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60/01 ArbeitsvertragsrechtNorm
B-VG Art137 / KlageLeitsatz
Zurückweisung einer Staatshaftungsklage auf Grund unionsrechtswidriger Rechtsprechung des VwGH durch Straferkenntnisse einer Bezirkshauptmannschaft sowie durch Fehlberatung des AMS mangels Zuständigkeit des VfGH; Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Ansprüche aus der Amtshaftung auf Grund verwaltungsbehördlichen HandelnsSpruch
Die Klage wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Klage, Sachverhalt und Vorverfahren
1. Gestützt auf Art137 B-VG begehrt die Klägerin, den Bund schuldig zu erkennen, den Betrag von € 667.206,16 samt 4 % Zinsen seit 10. August 2020 sowie die Kosten dieses Rechtsstreites binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
2. In der Klage wird folgender Sachverhalt vorgebracht:
2.1. Nach einem Schaden sei die klagende Partei als Generalunternehmerin von einer näher bezeichneten AG beauftragt worden, die beschädigte Anlage wiederherzustellen und in Betrieb zu nehmen. Die klagende Partei sei berechtigt gewesen, Teilbereiche an Subunternehmer zu vergeben. Kurzfristig habe für die Fertigstellung ein in Kroatien ansässiges Ersatzunternehmen beauftragt werden müssen. Im Zusammenhang mit dieser Beauftragung und der Tätigkeit dieses Ersatzunternehmens seien auf Basis von Strafanträgen der Finanzpolizei von der Bezirkshauptmannschaft Murtal mehrere Strafverfahren – gegen ehemalige Vorstandsmitglieder der klagenden Partei und gegen die verantwortliche Beauftragte – eingeleitet worden. Am 5. Mai 2017 habe die Bezirkshauptmannschaft Murtal acht Straferkenntnisse erlassen, mit denen jeweils Strafen idHv € 5.004.000,– zzgl. eines Kostenbeitrages verhängt worden seien. Dagegen seien rechtzeitig Beschwerden an das Landesverwaltungsgericht Steiermark erhoben worden, welches drei Anträge auf Vorabentscheidung an den Gerichtshof der Europäischen Union und fünf Anträge auf Normenkontrolle an den Verfassungsgerichtshof gestellt habe. Mit Erkenntnissen vom 8. und 23. Oktober 2019 habe das Landesverwaltungsgericht Steiermark allen acht Beschwerden stattgegeben und die zugrunde liegenden Strafverfahren eingestellt. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark habe dies damit begründet, dass entgegen der auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gestützten Rechtsansicht der Finanzpolizei und der Bezirkshauptmannschaft Murtal keine Überlassung, sondern eine Entsendung von Arbeitnehmern vorgelegen sei und die angelasteten Tatbestände somit nicht erfüllt gewesen seien. In den vier Verfahren zum Ausländerbeschäftigungsgesetz sei zudem festgehalten worden, dass ein Strafverfahren hinsichtlich dieser Verwaltungsübertretungen allenfalls nur gegen die verantwortliche Beauftragte und nicht auch gegen die Mitglieder des Vorstandes geführt hätte werden dürfen.
2.2. Durch die Notwendigkeit, insgesamt neun Verwaltungsstrafverfahren vor der Bezirkshauptmannschaft Murtal, acht Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark sowie ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Euro-päischen Union und mehrere Normenprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu führen, sei der klagenden Partei ein Schaden in Form von Rechtsberatungs- und Gutachterkosten idHv € 281.975,23 entstanden. Die unionsrechtswidrige ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei kausal für die Vorgehensweise der Finanzpolizei sowie der Bezirkshauptmannschaft Murtal – die den Sachverhalt als Arbeitskräfteüberlassung anstatt als Entsendung von Arbeitnehmern eingestuft hätten – und somit auch kausal für den entstandenen Schaden gewesen.
Zudem sei durch die Fehlberatung des Arbeitsmarktservice Judenburg – das ebenfalls gestützt auf die unionsrechtswidrige ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von einer Überlassung der Arbeitnehmer ausgegangen sei, weshalb die klagende Partei die Arbeitnehmer selbst habe einstellen müssen – ein Schaden idHv € 385.230,93 entstanden. Dieser Schaden ergebe sich aus der Differenz der in Österreich anfallenden Lohnnebenkosten und jenen in Kroatien sowie den nach österreichischem Recht zu zahlenden Aufwandsentschädigungen und Reisekosten.
2.3. Die klagende Partei begründet die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes wie folgt:
"Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.
Der Verfassungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass sich die Zuständigkeit gemäß Art137 B-VG auf jene Fälle beschränkt, aus denen sich ein Staatshaftungsanspruch unmittelbar auf Grund des Unionsrechts ergibt. Soweit ein Schadenersatzanspruch nach den österreichischen Vorschriften über das Amtshaftungsrecht begründet wird, ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben (VfGH vom 06.03.2001, A23/00 ua).
Der Verfassungsgerichtshof erachtet sich nach Art137 B-VG in den Fällen des 'legislativen Unrechts' und im Fall der Staatshaftung wegen behaupteter Unionsrechtswidrigkeit höchstgerichtlicher Entscheidungen ('höchstgerichtliches Unrecht' oder 'judikatives Unrecht') für zuständig (VfGH vom 26.02.2007, A21/06).
Gegenständlich erachtet sich die klagende Partei sowohl durch 'höchstgerichtliches Unrecht' als auch durch 'legislatives Unrecht' in ihren Rechten verletzt.
Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs für 'legislatives Unrecht' ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nur dann gegeben, wenn der Akt, der die unionsrechtliche Staatshaftung auslöst, unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist. Ist hingegen die anspruchsbegründende Handlung oder Unterlassung nicht unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen, sind die ordentlichen Gericht[e] auch für eine unionsrechtliche Staatshaftung zuständig, wenn der behauptete Schaden an ein verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln anknüpft. Eine auf Unionsrecht gestützte Staatshaftungsklage unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs selbst dann der Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte, wenn die schadenskausale Handlung der Vollziehung durch ein unionsrechtswidriges Gesetz 'zwingend vorherbestimmt' sein sollte (VfGH, 11.12.2012, A28/10 ua).
Im gegenständlichen Fall, in dem Verwaltungsbehörden – gestützt auf den unionsrechtswidrigen §4 AÜG sowie die unionsrechtswidrige ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs – die schadenskausalen Handlungen gesetzt haben, ist somit aufgrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs seine Zuständigkeit für Staatshaftungsansprüche wegen legislativem Unrecht ausgeschlossen.
Die klagende Partei macht daher nur das judikative Unrecht beim Verfassungsgerichtshof geltend.
Voraussetzung einer Staatshaftung ist es, dass es durch das Verhalten von Organen eines Mitgliedstaates zur Verletzung einer unionsrechtlichen Norm gekommen ist, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und dass ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem Einzelnen entstanden ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union besteht dabei aber keine reine Unrechtshaftung; vielmehr ist ein Verstoß gegen Unionsrecht nur dann haftungsbegründend, wenn er 'hinreichend qualifiziert' ist.
Alle geforderten Zulässigkeitsvoraussetzungen sind im gegenständlichen Fall erfüllt.
Die vom Verwaltungsgerichtshof bis zur Entscheidung Ra 2017/11/0068 vom 22. August 2017 vertretene Ansicht, es reiche die Erfüllung nur einer einzigen Ziffer des §4 Abs2 AÜG zur Qualifikation als Arbeitskräfteüberlassung, war im Sinne der EuGH Judikatur nicht mehr vertretbar (Urteil des EuGH 10.02.2011, C-307/09, Vicoplus und Urteil des EuGH vom 18.06.2015, C-586/13, Martin Meat) und begründet als höchstgerichtliches Unrecht die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs gemäß Art137 B-VG.
Der Umstand, dass die unvertretbare, unionsrechtswidrige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht unmittelbar gegenüber der Klägerin ergangen ist, ist dabei nach Ansicht der klagenden Partei nicht schädlich. Denn auch eine ständige Rechtsprechung eines Höchstgerichts, die für die Unterinstanzen Leitfunktion und faktische Bindungswirkung hat und die trotz offenkundiger Divergenz zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom österreichischen Höchstgericht aufrecht erhalten und fortgeführt wird, ist als höchstgerichtliches Unrecht zu werten.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des OGH in Amtshaftungsfragen, dass eine höchstgerichtliche Entscheidung auch gleichlautende Entscheidungen der Vorinstanzen deckt, weil es sonst mittelbar zu einer Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der höchstgerichtlichen Entscheidung käme (OGH 25.8.1993, 1 Ob 10/93, OGH 25.2.1997, 1 Ob 2147/96h). Eben dies ist auch im vorliegenden Fall zu beachten. Die BH Murtal ist, als ausstellende Stelle der Straferkenntnisse, unter Nichtbeachtung der unionsrechtlichen Vorgaben, der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gefolgt. Würde man eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs verneinen, könnte nur noch das Landesgericht befasst werden. In diesem Fall müsste dann ein Landesgericht über einen hinreichend qualifizierten Verstoß eines Höchstgerichts absprechen, wenn auch nur mittelbar, indem es auf die Entscheidung der Behörde Bezug nimmt, die jedoch auf die ständige Rechtsprechung des Höchstgerichts gestützt ist.
Die Zuständigkeit eines Landesgerichts würde somit eine mittelbare Nachprüfung von höchstgerichtlichen Entscheidungen durch ein erstinstanzliches Gericht ermöglichen, was nicht der Ratio des Art137 B-VG, nämlich, die Überprüfung von Unionrechtsverstößen durch höchstgerichtliche Entscheidungen bei einem Höchstgericht zu konzentrieren, entspricht.
Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs im gegenständlichen Fall ergibt sich ferner auch aus unionsrechtlichen Überlegungen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist es mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und das Verfahren für die Klagen auszugestalten, die den vollen Schutz der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Dies jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Mitgliedsstaaten für den wirksamen Schutz der individuellen, aus der Gemeinschaftsordnung hergeleiteten Rechte, in jedem Einzelfall verantwortlich sind (EuGH 30.09.2003, Rs C224/01, Köbler).
Die im Schadenersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen dürfen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen (vgl EuGH, verb. Rs C-6 und 9/90, Francovich, Slg 1991, I-5357, Rz 42 f.; verb. Rs C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pecheur, Slg 1996, I-1029, Rz 67 und 70).
Eine Auslegung, wonach eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs nach Art137 B-VG betreffend judikatives Unrecht nur dann gegeben wäre, wenn die höchstgerichtliche Entscheidung unmittelbar der Klägerin gegenüber ergangen ist, stünde im Widerspruch zu diesem Grundsatz der Effektivität. Vielmehr muss auch eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs nach Art137 B-VG gegeben sein, wenn es um unionsrechtswidrige ständige Rechtsprechung eines nationalen Höchstgerichts geht.
Die Klägerin hat aufgrund der unionsrechtwidrigen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, welcher die BH Murtal im gegenständlichen Sachverhalt gefolgt ist, einen Schaden erlitten. Eine Haftung der BH Murtal wird zwar in einem Verfahren vor dem Landesgericht angestrebt, es ist jedoch zu befürchten, dass angesichts der im Rahmen der Staatshaftung zu prüfenden Voraussetzung des 'hinreichend qualifizierten Verstoßes' und des Umstands, dass die erstinstanzliche Behörde der ständigen Rechtsprechung eines österreichischen Höchstgerichts gefolgt ist, die Klage vor dem Landesgericht keinen Erfolg haben kann. Dabei ist zu bedenken, dass wohl nur ein weniger strenger Maßstab an eine Verwaltungsbehörde als an ein Höchstgericht gelegt werden kann, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, ob ein 'hinreichend qualifizierter Verstoß' gegen Unionsrecht vorliegt. Immerhin ist der BH Murtal zuzugestehen, dass die Orientierung an der ständigen Rechtsprechung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs zumindest aus praktischen Überlegungen nachvollziehbar ist. Denn zum einen haben Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs eine Leitfunktion und Bindungswirkung für die Verwaltungsbehörden und zum anderen werden in letzter Instanz die Entscheidungen der BH Murtal eben vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof überprüft, der trotz der eindeutigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen Vicoplus und Martin Meat jedoch keinen Anlass zur Änderung seiner ständigen Rechtsprechung gesehen hatte.
Es ist daher nach Ansicht der klagenden Partei äußerst zweifelhaft, ob einer Verwaltungsbehörde in dieser besonderen Konstellation, in der das ihr übergeordnete Höchstgericht die eindeutige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs negiert und seine unionsrechtswidrige ständige Rechtsprechung aufrechterhalten hat, ein 'hinreichend qualifizierter Verstoß' gegen Unionsrecht mit Erfolg vorgeworfen werden kann.
Im Ergebnis ist eine Zuständigkeit und meritorische Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof in dieser speziellen Konstellation unbedingt erforderlich, um den unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität zu gewährleisten und der klagenden Partei eine Möglichkeit zu gewähren, ihren Schaden im Wege der Staatshaftung auch tatsächlich durchzusetzen.
Wenn nämlich der Verfassungsgerichtshof die Klage zurückweisen würde und das Landesgericht die Klage mangels 'hinreichend qualifizierten Verstoßes' der BH Murtal (denn die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dürfte durch das Landesgericht nicht geprüft werden) abweisen müsste, entstünde eine Rechtsschutzlücke, die vom Unionsgesetzgeber nicht gewollt war.
Faktisch hat die klagende Partei aufgrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs einen Schaden erlitten. Für die Beurteilung der Unionsrechtswidrigkeit kann es daher keinen Unterschied machen, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs direkt (inter partes) gegenüber der klagenden Partei ergangen ist, oder ob die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ursächlich für den Schadenseintritt bei der klagenden Partei war. Angesichts des Umstandes, dass die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs veröffentlicht werden und die Verwaltungsbehörden im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs entscheiden, muss ein 'höchstgerichtliches Unrecht' auch im vorliegenden Fall, nämlich wenn es sich um höchstgerichtliches Unrecht in Form von ständiger Rechtsprechung mit Leitfunktion handelt, vom Verfassungsgerichtshof geprüft werden können.
Andernfalls wäre trotz Vorliegens eines 'hinreichend qualifizierten Verstoßes' (nämlich durch die unionsrechtswidrige ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs) und Vorliegens sämtlicher weiteren Voraussetzungen, der klagenden Partei die Durchsetzung der unionsrechtlich normierten Staatshaftung faktisch verwehrt. Durch das Aufstellen von im Unionsrecht nicht vorgesehenen Hindernissen, welche die Geltendmachung von unionsrechtlichen Ansprüchen praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, wird der Grundsatz der Effektivität verletzt. Im Sinne des Grundsatzes der Effektivität hat der Verfassungsgerichtshof daher seine Zuständigkeit nach Ansicht der klagenden Partei im gegenständlichen Fall wahrzunehmen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
3. Die beklagte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der die Zurückweisung, in eventu Abweisung der Klage beantragt wird. Dem Vorbringen der klagenden Partei zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichthofes wird wie folgt entgegengetreten:
"1. Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind (vgl etwa VfGH 23.2.2015, A7/2014; 11.6.2015, A3/2015; 24.9.2019, A12/2019).
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist im Verfahren gemäß Art137 B-VG auch zur Entscheidung über Staatshaftungsklagen wegen behaupteterweise qualifiziert unionsrechtswidriger Entscheidungen von Höchstgerichten, für die ein Amtshaftungsanspruch nicht besteht, zuständig (vgl etwa VfSlg 17.019/2003, 17.611/2005 und 18.911/2009; VfGH 11.6.2015, A3/2015; 22.9.2016, A14/2015 ua).
1.2.1. Gemäß §1 Abs1 des Amtshaftungsgesetzes – AHG, BGBl Nr 20/1949, haftet der zuständige Rechtsträger 'nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als [seine] Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben'. Allerdings kann gemäß §2 Abs3 AHG '[a]us einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes […] ein Ersatzanspruch nicht abgeleitet werden'. Dieser Ausschluss basiert auf dem telos, dass die Amtshaftungsgerichte nicht berechtigt sein sollen, höchstgerichtliche Entscheidungen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen (vgl dazu VfSlg 17.019/2003 mwN).
1.2.2. Immer dann, wenn der Kläger seinen Anspruch auf eine Verletzung des Unionsrechts stützt, die der Vollziehung zuzurechnen ist, sind daher grundsätzlich die Amtshaftungsgerichte zuständig (vgl etwa VfSlg 16.107/2001; 17.019/2003). Die Amtshaftungsgerichte sind demnach (nur) dann unzuständig, wenn die Einbringung einer Klage nach dem AHG mangels eines Anknüpfungspunktes zur 'Vollziehung' im Sinne von §1 AHG von vornherein ausscheidet oder eine Verletzung durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, des Obersten Gerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes, behauptet wird.
1.2.3. Daraus folgt, dass die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nur dann gegeben ist, wenn es (prozessual) nicht möglich ist, den Ersatz des Schadens durch Klage beim Amtshaftungsgericht geltend zu machen.
2. Die Klägerin bringt zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes vor, dass der 'Umstand, dass die unvertretbare, unionsrechtswidrige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht unmittelbar gegenüber der Klägerin ergangen ist', nicht schädlich sei; '[d]enn auch eine ständige Rechtsprechung eines Höchstgerichts, die für die Unterinstanzen Leitfunktion und faktische Bindungswirkung hat und die trotz offenkundiger Divergenz zur Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom österreichischen Höchstgericht aufrecht erhalten und fortgeführt wird, ist als höchstgerichtliches Unrecht zu werten' (vgl Punkt 1.2. der Klage, im Original mit Hervorhebungen).
3. Mit ihrem Vorbringen zeigt die klagende Partei keine Zuständigkeit des Verfassungsgerichthofes im Rahmen der Staatshaftung gemäß Art137 B-VG auf:
3.1. Der Ausschluss der Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte für Ersatzansprüche, die aus höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgeleitet werden, stellt sicher, dass die Rechtmäßigkeit höchstgerichtlicher Entscheidungen nicht mittelbar durch die Amtshaftungsgerichte nachgeprüft wird. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes deckt eine höchstgerichtliche Entscheidung in diesem Sinne auch die (gleichlautende) Entscheidung einer Vor-instanz ab. Dies auch dann, wenn ein Höchstgericht nicht in der Sache entscheidet, sondern ein Rechtsmittel zurückweist oder ablehnt und sich so implizit den Begründungen der Vorinstanz anschließt (vgl zB VfSlg 17.095/2003, 17.214/2004; OGH 25.8.1993, 1 Ob 10/93; 25.2.1997, 1 Ob 2147/96h; 23.12.2014, 1 Ob 242/14s).
Demgegenüber kann ein Verhalten der Vorinstanzen, das einer Überprüfung durch das Höchstgericht nicht zugänglich ist – ebenso wie ein Verhalten, das im konkreten Fall nicht von einem Höchstgericht geprüft wurde –, aber jedenfalls nicht dem Höchstgericht zugerechnet werden und ist daher vor den Amtshaftungsgerichten geltend zu machen (vgl zB OGH 23.04.1996, 1 Ob 12/95; 6.10.2000, 1 Ob 200/00v; 21.12.2017, 5 Ob 184/17w).
3.2. Selbst nach dem insofern klaren Vorbringen in der Klage bilden die (unverbindliche) Rechtsauskunft durch das Arbeitsmarktservice Judenburg sowie die Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Murtal – also Akte bzw ein Verhalten von Verwaltungsbehörden – die Anknüpfungspunkte zum behaupteten Schaden. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark gab den gegen die Straferkenntnisse erhobenen Beschwerden mit Erkenntnissen vom 8. und 23. Oktober 2019 vollumfänglich statt und stellte die zugrundeliegenden Strafverfahren ein. Diese Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Steiermark erwuchsen in Rechtskraft. Sie waren nie Gegenstand eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof.
3.3. Soweit die Klägerin nun davon ausgeht, dass das Handeln und die Entscheidungen von Verwaltungsbehörden dem Verwaltungsgerichtshof schon aufgrund einer (faktischen) Bindung an dessen Rechtsprechung zuzurechnen sind, ist dem Folgendes zu entgegnen:
3.3.1. Gemäß §63 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 – VwGG, BGBl Nr 10/1985 idF des Bundesgesetzes BGBl I Nr 33/2013, sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, verpflichtet, 'in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen' […].
Keines der Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Murtal erging infolge der Stattgabe einer Revision durch den Verwaltungsgerichtshof; eine Bindung gemäß §63 Abs1 VwGG war daher von vornherein ausgeschlossen.
3.3.2. Außerhalb des Anwendungsbereiches des §63 Abs1 VwGG können sowohl die Behörden als auch die Verwaltungsgerichte andere, völlig gleichgelagerte Fälle ohne Rücksicht auf ein allfälliges Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes so entscheiden, wie es ihrer Rechtsansicht entspricht (vgl zB Ringhofer, Der Verwaltungsgerichtshof [1955], 251; Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit [1983], 187; Schick, Die Rechtswirkungen der Entscheidungen des VwGH, in Holoubek/Lang [Hrsg.], Das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof [2015], 249 [261]; Mayer/Muzak, B-VG5 [2015], §63 VwGG Punkt II.).
3.3.3. Einer (bloßen) 'Leitfunktion' der früheren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stand im konkreten Fall auch das Unionsrecht entgegen:
Der Europäische Gerichtshof hält in ständiger Rechtsprechung fest, dass die Mitgliedstaaten nach dem in Art4 Abs3 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet sind, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beheben. Diese Verpflichtung obliegt im Rahmen seiner Zuständigkeiten jedem Organ des betreffenden Mitgliedstaats (vgl den Beschluss des EuGH vom 15. Oktober 2015, Rs C-581/14, Naderhirn, Rz 30 f. mwN).
Die Organe des betreffenden Mitgliedstaates haben im Rahmen ihrer Zuständigkeiten daher alle erforderlichen allgemeinen und besonderen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Unionsrecht zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei haben sie nicht nur dem Unionsrecht entgegenstehende nationale Vorschriften unangewendet zu lassen, sondern auch allfällige gegenläufige Entscheidungen übergeordneter Gerichte außer Acht zu lassen.
3.3.4. Vor diesem Hintergrund bestand nicht nur keine Bindung der Bezirkshauptmannschaft Murtal an die frühere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes; die Bezirkshauptmannschaft Murtal wäre vielmehr gehalten gewesen, sich mit dem bereits im Verwaltungsstrafverfahren erstatteten unionsrechtlichen Vorbringen der Beschuldigten auseinanderzusetzen. Im Falle der tatsächlichen Unvereinbarkeit der innerstaatlichen Regelungen über das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung (§7d Abs1 und 2 AVRAG iVm. §4 Abs2 AÜG) mit den im Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache C-586/13, Martin Meat, aufgezeigten Beurteilungskriterien hätte sie sodann allenfalls die innerstaatlichen Regelungen zumindest teilweise unangewendet zu lassen gehabt.
3.4. Zusammenfassend hält der Bund fest, dass das – nach Auffassung der klagenden Partei einen Staatshaftungsanspruch begründende – Verhalten ausschließlich in der Sphäre der Verwaltungsbehörden liegt. Dieses wurde, mangels einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in den betreffenden Angelegenheiten, auch nicht mittelbar Inhalt einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl dazu die Ausführungen unter Punkt 3.1.)
Vielmehr hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark die Entscheidungen der Bezirkshauptmannschaft Murtal – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – schließlich rechtskräftig behoben; der gegenständliche Sachverhalt war daher einer Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof entzogen. Ein aus einer früheren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgeleiteter Staatshaftungsanspruch ist daher auch deshalb ausgeschlossen, weil dem Verwaltungsgerichtshof damit eine bestimmte Rechtsauffassung unterstellt würde, die er in concreto zudem seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-586/13, Martin Meat, nicht mehr explizit und eine Entscheidung in der Sache tragend aufrechterhalten hat (vgl dazu sogleich die Ausführungen unter Punkt III.3.2.).
4. Aus diesen Gründen ist die Bundesministerin für EU und Verfassung der Auffassung, dass die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Die Klage wäre daher zurückzuweisen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
II. Erwägungen
1. Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.
2. Der Verfassungsgerichthof ist zur Entscheidung über Staatshaftungsansprüche wegen Verletzung des Unionsrechtes zuständig, sofern die behauptete Verletzung durch eine Entscheidung eines Höchstgerichtes oder unmittelbar durch den Gesetzgeber erfolgte (vgl VfGH 8.6.2020, A17/2019).
2.1. Die klagende Partei macht ausdrücklich nur "das judikative Unrecht" beim Verfassungsgerichtshof geltend. Die klagende Partei stützt das Klagebegehren ausschließlich auf Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Murtal, die verkannt habe, dass ein Werkvertrag und keine Arbeitskräfteüberlassung vorgelegen sei, sowie auf eine Fehlberatung des Arbeitsmarktservice Judenburg bzw die daraufhin getroffene Entscheidung des Unternehmens, die zur Entsendung vorgesehenen Arbeitnehmer direkt anzustellen. Damit ist der behauptete Schaden letztlich auf Handlungen von Verwaltungsbehörden zurückzuführen. Knüpft der behauptete Schaden jedoch an ein verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln an, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine unionsrechtliche Staatshaftung (VfSlg 17.611/2005, 18.020/2006; VfGH 23.11.2012, A15/11; 11.6.2015, A3/2015; 8.6.2020, A17/2019; vgl auch OGH 16.3.2017, 1 Ob 215/16y). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich eine Behörde an einer – in anderen Fällen – früher ergangenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientiert hat.
2.2. Dass gegenüber der Klägerin eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes oder des Verfassungsgerichtshofes ergangen wäre, die (offenkundig) gegen Unionsrecht verstieße, wurde nicht behauptet (vgl auch VfGH 8.6.2020, A17/2019).
2.3. Der geltend gemachte Schaden ist somit nach dem Vorbringen der Klägerin nicht auf höchstgerichtliches Unrecht zurückzuführen, sondern durch – behauptetes – Fehlverhalten von Verwaltungsbehörden verursacht und wäre somit aus dem Titel der Amtshaftung geltend zu machen; für dieses Verfahren sind die ordentlichen Gerichte zuständig (VfGH 23.11.2012, A15/11; 8.6.2020, A17/2019).
2.4. Der Verfassungsgerichtshof ist dementsprechend für den geltend gemachten Anspruch gemäß Art137 B-VG nicht zuständig und die Klage ist zurückzuweisen, ohne dass auf das Fehlen weiterer Prozessvoraussetzungen einzugehen ist.
III. Ergebnis
1. Die Klage ist zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Klagen, Staatshaftung, Amtshaftung, EU-Recht, Arbeitskräfteüberlassung, Ausländerbeschäftigung, VfGH / ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:A3.2021Zuletzt aktualisiert am
26.11.2021