TE Vwgh Erkenntnis 1996/11/21 95/20/0338

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Veröffentlicht am 21.11.1996
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. April 1995, Zl. 4.317.129/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. April 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 29. Dezember 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 11. Jänner 1991 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 3. Juli 1991, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.

Der Beschwerdeführer hatte seinen schriftlichen Asylantrag wie folgt ausgeführt:

"Ich stamme aus der Provinz Bingöl und bin Angehöriger des kurdischen Volkes. Grund- und Hauptschule habe ich dort besucht und abgeschlossen. Wir wurden von der dortigen Polizei als Terroristen bezeichnet, ich wurde mehrmals in Polizeigewahrsam genommen und im Gefängnis auch gefoltert. Der Vorwurf war, daß ich den türkischen Staat bekämpfen wolle. Meine Familie und ich konnten diese Mißhandlung nicht weiter ertragen. Deshalb haben wir unser Hab und Gut verkauft und sind nach Istanbul geflohen. Wegen meiner Zugehörigkeit zum kurdischen Volk konnte ich weder studieren noch arbeiten. Am 1.5.1988 habe ich in Istanbul an der Demonstration zum 1. Mai teilgenommen. Einige Freunde und ich selbst wurden verhaftet. Eine Woche lang wurden wir schwer gefoltert. Damit war ich polizeibekannt und jedes Mal, wenn wieder etwas passierte, wurde ich festgenommen und verhört. Aufgrund dieser Situation habe ich mich entschlossen, ins Ausland zu flüchten. Ich habe durch Bestechung

(ca. 1,5 Mill. TL) einen Paß bekommen, da mir auf legale Art kein Paß ausgestellt werden konnte. Durch eine Schlepperorganisation, der ich ca. 3.000,- DM bezahlt habe, wurde ich an die österreichisch-jugoslawische Grenze gebracht. Beim Grenzübertritt wurde ich von Grenzbehörden gestellt und nach Jugoslawien zurückgeschickt. Dort wurde ich festgenommen und einen Tag festgehalten, ich mußte eine Geldstrafe bezahlen. Am 30.12.1990 bin ich über die grüne Grenze nach Österreich gekommen. Ich kann nicht mehr in die Türkei zurückkehren, da ich gesucht werde. Deshalb habe ich auch diese Risiken auf mich genommen."

Anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 25. Juni 1991 gab der Beschwerdeführer an, er sei Kurde und Alevite. Er habe von 1972-1977 die Volksschule, 1977-1980 die Mittelschule, 1980-1981 ein Berufsgymnasium in Bingöl besucht, die letztgenannte Schule aber nicht abgeschlossen. Von 1985-1990 habe er in Istanbul als Maler und Anstreicher gearbeitet, seinen Militärdienst habe er von 6. Juni 1985 bis 30. November 1986 geleistet.

Als Fluchtbegründung gab er an:

"Ich möchte eingangs ausdrücklich auf meinen schriftlichen Asylantrag vom 9. Jänner 1991 verweisen in welchem die wesentlichsten Gründe für meine Flucht bzw. Abreise aus der TR festgehalten sind. Ergänzend dazu gebe ich an: Ich bin Kurde und stamme aus der Provinz Bingöl. Dies ist eine kurdische Provinz und obwohl ich ein fleißiger Schüler bin, mußte ich meine Schulausbildung abbrechen, weil ich sowohl von meinen türkischen Lehrern als auch von den Mitschülern schikaniert wurde. 1979 wurde ich auf Grund einer Anzeige d. Schuldirektion von d. Polizei festgenommen, da ich als linksgerichteter Schüler bekannt war. Ich war für 24 Std. in Haft und dabei auch geschlagen. 1985 zog ich nach Istanbul weil ich der Unterdrückung in Bingöl entgehen wollte. In Istanbul wollte ich meine Schulausbildung fortsetzen, wurde jedoch auf Grund meiner kurdischen Herkunft nicht in der Schule aufgenommen. In Istanbul war ich zwar keinen konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt, wurde jedoch als Mensch 2. Klasse behandelt. Ich habe mich z.B. um einen Posten bei d. Gemeinde in Istanbul beworben, wurde jedoch nicht aufgenommen, weil ich Kurde bin. Öst. ist ein freies Land und hier werden die Menschenrechte beachtet. Ich habe deshalb nicht in YU bereits um politisches Asyl angesucht, da ich der Ansicht bin, daß die Leute dort ja noch mehr Probleme haben als die Türken. Mehr kann ich dazu nicht angeben."

In seiner gegen die formularmäßig gehaltene abweisende Entscheidung der ersten Instanz erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer in gekürzter Form sein Vorbringen wie im schriftlichen Asylantrag.

Die belangte Behörde erließ darauf den Bescheid vom 1. Dezember 1993, welcher vom Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0178, infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, aufgehoben wurde.

Im fortgesetzten Verfahren räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit ein, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz, welche er im Rahmen seiner Berufung möglicherweise nicht relevierte, nunmehr auszuführen. Darüber hinaus forderte ihn die belangte Behörde zur Stellungnahme im Hinblick auf § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 (Annahme der Sicherheit vor Verfolgung in Jugoslawien) auf.

Der Beschwerdeführer antwortete in seiner Berufungsergänzung nur zu dem § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 betreffenden Teil des Vorhaltes, rügte aber hinsichtlich seiner Fluchtgründe keinen Verfahrensmangel des erstinstanzlichen Verfahrens.

Die belangte Behörde erließ darauf den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie begründete wie folgt:

"Die erkennende Behörde übernimmt in Erledigung Ihrer Berufung die Sachverhaltsfeststellung und - sollte man den von Ihnen behaupteten Verfolgungshandlungen in Istanbul nicht wie anher ausgeführt die Glaubwürdigkeit versagen - die rechtliche Beurteilung des ho. Bescheides vom 01.12.1993,

Zahl 4.317.129/2-III/13/91, welcher Ihnen am 11.12.1993 zugestellt worden ist.

Zur Rechtslage ist dazu ergänzend auszuführen, daß die Parteienvernehmung im Asylverfahren regelmäßig das zentrale Bescheinigungsmittel darstellt, um die Behauptungen, die der Asylwerber im Rahmen des Vorbringens (im technischen Sinn) aufstellt, auf ihre Glaubhaftigkeit zu überprüfen. Die Vernehmung Ihrer Person vermochte nun die von Ihnen behaupteten Verfolgungshandlungen in Istanbul - auch wenn Sie bei Ihrer niederschriftlichen Einvernahme auf Ihre Ausführungen in Ihrem schriftlichen Asylantrag verwiesen - nicht zu bescheinigen und ist diesen und mittelbar auch Ihren diesbezüglichen Ausführungen in Ihrer Berufung sowie in Ihrer Berufungsergänzung, insbesondere da Asylwerber erfahrungsgemäß bei der niederschriftlichen Einvernahme jene Angaben machen, die der Wahrheit am nächsten kommen und Sie bei dieser angaben in Istanbul zwar als "Mensch zweiter Klasse" behandelt - was ja, wie bereits im ho. Bescheid vom 01.12.1993 dargelegt, nicht geeignet ist, Ihre Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Asylgesetzes 1991 zu rechtfertigen - jedoch keinen konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein, ohnedies die Glaubwürdigkeit zu versagen.

In Ihrem Fall deutet nichts darauf hin, daß Sie bei einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat aus Konventionsgründen und von staatlicher Seite Beeinträchtigungen von derartiger Intensität des Eingriffs ausgesetzt sein könnten, daß sie die Qualifikation als "Verfolgung" im technischen Sinn rechtfertigen könnten.

Da Sie nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Ziffer 1 AsylG 1991 sind, konnte Ihnen nicht gem. § 3 leg. cit. Asyl gewährt werden. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Insofern der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Bescheid lasse nicht erkennen, "ob und welchen behaupteten Verfolgungshandlungen die Glaubwürdigkeit versagt" worden sei, ist ihm zu entgegnen, daß - trotz des verschachtelten Satzaufbaues - eindeutig zu erkennen ist, daß die belangte Behörde - gestützt auf die Aussage in der niederschriftlichen Einvernahme vom 25. Juni 1991, der Beschwerdeführer wäre in Istanbul keinen konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen - dem hiezu im Widerspruch stehenden Vorbringen im schriftlichen Asylantrag und dessen Wiederholung in der Berufung die Glaubwürdigkeit versagt hat. Der Beschwerdeführer wurde anläßlich der Aufnahme dieser Niederschrift in Anwesenheit eines Dolmetsch - entgegen der in der Beschwerde vorgebrachten Ansicht, er sei bei der Einvernahme nur mehr befragt worden, "ob die Angaben in meinem schriftlichen Antrag richtig sind" - ergänzend befragt. Er hat nicht bloß eine konkrete Verfolgung in Istanbul - widersprechend zu seinem schriftlichen Asylantrag und zum einleitenden Verweis auf diesen - nunmehr verneint, sondern hiezu näher ausgeführt, als Mensch 2. Klasse behandelt worden zu sein. Er hat dazu detailliert angegeben, anläßlich der Postenbewerbung bei der Gemeinde Istanbul benachteiligt worden zu sein, weil er Kurde sei.

Da der Beschwerdeführer weder Verständigungsprobleme mit dem Dolmetsch noch behauptet, daß er diese Aussagen nicht getätigt habe oder sie unrichtig protokolliert worden seien, sowie wegen der der Verneinung einer konkreten Verfolgung in Istanbul folgenden Detailausführungen des Beschwerdeführers hegt der Verwaltungsgerichtshof keinen Zweifel an der diesbezüglichen Richtigkeit der Niederschrift. Mangels entgegenstehendem Vorbringen ist aber die Ansicht der belangten Behörde, die anläßlich der Parteienvernehmung inhaltlich gemachten Angaben (also nicht der bloße Verweis auf den schriftlichen Asylantrag) entsprächen am ehesten der Wahrheit, nicht als unschlüssig anzusehen.

War der Beschwerdeführer aber in Istanbul keiner Haft, Folter und anschließender weiterer Inhaftierung ausgesetzt, so braucht auf die auf der gegenteiligen Sachverhaltsannahme basierende Eventualbegründung der belangten Behörde und das hiegegen erstattete Beschwerdevorbringen nicht eingegangen zu werden.

Das übrige als glaubwürdig erachtete Sachverhaltsvorbringen des Beschwerdeführers ist nicht geeignet, seine asylrechtlich relevante Verfolgung darzutun. Denn die belangte Behörde befindet sich im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wenn sie den Ereignissen in Bingöl bis zur Übersiedlung des Beschwerdeführers nach Istanbul im Jahre 1981 den erforderlichen zeitlichen Konnex zur Ausreise des Beschwerdeführers abgesprochen hat (vgl. zB. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/0181); ebenso, wenn sie der wirtschaftlichen bzw. schulischen Benachteiligung des Beschwerdeführers keine asylrechtliche Relevanz beigemessen hat (denn dem Beschwerdeführer war die wirtschaftliche Existenzgrundlage nicht entzogen, er konnte als Maler und Anstreicher in Istanbul arbeiten; vgl. zB. die hg. Erkenntnisse vom 25. April 1995, Zl. 94/20/0790 - betreffend Arbeitslosigkeit, und vom 16. März 1994, Zlen. 93/01/0982, 0997 - betreffend Studium).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995200338.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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