RS Vfgh 2021/9/27 G22/2021

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Veröffentlicht am 27.09.2021
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Index

80/02 Forstrecht

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z10
B-VG Art12 Abs1 Z3
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
ForstG 1975 §66a Abs1, §66a Abs2, §67 Abs3
Güter- und Seilwege-GrundsatzG
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen Bestimmungen des ForstG 1975 betreffend dauernde Bringungsanlagen auf fremden Boden; Bringung in forstwirtschaftlichen Angelegenheiten kann unter dem Kompetenztatbestand des Forstwesens oder der Bodenreform geregelt werden; Subsumtion der konkreten forstgesetzlichen Bringungsanlagen unter den Kompetenztatbestand des Forstwesens auf Grund der zweckmäßigen Bewirtschaftung des Waldes

Rechtssatz

Abweisung des (Haupt-)Antrags des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (LVwG) auf Aufhebung des §66a Abs1 und Abs2 sowie des §67 Abs3 Forstgesetz 1975 (ForstG) idF BGBl 576/1987. Der Hauptantrag umfasst auch Bestimmungen, die im Anlassfall nicht präjudiziell sind. Die Bestimmungen der angefochtenen §§66a Abs2 sowie 67 Abs3 Forstgesetz 1975 stehen jedoch vor dem Hintergrund der vorgebrachten kompetenzrechtlichen Bedenken mit dem im Ausgangsverfahren präjudiziellen §66a Abs1 leg cit in einem so konkreten Regelungszusammenhang, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte. Der Hauptantrag auf Aufhebung des gesamten §66a sowie §67 Abs3 Forstgesetz 1975 ist daher zulässig, sodass auf die Eventualanträge nicht einzugehen.

Der VfGH hat gegen die hier präjudiziellen Bestimmungen des Forstgesetzes 1975 keine kompetenzrechtlichen Bedenken. Der Begriff "Bodenreform" war bis zum 01.01.2020 im B-VG enthalten (Art12 Abs1 Z3 B-VG idF vor BGBl I 14/2019). Im Zuge der angeführten Änderung des B-VG wurde die Zuständigkeit zur Gesetzgebung und Vollziehung den Ländern (Art15 Abs1 B-VG) übertragen; der Inhalt der kompetenzrechtlichen Materie wurde dabei nicht verändert.

Nach der stRsp sind unter Maßnahmen der Bodenreform jene nicht unter Art10 B-VG fallenden Aktionen auf dem Gebiet der Landeskultur zu verstehen, durch welche die gegebenen Bodenbesitz-, Benützungs- und Bewirtschaftungsverhältnisse den geänderten sozialen oder wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechend einer planmäßigen Neuordnung oder Regelung unterzogen werden sollen. Im Hinblick auf das landwirtschaftliche Bringungsrecht (Beförderung von Holz oder sonstigen Forstprodukten aus dem Wald vom Gewinnungsort bis zu einer öffentlichen Verkehrsanlage), das in dem auf Grundlage des Art12 Abs1 Z3 B-VG idF vor BGBl I 14/2019 erlassenen Güter- und Seilwege-Grundsatzgesetz geregelt war, hat der VfGH ausgesprochen, dass die Regelung von Voraussetzungen, unter denen den Eigentümern landwirtschaftlich genutzter Liegenschaften das Recht zusteht, landwirtschaftliche Erzeugnisse und andere zur zweckmäßigen Bewirtschaftung der Liegenschaft erforderliche Sachen über fremde Liegenschaften ohne Wegeanlage zu befördern oder zum Zweck der Bringung landwirtschaftliche Güterwege oder landwirtschaftliche Seilwege anzulegen oder zu benützen, eine Angelegenheit des Kompetenztatbestandes "Bodenreform" gemäß Art12 Abs1 Z3 B-VG idF vor BGBl I 14/2019 ist.

Der VfGH hat in seiner Entscheidung VfSlg 3649/1959 festgehalten, dass Maßnahmen der Bodenreform nicht auf landwirtschaftlich genutzte Grundstücke im engeren Sinne beschränkt sind, sondern sich auch auf forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke erstrecken. Waldgrundstücke können daher sowohl Gegenstand forstrechtlicher Maßnahmen als auch Gegenstand von Maßnahmen der Bodenreform sein. Unter Zugrundelegung der Bestimmungen des zur Auslegung des Kompetenztatbestandes "Forstwesen" herangezogenen Reichsforstgesetzes sollten es forstrechtliche Bringungsrechte lediglich möglich machen, Waldprodukte zum Zwecke der Verwertung aus dem Wald zu schaffen.

In seinem Erkenntnis VfSlg 6848/1972 führt der VfGH im Zusammenhang mit Bestimmungen des Forstrechts-Bereinigungsgesetzes, BGBl 222/1962, zur Bringung aus, dass der Umstand, dass ein Weg auch dem Transport zur Bringung der notwendigen Geräte zum Gewinnungsort und dem wirtschaftlichen Verkehr innerhalb der Waldungen dienen soll, nicht bewirkt, dass es sich um eine Angelegenheit der Bodenreform handelt. Der damit umschriebene nicht-öffentliche Waldbewirtschaftungsverkehr ist vielmehr vom Begriff "Forstwesen" erfasst; es handelt sich dabei um eine Weiterentwicklung des Bringungsrechtes, das schon im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel des B-VG (01.10.1925) im Reichsforstgesetz geregelt gewesen war.

§66a Forstgesetz 1975 regelt die Errichtung, Erhaltung und zur Waldbewirtschaftung erforderliche Benützung dauernder Bringungsanlagen unter der Voraussetzung, dass die zweckmäßige Bewirtschaftung von Wald auf Grund fehlender oder unzulänglicher Bringungsanlagen nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Die Bestimmung steht dabei systematisch im Kontext des Abschnitts V ("Bringung") sowie des Unterabschnitts B ("Bringung über fremden Boden") des Forstgesetzes 1975. Dabei wird nicht verkannt, dass die Bringung - abhängig davon, ob sie sich auf land- oder forstwirtschaftliche Angelegenheiten bezieht - jeweils unter dem Gesichtspunkt des Forstwesens bzw der Bodenreform geregelt werden kann. Folglich können Waldgrundstücke sowohl Gegenstand forstrechtlicher Maßnahmen als auch von Maßnahmen der Bodenreform sein.

Die Voraussetzungen, unter denen §66a Forstgesetz 1975 die Zulässigkeit dauernder Bringungsanlagen regelt, sind im systematischen Zusammenhang mit dem V. Abschnitt des Forstgesetzes 1975 zu interpretieren. Dieser Abschnitt regelt die forstrechtliche Bringung. Dabei ist insbesondere auf den vom VfGH dargelegten Umfang des Kompetenztatbestands "Forstwesen" und das damit verbundene Verständnis der forstrechtlichen Bringung Bedacht zu nehmen. §66a Forstgesetz 1975 steht im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung des Waldes und ist im Hinblick auf die notwendigen Zielsetzungen des Forstgesetzes 1975 unter den Kompetenztatbestand "Forstwesen" zu subsumieren.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Forstwesen, Kompetenz Bund - Länder Forstrecht, Bodenreform, Land- und Forstwirtschaft, Versteinerungstheorie, Auslegung systematische, Waldnutzung, Grundstück land- oder forstwirtschaftliches, VfGH / Gerichtsantrag, VfGH / Prüfungsumfang, Güter- und Seilwege

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G22.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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