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L0350 Gemeindewahl, BürgermeisterwahlNorm
B-VG Art141 Abs1 lita, Art141 Abs1 litbLeitsatz
Zurückweisung der Anfechtung einer Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl einer Kärntner Gemeinde mangels Legitmation; Nichterschöpfung des Instanzenzuges durch Erhebung von Einsprüchen an die Landeswahlbehörde im eigenen Namen und als Privatperson anstelle als zustellungsbevollmächtigte Vertreter; Übertragbarkeit der Judikatur des VfGH zur mangelnden Legitimation von Einschreitern nach dem VfGG auf die im Wesentlichen gleichlautende Bestimmung der Krnt Gemeinderats- und BürgermeisterwahlO 2002Spruch
Die Anfechtung wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Sachverhalt, Anfechtung und Vorverfahren
1. Am 28. Februar 2021 fanden die mit Verordnung der Kärntner Landesregierung vom 20. Oktober 2020, LGBl 87/2020 ausgeschriebenen Wahlen der Gemeinderäte und der Bürgermeister der Kärntner Gemeinden, darunter auch die Wahlen des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental, statt.
2. In der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental lagen diesen Wahlen nach den Wahlakten (und wie auch nicht bestritten wurde) die von den folgenden Wählergruppen bzw Wahlwerbern eingebrachten Wahlvorschläge zugrunde:
"SPÖ-Team St. Jakob im Rosental, SPÖ" bzw "Guntram Perdacher, SPÖ",
"ABS Aktive BürgerInnen St. Jakob i.Ros., ABS" bzw "Franz Inzko, ABS",
"Regionalliste Skupno Gemeinsam St. Jakob – Šentjakob, SGS" bzw "Franz Baumgartner, SGS",
"Die Freiheitlichen und Unabhängigen in St. Jakob im Rosental, FPÖ" bzw "Iris Sabine Julia Mischkulnig-Ortner, FPÖ" und
"Die neue Volkspartei St. Jakob im Rosental, ÖVP" bzw "Franz Thomas Fugger, ÖVP".
3. Laut Kundmachung der Gemeindewahlbehörde der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental vom 1. März 2021 wurden bei der Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental 2.585 gültige und 90 ungültige Stimmen abgegeben. Von den gültigen Stimmen entfielen 1.348 Stimmen auf die Wählergruppe "SPÖ-Team St. Jakob im Rosental, SPÖ", 543 Stimmen auf die Wählergruppe "ABS Aktive BürgerInnen St. Jakob i.Ros., ABS", 392 Stimmen auf die Wählergruppe "Regionalliste Skupno Gemeinsam St. Jakob – Šentjakob, SGS", 142 Stimmen auf die Wählergruppe "Die Freiheitlichen und Unabhängigen in St. Jakob im Rosental, FPÖ" und 160 Stimmen auf die Wählergruppe "Die neue Volkspartei St. Jakob im Rosental, ÖVP".
4. Die Gemeinderatsmandate wurden auf der Grundlage dieses Ergebnisses wie folgt zugewiesen:
"SPÖ-Team St. Jakob im Rosental, SPÖ": 13 Mandate
"ABS Aktive BürgerInnen St. Jakob i.Ros., ABS": 5 Mandate
"Regionalliste Skupno Gemeinsam St. Jakob – Šentjakob, SGS": 3 Mandate
"Die Freiheitlichen und Unabhängigen in St. Jakob im Rosental, FPÖ": 1 Mandat
"Die neue Volkspartei St. Jakob im Rosental, ÖVP": 1 Mandat
5. Laut einer weiteren Kundmachung der Gemeindewahlbehörde der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental vom 1. März 2021 wurden bei der Wahl des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental 2.546 gültige und 129 ungültige Stimmen abgegeben. Von den gültigen Stimmen entfielen 1.402 Stimmen auf den Wahlwerber Guntram Perdacher, SPÖ, 488 Stimmen auf den Wahlwerber Franz Inzko, ABS, 419 Stimmen auf den Wahlwerber Franz Baumgartner, SGS, 99 Stimmen auf die Wahlwerberin Iris Sabine Julia Mischkulnig-Ortner, FPÖ, und 138 Stimmen auf den Wahlwerber Franz Thomas Fugger, ÖVP.
6. Auf der Grundlage dieses Ergebnisses wurde der Wahlwerber Guntram Perdacher als zum Bürgermeister gewählt erklärt.
7. Gegen diese Wahlergebnisse haben AB und CD jeweils Einspruch erhoben, wobei die Einsprüche jeweils mit Beschluss der Landeswahlbehörde vom 1. April 2021 mangels Legitimation gemäß §87 Abs1 Kärntner Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlordnung 2002 (im Folgenden: K-GBWO 2002) zurückgewiesen wurden. Als Begründung gab die Landeswahlbehörde an, dass den Einsprüchen nicht entnommen werden könne, dass die Einschreiter die Wahlen in ihrer Funktion als zustellungsbevollmächtigte Vertreter für eine und namens einer Wählergruppe beeinsprucht hätten.
8. Mit ihrer am 23. April 2021 eingebrachten, auf Art141 B-VG gestützten Anfechtung begehren die Anfechtungswerberinnen die Nichtigerklärung und Aufhebung des Wahlverfahrens der Wahlen der Mitglieder des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental vom 28. Februar 2021 von Beginn der Wahlhandlung an. Begründend führen sie im Wesentlichen aus, dass es bei der Auszählung der Wahlkarten massive Unregelmäßigkeiten gegeben und die Auszählung der Wahlkarten – im Vergleich zu den Ergebnissen der Urnenwahl – eine deutliche Verschiebung zu Gunsten der "SPÖ" gebracht habe.
Zu den zurückweisenden Beschlüssen der Landeswahlbehörde geben die Anfechtungswerberinnen an, dass sowohl AB als auch CD als zustellungsbevollmächtigte Vertreter ihrer jeweiligen Wählergruppe ausgewiesen gewesen seien, weil sie entsprechende Wahlvorschläge eingebracht hätten und der Landeswahlbehörde damit als zustellungsbevollmächtigte Vertreter bekannt gewesen seien. Das Erfordernis, sich darüber hinaus ausdrücklich als zustellungsbevollmächtigte Vertreter zu bezeichnen, sei ein überbordender Formalismus, zumal es eindeutig sei, dass die Einsprüche im Namen der jeweiligen Wählergruppe erhoben worden seien. Besonders in kleinen Landgemeinden könne nicht verlangt werden, dass wahlwerbende Gruppierungen über ein Team juristischer Berater verfügen, weshalb – vor dem Hintergrund, dass Wahlen ein Kernelement des demokratischen Grundprinzips seien – die Überprüfung der Wahl nicht an rigorose Formalkriterien gebunden sein dürfe. Den Anfechtungswerberinnen zufolge hätte die Landeswahlbehörde die Einschreiter daher zu einer Verbesserung auffordern bzw nachfragen müssen, ob die Einsprüche von ihnen als Privatpersonen oder als zustellungsbevollmächtigte Vertreter einer Wählergruppe eingebracht wurden. Die Landeswahlbehörde hätte von sich aus annehmen müssen, dass die Einschreiter als zustellungsbevollmächtigte Vertreter eingeschritten sind.
Im Übrigen sei am Wahltag bei Eintreffen der zustellungsbevollmächtigten Vertreterin der Zweitanfechtungswerberin im Gemeindeamt der Tresor, in dem sich die vom Amtsleiter bereits nach Gültigkeit vorsortierten Wahlkarten befunden hätten, geöffnet gewesen. Der Amtsleiter habe zudem in weiterer Folge begonnen, die Namen der ungültigen Wahlkarten vorzulesen, weshalb er kurz darauf von den Mitgliedern der Wahlbehörde aufgefordert worden sei, dies im Sinne der Wahrung des Wahlgeheimnisses zu unterlassen. Bei der Auszählung der vom Amtsleiter bereits für gültig erklärten Wahlkarten habe keine Überprüfung dieser auf ihre Gültigkeit durch die Mitglieder der Wahlbehörde stattgefunden. Damit habe die Wahlbehörde wesentliche Teile ihrer Aufgabe nicht erfüllt bzw sei sie bei der Vorsortierung der Wahlkarten nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Schließlich seien einige Tage nach den Wahlen vor den Haustüren mehrerer Gemeinderäte Überkuverts bzw leere Wahlkuverts deponiert worden, was auf eine nicht ordnungsgemäße Verwahrung der Kuverts nach Auswertung des Wahlergebnisses hindeute. Da das Ergebnis der Briefwahl erheblich vom Ergebnis der Urnenwahl abweiche, sei ein Einfluss der behaupteten Rechtswidrigkeiten auf das Wahlergebnis nicht auszuschließen bzw naheliegend. Aus den genannten Gründen hätten sowohl die Anfechtungswerberinnen als auch die Wählergruppe "Die neue Volkspartei St. Jakob im Rosental, ÖVP" eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft eingebracht.
9. Die Kärntner Landeswahlbehörde legte die Wahlakten und in weiterer Folge die Wahlvorschläge der Anfechtungswerberinnen für die Wahlen der Mitglieder des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental vom 28. Februar 2021 vor.
10. Die Wählergruppe "SPÖ-Team St. Jakob im Rosental, SPÖ" brachte eine Stellungnahme ein, in der sie der Anfechtung entgegentritt und sich gegen eine Aufhebung der Wahlen ausspricht. Auch die Wählergruppe "Die neue Volkspartei St. Jakob im Rosental, ÖVP" brachte eine Stellungnahme ein, in der sie ihre Wahrnehmungen im Zusammenhang mit den Wahlen der Mitglieder des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental vom 28. Februar 2021 wiedergibt. Im Hinblick auf die Stellungnahme der Wählergruppe "Die neue Volkspartei St. Jakob im Rosental, ÖVP" erstattete die Wählergruppe "SPÖ-Team St. Jakob im Rosental, SPÖ" eine ergänzende Stellungnahme, in der sie ihr bisheriges Vorbringen vollinhaltlich aufrecht hält und weiteres Vorbringen zu den Vorgängen im Zusammenhang mit den Wahlen anführt.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Bestimmung der Kärntner Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlordnung 2002 (K-GBWO 2002), LGBl 32/2002, idF LGBl 80/2020 lautet wie folgt:
"9. Abschnitt
Ermittlungsverfahren
[…]
§87
Einspruch
(1) Binnen einer Woche nach der Kundmachung des Wahlergebnisses in der Gemeinde (§86 Abs5) kann vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter einer Partei, die in der Gemeinde einen Wahlvorschlag für die Wahl des Gemeinderates – bei der Wahl des Bürgermeisters für diese Wahl – rechtzeitig vorgelegt hat (§40), wegen rechnungsmäßiger Unrichtigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses oder wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens, das auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnte, bei der Gemeindewahlbehörde schriftlich Einspruch erhoben werden. In einem Einspruch ist hinreichend glaubhaft zu machen, warum und inwiefern eine rechnungsmäßige Unrichtigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses oder eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens angenommen wird. Einen solchen Einspruch kann auch der Wahlwerber erheben, der behauptet, dass ihm die Wählbarkeit im Wahlverfahren rechtswidrig aberkannt wurde.
(2) Die Gemeindewahlbehörde hat den Einspruch mit den Wahlakten binnen zwei Tagen der Landeswahlbehörde vorzulegen.
(3) Die Landeswahlbehörde hat die Wahlhandlung aufgrund der vorgelegten Wahlakten zu überprüfen. Fehlt dem Einspruch eine hinreichende Begründung, so kann die Landeswahlbehörde den Einspruch ohne weitere Überprüfung zurückweisen. Ergibt die Überprüfung eine ziffernmäßige Unrichtigkeit der Ermittlung, wurde eine Person zu Unrecht für gewählt erklärt oder wurde einer wählbaren Person die Wählbarkeit zu Unrecht aberkannt, so hat die Landeswahlbehörde sogleich das Ergebnis zu berichtigen, die Wahl zu Unrecht für gewählt erklärter Personen aufzuheben oder bei zu Unrecht erfolgter Aberkennung der Wählbarkeit einer wählbaren Person auszusprechen, ob hiedurch die Wahl anderer Personen nichtig geworden ist und in diesem Falle die Wahl dieser Personen aufzuheben. Die Kundmachung der Gemeindewahlbehörde ist für nichtig zu erklären und die Kundmachung des berichtigten Ergebnisses zu veranlassen.
(4) Ergibt die Überprüfung der vorgelegten Wahlakten eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens, die auf das Wahlergebnis Einfluss hatte, so hat die Landeswahlbehörde entweder das Ergebnis der Ermittlungen richtigzustellen, das ganze Wahlverfahren oder von ihr genau zu bezeichnende Teile davon aufzuheben und die teilweise oder gänzliche Wiederholung der Wahl, die binnen zwei Monaten durchzuführen ist, anzuordnen. Für die Wahl kann die Landeswahlbehörde die in diesem Gesetz vorgesehenen Fristen entsprechend verkürzen."
III. Erwägungen
1. Die als "Anfechtung des Wahlverfahrens zur Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental/Šentjakob v Rožu, am 28. Februar 2021 gemäß Art141 B-VG" überschriebene Anfechtungsschrift, in der beantragt wird, "das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental/Šentjakob v Rožu vom 28. Februar 2021 von Beginn der Wahlhandlung an für nichtig [zu] erklären und als rechtswidrig auf[zu]heben", versteht der Verfassungsgerichtshof als Beantragung der Nichtigerklärung und Aufhebung der Wahl der Mitglieder des Gemeinderates der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental vom 28. Februar 2021 einerseits (protokolliert zu WI2/2021) und der Wahl des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental vom 28. Februar 2021 andererseits (protokolliert zu WI4/2021). Die Zulässigkeit der vorliegenden Anfechtung ist diesbezüglich jeweils gesondert zu beurteilen.
2. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof unter anderem über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, somit auch über die Anfechtung von Wahlen zum Gemeinderat (vgl VfSlg 19.247/2010, 19.278/2010, 19.981/2015, 19.982/2015, 20.044/2016). Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG entscheidet der Verfassungsgerichtshof zudem über Anfechtungen von Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe der Gemeinde, so auch über die Anfechtung einer Direktwahl des Bürgermeisters (vgl VfSlg 19.246/2010, 19.908/2014, 20.006/2015, 20.024/2015, 20.044/2016).
3. Nach Art141 Abs1 zweiter Satz B-VG können solche Anfechtungen gemäß Art141 Abs1 lita und litb B-VG auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Verfahrens gegründet werden.
4. Gemäß §67 Abs2 zweiter Satz VfGG (vgl zu dessen sinngemäßer Anwendung auf die Anfechtung einer Direktwahl des Bürgermeisters VfSlg 13.504/1993, 15.285/1998, 19.908/2014, 20.044/2016) sind zur Anfechtung der Wahl grundsätzlich jene Wählergruppen berechtigt, die bei der Wahlbehörde rechtzeitig Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl vorgelegt haben. Hinsichtlich der Wahlen der Mitglieder des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental am 28. Februar 2021 trifft dies nach der insofern unbestrittenen Aktenlage auf die Anfechtungswerberinnen zu.
5. Nach §68 Abs1 VfGG ist die Wahlanfechtung – soweit das in Betracht kommende Gesetz nicht anderes bestimmt – binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens oder, wenn sie auf die Rechtswidrigkeit eines Bescheides oder einer Entscheidung einer Verwaltungsbehörde oder eines Erkenntnisses oder Beschlusses eines Verwaltungsgerichtes gegründet wird, binnen vier Wochen nach Zustellung einzubringen. In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde kann die Wahlanfechtung erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges eingebracht werden.
6. Gemäß §87 Abs1 K-GBWO 2002 kann binnen einer Woche nach der Kundmachung des Wahlergebnisses vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter einer Partei, die rechtzeitig einen Wahlvorschlag vorgelegt hat, wegen rechnungsmäßiger Unrichtigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses oder wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens, die auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnte, bei der Gemeindewahlbehörde schriftlich Einspruch erhoben werden, über den die Landeswahlbehörde zu entscheiden hat. Die Anfechtung der Wahlen gemäß Art141 Abs1 lita und litb B-VG beim Verfassungsgerichtshof ist gemäß §68 Abs1 VfGG erst in weiterer Folge binnen vier Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung zulässig.
7. Aus der an Art141 Abs1 B-VG angelehnten und auf die Überprüfung des "Wahlverfahrens" abstellenden Formulierung des §87 Abs1 und Abs4 K-GBWO 2002 ergibt sich ein umfassendes, dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vorgelagertes Verfahren, in dem nicht nur Rechtswidrigkeiten im Zusammenhang mit der "Wahlhandlung" bzw die rechnungsmäßige Unrichtigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses vorgebracht werden können (§87 Abs3 K-GBWO 2002), sondern die Geltendmachung sämtlicher Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens zulässig ist (VfSlg 20.006/2015). Voraussetzung für die zulässige Geltendmachung von Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens im Rahmen einer Wahlanfechtung ist somit, dass die Rechtswidrigkeiten zuvor durch den Anfechtungswerber bzw dessen zustellungsbevollmächtigten Vertreter mittels Einspruch gemäß §87 Abs1 K-GBWO 2002 vorgebracht wurden.
8. Im vorliegenden Fall wurde von AB und CD jeweils ein Einspruch gemäß §87 K-GBWO 2002 eingebracht, den die Landeswahlbehörde jeweils mit Beschluss vom 1. April 2021, zugestellt jeweils am 6. April 2021, mit der Begründung zurückgewiesen hat, dass die Einschreiter die Wahlen nicht in ihrer Funktion als zustellungsbevollmächtigte Vertreter für eine und namens einer Wählergruppe beeinsprucht hätten.
9. Gemäß §87 Abs1 K-GBWO 2002 kann "vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter einer Partei", die einen Wahlvorschlag rechtzeitig vorgelegt hat, binnen einer Woche nach der Kundmachung des Wahlergebnisses in der Gemeinde schriftlich Einspruch erhoben werden. Gemäß §67 Abs2 VfGG sind zur Anfechtung der Wahl grundsätzlich jene Wählergruppen berechtigt, die der Wahlbehörde rechtzeitig Wahlvorschläge vorgelegt haben, und zwar "durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter". Sowohl die Bestimmung des §87 Abs1 K-GBWO 2002 als auch jene des §67 Abs2 VfGG stellen somit darauf ab, dass der Einspruch bzw die Anfechtung vom bzw durch den zustellungsbevollmächtigten Vertreter einer Partei bzw einer Wählergruppe erhoben wird.
Auf Grund dieser – in den entscheidenden Teilen – im Wesentlichen gleichen Formulierungen des §87 Abs1 K-GBWO 2002 und des §67 Abs2 VfGG sowie der diesen beiden Bestimmungen jeweils zugrunde liegenden Intention des Gesetzgebers, entsprechende Schriftsätze einer Partei bzw einer Wählergruppe, die nicht durch (als solche ausgewiesene) zustellungsbevollmächtigte Vertreter eingebracht wurden, mangels Legitimation für nicht zulässig zu erklären, geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass die Rechtsprechung betreffend die Legitimation eines Anfechtungswerbers gemäß §67 Abs2 VfGG vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles auch auf die Legitimation eines Einschreiters gemäß §87 Abs1 K-GBWO 2002 übertragen werden kann.
10. Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits mehrfach mit der Frage auseinandergesetzt, wann eine Anfechtung als "durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter" gemäß §67 Abs2 VfGG eingebracht gilt. So hat der Verfassungsgerichtshof etwa ausgesprochen, dass eine "Beschwerde", der nicht entnommen werden kann, dass der Einschreiter die Wahl in seiner Funktion als zustellungsbevollmächtigter Vertreter für eine und namens einer Wählergruppe anficht und in der mehrmals ausdrücklich Bezug auf den "Beschwerdeführer", niemals aber auf eine anfechtende Wählergruppe genommen wird, mangels Legitimation des "Beschwerdeführers" zurückzuweisen ist; daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich der "Beschwerdeführer" (nur) auf dem Deckblatt seiner Eingabe als "Stadtrat" und "Zustellungsbevollmächtigter" bezeichnet (VfSlg 13.427/1993). In einer anderen Entscheidung (zur damals anwendbaren, in den entscheidenden Teilen aber gleichlautenden Bestimmung des §67 Abs1 bzw Abs2 VfGG, BGBl 85/1953, idF BGBl 311/1976) hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass die Einschreiter die Wahl in ihrem eigenen Namen angefochten haben und daher zur Anfechtung nicht legitimiert waren, zumal weder den Ausführungen in der "Beschwerde" noch der Bevollmächtigung des einschreitenden Rechtsanwaltes entnommen werden konnte, dass die Wahl von einem der "Beschwerdeführer" in seiner Funktion als zustellungsbevollmächtigter Vertreter einer Wählergruppe angefochten wurde (VfSlg 8.864/1980). Ebenfalls als nicht anfechtungslegitimiert hat der Verfassungsgerichtshof einen Anfechtungswerber beurteilt, soweit dieser nicht als zustellungsbevollmächtigter Vertreter aufgetreten ist und die Wahl im eigenen Namen angefochten hat (VfSlg 12.595/1990; vgl dazu auch VfSlg 13.628/1993). In der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Juni 2020, WI1/2020, war der Anfechtungswerber zur Anfechtung der Wahlen nicht berechtigt, weil er nicht zustellungsbevollmächtigter Vertreter einer wahlwerbenden Partei war und die Wahl zudem ausdrücklich im eigenen Namen und als Privatperson angefochten hatte. Auch in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Februar 2020, WIV1/2020 ua, wurden die Anträge mangels Legitimation des Anfechtungswerbers, der den Schriftsatz zweifelsfrei als Privatperson und nicht als zustellungsbevollmächtigter Vertreter einer Wählergruppe eingebracht hatte, (unter Hinweis auf §67 Abs2 VfGG und §56 NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994) zurückgewiesen.
11. In Bezug auf den vorliegenden Fall ist zunächst festzuhalten, dass nach den vorgelegten Wahlvorschlägen und wie auch nicht bestritten wurde AB zustellungsbevollmächtigter Vertreter der Erstanfechtungswerberin und CD zustellungsbevollmächtigte Vertreterin der Zweitanfechtungswerberin jeweils für die Wahlen der Mitglieder des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental am 28. Februar 2021 waren.
12. Die Anfechtungswerberinnen bestreiten nicht, dass aus den Einsprüchen selbst nicht hervorgeht, dass die Einschreiter als zustellungsbevollmächtigte Vertreter für ihre jeweilige Wählergruppe eingeschritten sind. Vielmehr berufen sich die Anfechtungswerberinnen darauf, dass die Einschreiter der Landeswahlbehörde (im Zeitpunkt der Einbringung der Einsprüche) als zustellungsbevollmächtigte Vertreter bekannt gewesen seien, weil sie entsprechende Wahlvorschläge eingebracht hätten und in diesen als zustellungsbevollmächtigte Vertreter der jeweiligen Wählergruppe ausgewiesen gewesen seien. Nach Auffassung der Anfechtungswerberinnen hätte die Landeswahlbehörde die Einschreiter daher zu einer Verbesserung bzw Klarstellung auffordern bzw von sich aus annehmen müssen, dass die Einschreiter als zustellungsbevollmächtigte Vertreter der jeweiligen Wählergruppe eingeschritten sind.
13. Diesem Vorbringen ist nicht zu folgen: Den Einsprüchen kann nicht entnommen werden, dass die Einschreiter die Wahlen in ihrer Funktion als zustellungsbevollmächtigte Vertreter für ihre jeweilige und namens ihrer jeweiligen Wählergruppe beeinsprucht haben. Vielmehr wird in den Einsprüchen mehrmals ausdrücklich Bezug auf AB bzw CD genommen (so etwa in den Briefköpfen und Unterschriften der beiden Einsprüche, in denen ausschließlich "AB" bzw "CD" genannt sind, sowie in den Brieftexten, in denen jeweils die Wortfolge "Ich erhebe Einspruch […]" enthalten ist). Die Einschreiter sind bei Erhebung der Einsprüche somit nicht in ihrer Funktion als zustellungsbevollmächtigte Vertreter aufgetreten, sondern haben die Einsprüche jeweils im eigenen Namen und als Privatperson erhoben.
14. Da die Einschreiter in ihren Einsprüchen auch nicht behauptet haben, dass ihnen die Wählbarkeit als Wahlwerber im Wahlverfahren rechtswidrig aberkannt wurde (vgl §87 Abs1 letzter Satz K-GBWO 2002), waren sie nicht zur Erhebung eines Einspruches gemäß §87 K-GBWO 2002 legitimiert.
15. Soweit die jeweilige Wahlordnung dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ein Rechtsmittelverfahren vorlagert, stellt die Entscheidung über das rechtzeitig erhobene Rechtsmittel gemäß §68 VfGG eine Zulässigkeitsvoraussetzung für das Anfechtungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof dar. Da diese Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht erfüllt ist – von den Anfechtungswerberinnen bzw ihren in den Einsprüchen als solche ausgewiesenen zustellungsbevollmächtigten Vertretern wurden keine Einsprüche gemäß §87 Abs1 K-GBWO 2002 iVm §67 Abs2 VfGG erhoben –, ist die Anfechtung unzulässig (vgl auch VfSlg 9441/1982, 10.673/1985, 10.804/1986, 12.663/1991, 13.059/1992, 16.236/2001, 20.024/2015).
16. Die Anfechtung der Wahlen der Mitglieder des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Marktgemeinde St. Jakob im Rosental vom 28. Februar 2021 ist daher wegen Nichterschöpfung des Instanzenzuges als unzulässig zurückzuweisen. Das Vorbringen der Anfechtungswerberinnen in der Sache selbst muss – unerörtert – auf sich beruhen.
IV. Ergebnis
1. Die Anfechtung ist daher zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Wahlanfechtung, Zustellungsbevollmächtigter, VfGH / Instanzenzugserschöpfung, VfGH / Legitimation, Wahlanfechtung administrative, Bürgermeister, Wahlen, Vertreter, GemeinderatEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:WI2.2021Zuletzt aktualisiert am
23.11.2021