Index
82/02 Gesundheitsrecht allgemeinNorm
B-VG Art 7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Kein Verstoß gegen die Erwerbsausübungsfreiheit und das Eigentumsrecht durch eine Bestimmung der COVID-19-MaßnahmenV betreffend das Betretungs- und Befahrensverbot von Gastgewerbebetriebsstätten; umfassende Reduktion der sozialen Kontakte angesichts der hinreichend dokumentierten epidemiologischen Situation sowie der Erfolglosigkeit anderer Eindämmungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems erforderlich und adäquat; Verhältnismäßigkeit des Eingriffs durch die Möglichkeit der Abholung und Zustellung von Speisen und Getränke sowie das umfangreiche Maßnahmen- und Rettungspaket; kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz betreffend die Zulässigkeit des Betriebs des Gastgewerbes in beispielsweise Krankenanstalten oder Schulen für nicht zum bloßen Besuch aufhältige Personen; Ausnahmeregelung führt zu keinen unerwünschten zusätzlichen sozialen Kontakten; Übertragbarkeit des Virus ist ein wichtiges, aber keinesfalls das einzige maßgebliche Kriterium für die Anordnung von MaßnahmenRechtssatz
Abweisung des Eventualantrags (Individualantrag) auf Aufhebung des §7 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen werden (COVID-19-Notmaßnahmenverordnung - COVID-19-NotMV), BGBl II 479/2020. Zurückweisung des Hauptantrags auf Aufhebung des §7 Abs1 COVID-19-NotMV wegen zu engen Anfechtungsumfangs. Mit der im Hauptantrag angefochtenen Bestimmung des §7 Abs1 COVID-19-NotMV untersagte der Verordnungsgeber das Betreten und Befahren von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Gastgewerbes. §7 Abs2, 3 und 4 leg cit legt Ausnahmen von diesem generellen Verbot des Abs1 fest; Abs5 und 6 normieren zusätzliche Betretungsvoraussetzungen für die vom Verbot ausgenommenen Bereiche. "Abweichend von Abs1" erklärt §7 Abs7 COVID-19-NotMV die Abholung von Speisen und Getränken unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig; §7 Abs8 COVID-19-NotMV legt fest, dass Absatz 1 nicht für Lieferservices gilt. Damit stehen die übrigen Absätze des §7 der Verordnung, die - großteils ausdrücklich - an das Verbot des Absatz 1 anknüpfen, vor dem Hintergrund der geltend gemachten Bedenken in einem untrennbaren Zusammenhang mit §7 Abs1 COVID-19-NotMV. Dem Vorbringen des BMSGPK, im Falle der Aufhebung des §7 COVID-19-NotMV fehle es den Gästen an einem zulässigen Ausgangsgrund nach §1 COVID-19-NotMV und es könne die behauptete Verfassungswidrigkeit somit nicht beseitigt werden, ist Folgendes zu erwidern: Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe wäre im Falle der Aufhebung des §7 COVID-19-NotMV unter den Voraussetzungen des §5 Abs5 und 6 leg cit zulässig und wäre damit vom Ausgangsgrund des §1 Abs1 Z8 COVID-19-NotMV gedeckt. Im Übrigen ist auszuführen, dass der in §1 Abs1 Z8 COVID-19-NotMV enthaltene Verweis auf §7 leg cit im Falle der Aufhebung der angefochtenen Bestimmung zwar ins Leere ginge, aber kein sprachlich unverständlicher Torso verbliebe.
Wie bereits mit E v 24.06.2021, V592/2020 und V593/2020, festgestellt, hat der BMSGPK im Verordnungsakt dargelegt, dass er das angefochtene Betretungs- und Befahrungsverbot im Einklang mit den im COVID-19-MG normierten Verfahrensregelungen erlassen sowie die im Gesetz vorgegebenen Kriterien für die Bewertung der epidemiologischen Situation angewendet hat. Er hat zudem hinreichend dargetan, auf welchen Grundlagen die Entscheidung über die Erlassung der in §7 COVID-19-NotMV angeordneten Maßnahmen getroffen wurde.
Kein Verstoß gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und die Unversehrtheit des Eigentums:
Der BMSGPK konnte angesichts der zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID-19-NotMV vorliegenden Daten davon ausgehen, dass die Anordnung bzw Beibehaltung eines Betretungs- und Befahrungsverbotes von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe iSd §7 Abs1 COVID-19-NotMV - als eine von zahlreichen weiteren staatlichen Maßnahmen - zu einer Reduktion der persönlichen Kontakte von Menschen führt und damit ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Zielsetzung darstellt.
Angesichts der im Verordnungsakt dokumentierten maßgeblichen epidemiologischen Situation im Zeitpunkt der Verordnungserlassung ist das Betretungs- und Befahrungsverbot von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe als zur Zielerreichung der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems erforderlich und adäquat anzusehen. Soweit die antragstellende Gesellschaft moniert, dem Verordnungsgeber stünden gelindere Mittel zur Zielerreichung zur Verfügung, ist ihr zu entgegnen, dass in Anbetracht der seit Herbst 2020 stark steigenden Infektionszahlen vor Erlassung des Betretungs- und Befahrungsverbotes gemäß §7 Abs1 COVID-19-NotMV sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene versucht wurde, die Verbreitung von COVID-19 durch die Anordnung von - weniger eingriffsintensiven - Maßnahmen im Bereich der Gastronomie zu verhindern (Reduzierung der erlaubten Besuchergruppengrößen, COVID-19-Präventionskonzeptes, Ausweitung der Verpflichtung zum Tragen eines "Mund- und Nasenschutzes" sowie die Vorverlegung der Sperrstunde oder die Registrierungspflicht zum Zweck der behördlichen Kontaktverfolgung). Da diese Maßnahmen ausweislich des vorgelegten Verordnungsaktes jedoch nicht ausreichten, um das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu bringen, ist dem BMSGPK jedenfalls nicht entgegenzutreten, wenn er das in §7 COVID-19-NotMV angeordnete Betretungs- und Befahrungsverbot als notwendige und insgesamt angemessene Maßnahme angesehen hat.
Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Betretungs- und Befahrungsverbotes des §7 Abs1 COVID-19-NotMV ist zudem zu berücksichtigen, dass Gastgewerbebetriebe Speisen und Getränke zur Abholung sowie zur Zustellung durch Lieferservices anbieten durften und damit das Gewicht des Eingriffs in die Erwerbsfreiheit vermindert wird. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch auf das umfangreiche Maßnahmen- und Rettungspaket Bedacht zu nehmen, welches das Gewicht des Eingriffs ebenfalls reduziert.
Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz:
Der VfGH vermag in der unterschiedlichen Behandlung der vom Betretungs- und Befahrungsverbot des §7 Abs1 COVID-19-NotMV erfassten Betriebsstätten einerseits und der in §7 Abs2 COVID-19-NotMV von diesen Verboten ausgenommenen Gastgewerbebetriebe andererseits (Krankenanstalten und Kuranstalten, Alten-, Pflege- und Behindertenheime, Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und Kindergärten, Betriebe keine unsachliche Ungleichbehandlung zu erkennen.
Der COVID-19-NotMV lag das allgemeine Ziel zugrunde, die weitere Verbreitung von COVID-19 insbesondere durch eine deutliche Reduktion der sozialen Kontakte zu verhindern. Angesichts dieser Zielsetzung und der zum Zeitpunkt der Erlassung der COVID-19-NotMV vorgelegenen, im Verordnungsakt abgebildeten epidemiologischen Situation handelte der BMSGPK im Rahmen des ihm übertragenen - weiten - Entscheidungsspielraumes, wenn er zur Reduktion der sozialen Kontakte ein Betretungs- und Befahrungsverbot für Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe anordnete. Dass er dabei jene Gastgewerbebetriebe vom allgemeinen Betretungs- und Befahrungsverbot des §7 Abs1 COVID-19-NotMV ausnahm, die in Einrichtungen betrieben werden, in denen Personen zur Behandlung, Betreuung oder Ausbildung oder auf Grund von beruflichen Erfordernissen - zulässigerweise (siehe §1 Abs1 Z3 litc und d und Z4 COVID-19-NotMV) - aufhältig bzw untergebracht sind, ist nicht als unsachlich zu erkennen.
Mit der in §7 Abs2 COVID-19-NotMV normierten Ausnahmeregelung, dass die betroffenen Gastgewerbebetriebe ausschließlich von den in den genannten Einrichtungen betreuten, untergebrachten oder nicht zum bloßen Besuch aufhältigen Personen oder durch Betriebsangehörige genutzt werden dürfen, hat der BMSGPK zudem dafür Sorge getragen, dass die Ausnahmeregelung zu keinen unerwünschten zusätzlichen sozialen Kontakten von Menschen (im öffentlichen Raum) führt. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass viele der in den betroffenen Einrichtungen aufhältigen bzw wohnhaften Personen über keine andere Versorgungsmöglichkeit verfügen und der Besuch des in der jeweiligen Einrichtung betriebenen Gastgewerbebetriebes für diese daher unerlässlich ist.
Soweit die antragstellende Gesellschaft vorbringt, das angefochtene Betretungs- und Befahrungsverbot sei deshalb gleichheitswidrig, weil die Ansteckungsgefahr in Betriebsstätten nach Abs1 und jenen nach Abs2 gleich hoch sei, verkennt sie zudem, dass die Frage der Übertragbarkeit des Virus zwar ein wichtiges (vgl auch §1 Abs7 COVID-19-MG), aber keinesfalls das einzige maßgebliche Kriterium darstellt, das der Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung über die Anordnung von Maßnahmen iSd COVID-19-MG zu berücksichtigen hat.
Schlagworte
COVID (Corona), Gastgewerbe, Erwerbsausübungsfreiheit, Eigentumsbeschränkung, Verhältnismäßigkeit, VfGH / Individualantrag, Eventualantrag, Förderungen, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:V572.2020Zuletzt aktualisiert am
11.05.2022