Entscheidungsdatum
15.11.2021Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
W117 2198270-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas DRUCKENTHANER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.06.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG, in der damals geltenden Fassung, als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG iVm § 1 Z 3 und Z 4 VwG-AufwErsV hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Gemäß § 35Abs. 1 VwGVG wird der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsbürger. Er wurde am 03.06.2018 um 0:30 Uhr im Zuge einer Kontrolle in einem internationalen Reisezug NJ 295 auf dem Weg von Deutschland nach Italien aufgegriffen und wegen Fehlens notwendiger Dokumente festgenommen. Ein EURODAC-Treffer ergab bereits mehrere Einträge in Deutschland und Italien.
Am selben Tag wurde daher ein Verfahren zwecks Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung des Beschwerdeführers eingeleitet. Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag, brachte er vor, gesund zu sein und auf Anordnung der deutschen Behörden auf dem Weg nach Italien gewesen zu sein. In Österreich habe er keinerlei Bezugspunkte. Er verfüge über rund 27.- € an Barmitteln.
Mit Parteiengehör vom 03.06.2018 informierte das BFA den Beschwerdeführer von der beabsichtigten Außerlandesbringung gemäß §61 FPG nach Italien infolge dessen Zuständigkeit nach der Dublin III-VO und räumte ihm eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme zu den Länderberichten von 7 Tagen ein und wies darauf hin, dass nach ungenutztem Ablauf der Frist jedenfalls eine Entscheidung ergehen werde.
Mit angefochtenem Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ebenfalls vom 03.06.2018 wurde über den Beschwerdeführer gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG und § 57 Abs. 1 AVG idgF zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung sowie zur Sicherung der Abschiebung Schubhaft angeordnet. Darin wurde festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer als nicht österreichischer Staatsbürger ohne Aufenthaltsberechtigung im österreichischen Bundesgebiet aufhalte. Die eingeleitete Außerlandesbringung sei noch nicht durchführbar. Er sei illegal eingereist und habe nur durchreisen wollen. Im bisherigen Verfahren habe er sich unkooperativ verhalten, indem er sich den deutschen und italienischen Behörden jeweils entzogen habe. Er besitze auch kein gültiges Reisedokument, weshalb er Österreich aus eigenem Entschluss nicht legal verlassen könne. Er habe die österreichische Rechtsordnung konsequent missachtet, indem er illegal und ohne Dokumente nach Italien habe durchreisen wollen. Einen ordentlichen Wohnsitz habe er in Österreich nicht und könne einen solchen auch nicht begründen. Er habe keinerlei soziale oder wirtschaftliche Anknüpfungspunkte in Österreich, sei in keinster Weise integriert und habe auch keine Kenntnisse der deutschen Sprache. Er sei auf Durchreise gewesen und habe weder familiäre noch private Anknüpfungspunkte in Österreich. Diese Feststellungen resultierten aus seinen Angaben anlässlich der Befragung vom 03.06.2018. Rechtlich wurde ausgeführt, dass gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO Fremde in Schubhaft genommen werden können. Dies ist zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren nach Einzelfallprüfungen bei Bestehen einer erheblichen Fluchtgefahr vorgesehen, wenn die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Zur Fluchtgefahr definiert Art. 2 lit n Dublin-VO das Vorliegen von Gründen, welche zur Annahme Anlass geben, dass sich ein zu überstellender Fremder dem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen werde. Diese Kriterien sind in § 76 Abs. 3 FPG geregelt. Für die Anordnung der Schubhaft muss neben der Fluchtgefahr auch Verhältnismäßigkeit vorliegen. Gemäß § 76 Abs. 3 FPG liegt Fluchtgefahr vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Fremde sich dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese wesentlich erschweren wird, dies insbesondere wenn sich ergeben hat, dass ein anderer Mitgliedsstaat nach der Dublin III-VO zuständig ist, sofern der Fremde ua. bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedsstaaten gestellt hat (Z6) oder er in Österreich nicht verankert ist (Z 9.). Im vorliegenden Fall bestehe eine begründete Fluchtgefahr: Der Beschwerdeführer sei höchst mobil und habe sich bereits den italienischen und deutschen Behörden und Verfahren entzogen und habe die Absicht gehabt, nach Italien durchzureisen, weshalb das BFA begründet habe annehmen können, dass er sich auch dem österreichischen Verfahren entziehen werde, zumal er hier keinerlei Anbindungen habe. Die Entscheidung sei angesichts des unverzüglich eingeleiteten Konsultationsverfahrens mit Italien auch verhältnismäßig. Da er sich durch das geschilderte Verhalten als nicht vertrauenswürdig erwiesen habe, sei die Sicherung des Verfahrens bzw. seiner Abschiebung notwendig, weil davon auszugehen sei, dass er sich auch künftig nicht an die geltenden Rechtsvorschriften halten werde. Angesichts seiner gänzlich fehlenden Verankerung in Österreich könne unter Bedachtnahme auf sein bisheriges Verhalten auf ein beträchtliches Risiko des Untertauchens des Beschwerdeführers geschlossen werden. Einem geordneten Fremdenwesen komme im Hinblick auf die öffentlichen Ordnung und das wirtschaftliche Wohl des Staates ein hoher Stellenwert zu. Ferner komme Österreich nach europarechtlichen Vorgaben und auch gegenüber seinen Staatsbürgern und legal hier aufhältigen Personen Pflichten zu, welchen nachzukommen sei. Die Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft ergebe, dass das private Interesse des Beschwerdeführers an der Schonung seiner persönlichen Freiheit dem öffentlichen Interesse am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung unterzuordnen sei. Ein gelinderes Mittel gemäß § 77 FPG wie die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit komme angesichts seiner finanziellen Situation von vornherein nicht in Betracht. Auch mit einer Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten und eine periodische Meldeverpflichtung könne angesichts des vom Beschwerdeführer bisher gezeigten Verhaltens und seiner Reiseabsichten nicht das Auslangen gefunden werden. Das BFA könne daher von der begründeten Annahme ausgehen, dass er sich dem Verfahren in Österreich bei jeder sich bietenden Möglichkeit ebenfalls entziehen werde. Damit wäre jedoch der Zweck der Schubhaft, nämlich die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung, vereitelt. Da er gesund sei und Hinweise auf eine Haftunfähigkeit seien nicht hervorgekommen seien, liege Haftfähigkeit vor. Die gesetzlichen Formalerfordernisse seien erfüllt, die Schubhaft stehe zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis und sei im Interesse des öffentlichen Wohls dringend erforderlich und geboten. Unter einem wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater beigegeben.
Der Beschwerdeführer wurde ab 03.06.2018, XXXX Uhr , zunächst im PAZ XXXX in Schubhaft angehalten.
Mit Bescheid vom 19.06.2018, dem Beschwerdeführer zugestellt am darauffolgenden Tag, erteilte das BFA dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 aus berücksichtigungswürdigen Gründen und ordnete eine Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG gegen den Beschwerdeführer an, wonach seine Abschiebung nach Italien zulässig sei. Unter einem wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater beigegeben.
Mit Schriftsatz vom 14.06.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seinen gewillkürten Vertreter Beschwerde gegen den Mandatsbescheid vom 03.06.2018, womit Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Außerlandesbringung und Abschiebung angeordnet wurde, sowie die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft seit 03.06.2018 und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid beheben und aussprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgt sei, im Rahmen einer „Habeas Corpus-Prüfung“ aussprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorlagen und der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen des Beschwerdeführers gemäß VwG-Aufwandersatzverordnung sowie der Kommissionsgebühren und Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen habe, auferlegen. Zur behaupteten Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides wurde ausgeführt, dass eine (erhebliche) Fluchtgefahr im Fall des Beschwerdeführers nicht vorläge und gelindere Mittel zur Verfahrenssicherung ausreichend gewesen wären. Es werde die Verbindung des Verfahrens mit jenem seiner Lebensgefährtin beantragt. Die Argumentation der Behörde zum Vorliegen einer Fluchtgefahr erweise sich im vorliegenden Fall als höchst unschlüssig. Die Behörde habe beabsichtigt, den Beschwerdeführer nach Durchführung eines Konsultationsverfahrens nach der Dublin III-VO nach Italien abzuschieben. Die Behörde habe selbst festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer bereits auf dem Weg dorthin befunden habe, weshalb die Annahme, er würde sich dem Verfahren zur Überstellung dorthin entziehen unbegründet sei. Hintergrund seiner Reisebewegung sei die im Asylverfahren in Deutschland festgestellte Zuständigkeit Italiens gewesen. Die entsprechende Entscheidung werde beigelegt. Dass er ohne Reisdokument reiste möge zwar eine Verwaltungsübertretung darstellen, eine erhebliche Fluchtgefahr könne daraus aber keineswegs abgeleitet werden. Dieser Umstand sei in einem Dublin-Fall geradezu typisch (VwGH 28.08.2012, 2010/21/0291) bzw. stelle dies auch kein Kriterium nach § 76 Abs. 3 FPG dar. Die von der Behörde ins Treffen geführte vermeintliche fehlende soziale Verankerung sei in einem Dublin-Fall ebenfalls nicht geeignet, eine erhebliche Fluchtgefahr zu begründen (VwGH 30.08.2011, 2008/21/0498). Auch habe die Behörde nicht nachvollziehbar dargelegt, warum ein gelinderes Mittel nicht in Frage komme, insbesondere jenes der Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten gemäß § 77 Abs. 3 Z 1 FPG. Selbst im Fall der Annahme, dass der Beschwerdeführer nicht selbständig hätte in den zuständigen Mitgliedsstaat ausreisen dürfen, so keineswegs nachvollziehbar, dass er seine Überstellung in der Schubhaft abwarten müsse. Der Beschwerdeführer wäre nach entsprechender Darlegung jedenfalls damit einverstanden gewesen, das Konsultationsverfahren und die Zeit bis zur Überstellung in einer von der Behörde organisierten Unterkunft abzuwarten. Er hätte sich dem gelinderen Mittel nicht entzogen, sodass es ausreichend zur Verfahrenssicherung gewesen wäre. Der Beschwerdeführer beantrage als obiegende Partei 737,60 € als Ersatz für den Schriftsatzaufwand und im Fall einer mündlichen Verhandlung zusätzlich 922,00 €. Darüber hinaus beantrage er gemäß § 35 Abs. 1 iVm Abs. 4 Z1 VwGG den Ersatz sämtlicher Kommissionsgebühren und Barauslagen für die er aufzukommen habe, insbesondere die Gebühren für den Dolmetscher und Sachverständige. Beigelegt war ua. eine Einzahlungsbestätigung über 30.- € Gerichtsgebühren beim BVwG.
Mit Beschwerdevorlage vom 15.06.2018 informierte das BFA über das Verfahren und erstattete eine Stellungnahme. Der Beschwerdeführer habe anlässlich seiner Kontrolle am 03.06.2018 im Reisezug EN295 im Bereich des Bahnhofes XXXX keine gültigen Reise- oder Identitätsdokumente vorweisen können. Ferner sei dabei festgestellt worden, dass bereits zwei EURODAC-Treffer für ihn in Italien und Deutschland existierten. Die Antwort auf das umgehend mit Italien eingeleitete Konsultationsverfahren sei derzeit noch ausständig. Der Beschwerdeführer habe im Bundesgebiet noch nie eine aufrechte Meldeadresse besessen, verfüge hier über keine sozialen oder familiären Anbindungen, sei der deutschen Sprache nicht mächtig und sei auch noch keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er verfüge aber auch nicht über die finanziellen Mittel zur Bestreitung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet. Konkret beliefen sich seine Barmittel auf rund € 27.-. Er habe sich nachweislich den deutschen Behörden entzogen und sei illegal in Richtung Italien aus Deutschland ausgereist. Er habe dabei nachweislich zumindest drei europäische Staaten illegal bereist. Er erweise sich somit als ausgesprochen mobil und nicht gewillt, sich an gesetzliche Regelungen und behördlichen Vorgaben zu halten. Seine Haftfähigkeit sei amtsärztlich festgestellt worden. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet sei illegal und er könne nicht selbständig und auf eigenen Entschluss ausreisen. Sobald eine italienische Zusage zur Übernahme vorliege, werde eine Anordnung zur Außerlandesbringung erlassen und dr Beschwerdeführer zeitnah nach Italien überstellt werden. In Österreich habe er bis dato keinen Asylantrag gestellt. Der Beschwerdeführer befinde sich derzeit in Schubhaft im PAZ XXXX . Die Abweisung der Beschwerde und Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft sowie Verpflichtung des Beschwerdeführers zum Kostenersatz von 426,20 € wie aufgeschlüsselt wurde beantragt.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 20.06.2018, Zl. W197 2198270-1/6E, wurde der Beschwerde des Beschwerdeführers stattgegeben und seine Anhaltung vom 03.06.2018, 01:00 Uhr, bis zur Entlassung für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt I.), Gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 3 BFA-VG festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung NICHT vorlägen (Spruchpunkt II.) und der Bund dem Beschwerdeführer die Kosten von 737,60 € zu ersetzen habe (Spruchpunkt III.). Der Antrag „der Beschwerdeführerin“ auf Befreiung von der Eingabegebühr werde als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt IV.). Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer beabsichtige, sich einem Verfahren in Österreich zu seiner Außerlandesbringung nach Italien zu entziehen. Die Behörde habe daher zu Unrecht Schubhaft verhängt. Diese sei auch nicht verhältnismäßig gewesen, da nicht auszuschließen sei, dass der Sicherungszweck durch Anordnung eines gelinderen Mittels hätte erreicht werden können.
Der Beschwerdeführer wurde daraufhin am 20.06.2018 um 16:25 Uhr, aus der Schubhaft entlassen.
Gegen dieses Erkenntnis des BVwG wurde mit Schriftsatz vom 31.07.2018 seitens des BFA eine außerordentliche Revision hinsichtlich A.I. bis A.III. an den VwGH erhoben. Darin wurde ua. angemerkt, dass sich der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung aus der Schubhaft durch Untertauchen dem behördlichen Zugriff entzogen hat, weshalb sein bevollmächtigter Vertreter die Überstellungserklärung zur freiwilligen Ausreise wiederrufen habe. Angemerkt wurde weiters, dass auch gegen die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers am 26.07.2018 eine gleichgelagerte Revision eingebracht worden sei.
Mit Erkenntnis des VwGH vom 13.11.2018, Ra 2018/21/0159-7, wurde das Erkenntnis des BVwG vom 20.06.2018 hinsichtlich Spruchpunkt A.I. soweit damit die Anhaltung des Beschwerdeführers im Zeitraum 03.06.2018 von 1:00 Uhr bis 8:00 Uhr für rechtswidrig erklärt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des VwG, und im Übrigen (A.II und A III.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben. Begründend wurde dargelegt, dass sich die Beschwerde lediglich gegen die ab 8:00 Uhr verhängte Schubhaft gerichtet habe (RZ 10) und im Übrigen die Entscheidung aus den in VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0133, ersichtlichen Gründen aufzuheben gewesen sei (RZ 11).
Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 18.11.2019 wurde die Rechtssache der GA W117 zugewiesen.
Unter GZ. W197 2198294-1/19E erging am 13.12.2019 seitens des BVwG das Erkenntnis im fortgesetzten Verfahren der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, womit ua. deren Beschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen wurde, im Wesentlichen mit der Begründung, dass ihr Aufenthalt nicht bekannt und daher davon auszugehen sei, dass sie nach ihrer Freilassung nach Italien weitergereist sei, sodass sich eine mündliche Verhandlung erübrige.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht nicht fest. Er ist unbescholten und gesund.
Er wurde am 03.06.2018 bei einer Kontrolle in einem Zug Richtung Italien gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin ohne Reise- oder Identitätsdokumente aufgegriffen und festgenommen. Dazu gab er an, von Deutschland nach Italien zurückgeschickt worden zu sein, er sei auf dem Weg dorthin. Er verfügte nur über Barmittel in Höhe von rund € 27.- und gab an, zu Österreich keine Anknüpfungspunkte zu haben. Er ist im Bundesgebiet zu keiner Zeit aufenthaltsberechtigt gewesen. Es haben sich für den Beschwerdeführer zwei EURODAC-Treffer ergeben, der erste für Italien und ein weiterer für Deutschland.
Der Asylantrag des Beschwerdeführers in Deutschland vom 05.12.2017 wurde mit dem zur Beschwerde vorgelegten Beschluss des Verwaltungsgerichtes XXXX vom 20.03.2018 wegen der Zuständigkeit Italiens zur Wiederaufnahme abgelehnt und seine Abschiebung dorthin als zulässig erachtet.
Mit Bescheid des BFA vom 19.06.2018 wurde nach Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers gemäß § 61 FPG angeordnet und seine Abschiebung nach Italien für zulässig erachtet.
Der Beschwerdeführer ist mangels irgendeiner Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet ein Fremder im Sinne des § 76 FPG.
Er wurde anlässlich seines behördlichen Aufgriffs am 03.06.2018 ohne jegliche Reise- oder Identitätsdokumente angetroffen; damit hatte er sich den deutschen Behörden entzogen, um eigenmächtig und illegal in Österreich ein- bzw. durchzureisen und ebenso illegal nach Italien zu gelangen.
Festzustellen war, dass sich für den Beschwerdeführer zwei Treffer in der EURODAC-Datei ergeben haben, jeweils einer für Italien und Deutschland. Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet nie Asyl beantragt.
Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin befanden sich lediglich auf der illegalen Durchreise in Österreich und wiesen keinerlei soziale Verankerung in Form von familiären Beziehungen, einer legalen Erwerbstätigkeit oder ausreichender Existenzmittel und einen gesicherten Wohnsitz auf.
Unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Schubhaft am 20.06.2018 tauchten er und seinen Lebensgefährtin umgehend unter.
Sein aktueller Aufenthalt ist unbekannt.
2. Beweiswürdigung:
Die unstrittigen Feststellungen ergaben sich aus den beigeschafften Verwaltungsakten des Schubhaftverfahrens, der Beschwerde samt Beilagen und den ho. Gerichtsakten des Schubhaftverfahrens, Auskünften aus dem ZMR, Strafregister und der einschlägigen Fremdenregister sowie der Stellungnahme des Bundesamtes anlässlich der Beschwerdevorlage.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG schließlich unterbleiben, da der Sachverhalt nach der nunmehrigen Aktenlage in Verbindung mit dem Inhalt der Beschwerde als geklärt anzusehen ist, da Unklarheiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht mehr vorlagen. Das Untertauchen des Beschwerdeführers unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Schubhaft ist aktenkundig, sodass sich eine weitere Klärung seiner Absichten im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erübrigte.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“
Zu A.I.) Schubhaft
Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, in der damals gültigen Fassung, lautet:
„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“
Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.
Es hat der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der damals verhängten Schubhaft die von der Behörde dabei anzuwendende Rechtslage zu Grunde zu legen (vgl. VwGH 11.03.2021, Ra 2020/21/0274).
Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, lautet in der damals geltenden Fassung:
„ § 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn
1.dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
Der Beschwerdeführer ist mangels irgendeiner Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet ein Fremder im Sinne des § 76 FPG.
Gegen ihn konnte anlässlich seines behördlichen Aufgriffs am 03.06.2018 ohne jegliche Reise- oder Identitätsdokumente zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. zur Sicherung seiner Abschiebung nach Italien gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG Schubhaft angeordnet werden.
Art. 28 der Dublin III-VO mit der Überschrift „Haft“ lautete:
„Art. 28 (1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.
(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.“
Die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-VO lagen vor, da der Asylantrag des Beschwerdeführers in Deutschland wegen der Zuständigkeit Italiens mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes XXXX vom 20.03.2018 abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien als zulässig erachtet wurde, ehe er in Österreich nach illegaler Einreise aufgegriffen wurde.
Im Fall des Beschwerdeführers war zudem vom Vorliegen einer erheblichen Fluchtgefahr auszugehen, weil er sich - ohne im Besitz irgendwelcher Dokumente zu sein – zumindest den deutschen Behörden und seiner Abschiebung nach Italien entzogen hat, um illegal das Land zu verlassen, illegal in Österreich ein- bzw. durchzureisen und ebenso illegal wieder nach Italien zu gelangen.
Gemäß § 76 Abs. 3 FPG liegt Fluchtgefahr vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert (Z1.). Hier ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer sich durch illegale Ausreise aus Deutschland den dortigen Behörden und einer Abschiebung nach Italien entzogen und diese damit umgangen hat. Außerdem, ist (nach Z.6.a.) zu berücksichtigen, ob auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedsstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedsstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass sich für den Beschwerdeführer zwei Treffer in der EURODAC-Datei ergeben haben, jeweils einer für Italien und Deutschland. Außerdem ist (nach Z.9.) der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin auf der illegalen Durchreise in Österreich aufgegriffen wurden und demgemäß weder über keine soziale Verankerung in Form von familiären Beziehungen, einer legalen Erwerbstätigkeit oder ausreichender Existenzmittel und einen gesicherten Wohnsitz verfügten, noch eine solche zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigten. Derartiges wurde auch nie vorgebracht.
Dass die Annahme des Vorliegens einer erheblichen Fluchtgefahr berechtigt war, hat der Beschwerdeführer im Übrigen mit seinem Verhalten nach seiner Entlassung aus der Schubhaft am 20.06.2018 eindrücklich unter Beweis gestellt, zumal er umgehend untertauchte.
Die Schubhaft ist angesichts der fehlenden ausreichenden finanziellen Mittel und der hervorgekommenen Absichten des Beschwerdeführers auch als verhältnismäßig anzusehen gewesen, da nach dem Gesagten nicht davon ausgegangen werden konnte, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung eines gelinderen Mittels (§ 77 FPG) erreicht hätte werden können. Weder wäre eine angeordnete Unterkunftnahme, eine periodische Meldung bei der Behörde oder die Hinterlegung einer angemessenen finanziellen Sicherheit (Abs.3) möglich oder zielführend gewesen (vgl. VwGH 18.03.2021, Ra 2020/21/0375).
Die Voraussetzungen für die Verhängung der Schubhaft gemäß § 76 FPG waren demnach gegeben.
Es war spruchgemäß zu entscheiden.
Zu A) II. und III. Kostenersatz:
Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden. Einzubeziehen in diese Entscheidung ist auch der Ausspruch über die Fortsetzung der Schubhaft. Nach Abs. 7 gebühren Kosten lediglich über Antrag.
Die belangte Behörde hat als (vollständig) obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang. Dem Beschwerdeführer gebührt als unterlegener Partei hingegen kein Kostenersatz.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision war gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhing, der grundsätzliche Bedeutung zukam. Weder wich die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlte es an einer Rechtsprechung; weiters war die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch lagen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Abschiebung Außerlandesbringung Dublin III-VO Fluchtgefahr Identität illegale Einreise Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rechtsanschauung des VwGH Schubhaft Sicherungsbedarf Untertauchen VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W117.2198270.1.00Im RIS seit
26.11.2021Zuletzt aktualisiert am
26.11.2021