TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/14 W144 2244839-1

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Veröffentlicht am 14.09.2021
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Entscheidungsdatum

14.09.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W144 2244839-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. von Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2021, Zl. XXXX , beschlossen:

A)       Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I.       Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan und hat - laut eigener Angaben - sein Heimatland zirka im Jahr 2015 verlassen, um sich in den Iran zu begeben, wo er drei Jahre lang gelebt habe. Danach sei er drei Monate lang in der Türkei aufhältig gewesen und habe sich über die Türkei nach Griechenland begeben, wo er ein Jahr und einen Monat verbracht habe. Schließlich sei er über Albanien, Montenegro, Bosnien, Kroatien und Slowenien nach Österreich gekommen.

Zu seiner Person liegen folgende EURODAC-Treffermeldungen vor:

?        Griechenland (Mytilini) vom 03.01.2020 wegen erkennungsdienstlicher Behandlung

?        Griechenland (Moria) vom 07.01.2020 wegen Asylantragstellung

?        Kroatien vom 20.01.2021 wegen erkennungsdienstlicher Behandlung und Asylantragstellung

?        Slowenien vom 08.03.2021 wegen Asylantragstellung

Am 11.03.2021 stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

In Griechenland betrieb der BF ein Asylverfahren und es wurde ihm mit Entscheidung der griechischen Behörden am XXXX 03.2020 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:

Im Verlauf seiner Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Steiermark vom 11.03.2021 gab der BF zu seinen Aufenthalten in den von ihm durchreisten EU-Ländern an, über neun Monate hätten sie im überfüllten Camp in Moria gelebt und in Kroatien seien sie von der Polizei geschlagen, unmenschlich behandelt und beschimpft worden. Ihnen seien alle Wertgegenstände weggenommen und nicht zurückgegeben worden.

Das BFA richtete in der Folge am 16.03.2021 ein Informationsersuchen an die griechischen Behörden und am gleichen Tag ein Wiederaufnahmeersuchen nach der Verordnung (EU)

Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an die kroatischen Behörden.

Mit Schreiben vom 26.03.2021 teilten die kroatischen Behörden mit, dass das Wiederaufnahmeersuchen nicht akzeptiert werden könne, zumal dem BF in Griechenland am XXXX 03.2020 subsidiärer Schutz gewährt worden sei.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 13.04.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er gesund sei und an keinen Erkrankungen leide. Er habe im Zuge der Erstbefragung die Wahrheit gesagt und keine Korrekturen oder Ergänzungen anzumerken. In Österreich würden sich ein Onkel väterlicherseits und eine Cousine samt deren Ehemann jeweils als anerkannte Flüchtlinge aufhalten, zu welchen kein Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Sein Onkel habe sie nur einmal im Camp besucht und den Kindern Geschenke gebracht. Außerdem seien seine Schwester samt deren Ehemann und vier Kindern, seine Schwiegereltern und sechs Geschwister seiner Ehefrau nach Österreich gereist. Befragt nach einem Aufenthaltsrecht in Griechenland brachte der BF vor, sie hätten auf einen Zettel einen ID-Stempel bekommen und in Bosnien vergessen, diesen Zettel mitzunehmen. Nach Vorhalt, dass er in Griechenland subsidiär schutzberechtigt sei, führte der BF aus, er wisse nicht, wie dieser Aufenthaltstitel heiße. Sie seien in einem Flüchtlingscamp gewesen und im März 2020 aufgefordert worden, es zu verlassen. Sie hätten den bereits genannten Zettel erhalten und danach keine finanzielle Unterstützung mehr bekommen. Sie hätten kein Quartier gefunden, weil sie die Sprache nicht gekonnt und kein Geld besessen hätten. In Griechenland habe er keine Betreuung bekommen und keine psychologische und logistische Hilfe erhalten, die er damals benötigt habe. Einige Zeit habe er im Flüchtlingscamp auf der Insel Moria verbracht. Sie hätten in einem Zelt gewohnt und im Camp seien 15.000 Menschen untergebracht worden, obwohl es für maximal 1000 Personen errichtet worden sei. Mitten in der Corona-Pandemie hätten sie keine Maske erhalten und die Flüchtlinge hätten untereinander gekämpft. Als Familie hätten sie in Griechenland keine Sicherheit gehabt. Die Polizei sei vor Ort gewesen und habe nur zugeschaut; Anzeige habe er nicht erstattet, weil es nichts gebracht hätte. Sie hätten keinen Sprachkurs bekommen und die hygienische Lage sei katastrophal gewesen, sodass er Hautentzündungen bekommen habe. Er habe keine medizinische Betreuung und sie hätten auch kein Essen erhalten, sondern hätten selbst Feuer gemacht und Essen zubereitet. Rechtsberatung und Dolmetscher habe es dort keine gegeben. Auch der Fremdenhass sei sehr zu spüren gewesen. Der BF habe einmal einem Mann helfen wollen, dem ein Hammer aus der Hand gefallen sei, und er sei dann mit einem Werkzeug von diesem an der Hand verletzt worden.

Am 30.06.2021 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA statt, im Rahmen welcher der BF angab, es gehe ihm gut und er habe anlässlich der ersten Einvernahme die Wahrheit gesagt. Befragt nach Ergänzungen, schilderte der BF, dass ihn in Griechenland auf dem Weg zum Supermarkt Angehörige der Volksgruppe der XXXX vergewaltigen hätten wollen und ihm ein Journalist geholfen habe. Die versuchte Vergewaltigung habe er in der ersten Einvernahme nicht erwähnt, weil es für ihn als Mann sehr schwierig sei, über so etwas zu sprechen. Hin und wieder habe er wegen dieses Vorfalls mit seiner Psyche Probleme. Er habe von einem deutschen Arzt im Camp in Griechenland Medikamente erhalten, die ihm sehr geholfen hätten. Jetzt brauche er keine Medikamente, es gehe ihm gut, und er stehe nicht in ärztlicher Behandlung. Die Frage nach Änderungen bezüglich seines Privat- und Familienlebens verneinte der BF und ergänzte, dass sie jetzt ein Kind haben wollen würden. Seine Frau sei noch nicht schwanger geworden, deshalb sei sie einmal bei einem Arzt gewesen, wo sie sich jedoch nicht verständigen habe können.

Das BFA wies sodann den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 13.07.2021 gemäß §4a AsylG 2005 idgF als unzulässig zurück und sprach aus, dass sich der BF nach Griechenland zurück zu begeben habe (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung des BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Griechenland zulässig sei (Spruchpunkt III.).

In rechtlicher Hinsicht führte das BFA aus, dass der BF in Griechenland als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt worden sei und gemäß § 4a Asylgesetz ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen sei, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat der Status des Asylberichtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden habe. Es bestehe kein Grund, daran zu zweifeln, dass Griechenland seine sich aus der Genfer Konvention und der Statusrichtlinie ergebenden Verpflichtungen erfülle, weshalb davon auszugehen sei, dass der BF dort Schutz vor Verfolgung gefunden habe.

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 1 AsylG sei die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu prüfen, wenn ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 4a Asyl zurückgewiesen werde. Die in § 57 AsylG genannten Voraussetzungen, unter denen im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf Antrag eine Aufenthaltsberechtigung besondere Schutz zu erteilen sei, lägen in casu nicht vor.

Im Hinblick auf das Privat- und Familienleben des BF sei auszuführen, dass kein Abhängigkeitsverhältnis zu den in Österreich aufenthaltsberechtigten Angehörigen bestehe, sodass diese Beziehungen nicht in den Schutzbereich des Familienlebens fallen würden. Hinsichtlich seines Privatlebens erscheine die zeitliche Komponente seines Aufenthalts zu kurz, um Relevanz zu entfalten, zudem würden auch keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich vorliegen. Aus der Aktenlage sei nicht ersichtlich, dass der BF an schwerwiegenden Erkrankungen leide, und das individuelle Risiko an SARS-CoV-2 schwer oder tödlich zu erkranken, sei sehr niedrig, sodass die Anordnung zur Außerlandesbringung nach Griechenland zulässig sei.

Gegen diesen am 13.07.2021 persönlich vom BF übernommenen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, in welcher der BF im Wesentlichen geltend machte, dass die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig seien und keine Feststellungen bezüglich des Zugangs von Schutzberechtigten zu Unterkunft, Arbeit und medizinischer Versorgung enthalten würden. Aus einem aktuellen Bericht von Pro Asyl vom April 2021 gehe hervor, dass Schutzberechtigte ohne gültige Aufenthaltserlaubnis keinen Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarkt erhalten würden und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bis zu einem Jahr dauern könne. Das BFA habe es auch unterlassen, eine Einzelfallzusicherung hinsichtlich der Überstellung und Wiederaufnahme des BF von Griechenland einzuholen. Aus den von der Behörde verwendeten Länderberichten gehe zudem hervor, dass eine Wohnung einen Arbeitsplatz und umgekehrt eine Wohnung einen Arbeitsplatz voraussetze, sodass dem BF aufgrund dieser aussichtslos anmutenden Konstellation Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit in Griechenland drohe. Bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens hätte die Behörde zum Schluss kommen müssen, dass die Abschiebung des BF eine Verletzung der durch Artikel 3 EMRK und Artikel 4 GRC gewährleisteten Rechte darstellen würde. Diesbezüglich werde auch auf Entscheidungen deutscher Gerichte verwiesen, wonach Personen mit Schutzstatus nicht nach Griechenland abgeschoben werden dürften. Darüber hinaus sei die Beweiswürdigung des BFA zur versuchten Vergewaltigung des BF aus näher dargelegten Gründen mangelhaft und den vermeintlich widersprüchlichen Angaben des BF zur medizinischen Versorgung in Griechenland liege ein Missverständnis zugrunde. Zum Beweis der Wohnsituation in Griechenland und einer Hautkrankheit des BF wurden Fotos in Vorlage gebracht.

In einem als „Beschwerdeergänzung“ betitelten Schreiben vom 11.08.2021 wurde auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.2021, E 599/2021, verwiesen, wonach eine Zurückweisung nach § 4a AsylG aufgrund der momentanen Situation in Griechenland nur dann zulässig sei, wenn im Einzelfall sichergestellt sei, dass die betroffene Person Möglichkeiten habe, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu decken. Dieses Erkenntnis sei in allen Fällen von Zurückweisungen gemäß § 4a AsylG beachtlich. Das BFA habe es im gegenständlichen Fall verabsäumt, eine derartige Einzelfallzusicherung einzuholen und sohin Willkür geübt. Angeschlossen wurde ein Konvolut von medizinischen Unterlagen betreffend einen stationären Krankenhausaufenthalt des BF vom 05.08.2021 bis zum 09.08.2021 in einer Abteilung für Neurologie.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang, insbesondere der Umstand, dass dem BF in Griechenland der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde.

Der BF behauptete anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 13.04.2021, dass er und seine Frau nach Gewährung des subsidiären Schutzstatus zum Verlassen ihrer Unterkunft im Camp aufgefordert worden wären, und danach keine finanzielle Unterstützung erhalten hätten. Sie hätten selbst kein Quartier gefunden, weil sie die griechische Sprache nicht beherrschen würden, kein Geld gehabt hätten und von niemandem Hilfe bekommen hätten. In ähnlicher Weise gab seine Frau vor dem BFA an: „Als wir diesen Aufenthaltstitel bekamen, wurden wir aufgefordert dieses Camp zu verlassen. Danach waren wir auf der Straße. Wir hatten gar kein Geld, um irgendein Quartier zu finanzieren.“

Ergänzende Ermittlungen zu den Lebensumständen des BF nach Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus in Griechenland liegen nicht vor. Im angefochtenen Bescheid unterzieht das BFA die geltend gemachte Obdachlosigkeit nach Schutzgewährung in Griechenland keiner Würdigung, sondern führt im Allgemeinen wie folgt aus:

„Dass die wirtschaftlichen und allgemeinen Umstände (Hygiene, Sauberkeit, Infrastruktur usw.) in Griechenland schlechter als in Österreich sind, kann nicht als Argument herangezogen werden, um in Österreich als Asylwerber zu verbleiben, nachdem Ihnen in Griechenland der Status des subsidiär Schutzberechtigen gewährt wurde.

Anhaltspunkte, dass Sie im Falle Ihrer Überstellung nach Griechenland in eine existentielle Notlage geraten müssten, liegen nicht vor. Die Tatsache, dass die Sozialsysteme und Versorgungsbedingungen in anderen EU-Mitgliedstaaten nicht immer demselben hohen Standard Österreichs entsprechen, ist für sich allein genommen nicht ausreichend, um einen Selbsteintritt Österreichs zu rechtfertigen. Zu erkennen ist auch, dass Sie sich genug Geld ansparen konnten um Ihre Reise bis nach Österreich, welche zum Teil schlepperunterstützt geschah, zu finanzieren.“

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Verfahrensgang sowie zur Asylantragstellung des BF und dessen subsidiären Schutzstatus in Griechenland ergeben sich aus dem Akt des BFA, sein Schutzstatus insbesondere aus dem Antwortschreiben der kroatischen Behörden und dem eigenen Vorbringen des BF.

Die Feststellungen zum Vorbringen des BF wurden dem Einvernahmeprotokoll vom 13.04.2021, die festgestellten Ausführungen des BFA aus dem angefochtenen Bescheid entnommen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Bei § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG handelt es sich um eine von § 28 Abs. 3 erster und zweiter Satz VwGVG abweichende Regelung, die auf die Besonderheiten des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens Bedacht nimmt, indem die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung zur Fällung einer zurückverweisenden Entscheidung im Fall einer Beschwerde gegen einen im asylrechtlichen Zulassungsverfahren erlassenen Bescheid allein an die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG genannten Voraussetzungen geknüpft ist. Mit einer solchen Entscheidung geht die Rechtsfolge der Zulassung des Asylverfahrens einher und diese Sonderbestimmung gelangt für sämtliche Beschwerden im Zulassungsverfahren zur Anwendung (vgl. VwGH 08.07.2021, Ra 2021/20/0074).

Dem BF wurde im EU-Mitgliedstaat (und damit auch EWR-Staat) Griechenland der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, sodass sein gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz gem. § 4a AsylG grundsätzlich zurückzuweisen ist, wenn er in Griechenland Schutz vor Verfolgung gefunden hat und ihm – aus verfassungsrechtlichen Erwägungen – keine Verletzung seiner Rechte gem. Art. 3 oder 8 EMRK droht.

Im Urteil vom 19.03.2019, Rs C-297/17 ua, Ibrahim, leitete der Europäische Gerichtshof aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten ab, im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems müsse die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht (vgl. Rz 85), und führte zu Artikel 4 GRC im Hinblick auf Lebensbedingungen von subsidiär Schutzberechtigten in dem Schutz gewährenden Mitgliedstaat wie folgt aus:

„88 Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

89 Insoweit ist festzustellen, dass die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Schwachstellen nur dann unter Art. 4 der Charta, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, fallen, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).

90 Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91 Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 93).

92 Im Hinblick auf die insoweit vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ist festzustellen, dass unter Berücksichtigung der Bedeutung, die der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens für das Gemeinsame Europäische Asylsystem hat, Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungsrichtlinie, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 der Charta führen, die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, ihre durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie eingeräumte Befugnis auszuüben.

93 Der vom vorlegenden Gericht ebenfalls genannte Umstand, dass subsidiär Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der dem Antragsteller diesen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die den in den Rn. 89 bis 91 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien entspricht.

94 Jedenfalls kann der bloße Umstand, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C?163/17, Rn. 97).“

Mit rezentem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.2021, E 599/2021, wurde eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend eine in Griechenland schutzberechtigte, junge, gesunde Frau ohne Betreuungspflichten, die über eine zwölfjährige Schulbildung, eine vierjährige universitäre Ausbildung und eine Berufsausbildung zur Dolmetscherin verfügte und zirka neun Monate in Griechenland aufhältig war, behoben und wie folgt ausgeführt:

„Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage (wobei aktuellere Berichte eine wohl noch stärkere Gefährdungslage beschreiben, siehe nur die der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beigelegte Stellungnahme der Stiftung Pro Asyl/RSA, Information zur Situation international Schutzberechtigter in Griechen-land, vom 9. Dezember 2020) ergibt sich ohne nähere Auseinandersetzung mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Feststellungen in den Länderberichten nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine reale Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung drohen werde. Zwar trifft zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9, grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art. 34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden (vgl. dazu das deutsche BVerfG 31.7.2018, 2 BvR 714/18, Rz 23). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.“

Auch wenn sich dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auf Länderinformationen der Staatendokumentation mit Stand vom 04.10.2019 und letzter Kurzinformation vom 19.03.2020 bezieht, ergeben sich aus der nunmehr aktualisierten und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformation der Staatendokumentation betreffend Griechenland aus dem COI-CMS (Version 2) ähnliche Schwierigkeiten für Schutzberechtigte beim Zugang zu Unterkunft, Arbeit, Sozialleistungen, medizinischer Versorgung und Integrationsprogrammen. So wird etwa erwähnt:

?        „Eine Residence Permit Card (RPC) ist Voraussetzung für den Erhalt finanzieller Unterstützung, einer Wohnung, einer legalen Beschäftigung, eines Führerscheins und einer Steuer- bzw. Sozialversicherungsnummer, für die Teilnahme an Integrationskursen, für den Kauf von Fahrzeugen, für Auslandsreisen, für die Anmeldung einer gewerblichen oder geschäftlichen Tätigkeit und – abhängig vom jeweiligen Bankangestellten - oftmals auch für die Eröffnung eines Bankkontos (VB 19.3.2021). Der Erhalt einer RPC dauert jedoch in der Praxis Monate und die Behördengänge sind für Personen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung äußerst schwierig zu bewerkstelligen.“

?        „Bei HELIOS handelt sich um ein Projekt von IOM zur Integration von Schutzberechtigten, die in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung leben (AIDA 6.2020; vgl. IOM o.D.). Helios ist das einzige aktuell in Griechenland existierende offizielle Integrationsprogramm für internationale Schutzberechtigte. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF); Umgesetzt wird das Programm von IOM in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Programm wurde im Juli 2019 gestartet und hat eine Laufzeit bis Juni 2021. […] Keinen Zugang zu Fördermaßnahmen aus dem HELIOS-Programm haben demzufolge international Schutzberechtigte, die entweder vor dem 1. Januar 2018 internationalen Schutz erhalten haben oder die zwar nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, jedoch zum Zeitpunkt ihrer Anerkennung nicht in einer offiziellen Unterkunft in Griechenland gelebt haben, oder die sich nicht innerhalb eines Jahres nach Anerkennung für HELIOS registriert haben. Somit besteht in aller Regel für Schutzberechtigte, die aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehren, keine Möglichkeit, von Helios zu profitieren (ProAsyl 4.2021).“

?        „Phase zwischen positivem Bescheid und dem tatsächlichen Erhalt der RPC-Card

Tatsächlich gibt es bis zum Erlangen der RPC oder bis zur Teilnahme am Helios Programm keinerlei finanzielle oder anderweitige Unterstützung. Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können international Schutzberechtigte keine Sozialversicherungsnummer (AMKA) erhalten und diese wiederum ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialleistungen, zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung. Ärztliche Untersuchungen und Behandlungen sowie ggf. benötigte Medikamente müssen ohne Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer privat bezahlt werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).“

?        „In Griechenland existiert keine staatliche Unterstützung für international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum, es wird auch kein Wohnraum von staatlicher Seite bereitgestellt (ProAsyl 4.2021). Auch gibt es keine Sozialwohnungen (VB 12.4.2021) und auch keine Unterbringung dezidiert für Schutzberechtigte. Laut einer Webseite der Stadt Athen gibt es vier Unterbringungseinrichtungen mit insgesamt 600 Plätzen, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Viele Betroffene sind daher obdachlos, leben in besetzten Gebäuden oder überfüllten Wohnungen (AIDA 6.2020; vgl. VB 12.4.2021). Legale Unterkunft ohne RPC zu finden, ist fast nicht möglich. Da z.B. bei Arbeitssuche, Bankkontoeröffnung, Beantragung der AMKA usw. oftmals ein Wohnungsnachweis erforderlich ist, werden oft Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300-600 Euro) temporär verliehen: d.h., der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Wohnbeihilfe bekommt man erst, wenn man per Steuererklärung seinen Wohnsitz über mehr als 5 Jahre in Griechenland nachweisen kann (VB 1.3.2021). NGOs wie etwa Caritas Hellas bieten gemischte Wohnprojekte an. Die Zahl der Unterkünfte in Athen – auch der Obdachlosenunterkünfte - ist jedoch insgesamt nicht ausreichend (VB 1.3.2021). Dass trotz dieses Umstandes Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, ist auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Nationalitäten zurückzuführen, über die auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Wo staatliche Unterstützung fehlt, ist die gezielte Unterstützung der NGOs von überragender Bedeutung für Flüchtlinge und Migranten, wenngleich auch diese Organisationen nicht in der Lage sind, die erforderlichen Unterstützungen flächen- und bedarfsdeckend abzudecken (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).

?        „Auch die tägliche Lebenshaltung stellt viele Schutzberechtigte vor große Probleme. Da sie griechischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, gibt es von offizieller Seite kaum Unterstützung für diesen Personenkreis. Einige NGOs in Athen (wie etwa KHORA, Network for Refugees, Hope Cafe,…) stellen kostenlos – aber bei weitem nicht in ausreichendem Maße, um alle Bedürftigen zu versorgen - Essen zur Verfügung. Die Bereitstellung von zB Hygiene- und Toilettenartikel gestaltet sich sehr schwierig; hierfür gibt es nur sehr wenige Anlaufstellen. Einige Gemeinden in Griechenland bieten anerkannten Schutzberechtigten auf freiwilliger Basis bzw. mittels Abkommen mit der griechischen Regierung monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an (nur Essen, kein Geld). Voraussetzungen hierfür sind das Vorliegen von RPC, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine gültige SIM-Karte. Jede einzelne dieser Voraussetzungen ist schwierig zu erfüllen und mit mit großem Zeitaufwand verbunden. Somit kommen nur sehr wenige Berechtigte in den Genuss derartiger Unterstützungsleistungen (VB 12.4.2021).“

?        „Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu medizinischer Versorgung wie griechische Staatsangehörige, in der Praxis schmälert aber der Ressourcenmangel im griechischen Gesundheitssystem diesen Zugang, was aber in gleichem Maße auch für griechische Staatsbürger gilt. Bei Flüchtlingen kommen jedoch auch Verständigungsschwierigkeiten und Probleme beim Erlangen der Sozialversicherungsnummer (AMKA) hinzu (AIDA 6.2020). Die AMKA kann bei der Gesundheitsbehörde (EKKA) elektronisch beantragt werden, man braucht dazu aber eine RPC und ein Jobangebot einer Firma. Ohne Jobangebot können Flüchtlinge eine PAAYPA (vorläufige AMKA für Fremde) beantragen. Mit AMKA ist voller Zugang zu öffentlichen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, usw. möglich, mit PAAYPA hingegen nur beschränkt. Manche Einrichtungen akzeptieren eine PAAYPA nicht. Jene Personen wären dann auf Privatärzte oder NGOs angewiesen (VB 1.3.2021). Zudem gibt es in Athen einige „Sozial-Apotheken“ wo billige oder sogar kostenlose Medikamente und medizinische Artikel erhältlich sind – diese unterstützen auch einkommenslose Griechen (VB 12.4.2021). […] Durch die massiven Einsparungen am Gesundheitspersonal in den Jahren der Wirtschaftskrise kann der Zugang zum Gesundheitssystem mit langen Wartezeiten verbunden sein (AI 3.3.2021).“

?        „Anerkannte Schutzberechtigte und deren Familienangehörige mit gültiger Aufenthaltserlaubnis haben unter den gleichen Bedingungen wie griechische Staatsangehörige Zugang zu einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis, zur Erbringung von Dienstleistungen oder Arbeit sowie das Recht, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Wichtig für eine legale Beschäftigung ist der Nachweis einer gültigen Aufenthaltserlaubnis. Allenfalls ist darauf zu achten, dass diese rechtzeitig verlängert wird (UNHCR o.D.). Voraussetzungen ist u.a. der Nachweis der Unterkunft: […] Eine weitere Voraussetzung ist das Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer (AMKA). […] Tatsächlich aber behindern die hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Sprachkenntnisse und bürokratische Hindernisse diesen Zugang, außer im informellen Sektor. Die meisten Schutzberechtigten sind daher auf Unterstützung angewiesen. Zugang zu Sozialhilfe ist gegeben, bürokratische Hürden stellen aber ein Problem dar (AIDA 6.2020).“

Wie sich aus diesen Länderinformationen ableiten lässt, sind Schutzberechtigte in Griechenland zwar rechtlich griechischen Staatsbürgern grundsätzlich gleichgestellt, sie können jedoch faktisch auf besondere Schwierigkeiten stoßen, die auf ihre herausfordernde Situation als Fremde ohne oder mit geringen Kenntnissen der Landessprache und der administrativen Vorgänge in einem Staat, dessen wirtschaftliche Lage allgemein bekannt angespannt ist, zurückzuführen sein können.

Wie bereits erwähnt, werden laut den vorliegenden Länderinformationen im angefochtenen Bescheid Schutzberechtigten in Griechenland im Rahmen des Programms HELIOS Unterstützungsmaßnahmen gewährt. Es sei das einzige in Griechenland existierende Integrationsprogramm für international Schutzberechtigte und biete neben Integrationskursen sowie einzelnen Maßnahmen zur Arbeitsintegration auch Unterstützung bei der Anmietung von Wohnraum. Mangels näherer Ermittlungen des BFA bleibt jedoch im vorliegenden Fall unklar, ob der BF an diesem Integrationsprogramm bereits teilgenommen hat bzw. im Falle einer Rückkehr tatsächlich Zugang dazu hätte. Insbesondere geht aus den Länderinformationen im angefochtenen Bescheid hervor, dass das Programm eine „Laufzeit bis Juni 2021“ habe. Auf einer öffentlich zugänglichen Website von UNHCR Griechenland wird demgegenüber eine Laufzeit bis Ende August 2021 erwähnt (siehe https://greece.iom.int/en/hellenic-integration-support-beneficiaries-international-protection-helios). In dieser Hinsicht erweisen sich die Länderinformationen als nicht hinreichend aktuell und insofern mangelhaft, als offen bleibt, ob dieses Integrationsprogramm fortgesetzt wird oder durch andere Programme, die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte bieten, ersetzt wurde.

Vor dem Hintergrund der vom BFA herangezogenen Länderinformationen und der schon im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides getroffenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.2021, E 599/2021, wäre das BFA im vorliegenden Fall - angesichts der vom BF und seiner Frau übereinstimmend behaupteten Obdachlosigkeit - auch gehalten gewesen, die Rückkehrsituation im vorliegenden Fall näher prüfen und hätte sich nicht auf die Feststellung beschränken dürfen, es würden keine Anhaltspunkte vorliegen, dass der BF im Falle seiner Überstellung nach Griechenland in eine existentielle Notlage geraten müsste.

Das Vorbringen des BF wurde damit im Ergebnis ignoriert und aus dem angefochtenen Bescheid geht nicht hervor, ob das BFA die diesbezüglichen Angaben des BF und seiner Frau als glaubhaft erachtet oder nicht. An dieser Stelle ist zudem darauf hinzuweisen, dass der BF weitere gravierende Mängel behauptet hat, mangels diesbezüglicher Nachfrage allerdings im Unklaren bleibt, ob sich die geschilderten Mängel auf jenen Zeitraum beziehen, nachdem ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gewährt worden war, oder auf jene Zeit, die er im Flüchtlingslager Moria verbracht hatte. Relevant für die Beurteilung seiner Situation im Falle einer Rückkehr können im gegenständlichen Fall vorrangig die Lebensumstände des BF nach Zuerkennung des Schutzstatus und nach Verlassen der für Asylwerber bestehenden Unterkünfte sein.

Abgesehen von der behaupteten Obdachlosigkeit und fehlender finanzieller Unterstützung lässt sich aus dem vom BFA ermittelten Sachverhalt nicht entnehmen, wie der BF und seine Frau trotz der behaupteten Mängel dennoch nach Gewährung des subsidiären Schutzstatuts mehrere Monate in Griechenland verbleiben konnten. Die Lebensumstände des BF und seiner Frau während der Zeit nach der Zuerkennung subsidiären Schutzes wurden seitens des BFA keiner näheren Prüfung unterzogen. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Länderinformationen und der obzitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes kommt dieser Frage aber Relevanz im Hinblick darauf zu, ob der BF – sollten ihm in erster Zeit nicht von Seiten des griechischen Staates Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen ermöglicht werden – nach einer Rückkehr selbst oder mit Unterstützung durch nichtstaatliche Organisationen oder mithilfe von bereits während seines vormaligen Aufenthaltes in Griechenland aufgebauten sozialen Netzwerken in der Lage wäre, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Für die Beurteilung seiner Rückkehrsituation können neben den bisherigen Lebensumständen in Griechenland unter Berücksichtigung der Dauer des vormaligen Aufenthalts in Griechenland als Schutzberechtigter auch eine etwaige auf dem griechischen Arbeitsmarkt verwertbare Ausbildung oder Arbeitserfahrung sowie Sprachkenntnisse des BF von Bedeutung sein, auch vorhandene eigene finanzielle Mittel oder familiäre bzw. soziale Unterstützung könnten in diese Bewertung miteinbezogen werden.

Aufgrund der mangelhaft ermittelten Sachverhaltsgrundlage unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des VfGH kann im gegenständlichen Fall sohin nicht abschließend beurteilt werden, ob im Falle einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland die reale Gefahr einer Verletzung seiner gemäß Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte bestünde.

Im fortgesetzten Verfahren bedarf es daher einer Abklärung zum aktuell bestehenden Angebot an Programmen, die Integrationsmaßnahmen für Schutzberechtigte anbieten, und zu deren Umfang (siehe dazu auch VfGH 25.06.2021, E 599/2021, Rz 21). Darüber hinaus sind weitere Erhebungen im gegenständlichen Fall zu den Fragen notwendig, ob dem BF im Fall einer Rückkehr nach Griechenland zumindest in erster Zeit von Seiten des Staates Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen zur Verfügung stünde und – sollte dies zu verneinen sein – ob der BF allenfalls mit Hilfe von nichtstaatlichen Einrichtungen oder durch Unterstützung von Angehörigen oder Bekannten seine elementaren Bedürfnisse befriedigen könnte, ohne einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt zu sein, aufgrund der Lebensumstände eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK oder Art. 4 GRC zu erfahren. Der Umstand, dass Personen, denen subsidiärer Schutz zuerkannt wird, in dem Mitgliedstaat keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch insofern anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (vgl. EuGH 19.03.2019, Rs C-297/17 ua, Ibrahim).

Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme des BF und seiner Frau zu deren bisherigen Lebensumständen in Griechenland und ihrer Rückkehrsituation bedarf es im Falle des BF auch weiterer Abklärungen zu seinem aktuellen Gesundheitszustand, zumal er gemeinsam mit einem als „Beschwerdeergänzung“ betitelten Schriftsatz ein Konvolut von medizinischen Unterlagen betreffend einen mehrtägigen stationären Aufenthalt in einer neurologischen Abteilung eines Landesklinikums in Vorlage brachte.

Der vorliegende Sachverhalt erweist sich damit als im Sinne des § 21 Abs. 3, zweiter Satz BFA-VG als derart mangelhaft, dass grundlegende ergänzende Ermittlungen und damit einhergehend eine mündliche Verhandlung notwendig erschienen, sodass eine Zurückverweisung im Sinne dieser Bestimmung zu erfolgen hatte.

Der Verwaltungsgerichtshof geht - nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Erläuterungen zu § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG - davon aus, dass immer dann, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom Bundesverwaltungsgericht in der für die Erledigung gebotenen Eile beseitigt werden können, der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattzugeben ist. Eine Verhandlung hat diesfalls zu unterbleiben. Ist hingegen davon auszugehen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsmängel rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen kann, hat es von einer Beschwerdestattgebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG Abstand zu nehmen und die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens (samt der Feststellung allfällig fehlenden Sachverhaltes) selbst vorzunehmen. Dabei hat es sich bei der Beurteilung gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung, ob eine Verhandlung durchzuführen ist, auch davon leiten zu lassen, ob die vorhandenen Ermittlungsmängel zweckmäßigerweise durch im Rahmen der Verhandlung vorzunehmende Beweisaufnahmen beseitigt werden können (vgl. VwGH 08.07.2021, Ra 2021/20/0074, mit Verweis auf VwGH 15.05.2020, Ra 2020/14/0060).

Angesichts der notwendigen Ermittlungen zur Lage in Griechenland und der umfassenden Befragung sowohl des BF als auch seiner Frau kann das Bundesverwaltungsgericht die Ermittlungsmängel nicht in der für die Erledigung des im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden Beschwerdeverfahrens gebotenen Eile beseitigen. Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden

Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In casu liegt die Entscheidung allein in der Bewertung, ob der im Aufnahmestaat schutzberechtigte BF dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat und nicht in seinen Rechten gem. Art 3 und 8 EMRK bedroht ist.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W144.2244839.1.00

Im RIS seit

22.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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