TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/2 W158 2190697-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.09.2021
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Entscheidungsdatum

02.09.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W158 2190697-1/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL über die Beschwerde des XXXX XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. László SZABÓ, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.06.2021 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und XXXX XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheids werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 02.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er in der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) damit, dass er aufgrund der Tätigkeit von Familienmitgliedern für die Regierung von den Taliban bedroht worden sei. Zwei seiner Brüder seien deswegen bereits getötet worden.

I.2. Mit Bescheid vom 27.02.2018, dem BF am 02.03.2018 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Dazu führte das BFA mit näherer Begründung aus, der BF habe sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft gemacht. Der junge, gesunde und arbeitsfähige BF könne zwar nicht in seine Heimatprovinz zurückkehren, allerdings sei ihm eine Rückkehr nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Sein Antrag auf internationalen Schutz sei daher abzuweisen. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Die öffentlichen Interessen würden die privaten Interessen des BF überwiegen, weswegen auch die Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.3. Am 23.03.2018 erhob der BF Beschwerde wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens und beantragte, ihm nach Durchführung einer Verhandlung Asyl in eventu subsidiären Schutz zu gewähren, jedenfalls die Rückkehrentscheidung aufzuheben, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Begründend verwies er auf sein Vorbringen im Verfahren, das entgegen der Ansicht des BFA glaubhaft sei. Unabhängig davon stehe die Sicherheits- und Versorgungslage in ganz Afghanistan einer Rückkehr des BF entgegen.

I.4. Am 29.03.2018 langte die Beschwerde und der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein, wobei das BFA die Abweisung der Beschwerde beantragte.

I.5. Nachdem der BF mehrere Integrationsunterlagen und Stellungnahmen vorgelegt hatte, führte das Bundesverwaltungsgericht am 23.06.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen und seinen Fluchtgründen befragt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-        Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-        Einsicht in die in das Verfahren eingeführte Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat sowie die vom BF vorgelegten Unterlagen;

-        Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung am 23.06.2021;

-        Einsicht in das Strafregister, in das Grundversorgungssystem und in das Zentrale Melderegister.

II. Feststellungen:

II.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den Namen XXXX XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Paschtunen und der sunnitischen Glaubensrichtung an. Seine Muttersprache ist Paschtu.

Der BF stammt aus dem Dorf XXXX im Distrikt Zary in der Provinz Kandahar, wo er bis zur Ausreise aufwuchs. Der BF hat drei Brüder und sechs Schwestern. Der BF besuchte ein Jahr eine Madrassa, wo er alphabetisiert wurde. Seit seiner Kindheit hat der BF in der elterlichen Landwirtschaft mitgeholfen. Die Eltern und die Schwestern des BF, die allesamt verheiratet sind, leben so wie weitere Verwandte, weiterhin in Kandahar. Das Elternhaus des BF sowie die elterliche Landwirtschaft gehören nach wie vor der Familie.

Etwa ein Jahr vor seiner Ausreise hat sich der BF mit der Tochter der Cousine seines Vaters verlobt. Er hat mit seiner Verlobten noch nie im gemeinsamen Haushalt zusammengewohnt. Seine Verlobte lebt ebenfalls noch in Kandahar.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF absolviert im Bundesgebiet seit Juli 2018 eine Lehre zum Koch/Kellner. Im Rahmen seiner Tätigkeiten arbeitet der BF auch mit Schweinefleisch und Alkohol.

II.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Ein Bruder des BF, der mittlerweile in Italien lebt, arbeitete bei der Polizei in Afghanistan. Nachdem die Taliban das erfahren hatten, bedrohten sie die männlichen Familienmitglieder außer dem Vater des BF. Zwei Brüder des BF wurden von den Taliban umgebracht, nachdem die Familie die Drohungen ignorierte. Die Taliban unterstellen der Familie damit zumindest eine oppositionelle politische Gesinnung.

Der BF würde jedenfalls nach der Machtübernahme durch die Taliban auch bei einer Rückkehr im gesamten Staatsgebiet wiederum in das Blickfeld der Taliban geraten und wäre Vergeltungsmaßnahmen bis hin zur Ermordung ausgesetzt.

Dem BF droht bei einer Rückkehr ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, derzeit nicht befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Es ist dem BF nicht möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten bei einer Ansiedlung in Afghanistan Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

II.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

II.3.1. Sonderkurzinformation 17.08.2021

Der afghanische Präsident Ashraf Ghani ist angesichts des Vormarsches der Taliban auf Kabul außer Landes geflohen. Laut al-Jazeera soll das Ziel Taschkent in Usbekistan sein. Inzwischen haben die Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Suhail Schahin, ein Unterhändler der Taliban bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, versicherte den Menschen in Kabul eine friedliche Machtübernahme und keine Racheakte an irgendjemanden zu begehen (tagesschau.de 15.8.2021).

Am 15.08.21 haben die Taliban mit der größtenteils friedlichen Einnahme Kabuls und der Besetzung der Regierungsgebäude und aller Checkpoints in der Stadt den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Man wünsche sich friedliche Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft. Die erste Nacht unter der Herrschaft der Taliban im Land sei ruhig verlaufen. Chaotische Szenen hätten sich nur am Flughafen in Kabul abgespielt, von welchem sowohl diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Den Taliban war es zuvor gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Provinzen sowie alle strategisch wichtigen Provinzhauptstädte wie z.B. Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Kunduz einzunehmen. In einigen der Städte seien Gefängnisse gestürmt und Insassen befreit worden (BAMF 16.8.2021; vgl. bbc.com o.D., orf.at 16.8.2021).

Die Taliban zeigten sich am Sonntag gegenüber dem Ausland unerwartet diplomatisch. „Der Krieg im Land ist vorbei“, sagte Taliban-Sprecher Mohammed Naim am Sonntagabend dem Sender al-Jazeera. Bald werde klar sein, wie das Land künftig regiert werde. Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit würden respektiert, wenn sie der Scharia entsprächen. Man werde sich nicht in Dinge anderer einmischen und Einmischung in eigene Angelegenheiten nicht zulassen (orf.at 16.8.2021a).

Schätzungen zufolge wurden seit Anfang 2021 über 550.000 Afghanen durch den Konflikt innerhalb des Landes vertrieben, darunter 126.000 neue Binnenvertriebene zwischen dem 7. Juli 2021 und dem 9. August 2021. Es gibt zwar noch keine genauen Zahlen über die Zahl der Afghanen, die aufgrund der Feindseligkeiten und Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen sind, es deuten aber Quellen darauf hin, dass Zehntausende von Afghanen in den letzten Wochen internationale Grenzen überquert haben (UNHCR 8.2021).

Der Iran richtete angesichts des Eroberungszugs der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Pufferzonen für Geflüchtete aus dem Krisenstaat ein. Die drei Pufferzonen an den Grenzübergängen im Nord- sowie Südosten des Landes sollen afghanischen Geflüchteten vorerst Schutz und Sicherheit bieten. Indes schloss Pakistan am Sonntag einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest (orf.at 16.8.2021b).

Mittlerweile baut die Türkei an der Grenze zum Iran weiter an einer Mauer. Damit will die Türkei die erwartete Ankunft von afghanischen Flüchtlingen verhindern (Die Presse 17.8.2021).

Medienberichten zufolge haben die Taliban in Afghanistan Checkpoints im Land errichtet und sie kontrollieren auch die internationalen Grenzübergänge (bisherige Ausnahme: Flughafen Kabul). Seit Besetzung der strategischen Stadt Jalalabad durch die Taliban, wurde eine Fluchtbewegung in den Osten (Richtung Pakistan) deutlich erschwert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen aus dem westlichen Teil des Landes oder aus Kabul nach Pakistan gelangen ist gegenwärtig eher gering einzuschätzen. Es ist naheliegender, dass Fluchtrouten ins Ausland über den Iran verlaufen. Es ist jedoch auch denkbar, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Afghanistans (statt einer Route über den schiitisch dominierten Iran) stattdessen die nördliche, alternative Route über Tadschikistan oder auch Turkmenistan wählt. Bereits vor zwei Monaten kam es laut EU-Kollegen zu einem Anstieg von Ankünften afghanischer Staatsbürger in die Türkei. Insofern ist davon auszugehen, dass eine erste Migrationsbewegung bereits stattgefunden hat. Pakistan gibt laut Medienberichten an, dass der Grenzzaun an der afghanisch-pakistanischen Grenze halte (laut offiziellen Angaben sind etwa 90 Prozent fertiggestellt) (VB 17.8.2021).

Laut Treffen mit Frontex, kann zur Türkei derzeit noch keine Veränderung der Migrationsströme festgestellt werden. Es finden täglich nach Schätzungen ca. max. 500 Personen ihren Weg (geschleust) vom Iran in die Türkei. Dies ist aber keine außergewöhnlich hohe Zahl, sondern eher der Durchschnitt. Der Ausbau der Sicherung der Grenze zum Iran mit Mauer und Türmen schreitet immer weiter voran, und nach einstimmiger Meinung von Mig VB und anderen Experten kann die Türkei mit ihrem Militär (Hauptverantwortlich für die Grenzsicherung) und Organisationen (Jandarma, DCMM) jederzeit, je nach Bedarf die illegale Einreise von Flüchtlingen aus dem Iran kontrollieren. Die Türkei ist jedoch - was Afghanistan angeht - mit sehr hohem Interesse engagiert. Auch die Türkei möchte keine neunen massiven Flüchtlingsströme über den Iran in die Türkei (VB 17.8.2021a).

IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen. Die Aussetzung der freiwilligen Rückkehr erfolgt bis auf Widerruf (IOM 16.8.2021).

Während die radikalislamischen Taliban ihren Feldzug durch Afghanistan vorantreiben, gehören Frauen und Mädchen zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Schon in der letzten Regierungszeit der Taliban (1996–2001) herrschten in Afghanistan extreme patriarchale Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen sowie strukturelle Gewalt und Hinrichtungen von Frauen. Die Angst vor einer Wiederkehr dieser Gräueltaten ist groß. Eifrig sorgten Kaufleute in Afghanistans Hauptstadt Kabul seit dem Wochenende bereits dafür, Plakate, die unverschleierte Frauen zeigten, aus ihren Schaufenstern zu entfernen oder zu übermalen – ein Sinnbild des Gehorsams und der Furcht vor dem Terror der Taliban (orf.at 17.8.2021).

Quellen:

•        BAMF (16.8.2021): Briefing Notes, per Email

•        bbc.com (o.D.): Afghanistan: US takes control of Kabul airport to evacuate staff from countryhttps://www.bbc.com/news/world-asia-58227029, Zugriff 16.8.2021

•        Die Presse (17.8.2021): Die Türkei schottet sich mit Mauer gegen Flüchtlinge ab, https://www.diepresse.com/6021855/die-turkei-schottet-sich-mit-mauer-gegenfluchtlinge-ab, Zugriff 17.8.2021

•        IOM (16.8.2021): Aussetzung der Freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, per Email

•        orf.at (16.8.2021): Krieg in Afghanistan ist vorbei, https://orf.at/stories/3225020/, Zugriff 16.8.2021

•        orf.at (16.8.2021a): Verzweifelte Fluchtversuche aus Kabul, https://orf.at/stories/3225106/, Zugriff 17.8.2021

•        orf.at (16.8.2021b): Nachbarländer in großer Unruhe, https://orf.at/stories/3225071/, Zugriff 17.8.2021

•        orf.at (17.8.2021): Ein Alptraum für Frauen, https://orf.at/stories/3225041/, Zugriff 17.8.2021

•        tagesschau.de (15.8.2021): Präsident Ghani ins Ausland geflohen, https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-kabul-ghani-101.html, Zugriff 16.8.2021

•        UNHCR (8.2021): UNHCR Position on Returns to Afghanistan, Refworld | UNHCR Position on Returns to Afghanistan, Zugriff 17.8.2021

•        VB – Verbindungsbeamtin des BM.I für Thailand/Pakistan [Österreich] (17.8.2021): Auskunft des VB, per Email

•        VB – Verbindungsbeamter des BM.I für Türkei [Österreich] (17.8.2021a): Auskunft des VB, per Email

II.3.2. Kurzinformation der Staatendokumentation

Aktuelle Lage

Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a).

Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a).

Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b).

Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c).

Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d).

Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.8.2021).

Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SR-Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (VN 18.8.2021).

Die Anführer der Taliban

Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen Taliban-Führer auch nach außen auf.

Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des Scharia-Gerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird.

Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die Taliban-Einsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht.

Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban-Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an.

Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (orf.at o.D.b; vgl. bbc.com o.D.c).

Stärke der Taliban-Kampftruppen

Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (orf.at o.D.b).

Quellen:

•        bbc.com (o.D.a): Afghan women to have rights within Islamic law, Taliban say, https://www.bbc.com/news/world-asia-58249952

•        bbc.com (o.D.b): Flag-waving protesters defy Taliban in Afghan city, https://www.bbc.com/news/live/world-asia-58219963, Zugriff 18.8.2021

•        bbc.com (o.D.c): Afghanistan: Who's who in the Taliban leadership, https://www.bbc.com/news/world-asia-58235639, Zugriff 18.8.2021

•        bbc.com (o.D.d): Taliban step up hunt for collaborators - UN report, https://www.bbc.com/news/live/world-asia-58219963, Zugriff 19.8

•        orf.at (o.D.a): Sorge um afghanische Ortskräfte wächst, https://orf.at/stories/3225305/, Zugriff 18.8.2021

•        orf.at (o.D.b): Die Anführer des Taliban-Netzwerks, https://orf.at/stories/3225195/, Zugriff 18.8.2021

•        orf.at (o.D.c): Erneut Tote bei Kundgebung gegen Taliban, https://orf.at/stories/3225444/, Zugriff 19.8.2021

•        zdf.de (18.8.2021): Die aktuelle Entwicklung in Afghanistan, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-taliban-blog-100.html, Zugriff 18.8.2021

•        UN Bericht – Ständige Vertretung Österreichs bei den VN (18.8.2021): Briefing zur Lage in AF in NY 17.8.2021, per Email

II.3.3. allgemeine Lage

Die Taliban haben in Afghanistan so gut wie kampflos die Macht übernommen, während der Präsident und einige weitere Regierungsmitglieder ins Ausland geflohen sind. Der erste Vizepräsident der international anerkannten Regierung befindet sich nach seinen eigenen Angaben noch in Afghanistan und bezeichnet sich als rechtmäßiger Übergangspräsident. Er hat öffentlich aufgerufen, sich dem Widerstand anzuschließen, der sich versucht, im Pandschir-Tal zu organisieren. Im gesamten restlichen Staatsgebiet haben die Taliban die Staatsfunktionen übernommen und bereits einen Angriff auf die Widerstandskämpfer angekündigt. In einer Pressekonferenz erklärten die Taliban eine Generalamnestie für alle Regierungsmitarbeiter und alle Afghanen, die mit den ausländischen Militärs zusammengearbeitet hätten. Weiters gaben die Taliban in ihrer Pressekonferenz unter anderem an, dass auch die Minderheitsrechte geachtet würden, dies allerdings nur innerhalb der Scharia.

In der internationalen Staatengemeinschaft wird dieses Versprechen der Taliban aufgrund der bisherigen schlechten Erfahrungen mit Versprechen der Taliban, ihrem Verhalten in ihrer früheren Herrschaft, aber auch wegen der Ermordung des Chefs des Informationszentrums der Taliban elf Tage vor der Pressekonferenz durch die Taliban selbst sowie aufgrund von Berichten über aktuelle Menschenrechtsverletzungen mit großer Skepsis gesehen. Es gibt bereits glaubhafte Berichte, dass die Taliban Mitarbeiter der ehemaligen Regierung und der afghanischen Streitkräfte sowie ihre Familienmitglieder systematisch suchen, bedrohen und ermorden.

Die Situation in Afghanistan ist derzeit aufgrund der dramatischen Ereignisse vor Ort unübersichtlich. Vor allem rund um den Flughafen in Kabul ist sie chaotisch, die Taliban kontrollieren die Zufahrtsstraßen. In Kabul wie auch in anderen Landesteilen wurde am Unabhängigkeitstag Afghanistans mit der Flagge Afghanistans demonstriert. Teils wurden diese Demonstrationen mit Waffengewalt aufgelöst. Nach Berichten sind neben Frauen und Menschenrechtsaktivisten vor allem die Angehörigen der schiitischen Hazara aufgrund der Machtübernahme durch die Taliban beunruhigt und bewegen sich kaum mehr öffentlich. Viele Afghanen sind vor der Machtübernahme der Taliban in die Städte, vor allem nach Kabul, geflüchtet, wo sie teils auf den Straßen campieren. Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan wie auch die Versorgungslage der Bevölkerung ist sehr angespannt. Die Taliban haben keinen Zugriff auf die Devisenreserven des Landes.

Quellen:

•        https://taz.de/Taliban-uebernehmen-Afghanistan/!5789645/; Zugriff am 18.08.2021

•        https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174247; Zugriff am 18.08.2021

•        https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174245; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.bbc.com/news/live/world-asia-58219963; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.diepresse.com/6021224/taliban-erreichen-kabul-prasidentenpalast-eingenommen?from=rss; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-aktuell-taliban-kabul-evakuierung-1.5377155; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.derstandard.at/story/2000128937798/kabul-faellt-kampflos-an-die-taliban?ref=rec; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.diepresse.com/6021466/prasident-ghani-habe-afghanistan-verlassen-um-blutvergiessen-zu-vermeiden?from=rss; Zugriff am 18.08.2021

•        https://tolonews.com/afghanistan-174248; Zugriff am 18.08.2021

•        https://tolonews.com/afghanistan-174252; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.diepresse.com/6021482/taliban-der-krieg-in-afghanistan-ist-vorbei?from=rss; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-abdullah-afghanistans-praesident-aschraf-ghani-hat-das-land-verlassen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210815-99-850834; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.derstandard.at/story/2000128988237/taliban-geben-sich-in-pressekonferenz-mildevizechef-in-afghanistan-eingetroffen; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.diepresse.com/6022198/die-milden-worte-der-ersten-taliban-pressekonferenz?from=rss; Zugriff am 18.08.2021

•        https://orf.at/stories/3225195/; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.bbc.com/news/world-asia-58250607; Zugriff am 18.08.2021

•        https://twitter.com/courtneybody/status/1427650075602337792; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-taliban-uebernehmen-wichtigste-behoerden-in-afghanistan-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210817-99-874853; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-wie-die-taliban-sich-um-vertrauen-bemuehen-17489392.html; Zugriff am 18.08.2021

•        https://tolonews.com/afghanistan-174273; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-taliban-machen-versprechungen-us-regierung-skeptisch-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210817-99-876345; Zugriff am 18.08.2021

•        https://tolonews.com/afghanistan-174269; Zugriff am 18.08.2021

•        https://twitter.com/AmrullahSaleh2/status/1427631191545589772; Zugriff am 18.08.2021

•        https://pajhwok.com/2021/08/17/i-am-legitimate-care-taker-president-saleh/; Zugriff am 18.08.2021

•        https://www.diepresse.com/6022442/das-panjshir-tal-eine-provinz-widersetzt-sich-den-taliban; Zugriff am 18.08.2021

•        https://edition.cnn.com/videos/world/2021/08/13/taliban-former-us-military-base-afghanistan-ghazni-province-ward-dnt-lead-vpx.cnn; Zugriff am 18.08.2021

•        https://orf.at/stories/3225186/; Zugriff am 19.08.2021

•        https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-hunger-101.html; Zugriff am 19.08.2021

•        https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/taliban-zentralbank-devisenreserven-afghanistan-usa-101.html; Zugriff am 19.08.2021

•        https://orf.at/stories/3225407/; Zugriff am 19.08.2021

•        https://orf.at/stories/3225342/; Zugriff am 19.08.2021

•        https://orf.at/stories/3225568/; Zugriff am 20.08.2021

•        https://www.derstandard.at/story/2000129048886/usa-und-andere-staaten-forcieren-evakuierung-aus-afghanistan; 20.08.2021

•        https://www.diepresse.com/6022895/das-dilemma-der-taliban-macht-aber-keinen-zugriff-auf-die-konten?from=rss; 20.08.2021

•        https://orf.at/#/stories/3225576/; 20.08.2021

•        https://www.bbc.com/news/world-asia-58271517; 20.08.2021

•        https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/auf-einfuhren-angewiesen-warum-in-afghanistan-bald-hunger-drohen-koennte-17492635.html; 20.08.2021

•        https://www.nachrichten.at/politik/aussenpolitik/afghanistan-massenhinrichtungen-unterdrueckung-von-frauen-und-einschuechterungen;art391,3448451; Zugriff am 25.08.2021

•        https://orf.at/stories/3226011/; Zugriff am 25.08.2021

•        https://www.bbc.com/news/world-asia-58271797; Zugriff am 25.08.2021

III. Beweiswürdigung:

III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

III.2. Zu den Feststellungen zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Verfahrensidentität, zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF sowie zu den Sprachkenntnissen waren aufgrund der insofern gleichbleibenden und nicht anzuzweifelnden Angaben des BF zu treffen (AS 1, 76). Seine Identität kann mangels Vorlage eines unbedenklichen Dokuments aus seinem Herkunftsstaat nicht festgestellt werden.

Auch die Feststellungen zu seiner Herkunft, dem dortigen Aufwachsen, der Verlobung vor seiner Ausreise und der Schul- und Berufserfahrung basieren auf den Angaben des BF (AS 3, 5, 7, 79, S. 3f VP). Diese Feststellungen traf im Wesentlichen auch das BFA und im Beschwerdeverfahren sind daran keine Zweifel aufgekommen. Der BF bestätigte auch, dass seine Verwandten noch in der Herkunftsprovinz leben und die Eltern dort ein Haus und ein Grundstück haben (AS 79).

Dass der BF gesund ist, konnte festgestellt werden, zumal der BF im Verfahren nie etwas anderes behauptete. Die strafrechtliche Unbescholtenheit war aufgrund eines aktuellen Strafregisterauszugs zu treffen.

Die Feststellungen zur Lehre basieren auf dem Akteninhalt und der Aussage des BF (S. 5f VP).

III.3. Zu den Fluchtgründen des BF:

Auch das Fluchtvorbringen des BF war im Wesentlichen das gesamte Verfahren über gleichbleibend. Das BFA verneinte die Glaubhaftigkeit der Angaben des BF nur damit, dass der BF in der Erstbefragung gesagt habe, sein Bruder habe beim Militär gearbeitet (AS 11), während er in der Einvernahme angab, sein Bruder sei Polizist gewesen (AS 81). Außerdem habe sein Bruder bei dessen Erstbefragung angegeben, er habe als Sicherheitsmann für ein amerikanisches Unternehmen gearbeitet (AS 327). Alleine darauf lässt sich im konkreten Fall nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts eine Unglaubhaftigkeit der Angaben des BF nicht gründen. Hinsichtlich der Erstbefragung bestehen nämlich durchaus Zweifel an der vollständigen Richtigkeit der Protokollierung der Erstbefragung des Bruders des BF. So ist in dessen Erstbefragung etwa die Herkunftsprovinz falsch geschrieben (AS 323, 325). Außerdem ist unter der Rubrik Volksgruppenzugehörigkeit „Sunnit“ angegeben (AS 323), wobei es sich aber bekanntlich um keine Volksgruppe, sondern ein Religionsbekenntnis handelt. Als Muttersprache ist zudem Farsi angegeben (AS 323), was bei einem Paschtunen aber zumindest seltsam anmutet. Das vor allem auch vor dem Hintergrund, dass der BF stets Paschtu als Muttersprache angab und auch in dieser Sprache vernommen wurde und daher wohl angenommen werden kann, dass auch sein Bruder diese Muttersprache hat. Weitere Zweifel ergeben sich daraus, dass bei der Frage nach den Kosten der Reise „3 Mio. Human Lake“ protokolliert wurde (AS 326), wobei völlig offen bleibt, um welche Währung es sich dabei handeln soll, zumal auch eine Internetrecherche keine Ergebnisse geliefert hat. Der Widerspruch zwischen dem BF und seinem Bruder bei dessen Erstbefragung kann daher nicht zur Begründung der Unglaubhaftigkeit herangezogen werden.

Auch auf den Widerspruch in den Angaben des BF selbst, lässt sich im konkreten Fall die Unglaubhaftigkeit nicht gründen. So soll die Erstbefragung nach dem Protokoll mitsamt der Rückübersetzung von 16:38 (AS 3) bis 17:00 (AS 13) gedauert haben. Es erscheint aber wenig nachvollziehbar, dass in diesen 22 Minuten die gesamte Erstbefragung durchgeführt und rückübersetzt wurde. Darüber hinaus arbeitet nach den Länderfeststellungen in Afghanistan die Polizei mit und an der Seite der Armee, sodass auch insofern kein grober Widerspruch darin erblickt werden kann. Alleine diese Widersprüche können daher im konkreten Fall nicht dazu führen, die Angaben des BF als nicht glaubhaft zu bewerten.

Die weiteren vom BFA verorteten Widersprüche liegen recht besehen gar nicht vor. Dazu führt das BFA aus, der BF habe gesagt, die Taliban hätten zum BF und seinem Bruder gesagt, dass sie die gesamte Familie töten würden, wogegen er sonst gesagt habe, dass sein Vater die Botschaften der Taliban von anderen Personen erhalten habe, es aber keinen persönlichen Kontakt gegeben habe. Die Aussage, auf die das BFA Bezug nimmt, wonach die Taliban zum BF und seinem Bruder etwas gesagt hätten, stammt aus der Erstbefragung (AS 11), die wie bereits oben näher ausgeführt, im konkreten Fall jedenfalls nicht völlig vorbehaltslos übernommen werden kann. Darüber hinaus kann diese Aussage auch dahingehend verstanden werden, dass sich die Taliban mittelbar an den BF gewendet haben, wie der BF auch bereits in der Einvernahme nachvollziehbar darlegte (AS 83). Alleine aus der Wendung „sie haben uns gesagt“ ist nämlich nicht zwingend ein persönlicher Kontakt ableitbar.

Als weiteren Widerspruch führt das BFA an, dass der Bruder des BF bei seiner Erstbefragung angegeben habe, dass die Taliban ihn als Freund der Amerikaner ansehen würden und deshalb bedroht hätten. Der BF habe dagegen einen „ganz anders lautenden ausreisekausalen Grund“ angegeben, indem er behauptet habe, die Taliban seien gegen die Regierung, weil sie behaupten würden, dass die Regierung von den Amerikanern beeinflusst werde. Daher seien alle die für die Regierung arbeiteten, Diener der Amerikaner, was daher auch ihnen vorgeworfen worden wäre. Wo das BFA darin einen Widerspruch sehen will, ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht recht erklärlich. Vielmehr sind diese Schilderungen in Übereinstimmung miteinander und mit der in den Länderberichten geschilderten Situation, wonach die Taliban die afghanische Regierung und ihre Institutionen als Marionette der USA sehen.

Zuletzt führt das BFA dann noch aus, dass sein Bruder angegeben habe, dass er mehrmals persönlichen Kontakt zu den Taliban gehabt habe, während der BF behauptet habe, kein Familienmitglied habe je persönlichen Kontakt zu den Taliban gehabt. Auch damit lässt sich eine Unglaubhaftigkeit der Angaben aber nicht begründen. Der Bruder des BF war schließlich Polizist, sodass ein Zusammentreffen mit den Taliban im Dienst jedenfalls nicht völlig auszuschließen ist. Ebenfalls ist es nicht völlig außerhalb der Lebenserfahrung, dass sein Bruder dem BF von diesen dienstlichen Wahrnehmungen nicht erzählt hat. Im Übrigen kann auch die Aussage des Bruders des BF dahingehend verstanden werden, dass ihm diese Drohungen nur mittelbar überbracht wurden.

Die vom BFA herangezogenen Widersprüche liegen damit allesamt nicht vor. Damit ist aber kein Grund ersichtlich, warum den Angaben des BF nicht gefolgt werden sollte. Seine Angaben zu den Fluchtgründen sind vielmehr konkret, lebensnahe und stimmen auch mit den Länderfeststellungen überein, wonach Kandahar der „Geburtsort“ der Taliban ist und daher symbolische Bedeutung für die Gruppe hat. Die Taliban waren dort auch stets präsent und aktiv. Auch entspricht es den Länderfeststellungen wie auch den Berichten des UNHCR und des EASO, dass auch Familienmitglieder von Polizisten bedroht beziehungsweise sie aufgefordert werden, die Familienmitglieder zu überreden, ihre Tätigkeit einzustellen, was ebenso für die Glaubhaftigkeit der Angaben des BF spricht. Insbesondere spricht auch der von der erkennenden Richterin gewonnene Eindruck vom BF für eine Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Der BF machte in der Verhandlung einen um Wahrheit bemühten Eindruck. Seine Antworten waren spontan, den Fragen angepasst und erschienen nicht auswendig gelernt. Vielmehr hinterließ der BF mit seiner Schilderung den Eindruck, die von ihm erwähnten Ereignisse auch tatsächlich erlebt zu haben. So schilderte der BF gleichbleibend, dass sich die Morde etwa vier bis fünf Tage vor seiner Flucht ereignet hätten (AS 80, S. 4 VP). Auch die Umstände der Ermordung schilderte der BF gleichbleibend, nämlich, dass seine Brüder beim Feld erschossen wurden (AS 82, S. 4 VP). Ebenso waren die Altersangeben zu seinen ermordeten Brüdern das Verfahren über gleich (AS 82, S. 4 VP). Es konnten daher dem Vorbringen des BF entsprechende Feststellungen erfolgen. Daraus ergibt sich auch, dass dem BF aufgrund seiner Weigerung und der Flucht eine oppositionelle politische Gesinnung von den Taliban zumindest unterstellt wird.

Diese Vorverfolgung ist auch ein starkes Indiz für eine aktuelle Verfolgung, auch wenn seitdem mehrere Jahre vergangen sind. Jedenfalls in der Heimatregion ist davon auszugehen, dass der BF dort weiterhin verfolgt wird, ist er dort doch bekannt. Dieser Einschätzung steht auch die Tatsache nicht entgegen, dass seine Familienmitglieder dort nach wie vor leben, waren diese doch von der Bedrohung nicht betroffen, zumal sich die Drohung der Taliban nur gegen die jungen Männer richtete.

Inzwischen haben die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen. In der Öffentlichkeit betonen die Taliban zwar, dass sie frühere Mitarbeiter der afghanischen Regierung nicht angreifen werden, sondern verkündeten vielmehr eine Generalamnestie. Glaubhafte Berichte belegen allerdings, dass die Taliban (besonders außerhalb von Kabul) diese Versprechungen nicht einhalten, sondern sie vielmehr ebendiese Personengruppe suchen, bedrohen und umbringen. Auch Familienmitglieder der Personengruppe sind nach diesen Berichten von den Vergeltungskationen der Taliban betroffen. Die Taliban sind nunmehr auch noch besser vernetzt, als sie das bereits vor ihrer Machtübernahme waren. Der BF als Bruder eines früheren Polizisten ist damit im gesamten Staatsgebiet einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt. Nach dem Zusammenbruch der früheren Staatsgewalt ist auch keinesfalls von einem wirksamen staatlichen Schutz auszugehen. Vielmehr reklamieren die Taliban für sich die Staatsgewalt übernommen zu haben, sodass es sich nunmehr um eine staatliche Verfolgung handelt, die im gesamten Staatsgebiet besteht.

Ganz abgesehen davon, ist dem BF eine Rückkehr derzeit auch nicht möglich. Die übereinstimmenden Berichte legen dar, dass – auch wenn die Situation außerhalb des Flughafengeländes beziehungsweise seiner Umgebung Großteils relativ ruhig sein soll – vor allem die wirtschaftliche Situation derzeit besonders angespannt ist, zumal nicht klar ist, ob die Nichtregierungsorganisationen weiterarbeiten können/wollen und derzeit auch kein Zugriff auf die Reserven der Nationalbank besteht. Hinzu kommt, dass die (temporären) Unterkünfte wie Hotels oder Teehäuser derzeit aufgrund der allgemeinen Lage weitgehend geschlossen sind. Auch der Arbeitsmarkt ist von den Unruhen betroffen. Aufgrund der unübersichtlichen Situation in Afghanistan stehen Rückkehrer derzeit vor unüberwindbaren Hürden. Zudem ist nicht einmal eine Anreise möglich, ist doch der Flughafen Kabul weitestgehend nur für militärische Evakuierungsflüge offen, während rund um ihn die Taliban Checkpoints errichtet haben und nicht annähernd klar ist, wer wann wie durchgelassen wird. Der BF ist, auch wenn er sunnitischer Paschtune ist, in diesem Zusammenhang einer besonderen Gefährdung ausgesetzt, hat er doch keinen familliären oder sozialen Anschluss außerhalb seiner Heimatprovinz. Der BF arbeitete im Bundesgebiet mit Schweinefleisch und Alkohol, was den afghanischen Gepflogenheiten widerspricht. Auch die afghanische Gesellschaft und besonders die Taliban stehen diesem Verhalten ablehnend gegenüber. Der BF würde dadurch von der Gesellschaft ausgeschlossen werden und es wäre ihm nicht möglich, sich wieder in die afghanische Gesellschaft einzugliedern.

III.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell.

Die Berichte wurde zwar weder dem BF noch dem BFA zur Stellungnahme übermittelt, der BF ist dadurch allerdings nicht beschwert, zumal seinem Antrag stattgeben wurde. Auch das BFA legt diese Berichte seinen Entscheidungen stets zugrunde und hat durch den Verzicht auf die Teilnahme an der Verhandlung auch auf eine Möglichkeit zur Stellungnahme verzichtet. Auch das BFA ist daher in seinen Rechten nicht verletzt.

IV. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

IV.1. Zum Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge dieser Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472; 29.01.2020, Ra 2019/18/0228).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Mitbeteiligte bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Fremde im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (Aktualität der Verfolgung; vgl. VwGH 06.04.2020, Ra 2019/01/0443; 25.09.2018, Ra 2017/01/0203).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan, dass der BF Flüchtling im Sinne der GFK ist:

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, ist es dem BF vor dem Bundesverwaltungsgericht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er aufgrund der Tätigkeit seines Bruders von den Taliban bedroht wurde. Entscheidend ist daher, mit welchen Reaktionen der BF auf Grund seiner Weigerung, sich dem Willen der Gruppierung zu beugen, rechnen müsste und ob in seinem Verhalten eine – sei es auch nur unterstellte politische oder religiöse Gesinnung erblickt wird (VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0079). In Übereinstimmung mit den Ausführungen von UNHCR und EASO ist vor dem Hintergrund der Feststellungen davon auszugehen, dass die Taliban dem BF eine oppositionelle politische Gesinnung jedenfalls unterstellen, worin der erforderliche Anknüpfungspunkt an einen Konventionsgrund liegt. Er müsste daher mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen, die bis zur Ermordung reichen. Diese Bedrohung ist wie in der Beweiswürdigung dargelegt auch aktuell, bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet und geht von der Macht aus, die für sich die Staatsgewalt reklamiert. Dem BF kommt damit von keiner Seite Schutz zu.

Der BF befindet sich daher aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner (zumindest unterstellten) politischen Überzeugung außerhalb Afghanistans und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Mit Blick auf § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist noch zu prüfen, ob dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht, was die Abweisung des Antrags zur Folge hätte. Nach § 11 Abs. 1 AsylG ist eine innerstaatliche Fluchtalternative dann gegeben, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann. Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, bezieht sich die Verfolgung jedenfalls nach der Machübernahme auf das gesamte Staatsgebiet. Das hat aber wiederum zur Folge, dass der BF auch dort wohlbegründete Furch nach der GFK zu befürchten hätte. Selbst wenn man diese Ansicht nicht teilt, ist ihm eine Rückkehr in andere Gebiete außerhalb seiner Herkunftsprovinz weder möglich noch zumutbar, sodass dort die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gegeben sind, was ebenso eine innerstaatliche Fluchtalternative ausschließt.

Mittlerweile ist (beinahe) das gesamte Staatsgebiet, so auch die Heimatprovinz des BF, an die Taliban gefallen. Diese haben zwar den Krieg in Afghanistan für beendet und etwa auch eine Generalamnestie für Angehörige der afghanischen Streitkräfte erklärt. Berichte zeigen jedoch, dass diese Versprechungen nicht gehalten werden. Der BF wäre (vor allem außerhalb Kabuls) im Wesentlichen der Willkür der Kämpfer wie auch von Kriminellen, die die derzeitige Lage ausnützen und sich als Taliban-Kämpfer ausgeben, ausgesetzt. In der derzeitigen, besonders volatilen und unsicheren Situation kann der BF daher nicht gefahrenlos zurückkehren. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung werden besonders die Städte wirtschaftlich wie auch in Bezug auf die Sicherheitslage unter besonderen Druck gesetzt. Ein annähernd normales Leben wäre dem BF als Rückkehrer ohne familiären Anschluss derzeit in Afghanistan nicht möglich, vielmehr ist die Situation unübersichtlich und unklar. Darüber hinaus ist derzeit nicht absehbar, wann eine sichere Anreise nach Afghanistan und Weiterreise vom dortigen Flughafen überhaupt wieder möglich sein wird. Auch daran scheitert daher derzeit eine Rückkehr.

Da folglich weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in § 6 AsylG genannter Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des BF stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Dem BF kommt damit – da er seinen Antrag nach dem 15.11.2015 stellte (§ 75 Abs. 24 AsylG) – gemäß § 3 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Aufgrund der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und der damit verbundenen Aufenthaltsberechtigung liegen die Voraussetzungen für die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids nicht mehr vor. Diese waren daher ersatzlos zu beheben.

IV.2. Zum Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Vielmehr sind hier allein Tatfragen maßgeblich, die aufgrund der Beweiswürdigung zu lösen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser aber als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (VwGH 27.05.2021, Ra 2021/19/0163).

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung private Verfolgung staatlicher Schutz Taliban unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W158.2190697.1.00

Im RIS seit

26.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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