Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
Milchwirtschaftsfonds Ausgleichs- und Zuschußsystem 1990;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Höfinger, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde der Molkereigenossenschaft Y registrierte Genossenschaft m.b.H. in Y, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds vom 12. Dezember 1991, Zl. Ia/Dr.A./b., betreffend Transportkostenzuschüsse nach dem Marktordnungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. In den Verwaltungsakten befinden sich aus dem Zeitraum der
15. bis 20. Woche des Jahres 1990 Unterlagen über Milchüberschußmeldungen verschiedener Salzburger und Tiroler Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebe. Mittels Telefax, gerichtet an die beschwerdeführende Molkereigenossenschaft in Y, disponierte der Milchwirtschaftsfonds, Landesstelle Oberösterreich, "zus. (gemeint: zusätzliche) Vollmilchlieferungen" an sie von jeweils genannten Salzburger und Tiroler Molkereien in bestimmter Tonnage und für bestimmte Tage der Woche.
Für den erwähnten Zeitraum richtete die Landesstelle Oberösterreich des Milchwirtschaftsfonds an die beschwerdeführende Molkereigenossenschaft ferner je einen "Versandauftrag". Darin wurde die Beschwerdeführerin verständigt, daß sie auf Grund ihrer Milchüberschußmeldung in der jeweils folgenden Woche zur Milchlieferung mit bestimmten Mengen eingeteilt sei, wobei als Empfangsbetrieb das Trockenwerk Y mit tageweise bestimmten von der Beschwerdeführerin abgehenden Tonnen Magermilch eingetragen war. Weiters enthielt das Schreiben die Verständigung, von welchen Molkereigenossenschaften aus Salzburg oder Tirol Rohmilch bzw. Vollmilch an die beschwerdeführende Partei angeliefert werde. Schließlich enthielten die Schreiben den Hinweis:
"Bezüglich des Umfanges der Disposition sowie der Anerkennung der Transportkostenzuschüsse durch den Milchwirtschaftsfonds ab 1. Jänner 1990 wird auf den Beschluß des GA vom 21. Dezember 1989 (Rundschreiben) hingewiesen."
1.2. Mit Bescheid vom 12. Dezember 1990 gab der geschäftsführende Ausschuß des Milchwirtschaftsfonds dem Antrag der beschwerdeführenden Partei vom 11. September 1991 auf Zuerkennung von Transportkostenzuschüssen für Vollmilch, die im April und Mai 1990 von anderen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieben aus Salzburg und Tirol angeliefert, im Betrieb der beschwerdeführenden Partei molkereimäßig bearbeitet und dann an das Trockenwerk Y weitergeliefert worden sei, über die schon zuerkannten Transportkostenzuschüsse von S 162.099,35 hinaus gemäß § 5 des Marktordnungsgesetzes 1985 - MOG, BGBl. Nr. 210, in der im Jahr 1990 geltenden Fassung BGBl. Nr. 330/1988, in Verbindung mit dem ab 1. Jänner 1990 geltenden Ausgleichs- und Zuschußsystem (kundgemacht im Heft 1 der Verlautbarungen des Milchwirtschaftsfonds, ausgegeben am 16. Jänner 1990, Nr. 4, Seite 6 ff), insbesondere Punkt III.4. dieser Verordnung, und in Verbindung mit der im Jahr 1990 geltenden Versorgungsgebietsregelung (kundgemacht in der Beilage 11 zu Heft 16 der Österreichischen Milchwirtschaft vom 21. August 1988, Nr. 45 m, Seite 178 f), keine Folge.
Nach der Begründung dieses Bescheides habe die Landesstelle Oberösterreich des Milchwirtschaftsfonds gemeldete Milchüberschüsse aus Salzburg und Tirol zum Teil Käsereien mit Zukaufsbedarf zugewiesen, der Rest sei vertrocknet worden. Die eingeteilten Milchmengen seien der Hauptabteilung II der Fondszentrale als Dispositionsvorschlag zur Kenntnis gebracht worden, die ihrerseits auf dem Wege der zuständigen Landesstelle die Versandbetriebe beauftragt habe, diesen Versand durchzuführen. Die beschwerdeführende Molkereigenossenschaft habe eine Verständigung erhalten, von welchen Molkereien Milch zu erwarten sei. Die Vollmilch sei deswegen zuerst in die beschwerdeführende Genossenschaft disponiert worden, weil es sich um eine Rohmilch aus Tirol und Salzburg gehandelt habe und seitens des Trockenwerkes Y eine vorherige molkereimäßige Behandlung im Betrieb der beschwerdeführenden Partei gewünscht worden sei.
Auf diese Weise seien in den Monaten März bis Mai 1990 3,361.002 kg Vollmilch von Salzburger und Tiroler Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieben im Wege der beschwerdeführenden Molkereigenossenschaft an das Trockenwerk Y geliefert worden, wofür Transportkosten in Höhe von S 810.091,68 angefallen seien. 20,01 % dieser zugelieferten Vollmilch sei in der beschwerdeführenden Molkereigenossenschaft zu versorgungsgebietsgeregelter Butter verarbeitet worden. Die belangte Behörde anerkenne daher Transportkostenzuschüsse in Höhe von 20,01 % der angefallenen (von der Beschwerdeführerin bezahlten) Transportkosten, somit in Höhe von S 162.099,35.
Der ÖMOLK als Überschußverwerter habe die Bezahlung der restlichen Transportkosten der beschwerdeführenden Partei mit der Begründung verweigert, es habe sich um Versandaufträge des Milchwirtschaftsfonds gehandelt, nicht jedoch um Dispositionen des ÖMOLK oder sonstiger wirtschaftlicher Zusammenschlüsse. Am 11. September 1991 habe die Beschwerdeführerin die bescheidmäßige Erledigung mit dem Hinweis beantragt, die Zudisposition von Vollmilch im ersten Halbjahr 1990 von Salzburger und Tiroler Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieben sei durch eine Überproduktion von Rohmilch-Emmentaler entstanden und es sei daher ein Absatznotstand vorgelegen.
Unstrittig sei, daß die in Rede stehenden Vollmilchlieferungen vom Milchwirtschaftsfonds disponiert worden seien. Unter Disponierung seien Aufträge des Milchwirtschaftsfonds gemäß § 15 Abs. 1 Z. 3 MOG zu verstehen, Milch oder Rahm von einem Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb an einen anderen zu versenden. Dies allein sei jedoch nach dem klaren Wortlaut des Punktes III.4.2. des Ausgleichs- und Zuschußsystems ab 1. Jänner 1990 zuwenig. Es müßte sich vielmehr darüberhinaus
a)
entweder um die Verwendung für versorgungsgebietsgeregelte Waren gehandelt haben, oder
b)
zur Verwendung von H-Milch oder
c)
um einen Notfall.
Es sei unstrittig, daß die zudisponierten Vollmilchmengen von der beschwerdeführenden Molkereigenossenschaft nicht zur Herstellung von versorgungsgebietsgeregelten Waren benötigt worden seien, weil hiefür das eigene Milchaufkommen mehr als ausreichend gewesen sei. Die im Trockenwerk Y hergestellten Waren seien keine versorgungsgebietsgeregelten Erzeugnisse aus Milch. Auch für H-Milch sei die zudisponierte Milch nicht verwendet worden.
Bei "Notfällen" könne es sich nicht um strukturelle längerfristige Überschuß- und Absatzprobleme infolge Überproduktion handeln. Notfälle wären Mangelsituationen in der Ernährung der Bevölkerung durch Katastrophen, Verkehrsunterbrechungen und ähnliche Erscheinungen, aus denen zur Ernährungssicherstellung Eingriffe in die Warenströme notwendig würden. Ein solcher Fall sei z.B. vorgelegen, als durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl das Milchaufkommen in Österreich unterschiedlich radioaktiv belastet gewesen sei und daher Milch mit der geringsten Belastung für Konsumzwecke habe herangezogen werden müssen, und zwar entgegen allen sonstigen traditionellen Lieferbeziehungen. Demgegenüber könne ein schon seit längerer Zeit bestehender struktureller Überschuß an hartkäsetauglicher Milch ohne entsprechende volle Absatzmöglichkeit im Hartkäsebereich nicht als Notsituation betrachtet werden.
Es liege somit keiner der Gründe vor, nach denen Transportkostenzuschüsse zustünden. Auf diese Konsequenzen habe die Landesstelle Oberösterreich des Milchwirtschaftsfonds die Beschwerdeführerin in den jeweiligen Verständigungen durch einen Beisatz hingewiesen.
Schließlich bemerkte die belangte Behörde noch, der Fonds habe Hilfestellung geleistet, überschüssige Milchmengen an die Trockenwerke zu vermitteln. All dies sei stets einvernehmlich und unter Mitwirkung des Überschußverwerters ÖMOLK erfolgt. Die Bezahlung der ausständigen Transportkosten könne nicht bei der beschwerdeführenden Partei hängenbleiben, da dort die molkereimäßige Behandlung ausschließlich über Wunsch des Trockenwerkes Y erfolgt sei. Als zahlungsverpflichtet kämen der Milchwirtschaftsfonds als disponierende Behörde einerseits und der ÖMOLK als Überschußverwerter sowie Eigentümer und Verkäufer der Ware andererseits in Betracht. Eine Kostenübernahme durch den Fonds sei jedoch auf Grund der bestehenden Verordnung nicht möglich.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Nach der Begründung der Beschwerde sei es für die Beschwerdeführerin nicht maßgeblich, ob eine Disposition des Fonds mit oder gegen den Willen des ÖMOLK als Überschußverwerter erfolgt sei. Auch wenn ein solches "Einvernehmen" Einfluß auf eine öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung haben sollte, wäre die Beschwerdeführerin in dieses Einvernehmen nicht eingebunden gewesen.
Die Beschwerdeführerin gehe davon aus, daß die Disposition durch den Milchwirtschaftsfonds rechtmäßig sei. Eine Klärung etwaiger rechtlicher Zweifel, die aber im vorliegenden Fall nicht bestanden hätten, wäre schon zeitlich nicht möglich, weil die Übernahme der angelieferten Milch (oder die Verweigerung des Transportes aus der Sicht der Absender) - ergänze: und ihr Lagern bis zur Klärung der Zweifelsfrage - bedeuten würde, daß die Milch verderbe und der Schaden wesentlich höher sei als die Transportkosten.
Der Begriff "Notfall" im Punkt III.4.2. des Ausgleichs- und Zuschußsystems ab 1. Jänner 1990 sei so auszulegen, daß ein Notfall auch dann vorliege, wenn im Bereich von Hartkäsereien angefallene Milch aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr verarbeitet werden könne, weil die Hartkäselager übervoll seien, und die Milch daher einer anderen Verwendung zugeführt werden müsse, die aus technischen Gründen nur in einem anderen Bundesland erfolgen könne. Genaue Feststellungen über den Absatznotstand fehlten allerdings, was in eventu als Verfahrensmangel gerügt werde. "Notfall" sei nicht nur eine Katastrophe, sondern umfasse auch alle anderen Fälle, in denen ein betriebswirtschaftlich unzweckmäßiger Milchtransport aus überregionalen wirtschaftlichen Gründen erfolgen müsse. Es sei davon auszugehen, daß der Milchwirtschaftsfonds Dispositionen - abgesehen von den anderen hier nicht interessierenden Fällen - nur in "Notfällen" vornehme. Wollte man die Regelungen des Transportkostenausgleiches so auslegen, daß die Adressaten der Disposition das Risiko trügen, daß die Disposition in diesem Sinne nicht erforderlich gewesen sei, wäre dies ein Eingriff in das auch verfassungsgesetzlich geschützte Recht auf Unverletzbarkeit des Eigentums.
Dieses Ergebnis werde durch eine weitere Überlegung unterstützt. Der Fonds habe einen Teil der Transportkosten übernommen, nämlich jene, die auf die Inhaltsstoffe entfallen seien, die zur Verbutterung in der Molkerei der Beschwerdeführerin der Vollmilch entzogen worden seien, weil insofern Milchprodukte erzeugt worden seien, die der Versorgungsgebietsregelung unterlegen seien, wodurch ein anderer Tatbestand des Punktes III.4.2. der genannten Verordnung erfüllt sei. Die Disposition betreffe aber den Transport der Vollmilch als solcher und nicht etwa ihrer Inhaltsstoffe. Eine Teilung könne zwar rechnerisch, nicht aber rechtlich erfolgen; dazu fehle jede gesetz- oder verordnungsmäßige Grundlage. Die Milch sei damit im Sinne der genannten Verordnungsstelle verwendet worden. Daß die teilentfettete Milch dann einer weiteren Verwendung (Trocknung) zugeführt worden sei, könne daran nichts ändern. Die Beschwerdeführerin habe annehmen müssen, daß sie kraft Disposition des Fonds der angelieferten (disponierten) Milch Fett zur Erzeugung von Butter zu entnehmen habe und die verbleibende, auf einen geringeren Fettgehalt eingestellte Vollmilch an das Trockenwerk liefern müsse.
1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Ziele, zu deren Erreichung der Milchwirtschaftsfonds errichtet wurde, waren gemäß § 2 Abs. 1 MOG unter anderem:
"2. Sicherung eines möglichst einheitlichen Erzeuger- und Verbraucherpreises für Milch und Erzeugnisse aus Milch,
3. Erreichung einer möglichst wirtschaftlichen Anlieferung, Bearbeitung, Verarbeitung und Verteilung von Milch und Erzeugnissen aus Milch,
4. Erzielung der aus volkswirtschaftlichen Gründen gebotenen Gleichmäßigkeit in der Belieferung der Märkte mit Milch und Erzeugnissen aus Milch, Sicherung einer ausreichenden Belieferung mit vom Handel, den Verarbeitern und Konsumenten nachgefragten Milch und Erzeugnissen aus Milch,
5.
... und
6.
Anpassung der Produktion und des Absatzes von Milch und Erzeugnissen aus Milch an die Aufnahmefähigkeit des in- und ausländischen Marktes."
Gemäß § 3 Abs. 1 erster Satz MOG in der im Jahr 1990 geltenden Fassung BGBl. Nr. 330/1988 war zur Erzielung eines möglichst einheitlichen Erzeugerpreises (Richtpreises) und zum Ausgleich von Preisunterschieden, die sich durch die Verwertung der Milch als Frischmilch oder durch ihre Verwertung nach einer Bearbeitung oder Verarbeitung ergeben, ein Ausgleichsbeitrag zu entrichten.
§ 5 MOG in der Fassung BGBl. Nr. 330/1988 lautete auszugsweise:
"(1) Der Fonds hat die Einnahmen aus dem Ausgleichsbeitrag in der Weise zu verwenden, daß
1.
...
2.
unterschiedliche Transportkosten ausgeglichen werden.
(2) ...
(3) Der Fonds hat durch Verordnung auf Grund der Abs. 1 und 2 die Bedingungen näher zu regeln, unter denen Zuschüsse gemäß Abs. 1 gewährt werden.
(4) Der Fonds kann Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebe, die diesem Bundesgesetz oder Vorschriften, die auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassen worden sind, zuwiderhandeln, so lange von der Gewährung von Zuschüssen ausschließen, als die entgegenstehenden Hindernisse von dem in Betracht kommenden Betrieb nicht beseitigt sind.
..."
§ 15 MOG in der Fassung BGBl. Nr. 330/1988 bestimmte auszugsweise:
"(1) Zur Erreichung der im § 2 Abs. 1 genannten Ziele kann der Fonds
1.
...
2.
Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieben (wirtschaftlichen Zusammenschlüssen von solchen) den Zukauf von Milch und Erzeugnissen aus Milch auftragen,
3. Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieben (wirtschaftlichen Zusammenschlüssen von solchen) vorschreiben, in welchen Mengen und in welcher Weise sie die angelieferte oder zugekaufte Milch und die Erzeugnisse aus Milch zu bearbeiten, zu verarbeiten, zu verteilen oder sonst zu verwenden oder zu verwerten haben, wobei jedenfalls die Versorgung mit Frischmilch sicherzustellen ist,
4. ...
(2) Bei den im Abs. 1 genannten Maßnahmen sind insbesondere die zur Verfügung stehenden Mengen an Milch und Erzeugnissen aus Milch, deren Qualität und die Transportkosten zu berücksichtigen. Bei Maßnahmen gemäß Abs. 1 Z 1 ist auf den Bedarf im übrigen Versorgungsgebiet Bedacht zu nehmen.
(3) Für Lieferungen von Milch und Erzeugnissen aus Milch, die entgegen diesem Bundesgesetz oder den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Vorschriften durchgeführt werden, kann der Fonds einen Ausgleichsbeitrag nach Maßgabe des Verschuldens des Beitragspflichtigen oder der für ihn handelnden Organe bis zur dreifachen Höhe des Höchstausmaßes vorschreiben.
(4) ..."
Im strittigen Zeitraum stand die Verordnung des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds vom 21. Dezember 1989 betreffend das "Ausgleichs- und Zuschußsystem ab 1. Jänner 1990", kundgemacht in Heft 1 der Verlautbarungen des Milchwirtschaftsfonds Nr. 4, Seite 6 ff, ausgegeben am 16. Jänner 1990, in Geltung (im folgenden: Ausgleichs- und Zuschußsystem 1990). In Punkt III.4. wurden die Transportkostenzuschüsse geregelt. Punkt III.4.2. lautete:
"Zuschüsse zu den Frachtkosten des Milch- und Rahmversandes in Tanks an einen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb oder ein Dauermilchwerk, inklusive der Durchschleuskosten eines eventuell zwischengeschalteten Durchschleusbetriebes, soferne die Milch vom Fonds disponiert wurde und zur Herstellung von Milch und Milchprodukten verwendet wurde, die der Versorgungsgebietsregelung unterliegen sowie für H-Milch und Notfälle.
Der Disposition des Fonds unterliegt auch die infolge der Butter-(Rahm-)erzeugung von den Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieben angediente Mager- und Buttermilch. Bei der Disposition wird von den bisherigen Produktionsrahmen der Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebe ausgegangen. Unabhängig von der Dispositionsmenge werden die Zuschüsse nur in einem wirtschaftlich gerechtfertigten Ausmaß (Grundsatz optimaler Verwertungs- und Transportkosten) in Form von Groschensätzen je kg Milch gewährt. Für die Bemessung des Transportkostenzuschusses werden nur jene Mengen an Zukaufsmilch (Rahm) zugrunde gelegt, soweit sie über das Eigenmilchaufkommen hinaus für die Herstellung von versorgungsgebietsgeregelten Waren sowie für H-Milch und zur Bewältigung von Notfällen erforderlich waren. Für die Ermittlung der Mengen, für die ein Transportkostenzuschuß zu gewähren ist, werden die Monatsdaten (Monatsnachweis) herangezogen. Bei mehreren Betriebsstätten sind die entsprechenden Daten nach Betriebsstätten aufzugliedern.
Die Verrechnung des Transportkostenzuschusses erfolgt für Mager- und Buttermilch mit dem Versandbetrieb, für alle anderen Milch- und Rahmsorten mit dem Empfangsbetrieb."
2.2.1. Unter dem Begriff "Dispositionen" im Sinne des Ausgleichs- und Zuschußsystems 1990 sind Aufträge des Milchwirtschaftsfonds gemäß § 15 Abs. 1 Z. 2 oder 3 MOG zu verstehen, Milch oder Rahm von einem Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb zu einem anderen zu versenden.
Gegenstand des Antrages der Beschwerdeführerin auf Transportkostenzuschuß sowie des angefochtenen Bescheides sind Kosten für die Fracht disponierter Vollmilch von Salzburger und Tiroler Molkereien zum Betrieb der Beschwerdeführerin in Y.
Auslegungsbedürftig sind folgende, den Anspruch auf Gewährung und die Bemessung von Transportkostenzuschüssen für disponierte Milch regelnde Bestimmungen im Punkt III.4.2.:
"Zuschüsse zu den Frachtkosten des Milch- und Rahmversandes in Tanks an einen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb oder ein Dauermilchwerk, ..., soferne die Milch vom Fonds disponiert wurde und zur Herstellung von Milch und Milchprodukten verwendet wurde, die der Versorgungsgebietsregelung unterliegen sowie für H-Milch und Notfälle. ... Für die Bemessung des Transportkostenzuschusses werden nur jene Mengen an Zukaufsmilch (Rahm) zugrunde gelegt, soweit sie über das Eigenmilchaufkommen hinaus für die Herstellung von versorgungsgebietsgeregelten Waren sowie für H-Milch und zur Bewältigung von Notfällen erforderlich waren."
Zwischen den Parteien des Verfahrens steht außer Streit, daß die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Vollmilchlieferungen aus Tirol und Salzburg an die beschwerdeführende Molkereigenossenschaft in Y durch den Milchwirtschaftsfonds disponiert wurden. Adressaten der Dispositionen über die Versendung der Vollmilch waren bestimmte Molkereibetriebe in Salzburg und Tirol einerseits und die beschwerdeführende Molkereigenossenschaft andererseits. Unstrittig ist auch, daß die zudisponierten Vollmilchmengen von der beschwerdeführenden Molkereigenossenschaft nicht zur Herstellung von versorgungsgebietsgeregelten Waren benötigt wurden, weil hiefür das eigene Milchaufkommen mehr als ausreichend war. Es handelte sich vielmehr um eine molkereimäßige Vorbehandlung von Milch, die hernach für das Trockenwerk bestimmt war. Die im Trockenwerk Y hergestellten Waren sind keine versorgungsgebietsgeregelten Erzeugnisse aus Milch. Auch für H-Milch wurde die zudisponierte Milch nicht verwendet.
Von den drei Fällen, auf die das Ausgleichs- und Zuschußsystem 1990 den Anspruch auf Transportkostenzuschüsse für disponierte Milchlieferungen beschränkt, scheiden daher die Tatbestände der Erforderlichkeit für die Herstellung von versorgungsgebietsgeregelten Waren und für H-Milch aus.
2.2.2. Zu prüfen ist somit, wie das Merkmal der Erforderlichkeit "zur Bewältigung von Notfällen" zu verstehen ist.
Auszugehen ist davon, daß es sich bei den Dispositionen des Fonds ("Vorschreibungen" im Sinne des § 15 Abs. 1 Z. 3 MOG) um hoheitliche Verwaltungsanordnungen des Milchwirtschaftsfonds handelt. Diese Aufträge oder Vorschreibungen im Sinne des § 15 Abs. 1 MOG werden im § 15 Abs. 2 leg. cit. zusammenfassend auch als Maßnahmen bezeichnet. Ihre Nichtbefolgung steht unter der Sanktion des § 15 Abs. 3 leg. cit., wonach der Fonds für Lieferungen von Milch und Erzeugnissen aus Milch, die entgegen diesem Bundesgesetz oder den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Vorschriften durchgeführt werden, einen Ausgleichsbeitrag nach Maßgabe des Verschuldens des Beitragspflichtigen oder der für ihn handelnden Organe bis zur dreifachen Höhe des Höchstausmaßes vorschreiben kann. Zudem begeht eine Verwaltungsübertretung nach § 87 Abs. 2 Z. 2 MOG, wer einer Verordnung oder einem Bescheid, die auf Grund des § 15 Abs. 1 erlassen worden sind, zuwiderhandelt. Sollte also gegenüber einem Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb in einem Bescheid die Verpflichtung zur Befolgung einer Lenkungsanordnung ausgesprochen worden sein, so kommt die Qualifikation des Zuwiderhandelns auch als Verwaltungsübertretung in Betracht.
Die behördliche Disposition über die Lieferung von Milch von einem Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb an einen anderen bringt es mit sich, daß daraus Transportkosten entstehen. Der Verordnungsgeber geht (zumindest für den Fall, daß die Disposition nichts anderes anordnet oder nichts anderes vereinbart wurde) erkennbar davon aus, daß die auflaufenden Frachtkosten für alle Milch- und Rahmsorten außer Mager- und Buttermilch vom Empfangsbetrieb zu tragen sind (vgl. Punkt III.4.2. letzter Satz des Ausgleichs- und Zuschußsystems 1990).
Durch die getroffene behördliche Disposition wird in das Eigentumsrecht der von der Lieferungsanordnung betroffenen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetriebe, im vorliegenden Fall wegen der verursachten Frachtkosten in jenes des Empfangsbetriebes eingegriffen. Es kann nun die Frage dahingestellt bleiben, ob und in welchem Ausmaß eine solche Belastung zum einen unter dem Aspekt des Vorliegens eines öffentlichen Interesses und zum anderen ohne vermögenswerten Ausgleich unter dem Gesichtspunkt der (Un)verhältnismäßigkeit des Eingriffes überhaupt als zulässig angesehen werden könnte (vgl. aus der neueren Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit von gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen z.B. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1993, Slg. Nr. 13.587, vom 17. Dezember 1993, Slg. Nr. 13.659, und vom 6. Dezember 1994, Slg. Nr. 13.964). Denn tatsächlich hat der Verordnungsgeber, gestützt auf § 5 MOG, die Abgeltung der aus einer Disposition des Fonds erwachsenen notwendigen Frachtkosten im Wege des Transportkostenausgleiches grundsätzlich vorgesehen. Wenn er nun im Punkt III.4.2. der Verordnung für die Fälle von Fondsdispositionen über Milch die Ausgleichsgewährung durch Transportkostenzuschüsse auf die drei Anwendungsfälle eingeschränkt hätte, ohne die Fälle zulässiger Dispositionen selbst zu begrenzen, dann stünde dies, legte man die drei Anwendungsfälle eng aus, mit den Grundrechten des Eigentumsschutzes und der Gleichheit (Sachlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsgebot) in einem verfassungsrechtlich bedenklichen Spannungsverhältnis. Letzteres, weil kein sachlicher Grund dafür zu finden wäre, warum in drei Fällen mit offenkundig gewichtigem öffentlichen Interesse ein Transportkostenausgleich vorgesehen wird, während dies in anderen Fällen möglicherweise vergleichsweise geringeren öffentlichen Interesses, für die aber eine behördliche Wirtschaftslenkungsmaßnahme in Form der Disposition weiterhin möglich blieb, nicht der Fall sein sollte.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich allerdings vor dem Hintergrund des Beschwerdefalles nicht veranlaßt, einen Antrag auf Prüfung der Gesetzmäßigkeit des anzuwendenden
Punktes III.4.2. des Ausgleichs- und Zuschußsystems 1990 beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Er pflichtet nämlich im Ergebnis der beschwerdeführenden Partei bei, daß die Begriffe "für Notfälle" bzw. "zur Bewältigung von Notfällen erforderlich" verfassungskonform in einer Weise ausgelegt werden können, die die Regelung unbedenklich erscheinen läßt. Der Gerichtshof ist der Auffassung, daß unter Notfällen nicht nur Katastrophenfälle, sondern auch die Fälle volkswirtschaftlicher und regionalwirtschaftlicher Lenkungsnotwendigkeiten zu verstehen sind, etwa die Fälle einer regionalen Überproduktion an Frischmilch, verbunden mit einem entsprechenden Absatznotstand, wobei die Milch aus technischen Gründen nur einer Verarbeitung in einem anderen Bundesland zugeführt werden kann. Zu Recht weist die beschwerdeführende Partei auch darauf hin, daß es - abgesehen von der oben dargestellten rechtlichen Verbindlichkeit und Sanktionierung der Dispositionen - auch praktisch keine Möglichkeit gibt, eine Disposition nicht zu befolgen, da eine Klärung etwaiger rechtlicher Zweifel schon zeitlich nicht möglich wäre, brächte doch die Nichtübernahme der angelieferten Milch (oder die Verweigerung des Transportes aus der Sicht der Absender) das Risiko des Verderbens der Ware mit sich. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher der Auffassung, daß in verfassungskonformer Auslegung der Wortlaut in Punkt III.4.2. erster Satz des Ausgleichs- und Zuschußsystems 1990 dahingehend teleologisch reduziert werden muß, daß entscheidendes Tatbestandsmerkmal für den Transportkostenzuschuß die Fondsdisposition ist und die drei Anwendungsfälle in Übereinstimmung mit den Anforderungen an solche Lenkungsmaßnahmen nach § 15 Abs. 3 MOG jene Voraussetzungen beschreiben, bei deren Vorliegen es weiterhin zulässigerweise zu Dispositionen des Fonds über Milch kommen wird.
Anspruchsbegründend ist somit die den Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb verpflichtende Disposition, auf die die entstandenen Frachtkosten zurückzuführen sind. Nicht entscheidend ist hingegen die Rechtmäßigkeit der Disposition.
2.3. Aus diesen Überlegungen folgt, daß die belangte Behörde die Anwendbarkeit des Punktes III.4.2. der eben zitierten Verordnung auf den Beschwerdefall und damit den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Transportkostenzuschüssen zu Unrecht verneint hat.
Die belangte Behörde hat damit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
Der angefochtene Bescheid war infolge dessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. II Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1992170044.X00Im RIS seit
11.07.2001