TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/21 W153 2141317-3

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Veröffentlicht am 21.09.2021
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Entscheidungsdatum

21.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W153 2141317-3/5E

W153 2141137-3/5E

W153 2202258-2/5E

W153 2214254-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Georgien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2021, Zl. 1.) 1125881201-210841145, 2.) 1125881005-210841161, 3.) 1178738210-210841200, 4.) 1216751407-210841269, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. lautet:

„Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung“.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die volljährigen Beschwerdeführer (BF1 und BF2) sind miteinander verheiratet und stellten bereits am 10.08.2016 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Der Drittbeschwerdeführer (BF3) wurde im November 2017 und die Viertbeschwerdeführerin (BF4) im November 2018 in Österreich geboren. Für diese wurden Asylanträge im Rahmen eines Familienverfahrens gestellt. Diese Asylanträge wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.03.2019 rechtskräftig negativ entschieden. Die BF haben am 16.07.2019 Österreich freiwillig verlassen und sind in ihren Heimatstaat zurückgekehrt.

Im Juni 2021 sind die BF wieder illegal nach Österreich gereist und haben nunmehr am 23.06.2021 gegenständliche Asylanträge gestellt.

Mit Bescheiden vom 07.07.2021 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den gegenständlichen Antrag der BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkte I. und II.) abgewiesen. Außerdem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gem. § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2. Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung wurde gem. § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF Georgien aufgrund des Gesundheitszustandes der BF1 verlassen hätten, da in Österreich die medizinische Versorgung besser sei. Die medizinische Versorgung der BF1 sei in Georgien gewährleistet.

Gegen die Spruchpunkte II.-VII. dieser Bescheide wurden binnen offener Frist Beschwerden erhoben. Es wurde im Wesentlichen auf die Erkrankung der BF1 und BF2 hingewiesen.

Die Beschwerden sind am 06.08.2021 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.08.2021 wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person der BF:

Die BF sind Staatsangehörige Georgiens und Angehörige der georgischen Volksgruppe sowie der christlich-orthodoxen Religionsgemeinschaft. Die BF1 und BF2 sind verheiratet, der minderjährige BF3 und die minderjährige BF4 sind deren gemeinsame, im Bundesgebiet geborene, Kinder.

Die Identität der BF steht fest.

Die BF1 besuchte in Georgien neun Jahre die Grundschule und drei Jahre ein College. Sie war vor ihrer Erkrankung in Georgien als Krankenschwester erwerbstätig. Der BF2 besuchte neun Jahre die Grundschule und war in Georgien als Bauarbeiter beschäftigt. Bei den minderjährigen BF3 und BF4 handelt es sich um einen vierjährigen Buben und ein dreijähriges Mädchen.

Bei der BF1 besteht seit dem Jahr 1998 eine insulinpflichtige Diabetes mellitus Typ 1-Erkrankung; zudem leidet sie an einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz bei diabetischer Nephropathie sowie an arterieller Hypertonie und wurde aufgrund eines infolge ihrer Diabetes-Erkrankung am linken Auge eingetretenen Sekundärglaukoms/Netzhautablösung mehrfach operiert. Überdies weist sie Schilddrüsen- und Leberwerte außerhalb des Normbereichs auf. Die BF1 benötigt regelmäßige Hämodialyse-Behandlungen, welche sie während des Vorverfahrens im Bundesgebiet dreimal wöchentlich in Anspruch nahm. Sie befindet sich jedoch nicht in dauernder stationärer Behandlung.

Die BF1 hat bereits im Herkunftsstaat langjährig bezüglich ihrer Diabetes-Erkrankung in Behandlung gestanden und war im Vorfeld ihrer erstmaligen Ausreise eineinhalb Jahre lang Dialysepatientin.

Nach ihrer freiwilligen Ausreise im Juli 2019 stand die BF1 in Georgien in medizinischer Behandlung; unter anderem nahm sie eine dreimal wöchentliche Hämodialyse-Behandlung in Anspruch.

Die BF2 bis BF4 leiden an keinen schwerwiegenden Erkrankungen.

Zum (Privat)Leben der BF in Österreich:

Die BF1 und BF2 reisten erstmals im August 2016 nach Österreich ein. Die BF3 und BF4 wurden 2017 und 2018 in Österreich geboren. Die BF lebten bis zu ihrer freiwilligen Ausreise nach Georgien im Juli 2019 in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt.

Seit der erneuten Antragsstellung am 23.06.2021 sind die BF aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG wiederrum rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Die BF leben in einer Flüchtlingsunterkunft, beziehen Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Die BF1 und BF2 waren in Österreich nie erwerbstätig, leisten derzeit keine ehrenamtlichen Tätigkeiten und sind weder Mitglied in einem Verein noch in einer sonstigen Organisation.

Die BF verfügen außerhalb ihrer Kernfamilie über keine verwandtschaftlichen oder sonstigen engen sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Die BF1 und BF2 haben sich keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet. Der BF2 engagierte sich während seines Aufenthalts im Vorverfahren durch die ehrenamtliche Verrichtung von Hilfstätigkeiten.

Die vier- und dreijährigen BF3 und BF4 verfügen über keine schützenswerten Bindungen im Bundesgebiet.

Eine maßgebliche Integration in die österreichische Gesellschaft kann nicht festgestellt werden.

Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat droht den BF kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention. Es ist ihnen zumutbar, in Georgien zu leben.

Fest steht, dass die BF in Georgien keiner sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen wären sowie im Falle ihrer Rückkehr in keine existenzgefährdende Notsituation geraten würden oder als Zivilpersonen keiner ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wären.

Gemäß § 1 Z 12 der Herkunftsstaaten-Verordnung (HStV), BGBl. II Nr. 177/2009 idgF, gilt die Republik Georgien als sicherer Herkunftsstaat.

Die Mutter, zwei Brüder, drei Onkel und fünf Cousins der BF1 sowie die Mutter und acht Geschwister des BF2 sind weiterhin in Georgien wohnhaft.

Nach der freiwilligen Ausreise im Juli 2017 lebten die BF in der Wohnung eines Verwandten. Die BF bezogen bis zu ihrer Wiedereinreise nach Österreich in Georgien Sozialunterstützungen und Lebensmittelboni für die minderjährigen BF. Darüber hinaus bezog die BF1 eine Pension und der BF2 war als Hilfsarbeiter erwerbstätig.

Die BF liefen jeweils nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende oder medizinische Notlage geraten.

Festgestellt wird, dass in Georgien ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind und diese den BF auch zugänglich sind.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die wirtschaftliche Situation der Familie – auch unter Berücksichtigung für die BF1 notwendig werdender Behandlungs- und Medikamentenkosten – als derart desolat erwiesen hätte, als dass die BF, welche im Herkunftsstaat zahlreiche enge familiäre Anknüpfungspunkte haben, im Falle einer Rückkehr Gefahr liefen, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten. Der BF2 ist zu einer uneingeschränkten Teilnahme am Erwerbsleben fähig.

Die BF begründeten die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz – wie bereits ihre Anträge im Vorverfahren – ausschließlich mit dem Wunsch nach einer qualitativ hochwertigen medizinischen Behandlung für die BF1. Es wurden keine darüberhinausgehenden Rückkehrbefürchtungen vorgebracht.

Die BF1 hat nicht dargetan, dass ihr eine benötigte Behandlung im Herkunftsstaat in der Vergangenheit verweigert worden oder individuell nicht zugänglich gewesen ist. Die BF1 hat überdies nicht dargetan, dass sie zum Entscheidungszeitpunkt eine Form der Nierentransplantation benötigen würde, welche in Georgien nicht erhältlich oder für sie nicht individuell zugänglich ist.

Für die BF3 und BF4 ergibt sich keine aus ihrer Minderjährigkeit resultierende erhöhte Gefahr, Opfer eines Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit zu werden oder in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten. Ihre Versorgung im Rahmen des Familienverbandes ist gewährleistet.

Im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie, aufgrund des Corona-Virus, wird festgestellt, dass die BF zwar nicht unter die Risikogruppe der Personen über 65 Jahren, die BF1 jedoch in die Risikogruppe der Personen mit Vorerkrankungen fällt. Ein bei einer Überstellung der BF nach Georgien vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK ist hierzu jedoch nicht erkennbar. Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass Schutzimpfungen für Risikogruppen in Georgien bis zur Jahresmitte 2021 abgeschlossen werden.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur aktuellen Lage in Georgien werden auszugsweise die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen aus dem BFA-Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 4 vom 29.03.2021, unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem BF offengelegten Quellen getroffen:

COVID-19

Letzte Änderung: 29.03.2021

COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 25.2.2021).

Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg bei positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1.000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020). Im Dezember stieg die tägliche Zahl der Infektionen auf ca. 5.000. Mit strengen Maßnahmen konnte die zweite Welle bis Mitte Jänner 2021 weitgehend unter Kontrolle gebracht werden (civil 18.1.2021)

Die zentrale Homepage der Regierung mit Informationen über Covid-19 ist in Georgien unter www.stopcov.ge zu finden. Die Internetseite ist neben Georgisch auch auf Englisch, Abchasisch, Aserbaidschanisch, Armenisch und Russisch verfügbar. Somit wird gewährleistet, dass auch die Angehörigen von Minderheiten alle relevanten Informationen zur Pandemie im Allgemeinen, zur speziellen Hygiene und zu Maßnahmen der Regierung erhalten (BAMF 10.2020). Auf dieser Seite werden auch tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen veröffentlicht (StopCoV.ge o.D.).

Der öffentliche Überlandverkehr wurde landesweit mit 25.2.2021 wieder aufgenommen (USEMB 25.2.2021). Mit Wirkung von 1.2.2021 durften Schulen, Hochschulen und Kindergärten wieder öffnen (Jam 23.1.2021). Weitere Lockerungen des wirtschaftlichen Lebens wurden im Zeitraum Februar-März 2021 ermöglicht (Gov.ge 24.2.2021). Stand Mitte März 2021 bestehen weiterhin nächtliche Ausgangssperren (USEMB 25.2.2021; vgl. Gov.ge 24.2.2021).

Mitte Jänner 2021 wurde der nationale Impfplan vorgestellt. Die Risikogruppen sollen bis Jahresmitte 2021 geimpft sein. Es ist nicht zu erwarten, dass Personen, die nicht den Risikogruppen angehören, vor dem Spätsommer/Frühherbst 2021 geimpft werden (civil 18.1.2021). Am 13.3.2021 erhielt Georgien, mit Unterstützung der Vereinten Nationen, erstmals 43.200 Impfdosen von Astra Zeneca (UNICEF 12.3.2021).

Mit 1.2.2021 wurden alle Einschränkungen für Linienflüge aufgehoben (1TV 1.2.2021; vgl. Jam 23.1.2021). Alle Personen, die einen vollständigen Impfschutz nachweisen können, müssen bei Einreise nicht in Quarantäne. Personen, die keinen Impfschutz und keinen negativen PCR-Test (nicht älter als 72 Stunden), nachweisen können, werden bei Einreise für unbestimmte Zeit und auf eigene Kosten in Quarantäne verbracht (USDOS 25.2.2021; vgl. MoF o.D.), falls eine Selbstisolierung nicht möglich ist. Bei Vorlage eines negativen PCR-Tests (nicht älter als 72 Stunden) muss eine achttägige Selbstisolation samt einer weiteren PCR-Testung fünf Tage nach Einreise auf eigene Kosten durchgeführt werden (MoF o.D.).

Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die Georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behandelt, wenn auch in geringerem Ausmaße als aus Abchasien (Jam 16.10.2020).

Politische Lage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Georgien wurde im April 1991 unabhängig [bis dahin Teilrepublik der Sowjetunion]. Nach der georgischen Unabhängigkeit erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien. 1992 erfolgten Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die jedoch von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden (AA 23.9.2020). Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion (bpb 26.8.2020; vgl. US DOS 11.3.2020) und kontrolliert ein Fünftel des georgischen Staatsgebiets (FAZ 23.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Durch Verfassungsänderung am 17.11.2013 wurde das Land von einer Präsidialrepublik zu einer Parlamentarischen Demokratie. Die georgische Außenpolitik sieht in der Integration Georgiens in EU und NATO ein prioritäres Ziel für eine nachhaltige demokratische Entwicklung des Landes. Dies wirkt sich unmittelbar auf den innenpolitischen Reformwillen aus (AA 23.9.2020). In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 3.3.2021).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabischwili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60 % gegen ihren Konkurrenten Grigol Vaschadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakaschwili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018, FH 3.3.2021). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabischwili (OSCE/ODIHR 29.11.2018).

Das Parlament Georgiens hat 150 Sitze, wovon 120 über Parteienlisten und 30 über Direktmandate in Wahlkreisen vergeben werden. Bei den Wahlen 2016 wurden noch 72 Direktmandate vergeben (KP 26.11.2020). Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die nächsten, planmäßig 2024 stattfindenden Wahlen, beschlossen (KP 23.11.2019; vgl. RFE/RL 28.11.2019, taz 2.11.2020, FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020). Die Reform des Wahlrechts konnte erst nach Massenprotesten 2019 durchgesetzt werden (taz 2.11.2020; vgl. DW 24.6.2019, US DOS 11.3.2020).

Die Wahlhürde für die Verhältniswahl ist auf 1% der Stimmen festgelegt. Es besteht ein Begrenzungsmechanismus, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40% der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf. Im Falle einer vorgezogenen Neuwahl zwischen 2020 und 2024 wird diese nach demselben Wahlsystem wie im Jahr 2020 durchgeführt. Alle nachfolgenden Wahlen werden jedoch auf der Grundlage des vollständig proportionalen Wahlsystems durchgeführt, wie es für die Parlamentswahlen 2024 vorgesehen ist (civil 8.3.2020; vgl. KP 11.4.2020).

Bei den trotz COVID-Panedmie am 31.10.2020 durchgeführten Parlamentswahlen erzielte die bisherige Regierungspartei Georgischer Traum 48% der Stimmen und mit 91 Sitzen erneut eine satte Mehrheit von 60% der Mandate (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Das größte Oppositionsbündnis, die Vereinigte Nationale Bewegung, erhielt 26,9% der Stimmen zugeschrieben (EN 2.11.2020). Insgesamt haben neun Parteien den Sprung ins Parlament geschafft (KP 26.11.2020; vgl. Jam 26.11.2020). Der Gründer des Wahlbündnisses Georgischer Traum, Bidzina Iwanischwili, hatte zur Parlamentswahl 2020 wieder das Amt des Parteivorsitzenden übernommen, allerdings ohne sich um irgendeine Regierungsfunktion zu bewerben. Im Februar 2021 erfolgte der nach seinen Aussagen endgültige Rückzug ins Privatleben. Es zeigt sich allerdings das Hauptproblem, das Iwanischwili seiner Partei und dem Land hinterlassen hat: Eine Mehrheitspartei ohne klare Programmatik, ohne klare innerparteiliche Demokratie und ohne politisch selbständige Charaktere an ihrer Spitze. Eine Partei, die nach wie vor den Verdacht nicht ausräumen kann, nur willfähriges Erfüllungsinstrument ihres Gründers und Mentors zu sein, der nach wie vor im Hintergrund die Fäden zieht (KP 11.2.2021). Kobachidse ist der Nachfolger von Bidsina Iwanischwili als Vorsitzender der Regierungspartei "Georgischer Traum" (FAZ 18.2.2021).

Die unterlegene Opposition prangerte erhebliche Wahlmanipulationen an und mobilisierte ihre Anhänger auf der Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Wasserwerfer ein (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Einheimische Wahlbeobachter*innen stellten zahlreiche Ungereimtheiten fest (taz 2.11.2020). Gemäß OSZE waren die Parlamentswahlen kompetitiv und insgesamt wurden die Grundfreiheiten respektiert. Dennoch haben weitverbreitete Vorwürfe von der Ausübung von Druck auf die Wähler und der unklaren Abgrenzung zwischen der Regierungspartei und dem Staat das Vertrauen der Öffentlichkeit in einige Aspekte des Wahlvorganges unterminiert. Der grundlegend überarbeitete Rechtsrahmen bot eine solide Grundlage für die Abhaltung demokratischer Wahlen und die technischen Aspekte der Wahlen wurden trotz der Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie effizient gehandhabt. Jedoch hat sich die Dominanz der Regierungspartei in den Wahlkommissionen negativ auf die Wahrnehmung ihrer Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ausgewirkt, insbesondere auf den unteren Ebenen (OSCE/ODIHR 1.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021).

In Folge rief die Opposition zum Boykott der Stichwahl am 21.11.2020 in 17 Direktwahlkreisen auf, wodurch sich alle Kandidaten des Georgischen Traums sich bei einer Wahlbeteiligung von 26% durchsetzen konnten (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020). Die Oppositionsparteien planen aus Protest, ihre Parlamentssitze nicht zu besetzen (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020, Jam 26.11.2020). Die 90 Abgeordneten der Regierungspartei sind ausreichend, damit das Parlament seine Arbeit aufnehmen kann - um Gesetze zu verabschieden, die Abgeordneten auf die Parlamentsausschüsse zu verteilen und eine Regierung zu ernennen. Das Parlament wird jedoch nicht in der Lage sein, die Verfassung zu ändern oder die Präsidentin abzusetzen (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Als Regierungschef wurde Giorgi Gacharia ernannt. Dieser ist nach nur zwei Monaten im Amt am 18.2.2021 zurückgetreten (Standard 18.2.2021, 22.2.2021). Als Nachfolger wurde der frühere Verteidigungsminister Irakli Garibaschwili mit den Stimmen der Regierungsfraktion Georgischer Traum zum neuen Regierungschef gewählt (Standard 22.2.2021).

Die Opposition boykottiert Stand Ende Februar 2021 weiterhin die Arbeit im Parlament (Standard 22.2.2021). Es ist weder durch die Intervention von US-Botschafter Kelly Degnan noch durch andere internationale Moderatoren gelungen, die politische Krise in Georgien zu lösen und die Opposition davon zu überzeugen, den Parlamentsboykott aufzugeben (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Oppositionsvertreter zeigten sich zuletzt aber zu Gesprächen mit der Regierung bereit, um Auswege aus der Krise zu finden. Die Situation müsse entschärft werden, sagte der Oppositionspolitiker Nika Melia und bekräftigte zugleich seine Forderung nach Neuwahlen, welche die Regierungsfraktion aber vehement ablehnt. Zuletzt hatte sich die Lage zugespitzt, weil Melia in Untersuchungshaft genommen werden sollte. Ihm wird die versuchte Erstürmung des Parlaments 2019 vorgeworfen. Verhandlungen mit der Opposition seien notwendig, sagte Garibaschwili, "aber nicht mit diesen Verbrechern" (Standard 22.2.2021).

Abchasien

Letzte Änderung: 29.03.2021

Abchasien (ca. 200.000 Einwohner) hat sich [im Jahr 1992; Time 23.7.2012] – unterstützt von Russland – als unabhängig erklärt und sucht die weitere Annäherung an Russland. Die Regierung in Tiflis hat keine Verwaltungshoheit über das Gebiet, in dem sich de facto ein politisches System mit Regierung, Parlament und Justiz etabliert hat. Eigene Streitkräfte, unterstützt durch russisches Militär, sichern die zunehmend von ihnen befestigte Verwaltungsgrenze zu Georgien. Diese ist nur in einem sehr geringen Maße für Einwohner der Gebiete durchlässig. Militärische Auseinandersetzungen gibt es seit 2008 keine mehr (AA 17.11.2020).

Die Regierung in Tiflis hat ursprünglich die Autonomie, aber nicht die Unabhängigkeit Abchasiens anerkannt (ACLED 2.2020). Seit 2008 hat sich die Abhängigkeit von Moskau weiter verstärkt. Abchasien bemüht sich zwar, ein Mindestmaß an Unabhängigkeit von Russland zu bewahren, dies wird jedoch durch die politische und wirtschaftliche Isolation des de-facto-Staates erschwert. Die wirtschaftliche Entwicklung stagniert, und trotz eines aufgeblähten Verwaltungsapparats sind öffentliche Leistungen, wie Gesundheit und Bildung, unterfinanziert. Die Coronavirus-Epidemie verdeutlicht die Unzulänglichkeit des Gesundheitssystems sowie die dadurch entstehenden Gefahren für die Bevölkerung. Russland betreibt eine schrittweise Eingliederung abchasischer Einheiten in die russischen Streitkräfte (bpb 26.8.2020).

Abchasien ist eine Präsidialrepublik. Das Staatsoberhaupt - der Präsident - wird für fünf Jahre gewählt. Die Legislative wird durch die Volksversammlung - das Parlament der Republik Abchasien - vertreten. Die Exekutive wird durch die Regierung repräsentiert, die vom Präsidenten geleitet wird. Das Ministerkabinett wird durch den Präsidenten der Republik Abchasien gebildet und ist ihm gegenüber rechenschaftspflichtig (PrA o.D.). Während die Volksmeinung einen Einfluss auf die abchasische Innenpolitik hat, ist das Funktionieren der politischen Institutionen Abchasiens fast ausschließlich von der wirtschaftlichen und politischen Unterstützung aus Moskau abhängig. Dennoch weist das politische System eine starke Opposition und zivilgesellschaftliche Aktivität auf. Allerdings behindert die Korruption innerhalb der Parteien deren demokratiepolitische Funktion. Im Allgemeinen wird das Vereinigungsrecht geachtet. Ähnliches gilt für das Versammlungsrecht. Politische Parteien und Organisationen der Zivilgesellschaft organisieren regelmäßig Proteste (FH 4.3.2020a).

Im Jänner 2020 kam es in Abchasiens Hauptstadt Sochumi zu heftigen Protesten gegen den De-Facto-Präsidenten Raul Khajimba. Ihm wurde von den Demonstranten vorgeworfen, bei seiner Wiederwahl im September 2019 nicht die erforderliche Stimmenmehrheit erzielt zu haben. Die Demonstranten stürmten das Präsidentengebäude und forderten seinen Rücktritt. Nach Vermittlung durch die Russische Föderation trat Khajimba zurück. Die Wahlbehörde annullierte das Wahlergebnis vom September 2019 und die Wahlwiederholung am 22.3.2020 gewann Oppositionsführer und Ex-Geheimdienstchef Aslan Bzhaniya mit rund 57 Prozent der Stimmen (NZZ 22.3.2020). Die Wahlen hatten trotz Bedenken wegen der COVID-19-Pandemie stattgefunden (JW 26.3.2020). Nach den Wahlen ernannte Bzhaniya den Ex-Präsidenten (2011-2014) Aleksander Ankvab zum Premierminister (civil.ge 24.4.2020; vgl. JW 26.3.2020).

Das Recht auf Rückkehr der vertriebenen Georgier wird von den abchasischen de facto-Behörden verwehrt. Nur der Verwaltungskreis Gali im südlichen Teil Abchasiens, nahe dem georgischen Hauptterritorium, ist noch stark georgisch/minegrelisch besiedelt. Sie werden von der abchasischen de-facto-Regierung benachteiligt (z.B. beim Erwerb von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen, der Besetzung öffentlicher Stellen, dem Zugang zu Bildung oder bei der Gesundheitsfürsorge). Ziel ist es offenbar, die georgische Bevölkerung entweder zur Aufgabe der georgischen Staatsangehörigkeit oder zum Verlassen ihrer angestammten Heimat zu veranlassen (AA 17.11.2020). Die ethnisch georgische Bevölkerung ist regelmäßig von Wahlen und politischer Repräsentation ausgeschlossen. Im Jahr 2017 argumentierten die abchasischen „Behörden“, dass die Mehrheit der Einwohner des Distrikts Gali georgische Staatsbürger seien und daher nicht wählen dürften (FH 4.3.2020a). In Abchasien verbietet das Rechtssystem Eigentumsansprüche von ethnischen Georgiern, die Abchasien vor, während oder nach dem Krieg von 1992 bis 93 verlassen haben, wodurch Binnenvertriebenen ihre Eigentumsrechte in Abchasien entzogen werden (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020a). Die abchasischen Behörden verfolgen eine Politik, die den rechtlichen Status von ethnischen Georgiern im Distrikt Gali bedroht. Sie schlossen Dorfschulen und zwingen georgische Schüler, ausschließlich in russischer Sprache zu lernen (US DOS 11.3.2020).

Die abchasischen Behörden und russische Streitkräfte schränken weiterhin die Bewegungsfreiheit der lokalen Bevölkerung entlang der administrativen Grenzlinie (ABL) ein, gleichwohl sie Flexibilität bei Reisen nach Georgien aus medizinischen Gründen, zwecks Pensionsleistungen, Bildung, etc. zeigen. Dorfbewohner, die sich unerlaubt der administrativen Grenze oder den Grenzübergängen nähern, riskieren die Inhaftierung durch die Grenzschutzbeamten der Russischen Föderation. Russische Grenzschutzbeamte entlang der ABL setzen die Vorschriften der abchasischen Behörden mittels Festnahmen und Geldbußen durch (US DOS 11.3.2020).

Nepotismus und Korruption, die oft auf Clan- und ethnischen Bindungen beruhen, haben erhebliche Auswirkungen auf die abchasische Justiz. Die Umsetzung gerichtlicher Entscheidungen ist nach wie vor uneinheitlich. Das Strafrechtssystem wird durch den eingeschränkten Zugang der Angeklagten zu qualifiziertem Rechtsbeistand, Verletzungen des ordentlichen Verfahrens und langwierige Untersuchungshaft untergraben (FH 4.3.2020a). Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat keinen Zugang zu Gefängnissen und Haftanstalten in Abchasien. Die Zustände dort gelten als chronisch schlecht (US DOS 11.3.2020).

Im März 2019 nahm der UN-Menschenrechtsrat erneut eine Resolution an, die große Besorgnis über die Menschenrechtssituation in Abchasien ausdrückte, wobei insbesondere Entführungen, willkürliche Festnahmen, Verletzung von Eigentumsrechten, das Fehlen muttersprachlichen Schulunterrichts, mangelnde Freizügigkeit und Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft und Verweigerung des Rückkehrrechts für die geflüchtete georgische Bevölkerung genannt werden. Die Diskriminierung dieser Bevölkerungsteile kann als zielgerichtet bewertet werden, um sie zum Verlassen zu bewegen (AA 17.11.2020; vgl. FH 4.3.2020a).

Hinsichtlich der Religionsfreiheit erfährt die georgisch-orthodoxe Kirche Restriktionen und Diskriminierung. Die Zeugen Jehovas sind als extremistische Organisation klassifiziert und seit 1995 verboten (FH 4.3.2020a; vgl. US DOS 10.6.2020). Obgleich Vorsteher der muslimischen Gemeinde in der Vergangenheit angegriffen wurden, dürfen Muslime ihren Glauben frei praktizieren (FH 4.3.2020a).

Südossetien

Letzte Änderung: 29.03.2021

Südossetien - amtliche Bezeichnung in Georgien auch: Region Tskhinvali - hat eine Fläche von ca. 3.900 km² (gov.ge o.D.). Die schlechte wirtschaftliche Lage führt zu massiver Abwanderung der Bevölkerung (bpb 26.8.2020). Laut offiziellen Zahlen lebten dort im Jahr 2015 etwa 53.000 Menschen; zur letzten sowjetischen Volkszählung 1989 betrug die Bevölkerung des Gebietes noch 98.500 (Jam 20.2.2026; vgl. bpb 26.8.2020). Unabhängige Schätzungen gehen davon aus, dass die tatsächliche Bevölkerungszahl aktuell nur noch bei 39.000 liegt (bpb 28.6.2020).

Große Teile Südossetiens wurden nach dem Ende eines Bürgerkriegs 1992 de facto unabhängig. Der Krieg im Jahr 2008 führte zum Einmarsch russischer Truppen und zur Vertreibung der zuvor noch bestehenden georgischen Regierungspräsenz sowie etlicher ethnischer Georgier. Nur Russland und eine Handvoll anderer Staaten haben seither die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannt (FH 4.3.2020s; vgl. ACLED 2.2020). Seither hat sich die Abhängigkeit von Moskau weiter verstärkt. Russische Beihilfen finanzieren fast 90 % des öffentlichen Haushalts (bpb 26.8.2020; vgl. FH 4.3.2020s). Die wirtschaftliche Entwicklung stagniert, und trotz eines aufgeblähten Verwaltungsapparats sind öffentliche Leistungen, wie Gesundheit und Bildung, unterfinanziert. Die COVID-19-Epidemie verdeutlicht die Unzulänglichkeit der abchasischen und südossetischen Gesundheitssysteme sowie die dadurch entstehenden Gefahren für die Bevölkerung (bpb 26.8.2020).

Moskau übt einen entscheidenden Einfluss auf die Politik und die Regierungsführung aus (FH 4.3.2020s). Russland unterhält weiterhin Stützpunkte und Truppen in Südossetien und betreibt die schrittweise Eingliederung südossetischer Einheiten in die russischen Streitkräfte (bpb 26.8.2020). Manche Quellen geben an, Südossetien sei von Russland militärisch besetzt (ACLED 2.2020).

Die letzten Parlamentswahlen fanden im Juni 2019 statt. Trotz besserer Gesetze konnten sich viele Regierungskritiker und Anhänger der Opposition nicht zur Kandidatur anmelden, was der Regierungspartei half, ihre Dominanz im Parlament aufrechtzuerhalten. Moskau übt einen entscheidenden Einfluss auf Politik und Regierungsführung aus und schränkt die Möglichkeiten politischer Parteien erheblich ein, sich außerhalb eines engen politischen Spektrums frei zu betätigen (FH 4.3.2020s).

Im März 2019 drückte eine Resolution des UN-Menschenrechtsrates erneut große Besorgnis über die Menschenrechtssituation in Südossetien aus, wobei insbesondere Entführungen, willkürliche Festnahmen, Verletzung von Eigentumsrechten, das Fehlen muttersprachlichen Schulunterrichts, mangelnde Freizügigkeit und Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft und Verweigerung des Rückkehrrechts für die geflüchtete georgische Bevölkerung genannt werden. Die Diskriminierung dieser Bevölkerungsteile kann als zielgerichtet bewertet werden, um diese zur Abwanderung zu bewegen (AA 17.11.2020; vgl. FH 4.3.2020s). Die südossetischen de facto-Behörden verweigern den meisten wegen des Konflikts von 2008 vertriebenen ethnischen Georgiern die Rückkehr nach Südossetien und erlauben den meisten internationalen Organisationen keinen regelmäßigen Zugang nach Südossetien zur Leistung humanitärer Hilfe (US DOS 11.3.2020).

Russische und südossetische Kräfte verschieben gezielt Grenzmarkierungen und errichten Befestigungen, was den Zugang der Bevölkerung u.a. zu landwirtschaftlichen Nutzflächen erschwert. Zivilisten werden häufig infolge von "illegalen Grenzübertritten" verhaftet und kommen erst gegen Zahlung eines Bußgeldes frei (bpb 26.8.2020; vgl. US DOS 11.3.2020, AI 3.7.2019, FH 4.3.2020s). Einige werden auch von südossetischen Gerichten zu Haftstrafen verurteilt. Alleine im Jänner 2021 wurden, laut offizieller Tifliser Angaben, 13 örtliche Bewohner von südossetischen Behörden festgenommen. Drei davon wurden nach einer Verwarnung wieder frei gelassen (Jam 9.2.2021).

Im Gegensatz zu vorangegangenen Jahren wurden 2019 die Grenzübergänge zu Kerngeorgien ohne Vorankündigung für längere Zeiträume geschlossen (FH 4.3.2020s). Im Zuge der Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurden ab Februar 2020 die Grenzen zu Georgien und der Russischen Föderation vollständig geschlossen (Eurasianet 3.5.2020; vgl. RES 6.7.2020, IWPR 30.5.2020, Sputnik 10.4.2020) und somit Südossetien effektiv vom Rest der Welt isoliert (Eurasianet 3.5.2020). Die Grenze zu Russland wurde im September 2020 wieder geöffnet (RES 10.9.2020).

Die lokalen Medien stehen weitgehend unter Kontrolle der Behörden. Die Redefreiheit wird unterdrückt und ein Klima von Angst und Einschüchterung ist weit verbreitet (AI 8.4.2020). Die lokalen Medien stehen weitgehend unter Kontrolle der Behörden, Selbstzensur ist weit verbreitet und gegen kritische Medien werden häufig Verleumdungsklagen eingebracht. Aufgrund des erheblichen russischen Einflusses auf die Innenpolitik und Entscheidungsfindung arbeitet die Regierung Südossetiens nicht transparent. Behörden-Korruption ist weit verbreitet. Ein systematischer Zugang diese zu bekämpfen besteht nicht. Die Justiz ist nicht unabhängig. Sie unterliegt politischer Einflussnahme und Manipulation und dient zur Bestrafung vermeintlicher politischer Gegner. Körperliche Übergriffe und schlechte Bedingungen sind Berichten zufolge in Gefängnissen und Haftanstalten weit verbreitet (FH 4.3.2020s).

Die Bewohner demonstrieren gelegentlich gegen Umweltzerstörung, das schleppende Tempo des Wiederaufbaus nach dem Krieg und seltener gegen politische Missstände. Die Versammlungsfreiheit ist jedoch stark eingeschränkt. Teilnehmer an nicht genehmigten Versammlungen laufen Gefahr, angeklagt zu werden (FH 4.3.2020s).

Die Mehrheit der Bevölkerung sind orthodoxe Christen. Es gibt aber auch eine beträchtliche muslimische Gemeinschaft. Ein Teil des Eigentums der georgisch-orthodoxen Kirche wird von der südossetisch-orthodoxen Kirche kontrolliert. Der Oberste Gerichtshof Südossetiens hat im Jahr 2017 die Zeugen Jehovas als extremistische Organisation verboten (FH 4.3.2020s).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen (EDA 28.7.2020). Die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen und die hohe Arbeitslosigkeit haben zu einem Anstieg der allgemeinen Kriminalität beigetragen, die jedoch immer noch niedriger ist, als in vielen europäischen Ländern (MSZ o.D.; vgl. EDA 28.7.2020).

Im Dezember 2017 führte eine Reihe von Operationen georgischer Spezialkräfte in der Hauptstadt und im Pankisi-Tal [Munizipalität Achmeta, Region Kachetien] zur Verhaftung von Militanten, die beschuldigt wurden, an Terroranschlägen im Ausland beteiligt gewesen zu sein und Berichten zufolge beabsichtigten, Ziele auf georgischem Boden anzugreifen (MAECI 27.1.2021). Die politische Lage ist polarisiert (SZ 18.2.2021).

Die Situation an der De-facto-Grenze zwischen Georgien und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien ist seit dem georgisch-russischen Krieg im August 2008 weitgehend ruhig. Doch bleibt die Lage angesichts der Unvereinbarkeit der Positionen und der zahlreichen Behinderungen des kleinen Grenzverkehrs angespannt. Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion. Seit dem August-Krieg 2008 stellt Moskau finanzielle Unterstützung für die sozio-ökonomische Entwicklung und die Infrastruktur bereit und gewährt der abchasischen und südossetischen Bevölkerung Zugang zur russischen Staatsbürgerschaft. Russland unterhält weiterhin Stützpunkte und Truppen in Abchasien und Südossetien, darunter zwischen 3.000 und 4.000 Soldaten sowie Grenzschutztruppen des Inlandsgeheimdienstes FSB, welche die Demarkationslinien (administrative border lines – ABL) zum georgischen Kernland sichern. Zwischen Tiflis und den De-facto-Regierungen in Sochumi und Zchinwali bestehen keine offiziellen bilateralen Kontakte. Einziges Forum zum Austausch auf hochrangiger politischer Ebene sind die vierteljährlichen internationalen Gespräche im Rahmen des Genfer Prozesses. Trotzdem hat Georgien seit 2012 seine Politik der Isolation Abchasiens und Südossetiens aufgegeben und bemüht sich um Kooperation auf humanitärer Ebene. Dazu zählt etwa das Angebot, der abchasischen und südossetischen Bevölkerung den kostenfreien Zugang zum georgischen Bildungs- und Gesundheitssystems zu ermöglichen (bpb 26.8.2020; vgl. ACLED 2.2020).

Aus Sicht Abchasiens und Südossetiens ist der politische Status ihrer Gebiete endgültig geklärt. Sie lehnen Verhandlungen mit Georgien über eine gemeinsame Staatlichkeit ab und verfolgen den Aufbau bilateraler Beziehungen unter Anerkennung ihrer Unabhängigkeit. Die Regierung in Tiflis pocht dagegen auf die Wahrung der territorialen Integrität Georgiens. Sie versucht, ihre guten Beziehungen zur EU und den USA zu nutzen, aber auch multilaterale Foren wie die UNO, um ihrer Position Nachdruck zu verschaffen (bpb 26.8.2020). Gemäß dem georgischen Gesetz über "besetzte Gebiete" vom 23. Oktober 2008 sind die Gebiete der Autonomen Republik Abchasien und der Region Zchinwali (Südossetien) als "besetzt" zu betrachten (MAECI 27.1.2021).

Wegen Zugangsbeschränkungen gibt es nur wenige Informationen über die humanitäre Lage und Menschenrechtslage in Abchasien und Südossetien (US DOS 11.3.2020). Der EU-Sonderbeauftragte für den Südkaukasus und die EU-Beobachtermission (EUMM) unterstützen aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung (EC 5.2.2021). Obwohl der EUMM der Zutritt zu Abchasien und Südossetien verwehrt bleibt, und es weiterhin zu Zwischenfällen kommt, konnte bisher ein Wiederaufflammen der bewaffneten Auseinandersetzungen verhindert werden (bpb 26.8.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Artikel 7 der georgischen Verfassung verpflichtet den Staat zu Anerkennung und Schutz der universellen Menschenrechte; sie sind direkt anwendbares Recht für Staat und Bürger. Einzelne Menschenrechte sind explizit in eigenen Verfassungsartikeln aufgeführt. Mit dem Büro des Public Defenders (Ombudsperson), aber auch dem Menschenrechtsausschuss des Parlaments bestehen weithin bekannte Institutionen und Beschwerdeeinrichtungen. Auch Staatsanwaltschaft und Gerichte, die in Georgien an Unabhängigkeit und Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen haben, werden zunehmend zur Wahrung individueller Rechte in Anspruch genommen. Darüber hinaus können lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen ohne jede staatliche Behinderung ermitteln und öffentlichkeitswirksam Ergebnisse präsentieren und Kritik äußern. Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten werden vom Staat weitgehend geachtet und gestärkt. Die Lage der Menschenrechte hat sich weiter den internationalen Standards angenähert und in vielen Bereichen einen guten Stand erreicht. In einigen Bereichen der Gesellschaft sind insbesondere Minderheitenrechte wenig akzeptiert, sodass Minderheiten mit Benachteiligung und Diskriminierung rechnen müssen. Vereinzelt kommt es auch zu gewalttätigen Handlungen. Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und im Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann (AA 17.11.2020).

Beim Schutz der Versammlungs- und Meinungsfreiheit gibt es systemische Probleme. Seit Jahren wird die georgische Regierung immer noch für politische Verfolgung und politische Inhaftierung verantwortlich gemacht. Die Bedrohung durch Informationsmanipulation und Radikalisierung im polarisierten Medienumfeld nehmen zu. Der Schutz der Rechte verschiedener Minderheitengruppen und die Umsetzung von Gleichberechtigung gehören immer noch zu den größten Herausforderungen im Lande. Ungeachtet der positiven Gesetzesänderungen der letzten Jahre und der verstärkten Reaktion auf die begangenen Verbrechen, ist die Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt immer noch eine große Herausforderung in der georgischen Gesellschaft. Die Lage von Menschen mit Behinderungen ist immer noch ernst. Ethnische und religiöse Minderheiten sowie Angehörige sexueller Minderheiten sind immer noch Gegenstand von systemischer Diskriminierung und Stigmatisierung (HRC 2021; vgl. US DOS 11.3.2020). In Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden nicht dominante und bereits marginalisierten Gruppen aus dem Anti-Krisen-Aktionsplan ausgeschlossen. Die Krise wird vermutlich einen schweren und langfristigen Einfluss auf die Durchsetzung der Gleichstellungspolitik haben (HRC 2021). Die Straffreiheit bei Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 13.1.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Georgien ist weiterhin, trotz der COVID-19-bedingten Herausforderungen, der Umsetzung, den Verpflichtungen und Zusagen des EU-Assoziierungsabkommens verpflichtet. Die Angleichung an die europäischen Standards im Bereich der Menschenrechte wurde auch 2020 im Großen und Ganzen fortgesetzt. Verbesserungen 2019/2020 konzentrierten sich auf die Entwicklung und Umsetzung einer neuen Menschenrechtsstrategie, die insbesondere auf die Rechte des Kindes, häusliche Gewalt und die Inklusion von Mitgliedern gefährdeter Gruppen/Minderheiten abzielt (EC 5.2.2021).

Es kommt weiterhin zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen in den separatistischen Regionen Georgiens (HRC 2021; vgl. US DOS 11.3.2020), darunter rechtswidrige oder willkürliche Tötungen und Inhaftierungen (US DOS 11.3.2020).

Relevante Bevölkerungsgruppen

Frauen

Letzte Änderung: 29.03.2021

Gesetzlich sind Frauen den Männern gleichgestellt und genießen auch im öffentlichen Leben die gleichen Rechte, die sie aber aufgrund gesellschaftlicher Traditionen und Konventionen, ungeachtet gleich hohen Bildungsstandes, nicht immer ausüben können (AA 17.11.2020; vgl. FH 3.3.2021). Die Gleichstellung der Geschlechter stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Frauen zählen zu den vulnerabelsten Gruppen (PD 2.4.2020).

Gewalt gegen Frauen ist weiterhin ein ernstes Problem und zählt derzeit zu den wichtigsten Menschenrechtsthemen der Regierung. Fälle häuslicher Gewalt werden von der Gesellschaft und den Behörden meist als interne Familienangelegenheit betrachtet. Die Bereitschaft, dagegen Maßnahmen zu ergreifen, nimmt jedoch weiterhin zu (AA 17.11.2020; vgl. HRC 2021, FH 3.3.2021). Der Kampf gegen häusliche Gewalt ist eine der Prioritäten der Regierung und der Staatsanwaltschaft. Jedoch trotz der Fortschritte der vergangenen Jahre ist eine effiziente Strafverfolgung immer noch herausfordernd (HRC 2021). Die Unterstützung im Rahmen der bilateralen Zuweisung zwischen Georgien und der EU für 2019 konzentrierte sich auf die Entwicklung und Umsetzung einer neuen Menschenrechtsstrategie, die insbesondere auf die Rechte des Kindes, häusliche Gewalt und die Einbeziehung von Mitgliedern gefährdeter Gruppen/Minderheiten abzielt (EC 5.2.2021).

2019 wurden 4.185 Fälle häuslicher Gewalt von den Behörden strafrechtlich verfolgt, verglichen mit 3.232 im Jahr 2018 und 1.986 im Jahr 2017. Im Jahr 2019 wurden 51% der Beschuldigten in Untersuchungshaft genommen. Laut NGOs zeigten sowohl Strafverfolgungsbehörden als auch die Staatsanwälte in Tiflis eine verbesserte Professionalität bei der Bekämpfung von Verbrechen in Verbindung mit häuslicher Gewalt (US DOS 11.3.2020). Im Jahr 2019 wurden 19 Morde an Frauen gemeldet, von denen zehn Anzeichen von häuslicher Gewalt aufwiesen. Darüber hinaus wurden 22 versuchte Morde an Frauen gemeldet, davon 18 aufgrund häuslicher Gewalt (PD 2.4.2020).

Gesetze über häusliche Gewalt schreiben die Anordnung vorübergehender Schutzmaßnahmen vor, einschließlich einstweiliger Verfügungen, die es einem Täter verbieten, sich dem Opfer für sechs Monate zu nähern und Gemeinschaftseigentum, wie beispielsweise einen Wohnsitz oder ein Fahrzeug, zu nutzen. Das Büro der Ombudsperson erklärte, dass die Opfer oft berichteten, dass sie unangemessene Antworten von Strafverfolgungsbeamten auf Verstöße gegen einstweilige Verfügungen erhielten. Seit August 2018 gilt die Verletzung einer einstweiligen Verfügung als Straftat (US DOS 11.3.2020).

Schutz vor häuslicher Gewalt kann in Frauenhäusern oder Einrichtungen für Mütter und Kinder geboten werden (AA 17.11.2020). Lokale NGOs und die Regierung betreiben gemeinsam eine 24-Stunden-Hotline und Unterkünfte für misshandelte Frauen und ihre minderjährigen Kinder. Plätze in Schutzeinrichtungen sind begrenzt und nur vier der zehn Regionen des Landes verfügen über solche Einrichtungen (US DOS 11.3.2020). Häusliche Gewalt wird oft nur mit bedingten Strafen geahndet und es gibt Fälle, in denen die Polizei versucht, zwischen Opfer und Täter zu vermitteln, anstatt eine Anzeige aufzunehmen; insbesondere wenn Täter und Polizist sich kennen (ifact 12.7.2018).

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum wurden 2019 gesetzlich definiert (US DOS 11.3.2020; vgl. PD 2.4.2020). Man findet kaum Frauen in Führungspositionen (NZZ 30.12.2020; vgl. FH 3.3.2021). Der Global-Gender-Gap-Index des World Economic Forums sah Georgien 2020 auf Rang 74 (2018: 99) von 153 Ländern in Hinblick auf die Gesamtlage der Frauen. Beim Subindex 'political empowerment' lag das Land 2020 auf Rang 94 (WEF 2020).

Im Frühjahr 2020 wurden während der COVID-19-Krise besondere Maßnahmen ergriffen, um von häuslicher Gewalt Betroffene zu unterstützen. Sie wurden von Bewegungseinschränkungen befreit und Informationen über staatliche Unterstützung wurden bereitgestellt (EC 5.2.2021; vgl. HRC 2021). Die Zahl der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt ist in dieser Zeit angestiegen (EC 5.2.2021).

Kinder

Letzte Änderung: 29.03.2021

Staatliche repressive Handlungen gegen Kinder gibt es in Georgien nicht. Jedoch ist die staatliche Unterstützung von Kindern – ob bei Bildung oder Sozialhilfe – gering. Kinderarmut wie auch Fehl- oder Unterentwicklung aufgrund Mangelernährung stellen ein großes Problem dar. Mithilfe von Kindern zum Erwerb des Familieneinkommens ist insbesondere bei ethnischen Minderheiten verbreitet und akzeptiert mit der Folge, dass die Schulpflicht vernachlässigt wird (AA 17.11.2020). Gewalt gegen Kinder im familiären Kontext, in Heimen, Pflegefamilien und Bildungseinrichtungen ist nach wie vor ein erhebliches Problem, wobei 70% der Kinder mindestens eine Methode der gewaltsamen Disziplinierung erleben. Gleichzeitig steigt das Vertrauen der Öffentlichkeit, Fälle von Gewalt den zuständigen Behörden zu melden (EC 5.2.2021; vgl. AA 17.11.2020).

Die Zahl der Fälle von Selbstmord und Selbstmordversuchen unter Jugendlichen hat im Jahr 2019 im Vergleich zu den Vorjahren zugenommen. Der Schutz vor sexuellem Missbrauch in Gemeinschaftsunterkünften ist von entscheidender Bedeutung. Die Schulabbrecherquote ist hoch; Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten, oder Kinder, die in jungen Jahren beschäftigt, verheiratet oder in die Arbeitswelt eingebunden sind, sind besonders gefährdete Gruppen. Die staatliche Fürsorge für Kinder in Internaten, die nach religiösen Bekenntnissen arbeiten, bleibt ein Problem. Die hohe Kinderarmutsrate zeigt weiterhin, dass die staatliche Politik nicht auf die Beseitigung der Armut ausgerichtet ist; staatliche Programme können die Bedürfnisse von Familien, die in Armut leben, nicht voll befriedigen (PD 2.4.2020).

Mit 1.9.2020 ist das Gesetz über die Kinderrechte in Kraft getreten. Es hat positive Auswirkungen auf die Situation der Kinder. Mit dem Gesetz wurde die Aufsichtsrolle des Pflichtverteidigers bei der Beurteilung des Rechtsstatus von Kindern gestärkt. Die Justiz gewährt kostenlose Rechtshilfe und spezialisierte Personen werden für die Arbeit mit Kindern ausgebildet. Bildungseinrichtungen wurde die Pflicht auferlegt, Kinder über ihre Rechte und Mechanismen zu ihrem Schutz zu informieren. Ein ständiger parlamentarischer Rat für den Schutz der Kinderrechte wurde in der Legislative eingerichtet, um die Arbeit zwischen den Behörden zu koordinieren. In Übereinstimmung mit dem Gesetz kann nur ein Richter die Frage der Trennung eines Kindes von seiner Familie, und nur im Falle einer extremen Notlage, entscheiden. Nach dem neuen Gesetz ist der Staat dafür verantwortlich, sozial bedürftige Familien mit bedarfsgerechter finanzieller Unterstützung zu versorgen. Außerdem müssen bei Bedarf Sozialarbeiter und Psychologen die Eltern bei der Erziehung unterstützen (HRC 2021; vgl. EC 5.2.2021, GE-Pr 20.9.2019).

Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung beträgt für beide Geschlechter 18 Jahre. Die Zwangsverheiratung von Minderjährigen unter 18 Jahren wird mit zwei bis vier Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Im Jahr 2019 untersuchte mit Stand 12.12.19 das Büro der Ombudsperson 43 Fälle von Verheiratung Minderjähriger, verglichen mit 45 im Jahr davor. Im Jahr 2018 startete das Innenministerium eine Informationskampagne gegen Kinderehen. Berichten zufolge kommt es bei bestimmten ethnischen und religiösen Gruppen häufiger zu Kinderehen (US DOS 11.3.2020).

Die Kinderbetreuung ist nicht vollständig deinstitutionalisiert. Zwei große staatliche Einrichtungen sind weiterhin in Betrieb und beherbergen etwa 80 Kinder mit schweren und mehrfachen Behinderungen. Die Regierung hat spezialisierte familienähnliche Dienste entwickelt und zwei solcher Einrichtungen eingeführt. Die Mechanismen für spezialisierte Pflegedienste für Kinder mit komplexen Behinderungen und Bedürfnissen wurden verstärkt. Über 900 Kinder leben in 38 unregulierten Einrichtungen, hauptsächlich Internaten, die von lokalen Gemeinden, der georgisch-orthodoxen Kirche und muslimischen Gemeinden finanziert und betrieben werden (EC 5.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020). Das effektive Funktionieren des Koordinationsmechanismus, der sich mit der Deinstitutionalisierung befasst, wurde durch die COVID-19-Pandemie behindert (EC 5.2.2021). Die Regierung gewährt Zuschüsse für die Hochschulbildung von Kindern in Heimen und Pflegefamilien, einschließlich einer vollständigen Deckung der Studiengebühren und eines Stipendiums, und leistet Soforthilfe für Pflegefamilien (US DOS 11.3.2020).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde der Schulbetrieb zeitweise eingeschränkt. Aufgrund mangelnden Internetzugangs hatten zehntausende Kinder auch nur eingeschränkten Zugang zur Fernlehre (Jam 23.1.2021).

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 29.03.2021

Georgier können im Allgemeinen frei ins Ausland und innerhalb des von der Regierung kontrollierten Territoriums reisen. Sie können ihren Wohnsitz, ihre Beschäftigung oder ihre Ausbildung ohne unangemessene Einmischung wechseln (FH 3.3.2021).

Es ist nach dem georgischen Recht illegal, von Russland aus über Südossetien oder Abchasien nach Georgien einzureisen. Wenn man auf diese Weise nach Georgien kommt, muss man mit Strafverfolgung rechnen, die mit potenziell hohen Bußgeldern und/oder einer Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren verbunden ist. Wenn der Reisepass mit Ein-/Ausreisestempeln der separatistischen Behörden versehen ist, können die georgischen Behörden dies als illegale Einreise über einen nicht anerkannten Grenzübergang betrachten (FCO 25.2.2021).

Bei der Ausreise aus Georgien erfolgt dem Anschein nach eine strenge Pass- und Identitätskontrolle. Ziel ist es, aufenthaltsrechtliche Verstöße, insbesondere aber mit Haftbefehl gesuchte Straftäter zu identifizieren. Die wiederholten Festnahmen von Personen, die mit internationalem Haftbefehl gesucht werden, lassen eine gründliche Durchführung von Kontrollen erkennen (AA 17.11.2020). Seit 1.1.2021 müssen bei der Ausreise aus Georgien georgische Staatsbürger, die in die Schengener Staaten reisen, mittels zusätzlicher Nachweise glaubhaft machen, dass sie nicht planen, illegal in der EU zu bleiben. Dazu zählen ein biometrischer Reisepass, der noch mindestens drei Monate ab dem Datum der beabsichtigten Ausreise aus dem Schengen-Raum gültig sein muss, ein gültiges erstattungsfähiges Reiseticket oder ein gültiges Buchungsdokument für ein solches Reiseticket, ein gültiger Buchungsbeleg für ein Hotel oder eine andere Unterkunft, eine Reisekrankenversicherung sowie Nachweise der Finanzierung der Reise. Für Reisen zu Konferenzen, Seminaren, Geschäftstreffen o.Ä. ist zusätzlich zu den genannten Dokumenten ein Einladungsschreiben erforderlich. Können diese Dokumente nicht vorgelegt werden, kann die Ausreise aus Georgien verweigert werden (SVI 3.1.2021; vgl. Agenda 1.1.2021).

Die de-facto-Behörden und die russischen Streitkräfte in den von Russland besetzten Gebieten Abchasien und Südossetien schränken auch die Mobilität der lokalen Bevölkerung über die administrative Grenze ein, obwohl sie Flexibilität bei Reisen für medizinische Versorgung, Pensionsleistungen, Gottesdienste und Bildung zeigen (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021). Dorfbewohner, die sich der Grenze oder den Grenzübergängen nähern, riskieren die Inhaftierung durch den Grenzschutz der Russischen Föderation (US DOS 11.3.2020; vgl. AI 3.7.2019, FH 3.3.2021). Der Übertritt über offizielle Kontrollpunkte an den de-facto-Grenzen zu Abchasien und Südossetien wird seitens der separatistischen Behörden immer wieder gesperrt oder eingeschränkt (AA 17.11.2020).

In Georgien gibt es keine Meldepflicht und eine Änderung des Wohnsitzes wird nicht angezeigt (z.B. bei Änderung des Wohnsitzes, ungenauer Anschrift – auch wegen eines fehlenden zentralen Melderegisters, veralteter Daten in den Melderegistern der Behörden und häufiger Wechsel von Straßennamen) (AA 17.11.2020).

Straßensperren aufgrund von Muren, Schnee oder Steinschlag, die bis zu mehreren Wochen dauern können, kommen immer wieder vor und betreffen auch internationale Hauptverbindungen (MSZ o.D.).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie kam es im Frühling 2020 und im Zeitraum Dezember 2020-März 2021 zu massiven Einschränkungen der Bewegungsfreiheit samt Einstellung des öffentlichen Personenverkehrs (HRW 13.1.2021; vgl. FH 3.3.2021, Jam 23.1.2021, Agenda 3.8.2020, KP 11.4.2020). Die Einschränkungen wurden als angemessen in Bezug zur Bedrohung der öffentlichen Gesundheit betrachtet (FH 3.3.2021). Bei Verletzung der Ausgangssperre, Selbstisolierung und Quarantäne sowie anderer Bestimmungen wurden hohe Geldstrafen verhängt (HRW 13.1.2021; vgl. Jam 23.1.2021, Agenda 3.8.2020, KP 11.4.2020).

IDPs und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 29.03.2021

Im Rahmen eines umfassenderen Konsolidierungsplans hat die Regierung im August 2018 das Ministerium für Flüchtlinge, Unterkünfte und Binnenvertriebene abgeschafft und seine Zuständigkeiten auf die Ministerien für Inneres, Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie das Staatsministerium für Versöhnung und bürgerliche Gleichstellung aufgeteilt. Nach Angaben der Regierung gab es im August 2018 rund 280.000 Binnenvertriebene aus den Konflikten 1992-93 und 2008. Der UNHCR schätzt, dass sich 235.176 Personen in einer 'IDP-ähnlichen' Situation befinden, von denen etwa 50.000 Schutz und humanitäre Hilfe benötigen. Zu dieser Zahl gehören Personen, die nach Abchasien und Südossetien zurückgekehrt sind, sowie diejenigen, die im Konflikt von 2008 vertrieben und anschließend umgesiedelt wurden, oder eine Unterkunft oder Barausgleich erhalten haben. Die meisten Vertriebenen im Jahr 2008 Vertriebenen erhielten den Status eines formellen Binnenvertriebenen gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, obwohl einige Personen, die nicht durch den Konflikt 2008 vertrieben wurden und in der Nähe der administrativen Grenze (ABL) lebten, offiziell als in einer 'IDP-ähnlichen Situation' beschrieben wurden. Die Regierung gewährt den als Binnenvertriebene anerkannten Personen monatliche Zuschüsse, fördert ihre sozioökonomische Integration und versucht, Bedingungen für ihre Rückkehr in Sicherheit und Würde zu schaffen (US DOS 11.3.2020; vgl. AA 17.11.2020).

Das besondere Problem der Binnenvertriebenen (IDPs) ist nach wie vor Armut und das Fehlen normaler Lebensbedingungen. Während der Pandemie ist die Zahl der Arbeitslosen gestiegen, was die Arbeitslosigkeit und soziale Isolation dieser Gemeinschaft zusätzlich verschlimmert hat (HRC 2021). Die staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Rechte von Binnenvertriebenen reichen nicht aus und viele leben in noch beschädigten Gebäuden, was ihr Leben gefährdet (PD 2.4.2020; vgl. HRC 2021). Die Frage der langfristigen Unterbringung der Binnenvertriebenen zieht sich auch in Tiflis noch hin (HRC 2021).

Zwischen 45.000 und 60.000 Personen sind nach Abchasien, in die Bezirke Gali, Tkvartscheli und Otschamtschire zurückgekehrt. Allerdings verwehren die abchasischen de-facto-Behörden eine Rückkehr der georgischen Binnenflüchtlinge in andere Gebiete Abchasiens. Personen [ethnische Georgier], die ihr im Zuge der Kriegshandlungen in den Jahren 1992-93 verlassenes Eigentum in Abchasien zurückforderten, wurden 2008 per Gesetz von den abchasischen Behörden enteignet (US DOS 11.3.20210).

Viele IDPs hatten mit den Restriktionen der Bewegungsfreiheit im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zu kämpfen, da viele Siedlungen abseits von Städten, weit entfernt von Versorgungseinrichtungen liegen. Der Zugang zu medizinischen Behandlungen war eingeschränkt, die Bewohner konnten nicht mehr in den benachbarten Gebieten saisonaler Erwerbsarbeit nachgehen und ha

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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