TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/9 W174 2197369-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2021
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Entscheidungsdatum

09.08.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §34 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W174 2197372-1/13E

W174 2197369-1/7E

W174 2243557-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria Mugli-Maschek, als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX , geboren am XXXX , 2.) der XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX und 3.) der XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2018, jeweils betreffend 1.) Zl. 1119279309/170374927 und 2.) Zl. 1178731710/180040449 sowie 3.) vom 14.05.2021, Zl.127656703/210445355, nach einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerinnen sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerde-führerin.

Dem Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Zweit- und Drittbeschwerde-führerin wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7.1.2015, GZ W119 1432920-1/20E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Die Erstbeschwerdeführerin beantragte am 30.3.2016 in der österreichischen Botschaft in Islamabad die Einreise gemäß § 35 AsylG, reiste legal ins Bundesgebiet ein und stellte am 27.3.2017 bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag begründete die Erstbeschwerdeführerin diesen damit, dass ihr Ehegatte in Österreich den Status des subsidiär Schutzberechtigten erlangt habe und sie in Österreich denselben Schutz wie er wolle.

3. Am 12.1.2018 stellte der Gatte der Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreter für die in Österreich nachgeborene Zweitbeschwerdeführerin einen Antrag auf die Gewährung von subsidiären Schutz gemäß § 17 AsylG. Das Kind habe keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen, der Antrag beziehe sich ausschließlich auf die Gründe des Vaters.

4. Am 12.4.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen, erklärte zunächst, in der Provinz Ghazni im Distrikt Jaghouri geboren zu sein und legte einen afghanischen Reisepass im Original, eine Tazkira mit Übersetzung im Original, eine Heiratsurkunde mit Übersetzung im Original sowie eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs sowie eine Kursbesuchsbestätigung des BFI (Integration ab Tag eins) vor.

Des Weiteren gab sie an, traditionell seit 1391 (2012) mit ihrem Gatten verheiratet zu sein. Die Ehe hätten sie Pakistan geschlossen, wohin sie gemeinsam mit der Schwiegermutter im Jahr 2012 gereist wären. Ihr Gatte sei der leibliche Vater ihrer Tochter (der Zweitbeschwerdeführerin), sie alle drei lebten hier in einem gemeinsamen Haushalt. Sie selbst gehöre zur Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben an. Ihre Muttersprache sei Dari, in der Heimat habe sie zwei Jahre lang eine „koranische“ Schule besucht, ihr Vater habe ihren Unterhalt finanziert. Dort habe sie den Haushalt gemacht und Handarbeiten für die Familie.

Am 2.1.1391 sei sie illegal mit dem Auto nach Pakistan gereist, nach Österreich gekommen sei sie am 24.3.2017 und zwar legal per Flugzeug. Grund für die Einreise sei gewesen, dass sich Ihr Mann schon hier befunden habe.

Afghanistan habe sie seinerzeit deshalb verlassen, weil ihr Vater sie zwangsweise einem anderen Mann versprochen, sie jedoch ihren jetzigen Gatten geliebt hätte. Nachdem die Erstbeschwerdeführerin gedroht habe, sich umzubringen, habe ihr Vater ihrem (damaligen) Verlobten mitgeteilt, dass er die Verlobung auflösen wolle, sei jedoch daraufhin bedroht worden. Daraufhin hätten sich die Leute vom Stamm des Verlobten und vom Stamm der Erstbeschwerdeführerin getroffen, jedoch der Verlobte Recht bekommen. Vor Gericht habe sie auch keine Hilfe erhalten, da in Afghanistan Frauen keine Rechte hätten. Dies sei der Grund für ihre Ausreise nach Pakistan gewesen.

Weitere Fluchtgründe seien, dass sie als Frau in Afghanistan keine Rechte gehabt habe und Frauen wie Tiere verkauft würden. Sie sei nicht gefragt worden, ob sie heiraten wolle, habe nicht die Möglichkeit einer Ausbildung erhalten und nicht das Haus verlassen dürfen.

Nach vorheriger Manuduktion gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie für die Zweitbeschwerdeführerin einen Antrag auf ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG stelle. Dieser Antrag solle sich auf ihr eigenes Verfahren beziehen, das Kind habe keine eigenen Fluchtgründe.

5. Mit den gegenständlichen im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (bezüglich der Zweitbeschwerdeführerin iVm § 34 Abs. 3 AsylG) der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) Und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 25.4.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

6. Jeweils gegen Spruchpunkt I. wurde rechtzeitig mit gemeinsamem Schriftsatz Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan aufgewachsen und es ihr mit Ausnahme des Besuchs einer Koranschule für zwei Jahre nicht möglich gewesen sei, eine Schule zu besuchen und einen Beruf zu erlernen. Zudem habe sie ihr Vater zwangsweise mit einem Mann verheiraten wollen, sie sei jedoch gegen die Zwangsheirat gewesen. Als sich die Erstbeschwerdeführerin bereits in Österreich befunden habe, hätte sie von ihrem Vater erfahren, dass der Mann, dem sie versprochen gewesen sei, zu Gericht gegangen wäre und ihre Eltern bedroht und ihnen mitgeteilt hätte, er würde die Erstbeschwerdeführerin und ihren Ehemann umbringen, sollten sie zurückkehren.

7. Mit Schreiben vom 9.12.2020 wurden bezüglich der Erstbeschwerdeführerin folgende Integrationsunterlagen vorgelegt: ÖIF Zeugnisse zur Integrationsprüfung A1 und A2, eine Anmeldebestätigung eines Basisbildung Brückenkurses 100 UE und die Kursbesuchsbestätigung bezüglich eines Basisbildung Brückenkurses 320 UE samt Zertifikat sowie die Teilnahmebestätigung an einem ÖIF Deutschkurs B1.

8. Am 2.4.2021 wurde für die im Bundesgebiet nachgeborene Drittbeschwerdeführerin durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin gemäß § 17 Abs. 3 AsylG die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten beantragt und vorgebracht, dass das Kind eigene Gründe für internationalen Schutz habe und die Mutter weitere Ermittlungen hierzu beantrage.

Mit Parteiengehör vom 13.4.2021 wurde die Erstbeschwerdeführerin aufgefordert, ehebaldigst, spätestens aber binnen zwei Wochen ab Zustellung, schriftlich dazu Stellung zu nehmen.

Mit dem im Spruch drittgenannten Bescheid wies das Bundesamt in weiterer Folge den Antrag auf internationalen Schutz der Drittbeschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr unter Spruchpunkt III. die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte bis zum 7.1.2022 (§ 8 Abs. 5 iVm Abs. 4 AsylG).

Gegen Spruchpunkt I. wurde rechtzeitig Beschwerde erhoben und darin im Wesentlichen vorgebracht, die Drittbeschwerdeführerin würde bei einer Ausreise nach Afghanistan Probleme aufgrund der Tatsache bekommen, dass sie eine Frau bzw. ein Mädchen sei, welches mit dem vorherrschenden traditionellen, konservativen Frauenbild in Afghanistan nicht vertraut sei. Sie sei in Österreich geboren, hier subsidiär schutzberechtigt und werde hier als Teil der österreichischen Gesellschaft aufwachsen. Afghanische Frauen, die einen weniger konservativen Lebensstil angenommen hätten, würden nach wie vor als soziale und religiöse Normen überschreitend wahrgenommen.

9. Am 5.7.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Dabei brachte die Erstbeschwerdeführerin zunächst vor, ihre beiden Töchter gemeinsam mit ihrem Mann rechtlich zu vertreten, verheiratet, Hazara, schiitische Muslima und afghanische Staatsangehörige zu sein. Ihre Muttersprache sei Dari, geboren sei sie im Distrikt Jaghouri.

Die Heimat habe sie im Jahr 2012 Richtung Pakistan verlassen, wo sie fünf Jahre gelebt habe. 2016 sei sie einmal für zwei Wochen nach Kabul gereist, um sich ihren Reisepass ausstellen zu lassen. Anschließend sei sie nach Pakistan zurückgekehrt, wo sie bis 2017 gelebt habe, bis sie am 24.3.2017 nach Österreich gekommen sei. Ihre gesamte Verwandtschaft lebe in Afghanistan.

Im siebten Monat 1390 (September/Oktober 2011) habe ein 40-jähriger Mann um ihre Hand angehalten und ihr Vater sie mit diesem verlobt. Sie selbst habe aber ihren jetzigen Ehemann heiraten wollen, mit ihm gemeinsam im März 2012 die Flucht nach Pakistan ergriffen und dort die Ehe durch einen Mullah schließen lassen. Letztendlich seien auch die Eltern mit ihrer Heirat einverstanden gewesen. Dass ihre Angehörigen noch weiterhin in der Heimat lebten, erklärte die Erstbeschwerdeführerin damit, dass ihr Vater gar nicht bedroht worden sei, sondern nur ihr jetziger Ehemann und sie selbst betroffen wären.

Mit ihrem Gatten sei sie zufrieden und sie seien glücklich. Er sei ein guter Ehemann und für die Kinder ein guter Vater. Beschimpft oder geschlagen habe er sie nie, er wisse, dass er das nicht dürfe. Wenn er es trotzdem täte, würde sie bei der Polizei anrufen.

Zu Hause ziehe die Erstbeschwerdeführerin eine bequeme Hose mit einem Oberteil an, außer Haus kleide sie sich so, wie in der Verhandlung. Seitens der erkennenden Richterin wurde ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin eine schwarze Hose, ein T-Shirt mit angeschnittener schwarzer Weste mit langen Ärmeln anhabe und einen breiten roten Schal trage, den sie immer wieder als Kopftuch von hinten über ihren Kopf ziehe. Sie sei geschminkt und trage Nagellack. Dazu führte die Erstbeschwerdeführerin aus, wenn sie zum Beispiel mit den Kindern zum Spielplatz gehe, trage sie kein Kopftuch. Das Kopftuch habe sie auf, weil sie sich damit wohl fühle. Sie gehe immer geschminkt aus dem Haus und suche sich ihre Kleidung selber aus. In Afghanistan wie auch in Pakistan habe sie traditionelle Kleidung tragen müssen, lange weite Kleider mit breiten Hosen. Dort hätte sie sich nicht körperbetont kleiden dürfen und habe immer ein Kopftuch tragen müssen. Sie habe es sich nicht aussuchen dürfen. Es habe immer Streit mit ihren Eltern gegeben, weil sie diese langen Kleider nicht habe anziehen wollen. Als sie nach Österreich gekommen sei, habe sie sich keine Kleidung aus Pakistan mitgenommen, weil sie diese Sachen nicht mehr tragen wolle. In Österreich ziehe sie hauptsächlich Hosen an. Sie habe andere Mädchen gesehen, welche nur bis zum Knie reichende, taillierte Kleider angezogen hätten, selbst aber habe sie ihre Taille nicht betonen dürfen und knöchellange Kleider anziehen müssen. Ihre Eltern hätten gesagt, dass Frauen ihren Körper nicht betonen und nicht zeigen dürften.

An einem Leben wie in Afghanistan oder Pakistan lehne sie ab, dass man Frauen nicht erlaube, eine Schule zu besuchen und einen Beruf zu erlernen oder gar auszuüben. Bevor man heirate, bestimmten die Eltern über das Leben der Tochter, nach der Heirat entweder der Ehemann oder die gesamte Schwiegerfamilie. Eine Frau habe somit keine Chance, sich zu entwickeln und zu entfalten. Diese Dinge lehne sie ab.

Außerhalb der Pandemiebeschränkungen verbringe die Erstbeschwerdeführerin viel Zeit draußen, gehe mit den Kindern hinaus oder mit Freunden Fahrradfahren. Sie kümmere sich aber auch um den Haushalt und versuche, mithilfe von YouTube Deutsch zu lernen.

Sie entscheide selbst, welche Kurse sie besuchen und welchen Beruf sie erlernen wolle, was sie anziehe und mit wem sie befreundet sei. Entscheidungen betreffend die Kinder treffe sie gemeinsam mit ihrem Gatten.

Die Erstbeschwerdeführerin gehe regelmäßig einkaufen und sei auch sonst alleine unterwegs. Da ihr Ehemann lernt, gehe sie meistens alleine hinaus. Sie könne genug Deutsch um ihren Alltag zu bewältigen, gehe alleine einkaufen und alleine zu ihren Arztterminen. Auch kümmere sie sich alleine um die Angelegenheiten der Kinder und bringe diese zum Arzt.

Neben dem Fahrradfahren gehe sie joggen. Ihr Arzt habe ihr empfohlen, Schwimmen zu lernen, sie habe aber Angst vor Wasser. Ihr Mann habe ihr versprochen, dass er ihr bald Schwimmen beibringen werde. Beim Laufen trage sich Sportbekleidung, eine enge Laufhose mit einem langärmligen Shirt. Sport sei für sie sehr wichtig, der Arzt habe auch gesagt, dass sie für ihre Wirbelsäule unbedingt schwimmen müsse, alleine deshalb werde sie es lernen.

Auch ihre Töchter hätten hier andere Möglichkeiten als in Afghanistan, sie könnten hier die Schule abschließen, studieren oder Berufe erlernen und über ihr Leben selber bestimmen. Jetzt seien sie noch sehr klein, aber sie werde ihnen beibringen, ihre Mitmenschen zu respektieren, hilfsbereit zu sein, fleißig zu lernen und zielstrebig zu sein. Sie sollten, wenn sie erwachsen seien, selber entscheiden dürfen, ob und wen sie heiraten. Die Unterschiede zur Erziehung in Afghanistan seien sehr groß. Hier könnten die Töchter frei leben, in Afghanistan müsste sie sie zu Hause erziehen, dürfte sie nicht in die Schule schicken und könnte ihnen nichts über Ziele für ihre Zukunft erzählen. Sie wünsche sich, dass sie in zehn Jahren brav in die Schule gingen, fleißig lernten und gute Noten schrieben.

Die Erstbeschwerdeführerin habe hier viele Freunde, afghanische, aber auch österreichische Familien mit Kindern, in den Parks kennengelernt. Manchmal machten sie Ausflüge, zudem treffe sie die Freunde zu besonderen Feierlichkeiten und es gebe gegenseitige Einladungen meistens an den Wochenenden. Vor allem wegen der Kinder versuche sie, jedes Wochenende etwas zu unternehmen, damit sie viel sehen und Neues lernen könnten.

Manchmal treffe sie ihre Freunde auch alleine, manchmal mit ihrem Mann und den Kindern. Wenn sie selbst nicht zu Hause sei, kümmere sich ihr Gatte um die Kinder. Sie selbst habe noch nicht gearbeitet, aber in einem Restaurant wegen Arbeit angefragt, sei aufgenommen worden, habe jedoch wegen der Schwangerschaftsübelkeit nicht arbeiten können. Sie wolle jedoch unabhängig davon, ob ihr Gatte arbeite oder nicht, selber arbeiten und Geld verdienen.

Weitere Kinder wünsche sie sich nicht, sondern sie wolle eine Ausbildung machen und dann berufstätig sein. Als ihre erste Tochter sechs Monate alt gewesen sei, habe die Erstbeschwerdeführerin mit Deutschkursen begonnen und sobald die zweite Tochter sechs Monate sei, werde sie mit der Schule anfangen. Die Zweitbeschwerdeführerin gehe ab September in den Kindergarten und dann könne sie selbst die Pflichtschule machen. Die Drittbeschwerdeführerin solle in den Privatkindergarten gehen. Für ihren Ehemann sei das in Ordnung.

In der Familie verwalte jeder sein eigenes Geld und habe sein eigenes Konto. In den letzten Monaten sei ihr Gatte sehr depressiv gewesen und gebe dann sehr viel Geld aus. Der Psychologe habe ihm geraten, sein Geld der Erstbeschwerdeführerin zu übergeben, damit sie es für ihn aufhebe. Seit drei Monaten verwalte sie somit auch sein Geld.

Nach dem Pflichtschulabschluss wolle die Erstbeschwerdeführerin gerne eine Ausbildung im Verkauf machen. Beim AMS habe man ihr mitgeteilt, dass sie den Pflichtschulabschluss positiv absolvieren müsse, um anschließend eine Ausbildung als Verkäuferin durch das AMS machen zu können. Sie habe den Vorbereitungslehrgang besucht und die Aufnahmeprüfung für den Pflichtschulabschluss bestanden.

Der größte Unterschied zu ihrem Leben in Afghanistan sei, dass sie hier als freier Mensch leben könne und von ihren Rechten auf Ausbildung sowie Selbstbestimmtheit Gebrauch machen dürfe. Sie habe eine Zukunftsperspektive für sich und ihre Töchter und könne jederzeit alleine aus dem Haus gehen. Das alles gebe es in Afghanistan nicht.

Als sie den Deutschkurs und den Vorbereitungslehrgang besucht habe, habe die Erstbeschwerdeführerin hauptsächlich männliche Klassenkollegen gehabt und sei mit diesen in Kontakt gestanden, weil sie sich vor allem über die Hausaufgaben ausgetauscht hätten. Für ihren Ehemann sei das kein Problem.

Die kleine Tochter werde auch in der Öffentlichkeit gestillt, was in Afghanistan bzw. Pakistan nicht möglich gewesen wäre.

Derzeit besuche die Erstbeschwerdeführerin keine Kurse, habe aber die Kurse A1 und A2 sowie den Basisbildungskurs positiv abgeschlossen. Den B1 Kurs habe sie besucht, aber noch keine Prüfung gemacht. Wegen des Pflichtschulabschlusskurses hätte sich dieser erübrigt.

Bei einer Rückkehr befürchte sie eine Verfolgung durch ihren Ex-Verlobten, der gedroht habe, sie alle zu töten, weil er sich in seiner Ehre verletzt fühle.

In weiterer Folge wurde der Gatte der Erstbeschwerdeführerin und Vater der beiden anderen Beschwerdeführerinnen als Zeuge einvernommen und gab im Wesentlichen an, der ehemalige „Mann“ halte sich selbst offiziell für den Ehemann seiner Gattin und behaupte, dass die Kinder der Erstbeschwerdeführerin unehelich wären und daher getötet werden müssten. Von Verwandten, Bekannten und Freunden habe er gehört, dass dieser gedroht habe, nicht nur die Erstbeschwerdeführerin und ihren Mann, sondern auch jegliche gemeinsamen Kinder umzubringen. Dies habe ihm seine Schwägerin gesagt bzw. hätten es die Schwiegereltern noch im Jahr 2021 telefonisch mitgeteilt.

In der Folge wurde auf das vorliegende Informationsmaterial zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat verwiesen und der rechtlichen Vertretung eine Stellungnahmefrist von 14 Tagen gewährt.

10. Diese Stellungnahme langte am 16.7.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Verwiesen wurde darin im Wesentlichen auf den westlich orientierten Lebensstil der Erstbeschwerdeführerin.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführerinnen sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin.

Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus Ghazni, Distrikt Jaghouri, ihre beiden Töchter kamen im Bundesgebiet zur Welt. Dem Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7.1.2015, GZ W119 1432920-1/20E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Die Beschwerdeführerinnen gehören der Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben an.

Die Erstbeschwerdeführerin besuchte in der Heimat zwei Jahre die Koranschule. Sie war vor ihrer Einreise nach Österreich mehrere Jahre in Pakistan aufhältig, wo sie auch ihren Mann ehelichte.

Die Erstbeschwerdeführerin gehört zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen und führt mittlerweile einen westlich orientierten, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken. Ihre Töchter werden im Bundesgebiet westlich erzogen, die gesamte Familie ist westlich orientiert.

1.2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Version 3, Stand 1.4.2021, die Kurzinfo der Staatendokumentation zur COVID-19-Situation in Afghanistan vom 21.7.2020, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender, Stand 30.08.2018, die EASO Guidelines, die Analyse der Staatendokumentation Gesellschaftlichen Einstellung zu Frauen in Afghanistan, Stand 25.6.2020 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan vom 3.5.2019 über Kinderehen, Zwangsehen stellen einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses dar und werden als Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten der belangten Behörde, den vorliegenden Gerichtsakten und dem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahren, vor allem der Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung und dem persönlichen Eindruck, den die erkennende Richterin dort gewinnen konnte.

2.1. Die oben genannten Feststellungen zu Person und Herkunft der Beschwerdeführerinnen resultieren aus ihren dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verfahrensakten, vorgelegten Dokumenten und diesbezüglich einheitlichen und glaubwürdigen Angaben und Sprachkenntnissen der Erstbeschwerdeführerin.

Die Feststellung zur Erstbeschwerdeführerin als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau ergibt sich aus ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem persönlichen Eindruck, der dort gewonnen wurde sowie den vorgelegten Integrationsdokumenten und Fotos.

Die Erstbeschwerdeführerin vermochte zu überzeugen, dass sie sich aus innerer Überzeugung einer westlichen Wertehaltung und einem westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild zugewandt hat, danach lebt und daran festzuhalten gewillt ist, wobei ihr westlich orientierter Lebensstil auch von ihrem in Österreich lebenden Ehegatten mitgetragen wird.

Die erkennende Richterin gewann im Rahmen der Verhandlung den Eindruck, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine Frau handelt, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt, demgegenüber bereits stark westliche Werte verinnerlicht hat und – aus Überzeugung und in Abkehr zu der konservativ-afghanischen Tradition – auch danach lebt.

Die Erstbeschwerdeführerin hat in der Beschwerdeverhandlung verdeutlicht, dass sie ihr Äußeres und ihre Lebensführung an das Leben westlicher Frauen anpasst hat und dass sie sich vor – in Afghanistan für Frauen üblichen – traditionellen Einschränkungen und gesellschaftlichen Vorgaben fürchtet.

Die Erstbeschwerdeführerin hat glaubhaft dargelegt, vom Willen getragen zu sein, den Alltag selbstständig und ohne Hilfe ihres Ehemannes zu bestreiten. Sie kann sich auch ein Leben allein, also ohne ihren Ehemann vorstellen. Sie bildet sich weiter, unterbrach ihre Ausbildung nur wegen der Schwangerschaft bzw. als sie ein Kind im Alter von unter sechs Monaten hatte, hat ein eigenes Konto, verwaltet ihr Geld und derzeit auch das ihres Mannes, geht alleine einkaufen und zu Ärzten. Sie hat österreichische Freunde, zu denen sie auch alleine Kontakt hält, joggt und fährt Fahrrad, wobei sie Sportkleidung trägt, zudem will sie Schwimmen lernen. Im Rahmen ihrer Kurse – sie absolvierte bereits die ÖIF Integrationsprüfungen A1 und A2, wobei anzumerken ist, dass sie in der Verhandlung trotz ihrer noch relativ kurzen Aufenthaltsdauer und der bislang eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten wegen der beiden Schwangerschaften häufig auf Deutsch antwortete, besuchte den B1-Kurs und absolvierte den Basisbildung Brückenkurs 320 UE – hält sie auch Kontakt zu männlichen Kollegen, mit denen sie gemeinsam lernt und Hausaufgaben macht. Ihre (westliche) Kleidung sucht sie sich selbst aus. Sie lehnt aus innerer Überzeugung Kleidungsstücke wie die in Afghanistan oder Pakistan üblichen wegen des damit verbundenen Zwanges ab. Das Kopftuch trägt sie nicht immer, sondern nur, wenn sie sich damit wohl fühlt. Ansonsten zieht sie hauptsächlich enge Hosen und Shirts an.

Zudem konnte sie glaubhaft machen, nach der Absolvierung des geplanten Pflichtschulabschlusses eine Weiterbildung und Berufstätigkeit (vorzugsweise als Verkäuferin) anzustreben und in Hinkunft auch selbst berufstätig sein zu wollen. Diesbezüglich hat sie schon Auskünfte beim AMS eingeholt, weiß über die Dauer angestrebten Ausbildung Bescheid und hatte auch schon eine Anstellung in einem Restaurant erhalten, die sie nur wegen der Schwangerschaftsübelkeit nicht antreten konnte. Die Familienplanung hat sie mittlerweile abgeschlossen, sobald ihre zweite Tochter, die Drittbeschwerdeführerin sechs Monate alt ist, kommt sie, wie bereits die ältere Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin in den Kindergarten.

Festzuhalten ist, dass die Erstbeschwerdeführerin ihr Kind auch in der Öffentlichkeit stillt.

An dem Leben, das sie in Afghanistan geführt hat, lehnt die Erstbeschwerdeführerin ab, dass eine Frau dort keine Rechte und keine Freiheit hat. Sie hatte sich nicht ausbilden, nicht alleine das Haus verlassen oder einen Beruf ausüben dürfen. Auch sollten sich Frauen ihrer Überzeugung nach, ihren Partner selbst auswählen dürfen, was dort nicht möglich ist.

Für sich und ihre Töchter wünscht sie sich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben und es ist ihr sehr wichtig, dass auch die Töchter eine Ausbildung machen, arbeiten, selbstständig über ihr Leben entscheiden und in Freiheit – ohne die traditionellen Beschränkungen in Afghanistan – leben können.

All dies wird von ihrem Gatten unterstützt, der auch auf die Kinder aufpasst.

Insgesamt führt die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil, der zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

2.2. Die getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen. Diese Berichte verschiedener anerkannter und zum Teil in Afghanistan agierenden Institutionen, ergeben in ihrer Gesamtheit ein nachvollziehbares und schlüssiges Bild über die Lage im Heimatland der Beschwerdeführer. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Die Länderfeststellungen wurden den Beschwerdeführern vorgehalten und es wurde ihnen nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf die vorliegenden anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

3.2. Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht. Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Als Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "begründete Furcht vor Verfolgung" (VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011 ua).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233, mwH).

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081; VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Die Erstbeschwerdeführerin gehört zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren. Es sind daher konkrete Feststellungen zur Lebensweise der Asylwerberin im Entscheidungszeitpunkt zu treffen und ist ihr diesbezügliches Vorbringen einer Prüfung zu unterziehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

Wie oben in den Feststellungen und der Beweiswürdigung gezeigt, führt die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

Den getroffenen Länderfeststellungen sowie den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 (siehe Abschnitt III.A.7f.) ist zu entnehmen, dass die Fortführung dieser Lebensweise in Afghanistan zu einer asylrelevanten Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen führen würde.

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich Erstbeschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aus Gründen ihrer politischen Gesinnung bzw. Religion (überwiegende Orientierung an dem als "westlich“ zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild) und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten afghanischen Frauen außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Erstbeschwerdeführerin nicht, weil im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer derartigen Verfolgung auszugehen wäre.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 leg. cit. von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

§ 34 Abs. 2 AsylG 2005 normiert, dass die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen hat, wenn 1. dieser nicht straffällig geworden ist und (Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art 3 Z13, BGBl. I Nr. 84/2017) 3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig ist (§ 7).

Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Gemäß Abs. 5 leg.cit. gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Nach den Materialien (RV 952, 22. GP, 54) dient § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband. Ziel der Bestimmungen ist, Familienangehörigen (§ 2 Abs. 1 Z 22) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status des Asylberechtigten zu gewähren, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen (VwGH 6.8.2020, Ra 2020/14/0343).

Da der Erstbeschwerdeführerin bereits aus dem Titel der "westlichen Orientierung" und in der Folge den übrigen Beschwerdeführerinnen gemäß § 34 Abs. 1 und 2 AsylG Asyl zu gewähren war, war auf das übrige asylrelevante Fluchtvorbringen nicht weiter einzugehen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Deshalb war spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage Konversion ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen oder es steht in vielen Punkten die Tatfrage im Vordergrund.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung von Familienangehörigen Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung Familienangehöriger Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft mündliche Verhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W174.2197369.1.00

Im RIS seit

24.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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