TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/20 I412 2165523-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.09.2021
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Entscheidungsdatum

20.09.2021

Norm

AsylG 2005 §57 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs10
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs3
FPG §59 Abs5
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I412 2165523-4/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX (geboren XXXX ), geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch RA Prof. Mag. Dr. Vera M. WELD, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.06.2021, ZI. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt I. zu lauten hat:

„Ihr Antrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vom 30.06.2020 wird gemäß § 57 Abs. 3 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

I.1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, meldete erstmalig am 18.02.2015 einen Wohnsitz im Bundesgebiet an.

I.2. Einem Bericht der LPD Wien vom 26.05.2015 ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin sich an diesem Tag zum Meldeamt begeben habe, um eine Anmeldung mittels eines gefälschten ungarischen Personalausweises für Fremde sowie eines gefälschten ungarischen Meldenachweises durchzuführen. Bei ihrem vorgelegten nigerianischen Reisepass seien hingegen keine Anzeichen einer Fälschung festgestellt worden.

I.3. Am 28.05.2015 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.05.2018, Zl. I403 2165523-1/4E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig abgewiesen wurde. Mit diesem Erkenntnis wurde überdies eine gegen die Beschwerdeführerin erlassene Rückkehrentscheidung sowie die Feststellung der Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Nigeria bestätigt.

I.4. Die Beschwerdeführerin kam ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 20.06.2018 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, welcher wiederum im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.01.2019, Zl. I420 2165523-2/4E, rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Mit diesem Erkenntnis wurde abermals eine gegen die Beschwerdeführerin erlassene Rückkehrentscheidung sowie die Feststellung der Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Nigeria bestätigt.

I.5. Am 05.03.2019 stellte die Beschwerdeführerin beim Amt der Wiener Landesregierung, MA 35, einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 NAG, welcher mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 31.07.2019, Zl. MA35-9/3244729-01, abgewiesen wurde. Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

I.6. Die Beschwerdeführerin kam ihrer Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nach und stellte am 26.09.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG („Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“). In einer dem Antrag angeschlossenen, schriftlichen Antragsbegründung brachte sie insbesondere vor, mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet zu sein und nach einer etwaigen Erteilung eines Aufenthaltstitels sogleich einer Vollzeitbeschäftigung als Aushilfskellnerin in einem Gastronomiebetrieb nachgehen zu können. Zudem befinde sie sich seit August 2015 durchgehend in Österreich und spreche Deutsch auf A2-Niveau, während seit ihrer Ausreise aus Nigeria kein Kontakt zu ihren Angehörigen im Herkunftsstaat mehr bestehe. Beigelegt wurden dem Antrag eine Gehaltsabrechnung ihres Ehemannes (datiert mit Juli 2018), eine Heiratsurkunde (datiert mit 24.09.2018), ein Arbeitsvorvertrag als Aushilfskellnerin mit einem Gastronomiebetrieb (datiert mit 19.12.2018), eine Geburtsbestätigung mit beglaubigter Übersetzung (datiert mit 01.06.2018), ein Staatsbürgerschaftsnachweis ausgestellt durch die nigerianische Botschaft in Wien (datiert mit 17.12.2018) sowie ein ÖSD-Zertifikat für eine bestandene Deutsch-Prüfung für das Niveau A2 (datiert mit 07.06.2018).

I.7. Mit Schriftsatz vom 04.02.2020 stellte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde einen „Antrag auf Aufhebung der Rückkehrentscheidung“. Inhaltlich wurde abermals ausgeführt, dass sie mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet und auch in dessen soziales Umfeld integriert sei, überdies durch eine erfolgreich abgelegte Deutsch-Prüfung für das Niveau A2 ihre sprachliche Integration nachgewiesen habe. Die Lebenssituation der Beschwerdeführerin habe sich seit ihren beiden Asylverfahren insoweit geändert, als sie von ihrem Gatten schwanger gewesen sei, das Kind jedoch verloren habe. Neben der „extremen psychischen Belastung“, die sie durch dieses traumatische Ereignis erlitten habe, habe sie zudem mit einer Erkrankung zu kämpfen gehabt, sodass ihr eine Ausreise faktisch nicht möglich sei. Medizinische Befunde waren der Eingabe nicht beigefügt.

I.8. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 04.02.2020 brachte die Beschwerdeführerin noch eine „aufgetragene Antragsbegründung“ im Hinblick auf ihre Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK bei der belangten Behörde ein. In dieser behauptete sie nunmehr, sich bereits „seit Beginn des Jahres 2015“ im Bundesgebiet aufzuhalten. Zudem wird abermals auf die erlittene Fehlgeburt verwiesen und habe die Beschwerdeführerin darüber hinaus eine Belastungsstörung entwickelt, die sich in extremen Kopfschmerzen äußere. Überdies befinde sie sich aufgrund von Diabetes mellitus in medikamentöser Behandlung. Medizinische Befunde wurden dieser Eingabe wiederum keine angeschlossen. Abschließend wurde noch „in eventu“ ein „Antrag auf Modifikation“ des verfahrensgegenständlichen Antrages „auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG auf einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG“ gestellt.

I.9. Mit Schriftsätzen vom 11.02.2020 sowie vom 25.02.2020 wurden seitens der Beschwerdeführerin noch ein ausgefülltes Antragsformular der Österreichischen Gesundheitskasse hinsichtlich der „Prüfung der Anspruchsberechtigung für Angehörige gemäß § 123 ASVG“ (das tatsächliche Bestehen einer Anspruchsberechtigung der Beschwerdeführerin geht aus diesem Antragsformular nicht hervor) sowie ein Arztbrief eines Facharztes für Neurologie vom 14.02.2020 in Vorlage gebracht, in welchem an der Beschwerdeführerin eine „Anpassungsstörung mit schwerer Depression und latenter Suizidalität“ sowie „Spannungskopfschmerzen“ diagnostiziert werden. Als Therapieempfehlung werden im Arztbrief die Medikamentenwirkstoffe Escitalopram sowie Trittico genannt, überdies eine ambulante Gesprächstherapie sowie engmaschige nervenärztliche Kontrollen. Zudem werde als „weitere Empfehlung“ aus nervenärztlicher Sicht dringend angeraten, „den Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin zu klären, da Stressbelastungen unbedingt vermieden werden sollten um eine weitere Gefährdung der Gesundheit zu verhindern.“

I.10. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 04.03.2020, Zl. 1070856406/190980708 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 26.09.2019 „gemäß § 58 Abs. 10 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ zurückgewiesen (Spruchpunkt I.).

I.11. Dagegen wurde mit Schriftsatz vom 25.03.2020 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Inhaltlich wurde ausgeführt, dass bei der belangten Behörde seit dem 04.02.2020 ein Antrag auf Aufhebung der gegen die Beschwerdeführerin erlassenen Rückkehrentscheidung anhängig sei, sodass dieser – „aufgrund massiver Veränderung des maßgeblichen Sachverhalts“ – „de facto keine Rechtskraftwirkung mehr“ zukomme. Auch habe im Hinblick auf die Beschwerdeführerin sehr wohl eine erhebliche, ausreichende Integrationsverfestigung stattgefunden, welche eine völlige Neubewertung ihres Privat- und Familienlebens unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK notwendig mache. Angesichts der erlittenen Fehlgeburt, welche auch ihren Ehegatten sehr hart getroffen habe, wäre das Ehepaar auf gegenseitige Nähe und Beistand angewiesen und würde eine Ausreise das seelische Wohl der Beschwerdeführerin erheblich gefährden. Überdies habe die Beschwerdeführerin – wie bereits im Administrativverfahren dargelegt – eine Belastungsstörung entwickelt, welche sich besonders in extremen Kopfschmerzen äußere und befinde sie sich aufgrund von Diabetes mellitus in medikamentöser Behandlung. Diese Umstände wären seit Fällung einer Rückkehrentscheidung neu hinzugetreten und würden eine andere Gewichtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK gebieten. Darüber hinaus sei die Zurückweisung des Antrages auch deshalb zu Unrecht erfolgt, da über den mit Antragsbegründung vom 04.02.2020 gestellten Eventualantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG nicht abgesprochen worden sei.

I.12. Mit Schriftsatz an das Bundesverwaltungsgericht vom 03.04.2020 beantragte die Beschwerdeführerin „aufgrund der durch die Notstandsgesetzgebung in Österreich hervorgerufenen notorischen Benachteiligungen“ überdies in eventu die Ausstellung einer Duldungskarte und stellte zudem den „Eventualantrag gemäß § 6 AVG“ auf Übermittlung des Aktes zum BFA. Mit Schreiben vom 07.04.2020 wurde dieses Anbringen seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigkeitshalber an die belangte Behörde weitergeleitet.

I.13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.06.2020, Zl. I413 2165523-3/5E wurde die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 04.03.2020 als unbegründet abgewiesen.

I.14. Am 30.06.2021 stellte die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“.

I.15. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 18.09.2020 wurde die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde über die Beabsichtigte Abweisung des Erstantrages gemäß § 57 AsylG in Kenntnis gesetzt und ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme zu ihrem Privat- und Familienleben binnen zwei Wochen gewährt. Am 02.10.2020 langte eine entsprechende Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.16. Am 25.11.2020 wurde die Beschwerdeführerin seitens der belangten Behörde aufgefordert betreffend ihre Antragstellung gemäß § 57 AsylG bekanntzugeben nach welcher Ziffer der Antrag geprüft werden soll und diesen entsprechend zu begründen. Mit Schreiben der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin vom 13.12.2020 wurde konkretisiert, dass es sich um einen Antrag gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG handle.

I.17. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 09.03.2021 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert ihren Antrag gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG entsprechend zu begründen und anzugeben, ob ein strafrechtliches Verfahren anhängig sei. Zudem wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit gewährt abermals Angaben zu ihrem Privat- und Familienleben zu machen. Mit Stellungnahme vom 19.03.2021 wurde neuerlich bestätigt, dass es sich gegenständlich um einen Antrag gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG handle, jedoch kein strafrechtliches Verfahren anhängig sei.

I.18. Mit angefochtenem Bescheid vom 25.06.2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 ab, da die Beschwerdeführerin weder Opfer von Menschenhandle, Prostitutionshandel o. ä. sei und keinerlei offene Straf- oder Zivilverfahren, die zu einer Gewährleistung der Strafverfolgung oder Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüche notwendig wären, anhängig seien.

I.19. In der dagegen erhobenen Beschwerde vom 28.07.2021 moniert die Beschwerdeführerin durch ihre Rechtsvertretung, dass der Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit leide, zumal die belangte Behörde Ausführungen zu einem Spruchpunkt II. getätigt habe, obwohl der Bescheid lediglich einen Spruchpunkt enthalten würde. Zudem wurde auf das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin und ihre Integrationsverfestigung verwiesen und ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG beantragt. Außerdem wurde die Gewährung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

I.20. Die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 06.08.2021 zur Entscheidung vorgelegt.

I.21. Mit Schreiben vom 10.09.2021 wurde ein Empfehlungsschreiben für die Beschwerdeführerin vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage, vor allem den Antrag auf Erteilung „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, dem diesbezüglichen Bescheid des BFA in Verbindung mit dem Beschwerdeschreiben sowie dem Bundesverwaltungsgericht zugänglichen Gerichtsaktes zu GZ: I412 1431099-4 fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

II.2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

II.2.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

II.2.2.1. Der mit "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" betitelte § 57 lautet:

"§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können."

II.2.2.2. Das in der Beschwerde angeführte Privat- und Familienleben sowie die gesetzten Integrationsschritte der Beschwerdeführerin (aufrechte Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger, Deutschkenntnisse usw.) stellen keinen Sachverhalt dar, welcher unter § 57 AsylG subsumierbar ist. Im gesamten Verfahren ist sohin kein Sachverhalt hervorgekommen, welcher unter § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG zu subsumieren wäre. Derartiges ergibt sich weder aus dem Akteninhalt, noch aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin. In ihrer Stellungnahme vom 19.03.2021 wurde zweifelsfrei ausgeführt, dass kein strafrechtliches Verfahren anhängig sei.

Es kann daher nicht beanstandet werden, dass das BFA im bekämpften Bescheid keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG erteilt hat.

Dadurch, dass die belangte Behörde den Antrag nicht gemäß § 57 Abs. 3 AsylG zurückgewiesen, sondern diesen abgewiesen hat, ist die Beschwerdeführerin nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in keinem Recht verletzt, weil sie einerseits keinen Anspruch auf Sachentscheidung hat und andererseits ihre Rechtsposition, insbesondere die Möglichkeit, bei Änderung der Sach- oder Rechtslage neuerlich einen Antrag zu stellen, nicht beeinträchtigt worden ist.

Wird gegen rechtswidrige meritorische Erledigung Berufung erhoben, hat die Rechtsmittelbehörde den Antrag - ungeachtet der Sachentscheidung der Unterinstanz - zurückzuweisen. Daher kann die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG auch in dieser Frage ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterinstanz setzen und war der Spruch des angefochtenen Bescheides dahingehend abzuändern, dass der Antrag der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückzuweisen war.

II.2.2.3. Gemäß § 52 Abs. 3 FPG (iVm § 10 Abs 3 AsylG) hat die belangte Behörde unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

In Fällen, in denen ein Antrag nach § 57 AsylG 2005 ab- (oder zurück)gewiesen wird, ist die Entscheidung gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 3 FrPolG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0200; VwGH 05.03.2021, Ra 2020/21/0289).

Im Erkenntnis vom 19.11.2015, Ra 2015/20/0082, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass § 59 Abs. 5 FPG 2005 der Verfahrensökonomie dienen und bewirken soll, dass es keiner neuerlichen Rückkehrentscheidungen bedarf, wenn bereits rechtskräftige Rückkehrentscheidungen vorliegen, es sei denn, dass neue Tatsachen iSd § 53 Abs. 2 und 3 FPG 2005 hervorkommen, die eine Neubemessung der Dauer eines Einreiseverbotes erforderlich machen. Durch den Verweis auf § 53 FPG 2005, der die Erlassung eines Einreiseverbotes regelt, geht in Zusammenschau mit den Materialien (vgl. EB RV 1803 BlgNR 24. GP, 67 zum FNG, BGBl. I Nr. 87/2012) hervor, dass sich § 59 Abs. 5 FPG 2005 nur auf solche Rückkehrentscheidungen bezieht, die mit einem Einreiseverbot verbunden sind. Nur im Fall der Änderung des für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes relevanten Sachverhaltes bedarf es einer neuen Rückkehrentscheidung, um allenfalls die Dauer des mit ihr zu verbindenden Einreiseverbotes neu festlegen zu können. Ist die Rückkehrentscheidung allerdings von vornherein nicht mit einem Einreiseverbot verbunden, fällt sie nicht in den Anwendungsbereich dieser Norm.

Daraus ergibt sich, dass die belangte Behörde im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gehabt hätte, zumal die Beschwerdeführerin nie mit einem Einreiseverbot belegt wurde und auch kein Fall des § 58 Abs. 9 AsylG vorliegt.

Die Säumnis in Bezug auf die Erlassung der Rückkehrentscheidung führt jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit des Ausspruchs über die Ablehnung des Antrages auf einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG, da dieser nicht von der Rückkehrentscheidung abhängt (siehe dazu: VwGH, 12.12.2018, Ra 2017/19/0553).

II.2.2.4. Der Vollständigkeit halber wird jedoch darauf hingewiesen, dass durch die auf die Rückkehrentscheidung Bezug nehmenden Ausführungen in der Begründung ("zu Spruchpunkt II.:"; AS 784 f) des angefochtenen Bescheides ein fehlender Spruchpunkt nicht ersetzt werden kann; die Begründung eines Bescheides kann keine normative, die Behörden und die beteiligten Parteien bindende Wirkung erlangen.

Einen Spruchpunkt betreffend die Rückkehrentscheidung lässt der erstinstanzliche Bescheid zur Gänze vermissen und fehlt dem angefochtenen Bescheid auch ein "Spruchpunkt II.", auf welchen in der bekämpften Erledigung Bezug genommen wurde. In der Bescheidbegründung werden bei den Feststellungen und der Beweiswürdigung Ausführungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin getroffen und im Rahmen der rechtlichen Würdigung wird unter der Überschrift "Spruchpunkt II." im Wesentlichen auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung eingegangen.

Gegenstand der Rechtskraft ist jedoch nur der Bescheidspruch selbst. Nur er erlangt rechtliche Geltung (Verbindlichkeit) und legt dadurch die Grenzen der Rechtskraft fest. Die Bescheidbegründung spielt hierfür nur insoweit eine Rolle, als sie zur Deutung, nicht aber zur Ergänzung eines in sich unklaren Spruches heranzuziehen ist. (vgl. hierzu auch VwGH 24.06.2014, 2012/05/0189).

Aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides ergibt sich, dass mit diesem lediglich über den Antrag auf eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG, nicht jedoch über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria entschieden wurde. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Begründung des angefochtenen Bescheides sich über weite Strecken auf die die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, weil ein fehlender Spruch (hier: ein fehlender Spruchteil in einem durch entsprechende Überschriften in Spruch und Begründung klar gegliederten Bescheid) durch Ausführungen in der Begründung nicht ersetzt oder nachgetragen werden kann.

II.2.2.5. Ein Absprechen über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erübrigt sich, da die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt hat.

II.3. Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung:

Der Verwaltungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, 2014/20/0017 und 0018, aus, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Die genannten Kriterien sind im vorliegenden Fall erfüllt, da der Sachverhalt durch das Bundesamt vollständig erhoben wurde. In der erhobenen Beschwerde findet sich kein Vorbringen, welches im gegenständlichen Fall geeignet erscheint, die Entscheidung des Bundesamts in Frage zu stellen.

Im gegenständlichen Verfahren hätte die Durchführung einer Verhandlung - wie die oben vorgenommene Interessenabwägung zeigt - zu keinem anderen Ergebnis geführt, sodass diesbezüglich kein entscheidungswesentlicher klärungsbedürftiger Sachverhalt vorlag (vgl. den Beschluss des VwGH vom 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Damit ist der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen (vgl. § 27 VwGVG), wobei eine mündliche Erörterung auch keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Ausreiseverpflichtung entschiedene Sache geänderte Verhältnisse Identität der Sache Interessenabwägung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung res iudicata Rückkehrentscheidung unzulässiger Antrag wesentliche Änderung wesentliche Sachverhaltsänderung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I412.2165523.4.00

Im RIS seit

22.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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