TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/15 W132 2242633-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.11.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.11.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W132 2242633-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzerinnen, über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX , in Form von Ausstellung eines bis 31.12.2021 befristeten Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:

Der Grad der Behinderung (GdB) beträgt siebzig (70) von Hundert (vH).

Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:
1.         Am 12.08.2020 hat die Beschwerdeführerin beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO gestellt, welcher auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und Vornahme des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gilt.
1.1.         Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 12.10.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH bewertet wurde und die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragungen „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster, zweiter und dritter Teilstrich VO 303/1996“ vorlägen.
1.2.         Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurden Einwendungen erhoben und neue Beweismittel in Vorlage gebracht.
1.3.         Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde vom bereits befassten Sachverständigen, Dr. XXXX , basierend auf der Aktenlage, eine mit 11.12.2020 datierte medizinischen Stellungnahme mit dem Ergebnis eingeholt, dass weder die erhobenen Einwendungen, noch die vorgelegten Beweismittel geeignet seien, eine geänderte Beurteilung zu begründen.
1.4.         Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin am 23.10.2020 einen bis 31.12.2021 befristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH eingetragen sowie die Zusatzeintragungen „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich, zweiter Teilstrich und dritter Teilstrich VO 303/1996 liegen vor“ vorgenommen.
2.         Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Tragweite der Erkrankung vom Sachverständigen nicht verstanden worden sei. Die Kleingefäßvaskulitis sei in der bestehenden Form eine schwere Autoimmunerkrankung die vor wenigen Jahren noch tödlich verlaufen wäre. Die Beschwerdeführerin habe nur noch 18% Nierenfunktion gehabt und sei kurz vor der Dialyse gestanden. Wie den Befunden zu entnehmen, sei die B-Zellen-Suppression dauerhaft und unbefristet, weshalb sie auch keine Impfung erhalten könne. Als Beweis, dass die B-Lymphozyten (B-Zellen) tatsächlich auf 0 seien, werde der immunologische Befund der Med. Uni. Wien vorgelegt. Es sei nicht nachvollziehbar wie der Sachverständige angeben könne, dass keine schweren Infekte dokumentiert seien, da die Beschwerdeführerin im Dezember 2019 mit einer Pneumonie (Lungenentzündung) stationär im Spital gewesen sei. Es werde daher um Neuausstellung des Behindertenpasses mit Neubemessung des Behinderungsgrades und Wegfall der Befristung, sowie um Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO ersucht.
2.1.         In der Folge hat die belangte Behörde zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Fachärztin für Innere Medizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 02.03.2021, eingeholt. Diesem Gutachten sind lediglich die bei der Beschwerdeführerin unverändert beurteilten Diagnosen zu entnehmen und wird darin zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Stellung genommen. Eine Einschätzung des Grades der Behinderung ist nicht erfolgt.
2.2.         Im Rahmen des gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurden Einwendungen erhoben und neue Beweismittel in Vorlage gebracht.
2.3.         Mit dem – im Bundesverwaltungsgericht am 12.05.2021 eingelangten – Schreiben vom 11.05.2021 hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde vorgelegt.
2.4.         Im Zuge der Ladung zur persönlichen Untersuchung wurde die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass gemäß § 46 BBG neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden dürfen.
2.5.         Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Fachärztin für Innere Medizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 19.07.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung in Höhe von 70 vH bewertet wurde.
2.6.         Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG mit Hinweis auf die Neuerungsbeschränkung gemäß § 46 BBG erteilten Parteiengehörs haben weder die belangte Behörde noch die Beschwerdeführerin Einwendungen erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Da sich die Beschwerdeführerin mit dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Grad der Behinderung nicht einverstanden erklärt hat, war dieser zu überprüfen.

1.       Feststellungen:
1.1.         Die Beschwerdeführerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland.
1.2.         Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 70 vH.
1.2.1.          Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Kopf frei beweglich, Hirnnervenaustrittspunkte frei. Hörvermögen gut. Sehvermögen: korrigiert, Zustand nach Cararact OP beidseits. Hals: Keine vergrößerten Lymphknoten tastbar. Schilddrüse: narbe unauffällig bei St. P SE. Herz: Herztöne rhythmisch, rein, normofrequent. Lunge: va, keine Rasselgeräusche, Lungenbasen verschieblich.
Wirbelsäule: unauffällig.
Obere Extremitäten: Frei, Nacken- und Schürzengriff erschwert möglich. Grobe Kraft seitengleich deutlich abgeschwächt. Armhalteversuch nur eingeschränkt möglich bei Kraftgradminderung. Muskulatur atroph. Hämatome am UA beidseits. Schulter: Beidseits endlagig schmerzbedingt in der Beweglichkeit eingeschränkt. Frisieren erfolgt mit erhöhtem Kraftaufwand. EBO und Handgelenk frei beweglich. Finger: Polyarthrosen; CTS beidseits leicht positiv (OP Narbe bland).
Untere Extremitäten: Hüfte und Knie endlagig schmerzbedingt in der Beweglichkeit eingeschränkt, keine Schwellung. Hämatome an beiden unteren Extremitäten. Papierhaut. Herabgesetzte Sensibilität an allen 4 Extremitäten.
Status psychicus: Klar, orientiert, Ductus kohärent.
Bewegungsumfang im Rahmen der persönlichen Untersuchung am 19.07.2021: Die Beschwerdeführerin kommt gemeinsam mit dem Gatten gehend in die Ordination. Das Gangbild langsam, die Schrittfolge unsicher, treppelnd, auffallende Muskelatrophie. Lagewechsel sind möglich – aber schwerfällig und langsam. Die Untersuchung erfolgt im Sitzen, da die Beschwerdeführerin sehr geschwächt ist.
1.2.2. Beurteilung der Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Kleingefäßvaskulitis mit Muskel-, Nieren- und Nervenbeteiligung

Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da Stabilisierung unter immunsuppressiver Therapie, die Muskelschwäche ist jedoch sehr ausgeprägt mit deutlicher Kraftgradminderung in allen Extremitäten. Die Nerven- (periphere Sensibilitätsstörungen) und Nierenbeteiligung ist in dieser Positionsnummer mit abgebildet.

gZ 05.04.02

60 vH

02

Degenerative Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat inklusive Osteoporose, Zustand nach Operation eines Carpaltunnelsyndroms

Unterer Rahmensatz, da funktionelle Einschränkungen im Bewegungsapparat bei ausgeprägtem Muskelabbau bestehen. Der Zustand nach Operation eines Carpaltunnelsyndroms ist in dieser Position mit abgebildet.

02.02.02

30 vH

03

Vaskuläre Encephalopathie

Fixposition

gZ 05.03.01

10 vH

04

Hypertonie

Fixposition

05.01.01

10 vH

05

Substituierte Schilddrüsenunterfunktion nach Schilddrüsenentfernung

Unterer Rahmensatz, da hormonelle Substitution zur Stabilisierung ausreichend ist.

09.01.01

10 vH

06

Diabetes Mellitus

Unterer Rahmensatz, da keine medikamentöse Therapie weiterführend angegeben.

09.02.01

10 vH

Gesamtgrad der Behinderung

70 vH

Das führende Leiden 1 wird aufgrund der funktionellen Relevanz von Leiden 2 um eine weitere Stufe erhöht. Die übrigen Leiden erhöhen bei zu geringer funktioneller Relevanz nicht weiter.

Eine Nachuntersuchung ist nicht indiziert, da keine wesentliche Besserung zu erwarten ist.

2.       Beweiswürdigung:
Zu 1.1.)         Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.2.)         Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die eingeholten und vorgelegten Beweismittel:

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten Dris. XXXX ist vollständig, schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befund, entsprechen unter Berücksichtigung des Vorbringens und der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Die vorgelegten medizinischen Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen und die befasste Sachverständige hat sich im Rahmen der Gutachtenserstellung damit auseinandergesetzt. Diese Beweismittel stehen im Einklang mit den gutachterlichen Feststellungen Dris. XXXX .

Dr. XXXX erläutert schlüssig, dass – in Abweichung zum erstinstanzlichen Gutachten – das bei der Beschwerdeführerin bestehende Leiden „Kleingefäßvaskulitis“ entsprechend der Progredienz der Erkrankung höher zu bewerten ist. Sie beschreibt nachvollziehbar, dass eine geänderte Positionsnummer heranzuziehen war, welche das Nierenleiden besser abbildet, wobei die muskulären und nervalen Defizite in dieser Position miterfasst sind. Dem Ausmaß der Funktionseinschränkung wurde durch die Heranziehung des Grades der Behinderung in Höhe von 60 vH ausreichend hoch Rechnung getragen.

Die Herabsetzung des Grad der Behinderung für das Leiden Diabetes Mellitus gegenüber der erstinstanzlichen Begutachtung um eine Stufe – auf 10 vH, erläutert die Sachverständige schlüssig damit, dass keine medikamentöse Therapie erforderlich ist und die Behandlung derzeit rein diätologisch erfolgt.

Die Neuaufnahme des Leidens degenerative Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat, Osteoporse, begründet die Sachverständige nachvollziehbar, dass funktionelle Einschränkungen am Bewegungsapparat bei ausgeprägtem Muskelabbau bestehen, wobei der Zustand nach Operation des Carpaltunnelsyndroms in dieser Position mit abgebildet ist.

Die Sachverständige hält vor dem Hintergrund der klinischen Untersuchung und der Art und des Ausmaßes der objektivierten Gesundheitsschädigungen nachvollziehbar fest, dass eine Besserung des Leidenszustandes nicht zu erwarten ist.

Der im eingeholten Gutachten Dris. XXXX erfolgten Beurteilung des Grades der Behinderung bzw. der Zuordnung der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Funktionseinschränkungen zu den jeweiligen Positionen der Einschätzungsverordnung wurde im Rahmen des erteilten Parteiengehörs nicht entgegengetreten.

Die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin wurde nunmehr umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.

Das Sachverständigengutachten Dris. XXXX steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Zudem haben die Verfahrensparteien den Inhalt des eingeholten Sachverständigengutachtens im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht erteilten Parteiengehörs unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen.

Die Angaben der Beschwerdeführerin waren sohin geeignet, das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten zu entkräften und eine geänderte Beurteilung zu begründen.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)
1.         Zur Entscheidung in der Sache:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist. (§ 40 Abs. 2 BBG)

Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1.       in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2.       in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.

Zuständige Stelle ist:

–        Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

–        Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

–        In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

(§ 35 Abs. 2 Einkommensteuergesetz 1988)

Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)

Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. (§ 45 Abs. 2 BBG)

Da eine wesentliche Besserung des Leidenszustandes nicht zu erwarten ist und das nunmehr objektivierte Ausmaß der Leiden der Beschwerdeführerin die Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung auf 70 vH rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
2.         Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(§ 24 Abs. 1 VwGVG)

Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(§ 24 Abs. 2 VwGVG)

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Gesamtgrad der Behinderung sind die Art und das Ausmaß der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Das Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht bestritten. Es wurden der Beschwerde keine Beweismittel beigelegt, welche mit der gutachterlichen Beurteilung der Funktionseinschränkungen nicht in Einklang stehen. Das Beschwerdevorbringen war – wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt – geeignet, relevante Bedenken an den Feststellungen der belangten Behörde hervorzurufen. Die vorgebrachten Argumente wurden im eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt und resultiert daraus die geänderte Beurteilung. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist auch kein absoluter. (VfGH vom 09.06.2017, E 1162/2017)

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Neubemessung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W132.2242633.1.00

Im RIS seit

23.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten