TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/13 I416 2167865-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2021
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Entscheidungsdatum

13.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I416 2167865-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH - BBU, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.07.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste legal aus dem Irak aus und stellte nach schlepperunterstützter, illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 07.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am 08.07.2015 wurde er durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen. Dabei gab er befragt zu seinen persönlichen Verhältnissen an, dass er XXXX heiße, am XXXX in Bagdad geboren und Staatsangehöriger des Irak sei. Er sei ledig, seine Muttersprache sei Arabisch, er gehöre der Volksgruppe der Araber an und sei muslimischen/sunnitischen Glaubens. Im Irak habe er neun Jahre lang die Schule besucht und sei zuletzt Polizist gewesen. Im Irak, in Salah ad-Din, würden noch seine Mutter, seine beiden Brüder und seine beiden Schwestern leben. Zu seiner Fluchtroute gab er an, dass er mit dem Flugzeug von Bagdad nach Istanbul geflogen sei und von dort über Griechenland und ihm unbekannte Länder nach Österreich gelangt sei. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er wörtlich aus: „Ich bin Moslem/Sunnit und habe als Polizist gearbeitet. Die Schiiten wollten mich töten. Die Sunniten werden von den Schiiten regelrecht geschlachtet. Aus diesem Grund habe ich meine Heimat verlassen.“ Im Fall seiner Rückkehr in den Irak habe er Angst um sein Leben.

3.       Am 13.04.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er in Bagdad geboren sei, Araber sei, dem muslimischen Glauben (Sunnit) angehöre und Staatsangehöriger des Irak sei. Er gab weiters an, dass er vor seiner Flucht in Bagdad zusammen mit seiner Mutter, seinen beiden Brüdern und seinen zwei Schwestern gewohnt habe. Er habe neun Jahre die Schule und drei Monate die Polizeischule besucht. Im Irak habe er zwischen 2008 und 2015 als Polizist gearbeitet. Im Bagdad würden noch seine Mutter, seine beiden Schwestern und seine Brüder im Haus der Familie wohnen und habe er noch zwei Onkel mütterlicherseits, die ebenfalls in Bagdad leben würden. Er habe seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, weil er Angst um sie habe, da die Telefonnetze durch die Regierung kontrolliert werden würden. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass er zwischen 2008 und 2013 in der Generaldirektion für Sicherheit im Innenministerium gearbeitet habe. Er sei dann, weil er Sunnit gewesen sei, nach Salah-ad-Din in die Stadt Samara in die Direktion für Zivilangelegenheiten verlegt worden. Eines Tages habe sein Vorgesetzter einen unbekannten Anruf erhalten und hätten er und sein Freund dieses Telefonat gehört. Die Anrufer, welche nicht gut Arabisch gesprochen hätten, hätten gewollt, dass Kriegsfahrzeuge in eine Ortschaft einfahren, in welcher Sunniten und Schiiten gewesen seien, um sie zu erobern. Sein Arbeitskollege habe daraufhin einen Bekannten, welcher im irakischen Parlament gearbeitet habe, angerufen und seien nach diesem Anruf viele Mitarbeiter ihrer Einheit festgenommen worden. Nach dieser Festnahme hätte die Regierung auch nach anderen Menschen gesucht und habe er Angst gehabt. Am 11.06.2015 habe ihn ein Freund angerufen und zu ihm gesagt, dass sie zur Direktion gehen müssten, weil diese sie als Zeugen bräuchte. Er sei dann zu seinem Freund gegangen, wo er aus dem Haus Schreie und Weinen gehört habe und habe er von dessen Familie erfahren, dass sein Freund umgebracht worden sei. Dieser Freund sei auch ein Nachbar von ihm gewesen. Er sei dann gleich zu einem Freund in einer anderen Ortschaft gegangen und habe von seiner Mutter erfahren, dass ein paar Männer zu ihnen nach Hause gekommen seien und nach ihm gesucht hätten. Er sei dann noch zwei Tage in der Ortschaft geblieben und habe den Irak am 14.06.2015 verlassen. Er habe Angst um sein Leben gehabt und er wisse, dass er getötet werde, weil er diejenige Person sei, die noch am Leben sei und das Gespräch mitgehört habe. Nachgefragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er nicht persönlich bedroht worden sei, er habe jedoch das Gespräch gehört, da er für jede Kommunikation in der Arbeit zuständig gewesen sei. Die ganze Abteilung hätte gewusst, dass er das Gespräch gehört habe, da bei ihnen alles veröffentlicht werde. Nachgefragt gab er weiters an, dass er nie Schwierigkeiten oder Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt habe, dass er nie in Haft oder festgenommen worden sei, und dass er nach seiner Ausreise aus dem Irak nie persönlich bedroht worden sei. Letztlich gab der Beschwerdeführer an, dass die Regierung nach ihm suchen würde, er Soldat sei und daher nicht in den Irak zurückkehren könnte, da es dort überall gefährlich sei. Auf Vorhalt, wie es ihm möglich gewesen sein sollte, den Irak legal zu verlassen, obwohl die Regierung nach ihm suchen würde und Telefone abhören und überwachen würde, gab er an, dass in dieser Zeit sein Name noch nicht veröffentlicht gewesen sei und die Regierung nicht gewusst habe, dass er den Irak verlassen wollte. Zu seinen persönlichen Lebensumständen im Bundesgebiet führte er aus, dass er von der Grundversorgung leben würde, dass er arbeitsfähig sei und als Maler oder in der Küche arbeiten könnte. Er habe auch viele Veranstaltungen bei der Organisation „ XXXX “ besucht, sei jedoch kein Mitglied in einem Verein. Deutschprüfung habe er keine gemacht, da eine Prüfung EUR 140,00 kosten würde und er ja nur EUR 180,00 erhalten würde. Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme folgende Unterlagen vor: Irakischer Reisepass im Original, irakischer Personalausweis im Original und irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis im Original, irakische Polizeiausweise, Meldekarte, Bezugsscheine, Teilnahmebestätigungen betreffend Deutschkursbesuche, Bestätigung über die freiwillige Tätigkeit beim Frauenverein „ XXXX “, zwei personalisierte Empfehlungsschreiben, Zeitungsausschnitte über seine Teilnahme an einer Ufersäuberung und diverse Fotos.

4.       Mit Bescheid vom 27.07.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt und wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen, sowie „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

5.       Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 02.08.2017 wurde dem Beschwerdeführer die ARGE-Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6.       Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 14.08.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre. Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe. Die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig und würden sich kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetzen. Die Behörde habe zudem mangelhafte Ermittlungen im Hinblick auf angebotene Beweismittel geführt; so habe sie die vorgelegten Urkunden nicht ausreichend untersucht. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung anberaumen und den angefochtenen Bescheid beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich Spruchpunkt II beheben und dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen.

7.       Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.08.2017 vorgelegt.

8.       Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L507 abgenommen und der Gerichtsabteilung I420 neu zugewiesen.

9.       Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 04.06.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung I420 abgenommen und der Gerichtsabteilung I416 neu zugewiesen. Am 01.07.2019 langte der verfahrensgegenständliche Beschwerdeakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I416 ein.

10.      Mit den Schriftsätzen der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 13.07.2021 und 16.07.2021 wurden folgende Dokumente vorgelegt: Bestätigung über die erfolgreiche Absolvierung aller Module des Integrationspasses seitens der Stadtgemeinde XXXX , Teilnahmebestätigungen über den Besuch eines Deutschkurses vom Februar bis Mai 2021, Schulbesuchsbestätigung der Schule für Sozialbetreuungsberufe des XXXX Caritasverbandes mit Öffentlichkeitsrecht, Semesterzeugnis der Schule für Sozialbetreuungsberufe betreffend den Vorbereitungslehrgang für Berufstätige des Sommersemesters im Schuljahr 2018/19, Semesterzeugnis der Schule für Sozialbetreuungsberufe betreffend den Vorbereitungslehrgang für Berufstätige des Wintersemesters im Schuljahr 2019/20, einen Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria bezüglich einer Gewerbeberechtigung mit dem Wortlaut „Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“ mit Gültigkeit ab 17.06.2021, Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeiten der Gemeinde XXXX aus dem Jahr 2019, eine Praktikumsbestätigung hinsichtlich des Vorbereitungslehrgangs zur Ausbildung Fachsozialbetreuer im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 und ein personalisiertes Empfehlungsschreiben.

11.      Am 20.07.2021 erfolgte in Anwesenheit und unter Einvernahme des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht, in welcher zudem XXXX (im Folgenden M.H.) als Zeuge einvernommen wurde. Des Weiteren legte der Beschwerdeführer im Rahmen dieser Beschwerdeverhandlung unterschiedliche Unterlagen hinsichtlich der selbständigen Erwerbstätigkeit sowie diverse Empfehlungsschreiben vor. Am Ende der Beschwerdeverhandlung erging der Beschluss, dass das Ermittlungsverfahren geschlossen wird und dem Beschwerdeführer eine Frist von einer Woche zur Nachreichung des Prüfungszeugnisses A2 gewährt wird.

12.      Am 22.07.2021 langten zwei E-Mails der Deutschtrainerin des Beschwerdeführers beim erkennenden Gericht ein, in welchen auf die Zeitverzögerung bei der Ausstellung von Prüfungszeugnissen hingewiesen und ein E-Mail-Verkehr mit der Prüfungsverwaltung des ÖIF angehängt wurde. Aufgrund dessen stellte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 23.07.2021 einen Antrag auf Fristerstreckung bis zum 03.08.2021.

13.      Mit Schriftsatz der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 27.07.2021 wurden folgende Unterlagen vorgelegt: Bestätigung Land XXXX bezüglich der Grundversorgung bis 25.07.2021, ZMR-Auszug vom 22.07.2021, Einstellungsbescheid Land XXXX über die Grundversorgung vom 26.07.2021.

14.      Am 30.07.2021 wurde dem erkennenden Gericht das Deutschprüfungszertifikat des Beschwerdeführers auf dem Niveau A2 samt Detailergebnis vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund, leidet an keinen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie an. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2015 reiste der Beschwerdeführer legal mit dem Flugzeug von Bagdad in die Türkei und gelangte anschließend über Griechenland schlepperunterstützt durch ihm unbekannte Länder nach Österreich. Der Beschwerdeführer reiste (spätestens) am 07.07.2015 ins Bundesgebiet ein und hält sich seither durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer stammt aus Bagdad und besuchte dort neun Jahre die Grund- und Mittelschule sowie drei Monate die Polizeischule. Anschließend verdiente er sich seinen Lebensunterhalt zunächst mit Gelegenheitsjobs, später als Polizist. In Bagdad leben noch Verwandte des Beschwerdeführers und verfügt der Beschwerdeführer nach wie vor über telefonischen Kontakt zu seiner Mutter und seiner Schwester.

Der Beschwerdeführer ist ledig und verfügt im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte. Er hat jedoch während seines bisherigen Aufenthaltes diverse private Bekanntschaften in Österreich geschlossen, mit welchen er seine Freizeit verbringt.

Der Beschwerdeführer besuchte während seines Aufenthaltes in Österreich Deutschkurse auf den Niveaus A1 und A2 und legte am 03.07.2021 eine Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 positiv ab. Er absolvierte im Jahr 2019 sämtliche Module des Integrationspasses.

Er ist kein Mitglied in einem Verein, besuchte jedoch verschiedene Kurse des Vereins „ XXXX “ und nahm an zahlreichen Veranstaltungen dieses Vereins teil. Außerdem half er im Jahr 2016 freiwillig bei Veranstaltungen des Arabesk Frauenvereins und verrichtete im Jahr 2019 freiwillige Tätigkeiten in einer Gemeinde. Von Februar 2019 bis Februar 2020 nahm an einem zweisemestrigen Vorbereitungskurs an einer Schule für Sozialbetreuungsberufe teil, ohne jedoch eine weiterführende Ausbildung zu absolvieren.

Der Beschwerdeführer meldete mit Gültigkeit ab 17.06.2021 ein Gewerbe mit der Bezeichnung „Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“ an. Seinen Lebensunterhalt finanziert sich der Beschwerdeführer zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt durch Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und er ging während seines Aufenthalts in Österreich bislang keiner legalen unselbständigen Erwerbstätigkeit nach. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Eine entscheidungsrelevante Teilnahme des Beschwerdeführers am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Österreich kann trotz seiner Aufenthaltsdauer von rund sechs Jahren nicht festgestellt werden. Er weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Es liegen keine Hinweise für ein Vorliegen von entscheidungsrelevanten Anknüpfungspunkten in sozialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Natur in Österreich bzw. allenfalls gesetzter entscheidungsrelevanter Integrationsschritte des Beschwerdeführers vor.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Irak Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung/Verfolgung durch unbekannte schiitische Milizen und den irakischen Staat konnte mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Fall seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein würde. Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak übermittelt. Zudem wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Berichte ergänzend eingebracht: EASO Bericht „Iraq Security situation“ vom Oktober 2020, der EASO Bericht „Country Guidance Iraq – Guidance note and common analysis“ vom Jänner 2021, der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland „Irak Gezielte Gewalt gegen Individuen“ vom März 2019, der EASO Bericht „Irak Interne Mobilität“ vom Februar 2019, der EASO Bericht „Irak Zentrale sozioökonomische Indikatoren“ vom Februar 2019, der UNHCR-Bericht „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen [HCR/PC/IRQ/2019/05]“ vom Mai 2019, Anfragebeantwortung zum IRAK vom 24.10.2016 bezüglich Fernbleiben, Desertion, Kündigung von Polizei und Armee; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum IRAK vom 08.09.2017 hinsichtlich Rekrutierung, Desertion/Fernbleiben, Kündigung bei/von Polizei, Armee, PMF, etc. - Update der AFB; Anfragebeantwortung zum Irak vom 06.12.2019 bezüglich des Strafmaßes im Fall einer Desertion von Militärangehörigen (insbesondere 2015 und 2016); ACCORD: Zusammenstellung zu schiitischen Milizen, ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen vom 21. Juni 2021; Anfragebeantwortung zu Irak: Entwicklungen bezüglich der Rolle und des Einflusses der Milizen vom 07.05.2021; Gefahr für Sunniten durch schiitische Milizen vom 16. April 2021, Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation bezüglich der Versorgungs- und Sicherheitslage in Bagdad vom 07.09.2020 und 21.01.2021 und den Asylländerbericht der OB Amman vom Oktober 2020.

Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

Politische Lage:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

-        AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

-        DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

-        Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

-        Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

-        NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

-        Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

-        RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

-        Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

-        ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Allgemeine Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2020 auf 902 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2021 gab es nach vorläufigen geschätzten Angaben bis April nur noch 235 zivile Todesopfer im Irak (Statista 6.5.2021).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (6.5.2021): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2021*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 11.5.2021

Sicherheitslage Bagdad

Bagdad liegt im Tigris-Tal im Zentrum des Irak und ist flächenmäßig das kleinste Gouvernement. Die Hauptstadt des Irak, Bagdad-Stadt, befindet sich im Gouvernement Bagdad. Bagdad-Stadt setzt sich aus den Bezirken zusammen: Adhamiyah, Karkh, Karada, Khadimiyah, Mansour, Sadr City, AI Rashid, Rusafa und 9 Nissan ("neues Bagdad"). Der Rest des Gouvernements Baghdad besteht aus den Bezirken AI Madain, Taji, Tarmiyah, Mahmudiyah und Abu Ghraib. Für das Jahr 2019 wurde die Bevölkerung des Gouvernements auf 8.340.711 geschätzt, wobei die Mehrheit schiitische und sunnitische Muslime sind.

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Nach dem jüngsten Bericht (EASO Security Situation), der am 30.10.2020 publiziert wurde, ereigneten sich im Jahr 2019 im gesamten Gouvernement Bagdad 42 sicherheitsrelevante Vorfälle, bei denen 37 Personen ums Leben kamen und 13 Personen verletzt wurden; im ersten Halbjahr 2020 ereigneten sich vier Vorfälle, bei denen drei Personen getötet und acht verletzt wurden; dies bei einer Einwohnerzahl von mehr als 6 Mio. Auch die Proteste, die zT sehr gewaltsam waren, vermögen nicht nachhaltig das positive Bild zu ändern. Sie sind auf bestimmte Plätze beschränkt und nicht in der ganzen Stadt Bagdad und vermögen daher nicht die Sicherheitslage in ganz Bagdad zu beeinträchtigen. Grundsätzlich ist der Staat seit dem Bezwingen des IS vor drei Jahren insgesamt gestärkt und vermag seiner Schutzfunktion vermehrt nachzukommen (EASO).

Für Bagdad-Stadt vertritt EASO die Auffassung, dass die Stadt Bagdad und ihre Vorstädte generell unter Kontrolle der Behörden sind. Die Behörden teilen jedoch diese Macht mit schiitisch dominierten PMU, was zu unvollständiger oder überlappender Kontrolle führen kann. Im Jahr 2018 ging die Aktivität des IS in der Stadt signifikant zurück. Die Hauptursachen von Gewalt waren 2018 Akte politischer Einschüchterung, bewaffnete Scharmützel und gezielte Tötungen zwischen Schiiten im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und politischen Konkurrenz. Im Jahr 2018 war der Stadtteil Adhamiya mit 8,3 zivilen Toten auf 100.000 Einwohner der Ort mit der höchsten Gewalt in Bagdad. Im Lichte dieser Indikatoren schließt EASO, dass im Gouvernement Bagdad willkürliche Gewalt auf keinem so hohen Grad vorkommt und höherer individuelle Elemente vorliegen müssen, um substanzielle Gründe annehmen zu können, dass eine Zivilperson, die in diese Gegend zurückkehrt, einem realen Risiko eines ernsten Schadens ISd Art 15 (c) der Statusrichtlinie begegnet. Die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Strom, Gütern des täglichen Bedarfs und medizinischer Versorgung ist in Bagdad gesichert, wobei rund die Hälfte der Bewohner Bagdads gut und eine weitere Hälfte ausreichend versorgt ist. Ca. l % der Bevölkerung in Bagdad ist nicht ausreichend versorgt (EASO, socio-economic indicators).

Hieraus ist - im Einklang mit der aktuellen Sicherheitslage und der diese nicht einbeziehende, auf der Entwicklung im Irak bis 2018 aufbauenden Einschätzung des UNHCR zur Möglichkeit, wieder in Bagdad selbst ohne familiären Rückhalt Fuß fassen zu können - abzuleiten, dass eine Rückkehr von Personen, die keine besonderen Vulnerabilitäten aufweisen und noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen, keine Verletzung der in Art 2 und 3 EMRK und dem 6. und 13. ZPEMRK gewährleisteten Rechte zu befürchten haben. Ebensowenig besteht ein reales Risiko als Zivilperson Opfer von Gewalt aufgrund eines innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konfliktes zu werden.

Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste von ISIS in den Vororten von Bagdad („Bagdad-Gürtel“) aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit von ISIS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass ISIS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den „Bagdad-Gürtel“ verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll ISIS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten statt.

In Bezug auf die Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen.

Im Gouvernement Bagdad ereignen sich nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle, jedoch nicht flächendeckend und mit derartiger Regelmäßigkeit, dass automatisch Gründe vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Bagdad zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Quellen:

-         Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

-        OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, http://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 23f sowie S 141, Zugriff 09.08.2020

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation (October 2020), https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, S 80f, Zugriff 09.08.2021

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation (March 2019), https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COI-Report-Iraq-Security-situation.pdf, S 77, Zugriff 09.08.2021

-        EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis (January 2021), https://easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf, S 136, Zugriff 09.08.2021

Sicherheitslage Salah al-Din

Salah al-Din befindet sich im Zentralirak. Es ist in neun Bezirke unterteilt: al-Dour, al-Shirqat, Balad, Baiji, Fares, Samarra, Thethar, Tuz (umstrittenes Gebiet) und Tikrit. Für das Jahr 2019 wurde die Einwohnerzahl des Gouvernements auf l 637 232 geschätzt. Das Gouvernement Salah al-Din wird überwiegend von sunnitischen Arabern bewohnt. Die Hauptstadt des Gouvernements, die Stadt Tikrit, ist der Geburtsort von Saddam Hussein und gilt als wichtiges Machtzentrum der sunnitischen Araber. Salah al-Din beherbergt Raffinerien von strategischer Bedeutung.

ISIL-Kräfte haben im Sommer 2014 Teile des Gouvernements Satah al-Din erobert. Das Gouvernement Salah al-Din war eines der ersten, das im Rahmen der von den irakischen Streitkräften geführten Offensive gegen ISIL im Jahr 2015 befreit wurde. Salah al-Din war auch eines der ersten Gouvernements, das eine groß angelegte Rückkehr von Binnenvertriebenen erlebte. Die ISF haben die Gesamtverantwortung für die Sicherheit im Gouvernement und üben nominell die Kontrolle aus. Berichten zufolge haben die PMU de facto die Kontrolle über große Teile des Gouvernements Salah al-Din. Es wurde auch von der Anwesenheit einiger sunnitischer Stammesgruppen berichtet. Es gibt Hinweise darauf, dass auch Peshmerga in dem Gebiet präsent sind, allerdings fehlt es ihnen an einer starken Kooperation mit den ISF, wodurch operative Lücken entstehen, die der ISIL ausnutzt. Der ISIL ist immer noch im Gouvernement präsent und operiert, vor allem in den ländlichen und verlassenen Gebieten.

Im Mai 2020 wurde berichtet, dass das Gouvernement Salah al-Din in Bezug auf Angriffe während des gesamten Jahres 2019 und Anfang 2020 durchgängig das niedrigste oder zweitniedrigste der sechs Gouvernements war, die unter dem ISIL-Aufstand leiden, aber immer noch Anzeichen für eine Erholung des ISIL zu verzeichnen sind. Es wurde von einem aufkommenden Trend berichtet, Bomben zu bauen und Bomben am Straßenrand zu platzieren, sowie von einem Fokus auf Angriffe auf isolierte Kontrollpunkte in Stand-up-Kämpfen mit ISIL-Einheiten in Zuggröße. Es wurde auch berichtet, dass die Angriffe auf sunnitische Prediger und Offiziere der Stammesmobilisierungskräfte, die gegen den ISIL kämpfen, zugenommen haben, während die Angriffe auf Dorfvorsteher und Bauern fortgesetzt wurden. Als Reaktion auf die anhaltenden und verstärkten Aktivitäten des ISIL haben die ISF mehrere größere koordinierte Anti-ISIL-Militäroperationen durchgeführt, die die Aktivitäten des ISIL verlangsamten, ihn aber nicht auslöschten. ISIL-Überbleibsel tragen häufig Beobachtern zufolge haben die jüngsten Angriffe des ISIL jedoch gezeigt, dass sich die Ziele des ISIL verlagert haben, indem sie häufiger und direkter auf die ISF und die mit ihnen verbundenen regierungsfreundlichen Kräfte abzielen, wodurch die Fähigkeit dieser Sicherheitsakteure geschwächt wird, die Zivilbevölkerung zu schützen.

ACLED meldete im Berichtszeitraum insgesamt 327 Sicherheitsvorfälle (durchschnittlich 4 Sicherheitsvorfälle pro Woche) im Gouvernement Salah al-Din, von denen die meisten als Kämpfe und Vorfälle von entfernter Gewalt/Explosionen kodiert wurden. Sicherheitsvorfälle gab es in fast allen Bezirken des Gouvernements, wobei die größte Gesamtzahl in den Bezirken al-Daur, Baiji und Tikrit verzeichnet wurde. UNAMI registrierte 43 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, davon 31 im Jahr 2019 und 12 vom l. Januar bis zum 31. Juli 2020 (durchschnittlich 0,5 Sicherheitsvorfälle pro Woche im gesamten Bezugszeitraum).

Im Bezugszeitraum verzeichnete UNAMI insgesamt 146 zivile Opfer (55 Tote und 91 Verletzte) bei den oben genannten bewaffneten konfliktbezogenen Zwischenfällen. Genauer gesagt wurden 97 zivile Opfer im Jahr 2019 und 49 zivile Opfer vom l. Januar bis 31. Juli 2020 gemeldet. Im Vergleich zu den offiziellen Zahlen für die Bevölkerung im Gouvernement entspricht dies 9 zivilen Opfern pro 100 000 Einwohner für den gesamten Berichtszeitraum.

Am 30. Juni 2020 stammten 11 % der gesamten IDP-Bevölkerung im Irak aus dem Gouvernement Salah al-Din. Gleichzeitig beherbergte das Gouvernement Salah al-Din eine Gesamtzahl von 68 700 Binnenvertriebenen. Die Rückkehr in das Gouvernement Salah al-Din übersteigt die Zahl der Vertriebenen, und das Gouvernement Salah al-Din steht weiterhin an dritter Stelle der Gouvernements mit der höchsten Zahl an Rückkehrern, die bis zum 30. Juni 2020 insgesamt 692 142 Rückkehrer verzeichneten, von denen viele unter schwierigen Bedingungen leben. Im Laufe des Jahres 2019 wurden viele Binnenvertriebene durch erzwungene und verfrühte Rückkehr und erzwungene oder erzwungene Abwanderung aus Lagern und informellen Siedlungen in Salah al-Din in eine sekundäre Vertreibung gezwungen.

Salah al-Din ist eines der Gouvernements mit besonders vielen Infrastrukturschäden als Folge des Konflikts, vor allem in Bezug auf Schäden an Wohnungen, im landwirtschaftlichen Sektor und im Bereich Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene. Der Wiederaufbau in den vom Konflikt stark betroffenen Gouvernements, einschließlich Salah al-Din, verlief 2019 nur langsam. Berichten zufolge stellt die Verseuchung mit Kampfmitteln auch ein Hindernis für die sichere Rückkehr von Binnenvertriebenen sowie für die Durchführung humanitärer Aktivitäten in Salah al-Din dar.

Aus den Indikatoren lässt sich schließen, dass im Gouvernement Salah al-Din willkürliche Gewalt stattfindet, allerdings nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an einzelnen Elementen erforderlich, um stichhaltige Gründe für die Annahme zu liefern, dass eine in das Gebiet zurückgekehrte Zivilperson einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) QD ausgesetzt wäre.

Rechtsschutz/Justizwesen

Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (F

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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