisierte Empfehlungsschreiben und Dokumente auf Arabisch ohne Übersetzung.

Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis mündlich verkündet.

12.      Mit Schriftsatz der nunmehr ausgewiesenen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 28.07.2021 wurde die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht fest. Er gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer reiste am 08.07.2015 ins Bundesgebiet ein und hält sich seit diesem Zeitpunkt durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer ist gesund und leidet an keinen physischen oder psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie an. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer hat im Irak sechs Jahre die Schule besucht und hat im Irak gearbeitet.

Der Beschwerdeführer stammt aus Mukdadiya in der Provinz Diyala und leben noch seine Eltern und Geschwister in Diyala und besteht regelmäßiger Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Der Beschwerdeführer hat laut eigenen Angaben einen Bruder in Deutschland und Tanten in Schweden.

Der Beschwerdeführer ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nach. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet seinen Lebensunterhalt seit seiner Einreise über die staatliche Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat mit 01.07.2021 ein Gewerbe mit dem Wortlaut „Hausbetreuung bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“ angemeldet.

Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich seiner Integration die Bestätigung über die Teilnahme an einer Deutschprüfung A1 vorgelegt, war jedoch während der gesamten Verhandlung auf den anwesenden Dolmetscher angewiesen. Der Beschwerdeführer hat weder ehrenamtlich gearbeitet noch gemeinnützige Tätigkeiten ausgeübt. Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein.

Der Beschwerdeführer verfügt durch seinen Aufenthalt über soziale Kontakte. Der Beschwerdeführer geht in seiner Freizeit mit seinen Freunden spazieren und kocht für diese.

Eine entscheidungsrelevante Teilnahme des Beschwerdeführers am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Österreich kann trotz seiner Aufenthaltsdauer von 6 Jahren nicht festgestellt werden. Er weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Es liegen keine Hinweise auf das Vorliegen von entscheidungsrelevanten Anknüpfungspunkten in sozialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Natur in Österreich bzw. allenfalls gesetzter Integrationsschritte, über das oben angeführte hinaus, des Beschwerdeführers vor.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Irak Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung/Verfolgung durch Angehörige schiitischer Milizen konnte mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Fall seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein würde.

Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak übermittelt. Zudem wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Berichte ergänzend eingebracht: EASO Bericht „Iraq Security situation“ vom Oktober 2020, der EASO Bericht „Country Guidance Iraq – Guidance note and common analysis“ vom Jänner 2021, der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland „Irak Gezielte Gewalt gegen Individuen“ vom März 2019, der EASO Bericht „Irak Interne Mobilität“ vom Februar 2019, der EASO Bericht „Irak Zentrale sozioökonomische Indikatoren“ vom Februar 2019, der UNHCR-Bericht „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen [HCR/PC/IRQ/2019/05]“ vom Mai 2019, eine Anfragebeantwortung zum Irak vom 26.08.2020 bezüglich der Sicherheitslage in Baquba, Anfragebeantwortung zum Irak: Aktuelle Sicherheitslage in der Provinz Diyala, Vorfälle der letzten sechs Monate vom 9. Februar 2021, Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation bezüglich der Versorgungs- und Sicherheitslage in Bagdad vom 07.09.2020 und 21.01.2021 und den Asylländerbericht der ÖB Amman vom Oktober 2020.

Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

Politische Lage:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

-        AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

-        DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

-        Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

-        Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

-        NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

-        Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

-        RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

-        Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

-        ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).

(ACCORD 26.2.2020)

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Asylländerbericht der ÖB Amman vom Oktober 2020

Sicherheitslage Diyala

Die Provinz Diyala liegt im zentral-östlichen Teil des Irak und grenzt an die Provinzen Sulaymaniyah, Salah al-Din, Bagdad und Wassit sowie eine internationale Grenze zum Iran. Das Gouvernement ist in sechs Distrikte unterteilt: Baquba, Baladrooz, Khalis, Khanaqin, Kifri und Muqdadiya. Die Stadt Ba‘q?bah ist die Hauptstadt des Gouvernements. Das Gouvernement Diyala hat eine geschätzte Bevölkerung von 1 680 328 Einwohnern (Stand 2019). Araber, Kurden und Turkmenen machen die Mehrheit der Bevölkerung aus. Im Gouvernement leben auch andere ethnische und religiöse Gruppen. Die Nähe des Gouvernements zu Bagdad sowie zur iranischen Grenze hat es der irakischen Regierung und der vom Iran unterstützten PMU zu einer Priorität gemacht, die Region zu kontrollieren.

Diyala ist eines der am stärksten von der ISIL-Invasion 2013-2014 betroffenen Gouvernements des Irak. Diyala wurde im Januar 2015 nach einer etwa sechsmonatigen Besetzung, die zur Vertreibung Tausender Einwohner führte, für vollständig von der Kontrolle des ISIL befreit. Das Gouvernement untersteht dem Dijla Operations Command der ISF-Kontrolle. Die ISF kämpft jedoch darum, die territoriale Kontrolle in Regionen aufrechtzuerhalten, in denen ISIL weiterhin von der lokalen Bevölkerung unterstützt wird oder diese kontrolliert. PMU, hauptsächlich die Badr-Organisation, sind Berichten zufolge in Diyala besonders stark. Nord-Diyala ist zunehmend zu einem Einsatzgebiet von Asa'ib Ahl alHaq (AAH) geworden. Außerdem sind Stammes-Mobilisierungskräfte und Peshmerga-Kräfte an Konfrontationen mit dem IS beteiligt. Es wurde über mangelnde Koordination zwischen PMU, Stammeskräften, den Peshmerga und den Streitkräften der Koalition berichtet.2019 und Anfang 2020 wurde Diyala das Gouvernement, in dem der ISIL am aktivsten im Irak war, insbesondere in den nördlichen Gebieten des Gouvernements. Im Hamrin-Gebirge hat ISIL eine permanente Infrastruktur aufgebaut, bestehend aus Verstecken, Trainingslagern und eigenen Courts.

Der ISIL führte seinen Aufstand durch Bombardierungen, Mörserzellen, Bombenanschläge am Straßenrand, Angriffe auf Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte, Scharfschützenangriffe, Attentate, Entführungen, Entführungen und Feldbrände, was auch zur Evakuierung von Dörfern führte. Gegen Kurden, Schiiten und „unkooperative“ sunnitische Stämme wendet der ISIL „ethnische oder sektiererische Säuberungsaktivitäten“ in einem Ausmaß an, das in anderen Provinzen nicht zu sehen ist. Ab März 2020 behauptete der ISIL täglich Angriffe in Diyala, die hauptsächlich auf den ISF und Gemeindeführer abzielten. Im gesamten Jahr 2019 und in der ersten Hälfte des Jahres 2020 wurden Luftangriffe auf mutmaßliche ISIL-Verstecke in und um die Hamrin-Berge durch internationale Koalitionstruppen und/oder irakische Kampfflugzeuge gemeldet. Auch im Gouvernement wurden IED-Explosionen registriert. Im Herbst 2019 fanden auch in Diyala Protestkundgebungen statt, wenn auch in geringerem Umfang als in Bagdad und im Südirak. Im Januar 2020 wurde eine Konfrontation zwischen Demonstranten und der örtlichen Polizei gemeldet. Zwischen Januar und Dezember 2019 wurden in Diyala mehrere Vorfälle mit explosiver Gefährdung gemeldet, insbesondere auf der Straße von Ba‘q?bah nach Khanaqin. Zwischen Januar und Juni 2020 war das Explosionsrisiko auf Straßen im Gouvernement Diyala im und um den Distrikt Khanaqin am häufigsten erhöht.

ACLED meldete im Referenzzeitraum insgesamt 630 Sicherheitsvorfälle (durchschnittlich 7,6 Sicherheitsvorfälle pro Woche) im Gouvernement Diyala, von denen die meisten als Gefechte und Vorfälle von Gewalt/Explosionen aus der Ferne kodiert wurden. In allen Distrikten des Gouvernements kam es zu Sicherheitsvorfällen, die meisten davon im Distrikt Muqdadiya. Die UNAMI verzeichnete 103 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, 55 davon im Jahr 2019 und 48 vom 1. Januar bis 31. Juli 2020 (durchschnittlich 1,3 Sicherheitsvorfälle pro Woche für den gesamten Bezugszeitraum).

Im Bezugszeitraum verzeichnete die UNAMI insgesamt 224 zivile Opfer (93 Tote und 131 Verletzte) bei den oben genannten Vorfällen im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Genauer gesagt wurden im Jahr 2019 111 Opfer gemeldet, und vom 1. Januar bis 31. Juli 2020 wurden 113 Opfer gemeldet. Verglichen mit den offiziellen Zahlen für die Bevölkerung im Gouvernement sind dies 13 zivile Opfer pro 100 000 Einwohner für den gesamten Bezugszeitraum.

Im Juni 2020 waren in Diyala 53.688 Binnenvertriebene registriert, von denen die meisten innerhalb des Gouvernements vertrieben wurden. Bis zum gleichen Zeitpunkt wurden in Diyala 230 244 Rückkehrer registriert, von denen fast die Hälfte in den Distrikt Khanaqin zurückkehrte. Die Mehrheit der Rückkehrer (79 %) war früher innerhalb des Gouvernements vertrieben worden. Im Dezember 2019 stellte UNOCHA fest, dass in den Gouvernements Ninewa, Salah al-Din, Anbar, Kirkuk und Diyala „erzwungene und vorzeitige Rückführungen und erzwungene oder erzwungene Ausreise aus Lagern und informellen Siedlungen“ stattfanden, was zu sekundärer Vertreibung führte. Binnenvertriebene wurden auch daran gehindert, in ihr Herkunftsgebiet zurückzukehren. Neben Bewegungsbeschränkungen und Verweigerung der Sicherheitsüberprüfung wurden auch Zerstörung und Beschlagnahme von Eigentum als Mittel zur Verhinderung der Rückkehr eingesetzt.

Das Gouvernement leidet unter erheblichen Schäden an Infrastruktur und Wohngebäuden. Diyala war eines der Gouvernements mit besonders hohen Infrastrukturschäden, die auch den Agrarsektor, Schulen, den Energiesektor, die Wasserressourcen, den Hygiene- und den Gesundheitssektor betrafen. Es wurde über den Wiederaufbau und die Sanierung beschädigter Häuser berichtet.

Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 im Irak, wird auch über Diyala berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat, wenn auch dieses Gouvernement nach wie vor eine hohe Gewaltrate verzeichnet und in einigen Distrikten die Gewalt auch gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist. Die höchste Intensität von zivilen Gewaltopfern wurde 2018 in den Distrikten Al-Muqdadiya (46.4 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner), Khifri (33,8 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) und Baladrooz (21,4 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner), während die niedrigste Intensität in Ba’q?bah (0,7 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) und Al-Khalis (5,1 zivile Todesopfer pro 100.000 Einwohner) verzeichnet wurde.

In Bezug auf die Lage in Diyala vertritt EASO (Country Guidance, S 111) den Standpunkt, dass unter Berücksichtigung aller Faktoren, geschlossen werden kann, dass die „bloße Anwesenheit“ in diesem Gebiet nicht genügt, um ein reales Risiko eines ernsten Schadens gemäß Art 15(c) der Statusrichtlinie im Gouvernement Diyala zu begründen. Allerdings erreicht die willkürliche Gewalt einen hohen Grad, weshalb ein niedriger Grad an individuellen Elementen benötigt wird, um substanzielle Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass einer in diese Gegend zurückkehrenden Zivilperson ein reales Risiko eines ernsten Schadens gemäß Art 15(c) der Statusrichtlinie entgegensteht. Jedoch muss beachtet werden, dass die Distrikte Ba’q?bah und Al-Khalis von willkürlicher Gewalt verhältnismäßig weniger betroffen sind.

Quellen:

-               EASO; EASO-Leitlinien zum Irak (Verfolger; Flüchtlingsstatus; subsidiärer Schutz; staatlicher Schutz; interne Schutzalternative; Ausschlussgründe), https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf; Zugriff 08.06.2021;

-               EASO; EASO-Bericht zur Sicherheitslage (jüngste Konflikte; interne Spannungen; türkisches und iranisches Eindringen; bewaffnete Akteure; staatliche Fähigkeit, Recht und Ordnung zu sichern; Auswirkungen der Gewalt auf die Zivilbevölkerung; Lage nach Region / Gouvernement)https://www.ecoi.net/en/file/local/2040056/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf; Zugriff 08.06.2021

-               CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l‘Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf, Zugriff 13.3.2020

-               Anfragebeantwortung zum Irak vom 26.08.2020 bezüglich der Sicherheitslage in Baquba; https://www.ecoi.net/de/dokumentensuche/?asalt=d5539955f5&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order=desc&content=Baquba&page=5, Zugriff 08.06.2021

-                Anfragebeantwortung zum Irak: Aktuelle Sicherheitslage in der Provinz Diyala, Vorfälle der letzten sechs Monate vom 9. Februar 2021; https://www.ecoi.net/de/dokument/2045583.html, Zugriff 08.06.2021

-               ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 13.3.2020

-               Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-               Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-               Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 13.3.2020

-               Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-               Landinfo - The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak: Sikkerhetssituasjonen i Sør-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak-temanotat-sikkerhetssituasjonen-i-syarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage Bagdad

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Dabei wurden am 7. und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel W

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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