TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/24 G303 2243073-1

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Veröffentlicht am 24.09.2021
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Entscheidungsdatum

24.09.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §76 Abs2 Z3
FPG §77
VwG-AufwErsV §1
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs1

Spruch


G303 2243073-1/9E

Schriftliche Ausfertigung des am 09.06.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Syrien, vertreten durch die BBU GmbH, Modecenterstraße 22, 1030 Wien, gegen den Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2021, ZI. XXXX, und gegen die andauernde Anhaltung in Schubhaft, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.06.2021,

I. zu Recht erkannt:

A)

I.       Der Beschwerde hinsichtlich des angefochtenen Schubhaftbescheides vom 29.05.2021 wird stattgegeben und dieser für rechtswidrig erklärt.

II.     Der Beschwerde hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft wird insoweit stattgegeben, als die Anhaltung von XXXX.05.2021, XXXX Uhr, bis zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung am 09.06.2021 für rechtswidrig erklärt wird.

III.    Es wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

IV.     Der Antrag der belangten Behörde auf Ersatz der Aufwendungen wird abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. beschlossen:

C)       Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Eingabengebühr wird stattgegeben. Darüberhinausgehend wird der Antrag als unbegründet abgewiesen.

D)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am 28.05.2021 wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) am Hauptbahnhof XXXX im internationalen Reisezug XXXX einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen. Er konnte sich zwar mit einem syrischen Reisepass ausweisen, jedoch war er nicht im Besitz eines erforderlichen Visums oder Aufenthaltstitels. Am selben Tag stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz. Aufgrund eines Eurodac-Treffers der Kategorie II wurde ein Konsultationsverfahren mit Italien eingeleitet.

2. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 29.05.2021 wurde über den BF gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin III-Verordnung iVm § 76 Abs. 2 Z3 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Überstellungsverfahrens angeordnet. Seit XXXX.05.2021, XXXX Uhr, befindet sich der BF in Schubhaft.

3. Mit Schriftsatz vom 04.06.2021 brachte die bevollmächtigte Rechtsvertreterin des BF eine Schubhaftbeschwerde ein. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den angefochtenen Bescheid beheben und aussprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgte; aussprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des BF nicht vorliegen; und eine Gebührenbefreiung für die Eingabengebühr sowie die Verfahrenshilfe im beantragten Ausmaß zu gewähren.

4. Auf Grund der entsprechenden Verfügung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Aktenvorlage vom 04.06.2021 wurde vom BFA, RD Kärnten, am 04.06.2021 der Bezug habende Verwaltungsakt übermittelt. Im Zuge der Aktenvorlage wurde vom BFA eine begründete Stellungnahme zur vorliegenden Beschwerde erstattet und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen bzw. als unzulässig zurückzuweisen und festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen, und den BF zum Ersatz der näher angeführten Kosten zu verpflichten.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 09.06.2021 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF nach polizeilicher Vorführung aus dem PAZ XXXX, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin,

ein Dolmetscher sowie eine Vertreterin der belangten Behörde teilnahmen. Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet. Die Vertreterin der belangten Behörde beantragte eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum). Er ist Staatsangehöriger von Syrien und ist im Besitz eines syrischen Reisepasses.

Im Jänner 2021 verließ der BF seinen Herkunftsstaat und reiste nach Libyen und in weiterer Folge nach Italien.

Der BF reiste am XXXX.05.2021 mit dem Zug - von Italien kommend - illegal in das Bundesgebiet ein. Er wurde am Hauptbahnhof XXXX einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen und war nicht im Besitz eines gültigen Visums oder Aufenthaltstitels. Am selben Tag stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz. Aufgrund eines Eurodac-Treffers der Kategorie II (illegales Überschreiten der EU-Außengrenzen) wurde ein Konsultationsverfahren mit Italien eingeleitet.

Der BF befindet sich seit XXXX.05.2021, XXXX Uhr, in Schubhaft. Diese wurde mit Mandatsbescheid des BFA vom 29.05.2021 zur Sicherung des Überstellungsverfahrens angeordnet.

Der BF ist ausreiseunwillig und haftfähig.

Der BF übte zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung keine legale Beschäftigung im Bundesgebiet aus und verfügt – abgesehen von Bargeld in Höhe von 20,-- Euro - über keine finanziellen Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes. Er hat im Bundesgebiet keinen gesicherten Wohnsitz.

In Österreich lebt ein Onkel des BF, zu welchem er geringen telefonischen Kontakt hat, und weitere Bekannte.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbedenklichen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde und aus dem vorliegenden gegenständlichen Gerichtsakt.

Die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und die angeführte Staatsangehörigkeit konnten anhand der der belangten Behörde vorliegenden Reisepassdaten festgestellt werden, welche im angefochtenen Schubhaftbescheid verwendet wurden und in der gegenständlichen Beschwerde unbestritten blieben.

Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass der BF einen syrischen Reisepass besitzt, mit welchem er sich laut Bericht der Landespolizeidirektion Kärnten vom 28.05.2021 bei seiner Kontrolle ausgewiesen hat.

Aufgrund der Angaben des BF bei seiner Erstbefragung nach dem AsylG am 29.05.2021 und der Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung am 09.06.2021 konnte der Zeitpunkt seiner Ausreise und die Reiseroute festgestellt werden.

Die Feststellungen zum gestellten Antrag auf internationalen Schutz und zum Konsultationsverfahren mit Italien ergeben sich aus dem gegenständlichen Akteninhalt und konnten durch Einsichtnahme in das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister getroffen werden.

Aus der Anhaltedatei ergibt sich, dass sich der BF ab XXXX.05.2021, XXXX Uhr, in Schubhaft befindet.

Die Feststellung zu der strafgerichtlichen Unbescholtenheit wird durch einen entsprechenden Auszug des Strafregisters belegt.

Aus der Bargeld - und Effektenaufstellung und den persönlichen Angaben des BF ergibt sich, dass der BF selbst – abgesehen von Bargeld in Höhe von 20,-- Euro - über keine finanziellen Mittel verfügt, die ausreichend sind, damit sein Lebensunterhalt entsprechend gesichert ist.

Aus dem Zentralen Melderegister ergibt sich, dass der BF über keinen aufrechten Wohnsitz verfügt. Durch Einsichtnahme in das Register des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger ergibt sich, dass der BF in Österreich bislang keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist. Auch wäre es faktisch nicht möglich, da er erst am XXXX.05.2021 einreiste.

Es sind keine Hinweise auf signifikante Erkrankungen und Einschränkungen der Haftfähigkeit des BF aktenkundig.

Der BF konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft darlegen, dass sein Onkel und weitere Bekannte in Österreich leben. Weitere familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte in Österreich konnten nicht festgestellt werden.

Die Tatsache, dass der BF ausreiseunwillig ist, ergibt sich daraus, dass er in der mündlichen Verhandlung angab, nicht nach Italien zurück zu wollen, weil er dort niemanden kenne.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gesetzliche Grundlagen:

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 87/2012 lautet:

§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.

Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

In Art. 28 Dublin III-VO ist die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung nach der Dublin III-VO geregelt.

Artikel 28 Haft

(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3) Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.

Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Befindet sich eine Person nach diesem Artikel in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen im Sinne des Unterabsatz 3 statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten. Die Artikel 21, 23, 24 und 29 gelten weiterhin entsprechend.

(4) Hinsichtlich der Haftbedingungen und der Garantien für in Haft befindliche Personen gelten zwecks Absicherung der Verfahren für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, die Artikel 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU.

3.2. Stattgebung der Beschwerde (Spruchteil A., Spruchpunkte I. bis III.):

Das BFA stützte die vorliegende zu beurteilende Schubhaft auf § 76 Abs. 2 Z 3 FPG (in der seit 1. September 2018 geltenden Fassung des FrÄG 2018). Nach dieser Bestimmung darf Schubhaft angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO vorliegen. Danach dürfen Personen, die dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegen, zwar nicht allein deshalb in Haft genommen werden, jedoch „zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren“ dann, wenn nach einer Einzelfallprüfung „erhebliche Fluchtgefahr“ besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

Der belangten Behörde ist bezüglich der Fluchtgefahr darin beizupflichten, dass der BF in Österreich im Sinne des § 76 Abs. 3 Z9 FPG nicht sozial verankert ist. Dabei ist zu beachten, dass Mittellosigkeit und fehlende soziale Integration in Bezug auf (noch nicht lange aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, allein noch keine tragfähigen Argumente für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs sind (VwGH vom 28. Mai 2008, 2007/21/0233).

Andererseits lässt sich dem bekämpften Mandatsbescheid nicht entnehmen, worin aktuell ein Sicherungsbedarf oder eine Fluchtgefahr im Sinne der Dublin III-Verordnung begründet ist, auch wenn gegenständlich ein Eurodac-Treffer der Kategorie II (illegales Überschreiten der EU-Außengrenzen) hinsichtlich Italien vorliegt.

Dass der BF bereits versucht hätte, unterzutauchen oder sich einer Überstellung zu entziehen, geht aus dem vorgelegten Verwaltungsakt nicht hervor und wurde überdies im bekämpften Bescheid auch nicht substantiell behauptet.

Der BF konnte sich mit einem gültigen Reisepass ausweisen und stellte ausschließlich in seinem „Zielland“ Österreich einen Asylantrag.

Im konkreten Fall konnte das BFA in einer Gesamtschau nicht davon ausgehen, die Annahme wäre gerechtfertigt, dass sich der Fremde dem Verfahren entziehen oder dass der Fremde die Abschiebung (Außerlandesbringung) wesentlich erschweren wird.

Es liegt somit gegenständlich nach Durchführung einer Einzelfallprüfung keine erhebliche Fluchtgefahr – wie im Art. 28 Abs. 2 der Dublin III-Verordnung gefordert - vor.

Insbesondere darf die Verhängung der Schubhaft in „Dublin-Fällen“ nicht zu einer Standardmaßnahme gegen Asylwerber werden (vgl. VwGH 30.08.2007, Zl. 2007/21/00043; VwGH 28.08.2012, Zl. 2010/21/0291).

War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH 08.09.2009, 2009/21/0162; 26.01.2012, 2008/21/0626; 11.06.2013, 2012/21/0114).

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 76 Abs. 2 Z3 FPG iVm. § 22a Abs. 1 BFA-VG ersatzlos aufzuheben und gleichzeitig die Anhaltung seit XXXX.05.2021, XXXX Uhr für rechtswidrig zu erklären.

Diese Erwägungen gelten auch zum Entscheidungszeitpunkt unverändert. Es war daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

3.3. Zum Ausspruch über die Kosten (Spruchteil A. Spruchpunkt: IV):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Nach Abs. 4 gelten als Aufwendungen gemäß Abs. 1 die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat (Z 1), die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren (Z 2), sowie die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand (Z 3). Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat gemäß Abs. 5 den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden. Aufwandersatz ist laut Abs. 7 auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

Das BFA beantragte gegenständlich Kostenersatz. Da der Beschwerde zur Gänze stattgegeben wird, ist der BF obsiegende Partei und das BFA unterlegene Partei. Dem BFA gebührt daher kein Kostenersatz. Die Rechtsvertretung des BF beantragte keinen Kostenersatz.

Der Antrag der belangten Behörde auf Ersatz der Aufwendungen war folglich gemäß § 35 VwGVG abzuweisen.

3.4. Zu Spruchteil II. C) Bewilligung der Verfahrenshilfe:

Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art 6 Abs. 1 EMRK oder des Art 47 GRC geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Voraussetzungen und Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe sind gemäß § 8a Abs. 2 VwGVG nach den Vorschriften der ZPO zu beurteilen.

Der gegenständliche Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr findet somit in § 8a VwGVG iVm. § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO grundsätzlich eine geeignete Rechtsgrundlage.

Der BF konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft darlegen, dass er lediglich über 20 Euro an Barmittel verfügt. Die antragstellende Partei verfügt daher nicht über ausreichende finanzielle Mittel und ist daher außerstande, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten.

Es war daher gemäß § 8a iVm. § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO dem Antrag stattzugeben und durch Beschluss die Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr zu bewilligen. Die im Rahmen der Verfahrenshilfe darüber hinaus gehend beantragten Kosten werden als unbegründet abgewiesen, da diese nicht nachgewiesen wurden.

3.5. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchteil B und D):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Schlagworte

Aufwandersatz Rechtswidrigkeit Schubhaft Schubhaftbeschwerde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G303.2243073.1.00

Im RIS seit

22.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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