TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/20 I415 2228074-1

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Veröffentlicht am 20.09.2021
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Entscheidungsdatum

20.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs6
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs4
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I415 2228074-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Marokko, vertreten durch die BBU, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19.11.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 52 Abs. 6 Fremdenpolizeigesetz 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste am 04.09.2017 mit einem gültigen Reisepass seines Herkunftsstaats und einem italienischen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ nach Österreich.

2.       Von 15.09.2017 bis 23.10.2017 war er mit Nebenwohnsitz, in den Zeiträumen 24.05.2018 bis 10.04.2019, 23.05.2019 bis 08.08.2019 und 28.11.2019 bis 10.01.2020 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

3.       Er war von 04.09.2017 bis 23.10.2017, von 23.12.2017 bis 09.04.2018, von 19.05.2018 bis 05.11.2018 und von 22.05.2019 bis 02.08.2019 als Arbeiter bei einem Hotel beschäftigt. Zwar war er bei der Sozialversicherung angemeldet, jedoch verfügte er nicht über die erforderliche arbeitsmarktrechtliche Beschäftigungsbewilligung für Ausländer.

4.       Am 02.08.2019 wurde er im Zuge einer finanzpolizeilichen Kontrolle bei der Schwarzarbeit als Küchengehilfe betreten und gemäß § 39 iVm 120 FPG festgenommen.

5.       Bei der am selben Tag durchgeführten fremdenpolizeilichen Basisbefragung erklärte er, sei vor etwa 12 Jahren aus Marokko nach Italien gekommen. In Österreich lebe und arbeite er seit etwa zwei Jahren, er habe auch eine e-card. Wenn er nicht hier leben könne, wolle er wieder nach Italien zurück. Im Bundesgebiet habe er zwei Cousins.

6.       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA; belangte Behörde) übergab dem BF am 02.08.2019 persönlich eine schriftliche „Information über die Verpflichtung zur Ausreise“ samt arabischer Übersetzung, worin der BF zur unverzüglichen freiwilligen Ausreise bis spätestens 09.08.2019 aufgefordert wurde. Gleichzeitig erging der Hinweis, dass gegen ihn ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet worden sei, welches eventuell eingestellt werden könne, sofern der BF seiner Ausreiseverpflichtung nachkomme und das BFA das bestätigte Beiblatt „Nachweis über die erfolgte Ausreise“ erhalte. Weiters wurde ihm eine Verständigung zum Ergebnis der Beweisaufnahme bezüglich der beabsichtigten Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung bzw. einer Rückkehrentscheidung eventuell iVm einem Einreiseverbot samt Länderinformationsblatt zu Marokko und Aufforderung zur Erstattung einer schriftlichen Stellungnahme binnen 14 Tagen ausgehändigt.

7.       Der BF übermittelte weder eine schriftliche Stellungnahme, noch einen geeigneten Nachweis über die erfolgte Ausreise. Ab dem 09.08.2019 war er behördlich nicht mehr im Bundesgebiet gemeldet.

8.       Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 19.11.2019, Zl. XXXX , erteilte das BFA dem BF einen Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ nicht (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig sei (Spruchpunkt III.), verhängte über ihn ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.) und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.).

Der BF sei widerrechtlich in das Bundesgebiet eingereist und habe sich dort über einen Zeitraum von zwei Jahren unrechtmäßig aufgehalten, sei einer unerlaubten Beschäftigung nachgegangen und habe das Meldegesetz umgangen. Der Aufforderung, das Bundesgebiet zu verlassen, sei er trotz angedrohter Konsequenzen nicht gefolgt und stattdessen untergetaucht. Dadurch stelle er eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die Gemeinschaft sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Demgegenüber haben keine schutzwürdigen privaten und familiären Anknüpfungspunkte und auch keine soziale oder berufliche Integration des BF in Österreich festgestellt werden können.

9.       Dagegen erhob der BF mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 17.01.2020 fristgerecht Beschwerde. Er sei der Meinung gewesen, in Österreich mit seinem italienischen Aufenthaltstitel leben und arbeiten zu dürfen, im Vertrauen, sein Arbeitgeber würde sich um eine allfällige Arbeitsbewilligung kümmern. Er habe die gesetzlich vorgesehenen Steuern und Versicherungen bezahlt, eine e-card bekommen, Lohnzettel erhalten und beim Finanzamt den Lohnsteuerausgleich gemacht. Darüber hinaus habe er seine Ausreiseverpflichtung erfüllt und sei am 09.08.2019 mit dem Zug nach Italien ausgereist und erst Ende November 2019 wieder nach Österreich zurückgekehrt. Zudem verfüge er in Österreich über ein soziales Umfeld. Er habe zwei Cousins, Freunde und eine ungarische Lebensgefährtin, die er zu heiraten beabsichtige. Sein Lebensmittelpunkt liege in Europa und nunmehr verstärkt in Österreich. Er sei vorübergehend nach Marokko zurückgekehrt, beabsichtige jedoch wieder nach Italien und Österreich zurückzukehren, um sein Familienleben mit seiner ungarischen Lebensgefährtin in Österreich fortzuführen und auch weiterhin zu seinen Kindern in Italien Kontakt zu halten. Der Beschwerde wurde ein Konvolut an Unterlagen beigelegt.

10.      Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 29.01.2020 vorgelegt.

11.      Nach Erhalt der Ladung zur Verhandlung am 07.12.2020 brachte der BF mit Schreiben vom 24.11.2020 eine Stellungnahme ein. Er brachte vor, er sei wieder in Italien aufhältig und habe seit kurzem eine Arbeit gefunden. Es sei ihm aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie nicht möglich für die Beschwerdeverhandlung, an welcher er gerne teilnehmen würde, nach Österreich einzureisen, da er bei seiner Rückreise eine zweiwöchige Quarantäne einzuhalten habe und er somit um seine Arbeit fürchte. Er sei mit seiner Ehegattin nach Italien ausgewandert, sei für seine Kinder zu Hause geblieben und habe später Probleme bei der Arbeitssuche gehabt. Sein Cousin habe ihm die Arbeit in einem Hotel in Österreich angeboten und er habe dies angenommen. Man habe alle erforderlichen Papiere organisiert und habe er zudem seine jetzige Lebensgefährtin dort kennen gelernt. Erst bei seiner Festnahme habe er über seine illegale Arbeit erfahren. Er habe stets das Richtige tun wollen, doch sei er falsch beraten worden und habe auf seinen Arbeitgeber vertraut. Nach diesem Zwischenfall sei er zurück nach Marokko gekehrt und nach weiteren zehn Monaten wieder zurück nach Italien um bei seinen Kindern und seiner ungarischen Lebensgefährtin – zumindest geographisch – etwas näher zu sein.

12.      Am 07.12.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Abwesenheit des BF, in Anwesenheit seiner Rechtsvertretung, einer Dolmetscherin für die arabische und einer für die ungarische Sprache sowie der ungarischen Lebensgefährtin des BF, abgehalten. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist Staatsangehöriger Marokkos, wurde in XXXX geboren, ist verheiratet, gehört der Volksgruppe der Berber an und hat zwei Kinder. Seine Identität steht fest.

Er ist gesund und arbeitsfähig.

Er verfügt über einen italienischen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU (ital.: „Permesso di soggiorno - Soggiornante di lungo periodo – UE“).

Der BF ist strafrechtlich unbescholten, allerdings übte er ohne entsprechende Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz in den Zeiträumen 04.09.2017 bis 23.10.2017, 23.12.2017 bis 09.04.2018, 19.05.2018 bis 05.11.2018 und 22.05.2019 bis 02.08.2019 eine bei der Sozialversicherung gemeldete unselbständige Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet aus.

Der BF hielt sich ab dem 04.09.2017 unrechtmäßig in Österreich auf.

Er reiste am 09.08.2019 von Österreich nach Italien aus.

Von 28.11.2019 bis 04.01.2020 befand er sich neuerlich im Bundesgebiet und reiste anschließend auf dem Luftweg nach Marokko aus.

Der BF lebt in einer aufrechten Lebensgemeinschaft mit, einer in Österreich aufhältigen, ungarischen Staatsangehörigen. Es besteht ein regelmäßiger Kontakt zu dieser.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des Verwaltungsaktes des BFA. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem AJ-Web und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Staatsangehörigkeit, der Name und das Geburtsdatum, die Lebensumständen des BF, sein Geburtsort sowie seine Volkszugehörigkeit gründen auf dem Verwaltungsakt sowie seiner Stellungnahmen vom 24.11.2020.

Der Umstand, dass der BF ein Aufenthaltsrecht in Italien hat, ergeben sich aus den von ihm selbst vorgelegten, in Kopie im Akt einliegenden Dokumenten (marokkanischer Reisepass und italienische Aufenthaltsberechtigungskarte) sowie durch eine Abfrage an das Koordinationsbüro beim PKZ XXXX vom 09.11.2020.

Dass der BF ohne entsprechende arbeitsmarktrechtliche Bewilligung eine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet ausübte, ergibt sich aus dem im Akt befindlichen Strafantrag der Finanzpolizei vom 12.08.2019, GZ XXXX (AS 91).

Die Feststellung, dass sich der BF unrechtmäßig in Österreich aufhielt beruht darauf, dass der BF im Bundesgebiet einer Erwerbstätigkeit nachging. Ein Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates ermöglicht gemäß Art 21 SDÜ einen Aufenthalt zu privaten oder touristischen Zwecken; die Aufnahme einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit ist mit einem Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates nicht möglich. Durch eine Erwerbstätigkeit wird der Aufenthalt unrechtmäßig (vgl. Schrefler-König/Szymanski (Hrsg), Kommentar zum Fremdenpolizei- und Asylrecht; § 31 FPG 2005, Anmerkung 3). Dadurch steht – unabhängig vom Datum seiner Einreise ins Bundesgebiet - fest, dass der BF in Österreich unrechtmäßig aufhältig war.

Die Zeiträume seines Aufenthaltes in Österreich ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, einer eingeholten zmr-Auskunft, sowie den vom BF vorgelegten Unterlagen.

Aus den im Zuge der Beschwerde vorgelegten Zugtickets (AS 235) ergibt sich die Feststellung, dass der BF am 10.08.2019 nach Italien ausgereist ist. Dass er am 04.01.2020 nach Marokko reiste, ist aus dem vorgelegten Flugticket und dem marokkanischen Einreisestempel im Reisepass des BF (AS 247f) ersichtlich.

Die Feststellung, wonach der BF über ein aufrechtes Familienleben in Österreich verfügt, ergibt sich aus der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 07.12.2020, im Zuge der Einvernahme seiner Lebensgefährtin, Frau J.B. Sie gab glaubhaft an, mit dem BF seit über zwei Jahren in einer aufrechten Beziehung zu leben und eine Heirat in Betracht zu ziehen. Aus ihren glaubhaften Angaben kam zudem hervor, dass sie seine Familie über das Telefon kenne und auch zu seinen Kindern in Kontakt stehe (Verhandlungsprotokoll vom 07.12.2020, S 5 & 6). Der BF kennt zudem auch ihre Kinder aus erster Ehe durch einen gemeinsamen Besuch ihrer Familie in Serbien (Verhandlungsprotokoll vom 07.12.2020, S 5). Der regelmäßige Kontakt zwischen dem BF und seiner Lebensgefährtin ergibt sich ebenfalls aus der Zeugenvernehmung im Zuge der Verhandlung (Verhandlungsprotokoll vom 07.12.2020, S 7). Aus einer Gesamtbetrachtung ergibt sich zweifelsohne ein aufrechtes Familienleben im österreichischen Bundesgebiet, mag dieses auch seit der Ausreise des BF auf Kontakte per soziale Medien beschränkt sein.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF gründet auf dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug der Republik Österreich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Als Staatsangehöriger von Marokko ist der BF Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Gemäß § 52 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich 1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder 2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

Es steht fest, dass der BF sich unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet aufhielt. Dies diente dem BFA als Grundlage, um gegen den BF gemäß § 52 Abs. 1 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Gemäß § 52 Abs. 6 FPG hat sich ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

Gemäß § 52 Abs. 8 zweiter Satz FPG ist im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

Nach der Judikatur des VwGH ist § 52 Abs. 6 FPG vor dem Hintergrund der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG zu lesen. Schon aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zu dieser Bestimmung ergibt sich unzweifelhaft, dass der Gesetzgeber damit die Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie beabsichtigte (vgl. 1078 BlgNR XXIV. GP, S 29). In der Bestimmung wird angeordnet, dass ein nicht rechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger mit einem Aufenthaltstitel oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates zunächst zu verpflichten ist, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Nur wenn dieser Ausreiseverpflichtung nicht entsprochen wird oder eine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist, hat eine Rückkehrentscheidung zu erfolgen. Demnach bedarf es also vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung einer „Verpflichtung“ des Drittstaatsangehörigen, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Die Frage der „Unverzüglichkeit“ stellt sich in Bezug auf die Zeitspanne, die seit Ausspruch der „Verpflichtung“ ergangen ist. Wird ihr „unverzüglich“ entsprochen, hat eine Rückkehrentscheidung zu unterbleiben (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234 mit Verweis auf das Erkenntnis vom 10.04.2012, 2013/22/0310).

Im gegenständlichen Fall war der BF zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung für Italien. Dies wurde im Bescheid vom 19.11.2019 auch festgestellt. Sein Aufenthalt war durch diesen Aufenthaltstitel für die Dauer von drei Monaten zunächst rechtmäßig, wurde durch die Betretung bei der Schwarzarbeit sowie der drei Monate übersteigenden Dauer, jedoch unrechtmäßig.

Hinsichtlich der Frage, ob vom BF eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht und daher seine sofortige Ausreise erforderlich ist, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gefährdungsprognose zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass ein weiterer Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (VwGH 22.11.2012, 2011/23/0453). Es ist darüber hinaus auch zu berücksichtigen, dass der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass es im Kontext des § 52 Abs. 6 FPG nicht schlichtweg auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ankommt, sondern (iS eines zusätzlichen Kriteriums) darauf, ob angesichts einer solchen Gefährdung die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus dem Bundesgebiet erforderlich ist (VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007).

Im gegenständlichen Verfahren wurde nicht aufgezeigt, dass vom BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht. Zwar ist dem BF anzulasten, dass er sich für einen Zeitraum von zwei Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, um einer Beschäftigung nachzugehen, welche er nach dem AuslBG nicht hätte ausüben dürfen, doch reichen diese Umstände nicht aus, um von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit im Sinne des § 52 Abs. 6 letzter Satz zweiter Fall FPG ausgehen zu können.

Richtigerweise stellte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid fest, dass der BF in Österreich der Schwarzarbeit nachgegangen ist. Festgestellt wurde auch, dass der BF im Besitz eines Aufenthaltstitels für Italien ist. Unter der Annahme, dass der BF durch dieses Dokument zum Aufenthalt in Italien berechtigt ist, ist dieser gemäß § 52 Abs. 6 FPG aufzufordern, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet jenes Mitgliedstaates zu begeben, von dem der ihm erteilten Aufenthaltsberechtigung stammt. Wie sich aus den vorgelegten Unterlagen ergibt, ist der BF der Aufforderung des BFA, das Bundesgebiet bis spätestens 09.08.2019 zu verlassen, gefolgt. Er ist am 09.08.2019 mit dem Zug von Österreich nach Italien zurückgekehrt.

In einem ähnlich gelagerten Fall wurde vom Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen, der im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates ist, nicht möglich ist, wenn er nicht zunächst aufgefordert wurde, sich in den betreffenden Mitgliedstaat zu begeben – mit Ausnahme der Fälle, in denen seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist oder er der Ausreiseaufforderung nicht nachgekommen war (VwGH vom 21.12.2017, Ra 2017/21/0234).

Aber auch für eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit im Sinne des § 52 Abs. 6 letzter Satz zweiter Fall FPG (mit welcher neben dem verhängten Einreiseverbot von drei Jahren auch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung begründet worden ist) reichen die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen nicht aus. Für diese Annahme ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, für die insoweit auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erstellung einer Gefährlichkeitsprognose bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots zurückgegriffen werden kann (vgl. VwGH 26.03.2015, 2013/22/0284). Es ist daher auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die geforderte Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache unter anderem von Bestrafungen nach den Verwaltungsgesetzen, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der Verwaltungsübertretungen und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0006). Darüber hinaus ist für die Begründung dieser Annahme darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen habe (vgl. VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21 /0172). Wenn auch ein öffentliches Interesse an der Verhinderung von Schwarzarbeit unbestritten ist, so reichen jedoch die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen für eine nachvollziehbare Darstellung der Gefährdungsannahme nicht aus. Die Behörde stützt sich insbesondere auf die Feststellung, dass der BF im Bundesgebiet der Schwarzarbeit nachgegangen ist. In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass der BF strafgerichtlich unbescholten ist und auch keine finanzbehördliche Bestrafung erfolgte. Der BF hat die vorgesehenen Steuern und Versicherungen bezahlt sowie regelmäßig einen Lohnsteuerausgleich gemacht.

Der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, dass der Bescheid auch mit weiteren Mängeln behaftet ist. Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist jedenfalls auch anhand von § 9 BFA-VG deren Zulässigkeit zu prüfen. Dadurch ergibt sich die Pflicht der Behörden, von einer Aufenthaltsbeendigung dann abzusehen, wenn diese gegen Art 8 EMRK verstoßen würde. Die Frage nach dem durch eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot bewirkten Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen darf nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden, sondern ist auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten „in den Blick“ zu nehmen. Das folgt unzweifelhaft daraus, dass diese aufenthaltsbeendenden Maßnahmen grundsätzlich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten bezogen sein sollen (vgl. VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21/0172). Diesbezüglich hat die belangte Behörde keinerlei Erhebungen angestrengt. Wäre der BF durch die belangte Behörde vernommen worden, wäre hervorgekommen, dass die Ehegattin des BF – mögen diese auch getrennt leben – und ihre gemeinsamen zwei Kinder in Italien leben. Zudem hat der BF eine Lebensgefährtin im Bundesgebiet. Umstände, welche in Bezug auf die Rückkehrentscheidung zu tragen kämen. Eine Einvernahme des BF durch die belangte Behörde fand nicht statt und führte das BFA im angefochtenen Bescheid aus, der BF sei untergetaucht – wobei dieser seiner Ausreiseverpflichtung ordnungsgemäß nachkam – und stellte zum Familienleben des BF lediglich fest, dass dieser in Österreich kein Familienleben führe, er zwar zwei Cousins in Österreich habe, wobei einer gemeinsam mit ihm die Schwarzarbeit begangen habe und sonst keine Beziehungs- oder Abhängigkeitsverhältnisse im Bundesgebiet vorliegen würden.

Wird eine Rückkehrentscheidung gegenstandslos, so erfasst das auch die damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche. Das gilt auch für das an die Rückkehrentscheidung anknüpfende Einreiseverbot (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die ordentliche Revision gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG erweist sich insofern als nicht zulässig, als der wesentliche Sachverhalt, insbesondere das Aufenthaltsrecht in Italien, eindeutig geklärt ist. Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung. Auch ist die im gegenständlichen Fall maßgebende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen vor. Vielmehr wurde die gegenständliche Entscheidung mit aktueller Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes begründet.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltstitel aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung freiwillige Ausreise Kassation Rückkehrentscheidung behoben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I415.2228074.1.00

Im RIS seit

22.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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