TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/22 W166 2222019-1

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Veröffentlicht am 22.10.2021
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Entscheidungsdatum

22.10.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1 Abs1
VOG §6a

Spruch


W166 2222019-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 12.07.2019, betreffend die Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.09.2021, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Beschwerdeführerin eine einmalige Geldleistung in Höhe von EUR 4.000,-- als Pauschalentschädigung für Schmerzengeld mit der Maßgabe gewährt, dass die bereits geleistete Schmerzengeldzahlung von EUR 2.000,-- anzurechnen ist.

Die Durchführung obliegt dem Sozialministeriumservice.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 24.01.2019 einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, Ersatz des Verdienstentganges sowie Übernahme der Kosten für Selbstbehalte beim Sozialministeriumservice (in weiterer Folge: belangte Behörde).

Antragsbegründend führte die Beschwerdeführerin aus, am 28.09.2018 in XXXX joggen gegangen, von einem Mann angeschossen und am Bein getroffen worden zu sein. Eine Operation sei erforderlich gewesen und sie verspüre bis heute Schmerzen. Der Täter sei am 20.12.2018 vom Landesgericht XXXX , zu Zahl XXXX , wegen schwerer Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden.

Die belangte Behörde nahm daraufhin in den dazu geführten Strafakt sowie in die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin Einsicht, aus welcher sich unter anderem ergibt, dass das Luftdruckgewehrprojektil aus dem rechten Unterschenkel der Beschwerdeführerin am 28.09.2018 operativ entfernt werden musste. Weiters wurde eine Physiotherapie empfohlen.

Am 23.10.2018 nahm die Beschwerdeführerin die erste von fünf verordneten Physiotherapien in Anspruch. Die oberösterreichische Gebietskrankenkasse leistete einen Kostenzuschuss in Höhe von EUR 33,59.

In einem Aktenvermerk - nach persönlicher Vorsprache durch die Beschwerdeführerin in den Amtsräumen der belangten Behörde am 22.03.2019 – wurde festgehalten, die Beschwerdeführerin habe lediglich eine Stunde Physiotherapie in Anspruch genommen, da dies dann für ihre Verletzung nicht mehr hilfreich gewesen sei. Die Beschwerdeführerin gab an, die Gesundheitsschädigung habe jedenfalls länger als drei Monate gedauert, beim Laufen würde sie die Schmerzen sogar noch immer spüren. Die Angaben in den Krankenunterlagen des UKH XXXX vom Oktober 2018, wonach „die Patientin keine Schmerzen mehr habe“, würden so nicht stimmen, das hätte die Beschwerdeführerin so nie gesagt.

Mit Urteil des Landegerichtes XXXX vom 20.12.2018, XXXX , wurde der Täter aufgrund der unter anderem der Beschwerdeführerin zugefügten Verletzungen wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechzehn Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs. 3 StGB wurde ein Teil der Freiheitsstrafe von zwölf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Aufgrund der Angabe am 22.03.2019, dass sie beim Laufen noch immer Schmerzen verspüre, wurde seitens der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemein- und Arbeitsmedizin vom 27.06.2019 eingeholt, wobei um Beantwortung folgender Fragestellungen ersucht wurde:

„1) Seitens des Gerichtes wurde das Vorliegen einer schweren Körperverletzung im Sinne einer länger als vierundzwanzig Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit bejaht. Handelt es sich bei der erlittenen Verletzung zudem um eine länger als 3 Monate andauernden Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit?

2) Ist die in Anspruch genommene physiotherapeutische Behandlung kausal auf das o.a. Verbrechen zurückzuführen, war diese notwendig und medizinische nachvollziehbar?

3) Ist eine weiterführende physiotherapeutische Behandlung zur Besserung des Gesundheitszustandes der Obg. notwendig?“

Im ärztlichen Sachverständigengutachten vom 27.06.2019 wurde nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin Nachfolgendes festgehalten:

„Tathergang:

28.09.2018: mit Luftdruckgewehr (Spritzgeschoss) am rechten Unterschenkel Waden Bereich Verletzung - Fremdkörperentfernung im UKH XXXX (20 Minuten Dauer) – siehe Ablage 47

Befunde UKH XXXX :

01.10.2018: leichte Schmerzen

08.10.2018: keine Schmerzen

23.10.2018: Wunde bland (gute Heilung), Gefühl und Durchblutung unauffällig, kein Wadendruckschmerz

11/2018 1 Stunde Physiotherapie (passive Bewegungsübungen)

Lokalbefund: rechter Wadenbereich 2 x ca. 2 cm lange gut verheilte Schnitte

jetzige Beschwerden: sie kann 1 km laufen, danach bzw. nach ca. halbe Stunde gehen Wadenschmerzen, aktuell keine Physiotherapie;

Ärztliche Stellungnahme:

ad 1)

Nein, da bereits am 23.10.2018 (26 Tage nach der Tat) blande Wundverhältnisse, kein Wadendruckschmerz (Befund XXXX 23.10.2018)

bereits am 10.11.2018 hat sie ein Probevorspielen in der Dauer von etwa 15 Minuten geschafft

Kontrabass kann man laut Recherche auch im Sitzen spielen, es gibt einen eigenen Kontrabass Hocker, umlernen ist zumutbar;

ad 2)

ja, im November 2018 1 Stunde Physiotherapie mit passiven Bewegungsübungen der rechten unteren Extremität war notwendig und ist medizinisch nachvollziehbar

ad 3)

nein“

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 12.07.2019 gab die belangte Behörde dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld statt, bewilligte eine einmalige Geldleistung im Betrag von EUR 2.000,- (Spruchpunkt I.) und bewilligte den Antrag auf Kostenübernahme der physiotherapeutischen Behandlung vom 23.10.2018 (Spruchpunkt II.)

In der Begründung führte die belangte Behörde insbesondere zu Spruchpunkt I. aus, dass zur Frage, ob sie aufgrund der Tat vom 28.09.2018 eine länger als drei Monate andauernde Gesundheitsschädigung erlitten habe, der ärztliche Sachverständige in seinem Gutachten vom 27.06.2019 zusammenfassend ausgeführt habe, dass bereits am 23.10.2018 (26 Tage nach der Tat) blande Wundverhältnisse vorgelegen hätten und kein Wadendruckschmerz mehr vorhanden gewesen sei. Eine länger als drei Monate andauernde Gesundheitsschädigung liege gegenständlich nicht vor.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte darin aus, dass sie seit der Schussverletzung nicht mehr in der Lage sei, ihren sportlichen Aktivitäten in dem Ausmaß nachzukommen, wie vorher. Sie sei Marathon und Halbmarathonläuferin. Auch beim instrumentalen Üben sei eine Einschränkung nach wie vor vorhanden. Die Schmerzen seien mehr als drei Monate deutlich spürbar gewesen, was ihrer Meinung nach durch die Ultraschall Untersuchung vom 18.07.2019 untermauert werde. Zur ärztlichen Untersuchung durch den Sachverständigen monierte die Beschwerdeführerin, dass der Arzt ihr gegenüber verachtend gewesen sei, ihr erklärte hätte, sie solle sich zur Verletzung nicht äußern, da sie nicht vom Fach sei und auf ihre Äußerung, dass sie Marathon und Halbmarathonläuferin sei, jedoch bereits nach einem Kilometer Schmerzen bekomme, geantwortet hätte, dass sie dankbar sein solle, weil er nicht einmal einen Kilometer laufen könne.

Ihrer Beschwerde legte die Beschwerdeführerin einen Ultraschallbefund vom 18.07.2019, ein ärztliches Attest vom 25.07.2019 sowie eine Überweisung zur Physiotherapie vom 17.07.2019 bei.

Die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 05.08.2019 vorgelegt.

Mit Schriftstück vom 19.07.2021 wurden die Beschwerdeführerin, ein Dolmetscher für die türkische Sprache sowie die belangte Behörde zur öffentlichen mündlichen Verhandlung am 15.09.2021 geladen.

Die Teilnahme eines Vertreters der belangten Behörde erfolgte nicht.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdeführerin diverse Beweismittel vor, welche als Beilage zum Akt genommen wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist türkische Staatsbürgerin und stellte am 24.01.2019 einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Die Beschwerdeführerin wurde am 28.09.2018 in XXXX beim Joggen von einem Mann angeschossen.

Der Täter wurde vom Landesgericht XXXX mit Urteil vom 20.12.2018 zu GZ. XXXX wegen des Verbrechens einer absichtlich schweren Körperverletzung gem. § 87 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt.

Die Beschwerdeführerin erlitt eine Schussverletzung im Bereich des rechten Unterschenkels mit Eintritt eines Projektils. Das Projektil wurde am 28.09.2018 operativ entfernt. Die Beschwerdeführerin verspürte zumindest bis Juli 2019 persistierende Schmerzen im rechten Unterschenkel. Eine Muskelläsion ist nicht nachweisbar.

Die bei der Beschwerdeführerin durch die an sich schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung dauerte länger als drei Monate an.

2. Beweiswürdigung:

In der mündlichen Verhandlung hatte die Beschwerdeführerin die Möglichkeit ihren gesundheitlichen Zustand darzulegen. Von der Richterin befragt gab sie an, als sie nach dem Vorfall im Krankenhaus operiert worden sei, sei sie zuerst an der falschen Stelle aufgeschnitten worden, weil die Kugel zuerst an der falschen Stelle gesucht worden sei. Sie habe nach der Operation immer wieder Schmerzen im rechten Wadenbereich gehabt, insbesondere beim Kontrabasspielen. Unmittelbar nach dem Vorfall habe sie gar nicht spielen können, in den Monaten danach habe sie nur im Sitzen üben können. Die Beschwerdeführerin habe aber nicht solo Kontrabasspielen und auch keine Aufnahmeprüfung ablegen können, weil man dafür im Stehen spielen müsse, und das sei ihr noch Monate nach dem Vorfall nicht möglich gewesen.

Von der Richterin auf den Vermerk des medizinischen Sachverständigen in seinem Gutachten vom 27.06.2019 „bereits am 10.11.2018 hat sie ein Probevorspielen in der Dauer von etwa 15 Minuten geschafft“ angesprochen, führte die Beschwerdeführerin aus, am 10.11.2018 habe es eine Aufnahmeprüfung – das sei ein Probespiel – gegeben, sie habe aber eben nicht daran teilnehmen können. Sie könne sich nicht erklären, wie der Sachverständige zu dieser Äußerung komme. Die Beschwerdeführerin habe sich offiziell von dieser Aufnahmeprüfung abgemeldet und legte zum Beweis dafür in der mündlichen Verhandlung eine E-Mail an probespiel@ XXXX vom 22.10.2018 vor, welche als Beilage zum Akt genommen wurde. Dem Inhalt dieser E-Mail ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin ihren Termin zur Aufnahmeprüfung abgesagt hat, weil sie Probleme mit ihrem Bein gehabt habe und kaum gehen bzw. stehen habe können. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegte E-Mail bestätigt, dass die Feststellung des ärztlichen Gutachters zur erfolgten Teilnahme am Probespiel schlichtweg falsch ist.

Daher ist auch nicht schlüssig nachvollziehbar, wenn der medizinische Sachverständige auf die Frage im Gutachtensauftrag, ob es sich bei der erlittenen Verletzung um eine länger als drei Monate andauernde Gesundheitsschädigung handelt, wie folgt antwortet:

„(…) Nein, da bereits am 23.10.2018 (26 Tage nach der Tat) blande Wunderverhältnisse, kein Wadenschmerz (Befund UKH 23.10.2018)

Bereits am 10.11.2018 hat sie ein Probespielen in der Dauer von etwa 15 Minuten geschafft (…).“

Festzuhalten ist überdies, dass es zwar korrekt ist, dass im Endbefund des UKH vom 23.10.2018 „kein Wadendruckschmerz“ angeführt ist, aber in sämtlichen Nachbehandlungstexten der Krankengeschichte des UKH „Schmerzen bei Belastung“ angegeben werden.

In der mündlichen Verhandlung von der Vorsitzenden Richterin auf einen Aktenvermerk der belangten Behörde im Verwaltungsakt angesprochen, wonach sie von 19.02.2019 bis 17.03.2019 auf Orchester Tour in XXXX gewesen sei, gab die Beschwerdeführerin an, daran habe sie teilnehmen können. Das sei die Teilnahme an einem Orchester gewesen, und wenn sie im Orchester spiele, könne sie sitzen. Das sei zu diesem Zeitpunkt erstmals wieder möglich gewesen. Auch jetzt könne sie wieder Kontrabass spielen, wenn sie im Stehen spiele, verlagere sie ihr Gewicht auf den linken Fuß um den rechten bei Bedarf zu entlasten. Wenn sie länger als eine Stunde laufe, spazieren gehe oder stehe, müsse sie ihre Muskulatur entspannen.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin zumindest zehn Monate nach der Tat immer wieder Schmerzen in ihrem rechten Unterschenkel bzw. im vernarbten Operationsbereich hatte, ergibt sich aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Beweismittel vom 18.07.2019 und vom 25.07.2019, sowie aus den Angaben der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung. Insbesondere aus dem radiologischen Befund vom 18.07.2019 ergeben sich livide Verfärbungen und zwei narbige Veränderungen im Bereich der Haut und dem Unterhautfettgewebe des rechten Unterschenkels sowie damit einhergehende Schmerzzustände. Eine Muskelläsion war nicht nachweisbar. Diesbezüglich hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung angegeben, im Juli 2019 hätten sich schwarze Flecken gebildet, und sie hätte Schmerzen gehabt, daher sei sie zum Arzt gegangen.

In der mündlichen Verhandlung auf die ärztliche Empfehlung vom 23.10.2018 zur Absolvierung von fünf Einheiten Physiotherapie und einen diesbezüglichen Vermerk der belangten Behörde vom 22.03.2019 angesprochen, wonach die Beschwerdeführerin lediglich eine Stunde Physiotherapie in Anspruch genommen habe, weil weitere Therapieeinheiten für ihre Verletzung nicht mehr hilfreich gewesen seien, gab die Beschwerdeführerin an, zu dieser Zeit habe sie bei den öffentlichen Stellen keinen Platz für eine Physiotherapie bekommen, sie hätte jedenfalls sechs Monate auf einen Termin warten müssen, und daher habe sie sich eine private Stelle für eine Physiotherapie gesucht. Diese Therapieeinheit hätte sie selbst bezahlen müssen, und daher sei sie nur einmal hingegangen. Sie sei Studentin gewesen, und habe nicht das Geld gehabt um weitere private Therapien bezahlen zu können. Das Geld vom SMS habe sie auch erst ein Jahr später bekommen. Diese Erklärung ist für den erkennenden Senat vollkommen plausibel.

Aus den dargelegten Gründen ist bei der Beschwerdeführerin eine an sich schwere Körperverletzung verbunden mit einer länger als drei Monate andauernden Gesundheitsschädigung vorliegend. Das von der belangten Behörde eingeholte allgemeinmedizinische Gutachten vom 27.06.2019 ist für den erkennenden Senat – wie bereits oben ausgeführt - nicht schlüssig und kann der Entscheidung daher nicht zugrunde gelegt werden. Die Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens ist auf Grund der Angaben und vorgelegten Beweismittel der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, und insbesondere der vorgelegten medizinischen Beweismittel vom Juli 2019 nicht erforderlich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 9d Abs. 1 VOG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz durch einen Senat dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Im gegenständlichen Fall liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Zu Spruchpunkt A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 1 Abs. 1 VOG haben Anspruch auf Hilfe österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2. durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.

Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde (…).

Im Fall der Beschwerdeführerin liegen die grundsätzlichen Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 1 VOG für Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz vor. Die Beschwerdeführerin wurde Opfer einer Straftat im Inland.

Nach § 2 Z 10 leg.cit. ist als Hilfeleistung Pauschalentschädigung für Schmerzengeld vorgesehen.

Nach § 6a Abs. 1 leg.cit. ist Hilfe nach § 2 Z 10 für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 2 000 Euro zu leisten; sie beträgt 4 000 Euro, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.

„Schwere Körperverletzung

§ 84 Abs. 1 StGB: Hat die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist die Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich schwer, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

Absichtlich schwere Körperverletzung

§ 87 Abs. 1 StGB: Wer einem anderen eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) absichtlich zufügt, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.“

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung ist, ob die Beschwerdeführerin durch das Verbrechen der schweren Körperverletzung eine Gesundheitsschädigung erlitten hat, welche länger als drei Monate andauerte. Die Beurteilung dieser Frage ist eine Rechtsfrage (vgl. F/F § 84 Rz 11, Kienapfel BT I § 84 Rz 11).

Eine Gesundheitsschädigung ist die Herbeiführung oder Verschlimmerung einer Krankheit, dabei kommen neben körperlichen auch geistig-seelische Leiden in Betracht. Vorausgesetzt ist aber in beiden Fällen, dass es sich dabei um Zustände handelt, die einen Krankheitswert in medizinischen Sinn haben (Knienapfel BT I § 83 Rz 15). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens einer Person als Gesundheitsschädigung anzusehen, wobei das Andauern dieses Zustandes nicht mit der Heilungsdauer identisch sein muss (VwGH vom 14.12.2015, Ro 2014/11/0017; OGH RS0092408).

Schmerzen an sich – die nicht auf eine pathologische Veränderung des Körpers zurückzuführen sind - können eine Gesundheitsschädigung begründen, wenn ein vom Betroffenen als Leiden empfundener Schmerzzustand von einiger – wenn auch nicht besonders langer Dauer vorliegt (13 Os 18/22, SSt 53/35 = EvBl 1983/23; 11 Os 44/89, SSt 60/35; zuletzt 13 Os 96/12k; vgl Kienapfel/Schroll, BT I § 83 Rz 17; Lewisch, BT I 24f).

Solche Schmerzen müssen jedenfalls zeitlich die Einwirkung auf den Körper überdauern (11 Os 44/89, SSt 60/35; zuletzt 13 Os 96/12k; vgl. Fabrizy, StGB § 83 Rz 3; Messner, SbgK § 83 Rz 50; Eichinger in Migutsch/Wessely, BT I § 83 Rz 5).

Die Beschwerdeführerin litt wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt zumindest bis Juli 2019 und somit länger als drei Monate nach der Tat an Schmerzen im Bereich des rechten Unterschenkels weswegen gemäß § 6a Abs. 1 VOG die Voraussetzungen für die Gewährung der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in der Höhe von EUR 4.000,00 gegeben sind.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Dauer Geldleistung Gesundheitsschädigung Körperverletzung Pauschalentschädigung Sachverständigengutachten Schmerzengeld VerbrechensopferG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W166.2222019.1.00

Im RIS seit

26.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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