TE Vfgh Erkenntnis 2021/9/30 V435/2020

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Veröffentlicht am 30.09.2021
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Index

L8230 Abwasser, Kanalisation

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z1
FAG 2017 §17
KanalgebührenO 2003 der Gemeinde Tösens idF vom 31.10.2017 §4 Abs4
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit der Höhe einer Kanalbenützungsgebühr einer Tiroler Gemeinde; Gesamtkosten für die Beiträge zur Abwasserbeseitigung samt sonstigen Betriebs- und Verwaltungskosten entsprechen der Höhe der eingehobenen Benützungsgebühren; keine Kostenüberdeckung mit steuerlichem Charakter bei der Berücksichtigung nicht rückzahlbarer Zuschüsse der Fremdfinanzierungsaufwendungen sowie von der Finanzierung der Errichtungskosten

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, §4 Abs4 der Kanalgebührenordnung 2003 der Gemeinde Tösens, Gemeinderatsbeschluss vom 21. November 2003, idF des Gemeinderatsbeschlusses der Gemeinde Tösens vom 31. Oktober 2017, kundgemacht vom 3. November 2017 bis 20. November 2017, als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

1. §17 Bundesgesetz, mit dem der Finanzausgleich für die Jahre 2017 bis 2021 geregelt wird und sonstige finanzausgleichsrechtliche Bestimmungen getroffen werden (Finanzausgleichsgesetz 2017 – FAG 2017), BGBl I 116/2016:

"D. Gemeindeabgaben auf Grund freien Beschlussrechtes

§17. (1) Die Gemeinden werden ermächtigt, durch Beschluss der Gemeindevertretung die Hebesätze der Grundsteuer bis zum Ausmaß von 500 % festzusetzen.

(2) Die Festsetzung der Hebesätze durch die Gemeinden kann innerhalb des Kalenderjahres nur einmal, und zwar bis spätestens 30. Juni, geändert werden. Die Änderung der Hebesätze für die Grundsteuer wirkt auf den Beginn des Jahres zurück.

(3) Die Gemeinden werden ferner ermächtigt, durch Beschluss der Gemeindevertretung folgende Abgaben vorbehaltlich weiter gehender Ermächtigung durch die Landesgesetzgebung auszuschreiben:

[…]

4. Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen, die für Zwecke der öffentlichen Verwaltung betrieben werden, mit Ausnahme von Weg- und Brückenmauten, bis zu einem Ausmaß, bei dem der mutmaßliche Jahresertrag der Gebühren das doppelte Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Einrichtung oder Anlage sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung einer der Art der Einrichtung oder Anlage entsprechenden Lebensdauer nicht übersteigt.

[…]"

2. Kanalgebührenordnung 2003 der Gemeinde Tösens, Gemeinderatsbeschluss der Gemeinde Tösens vom 21. November 2003, idF des Gemeinderatsbeschlusses der Gemeinde Tösens vom 31. Oktober 2017, kundgemacht vom 3. November 2017 bis 20. November 2017:

"§1

Arten der Gebühren

Die Gemeinde Tösens erhebt zur Deckung des Aufwandes, der ihr durch die Schaffung, die Erhaltung und den Betrieb der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage entsteht, Kanalgebühren in Form einer Anschlussgebühr, einer Erweiterungsgebühr sowie einer laufenden Gebühr (Kanalgebühr) ein.

[…]

§4 Bemessungsgrundlage und Höhe der laufenden Kanalgebühr

1) Bemessungsgrundlage der laufenden Kanalgebühr ist der lt. Wasserzähler gemessene Wasserbezug.

[…]

4) Die laufende Kanalgebühr beträgt € 2,18 je m3 der Bemessungsgrundlage (inkl. 10 % USt Ablesezeitraum ab 1.10.2018).

[…]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Beim antragstellenden Gericht ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Tösens vom 22. Oktober 2019 anhängig. Mit diesem Bescheid wurde dem Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht die Kanalgebühr iHv € 40,98 (inkl. USt) für den Zeitraum vom 1. Oktober 2018 bis zum 30. September 2019 vorgeschrieben.

1.2. Im Zuge der Behandlung der Beschwerde sind beim antragstellenden Gericht Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §4 Abs4 der Kanalgebührenordnung entstanden, weshalb das antragstellende Gericht den vorliegenden Antrag nach Art139 B-VG gestellt hat.

2. Das antragstellende Gericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

2.1. Das antragstellende Gericht habe sich die entsprechenden Kontoauszüge der Betriebe mit marktbestimmter Tätigkeit vorlegen lassen, weil der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht vorgebracht habe, dass der Überschuss aus der Einhebung der Gebühren für die Abwasserbeseitigung für den allgemeinen Haushalt der Gemeinde verwendet werde. Die Einnahmen und Ausgaben betreffend die Abwasserbeseitigung in den Jahren 2009 bis 2018 lauteten wie folgt:

Jahr

Ausgaben

Einnahmen

Gewinn

Gewinn in %

2009

-86.011,04

110.402,23

24.391,19

28%

2010

-91.641,31

125.303,15

33.661,84

37%

2011

-84.243,72

120.522,41

36.278,69

43%

2012

-88.737,78

152.742.89

64.005,11

72%

2013

-90.676,60

120.435,02

29.758,42

33%

2014

-86.077,05

126.846,32

40.769,27

47%

2015

-95.124,91

149.512,03

54.387,12

57%

2016

-97.681,83

136.306,34

38.624,51

40%

2017

-101.553,79

125.077,91

23.524,12

23%

2018

-103.007,92

135.627,32

32.619,40

32%

2.2. Aus den Aufzeichnungen sei ersichtlich, dass jährlich Überschüsse für die Abwasserbeseitigung erzielt worden seien, welche den Jahresbetrag der Gebühren im Ausmaß von 23% bis 72% übersteigen würden. Die Kanalgebühr gemäß §4 Abs4 der Kanalgebührenordnung sei damit in einer Höhe festgesetzt worden, welche den Jahresaufwand für die Ortskanalisation erheblich überschreite, wenn auch das doppelte Jahreserfordernis des §17 Abs3 Z4 FAG 2017 nicht überschritten werde.

2.3. Alle Einnahmen und Ausgaben für die Abwasserbeseitigung seien auf dem Konto 851 erfasst worden, wobei als Einnahmen auch Zuschüsse zur Errichtung der Gemeindekanalisation gebucht worden seien. Auf Grund der Methode der Kameralistik seien sodann, um das Konto 851 auf Null zu stellen, Gewinnentnahmen dem allgemeinen Haushalt zugeschrieben worden. Die Gemeinde Tösens habe in diesem Zusammenhang angegeben, dass aus dem erzielten Überschuss aus den Einnahmen für die Abwasserbeseitigung keine Rücklagen für die Erhaltung bzw die Erweiterung der Ortskanalisation gebildet worden seien. Es würden in den nächsten Jahren keine größeren Aufwendungen für die Ortskanalisation anstehen. Vielmehr seien die erzielten Überschüsse für andere kommunale Aufgaben verwendet worden, wie Instandhaltung von Gemeindestraßen, Schneeräumung und sonstiger Winterdienst sowie für Aufwendungen der Gemeinde als Schulerhalter.

2.4. Aus den von der Gemeinde Tösens vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen ergebe sich sohin, dass entgegen der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes von der Abgabenbehörde Abgaben eingehoben wurden, die den mutmaßlichen Jahresbetrag der Aufwendungen für die Ortskanalisation bei weitem übersteigen würden, dies ohne maßgebliche Gründe, die mit der betreffenden Abwasserbeseitigung in einem inneren Zusammenhang stünden, zumal die Überschüsse offensichtlich für Ausgaben aus dem allgemeinen Haushalt verwendet worden seien.

2.5. Der Verfassungsgerichtshof habe in seiner Judikatur ausgesprochen, dass §17 Abs3 Z4 FAG 2017 die Gemeinden nicht ermächtige, neben der Anlastung der vollen Kosten eine Steuer in gleicher Höhe aufzuerlegen. Nichts Anderes werde aber durch die Gebühr der Gemeinde Tösens bewirkt. Die Begründung der Gemeinde Tösens, dass gemäß den Richtlinien des Landes Tirol für Bedarfszuweisungen eine Mindestgebühr iHv € 2,18 eingehoben werden müsse, stelle keine sachliche Rechtfertigung für die Überschreitung dar. Dies umso weniger, als im Betrachtungszeitraum der letzten zehn Jahre immer erhebliche Gewinne erwirtschaftet worden seien und auch in der Zukunft keine größeren Aufwendungen für die Ortskanalisation anfallen würden.

3. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung sowie die Rechnungsabschlüsse betreffend die Jahre 2005 bis 2018 vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

3.1. Präjudiziell sei nur der Zeitraum ab dem 1. Oktober 2018. Dessen ungeachtet habe sich das antragstellende Gericht bei seinem Antrag wesentlich auf Gewinnentnahmen in den Jahren 2009 bis 2018 gestützt, aus denen aber nicht auf die Angemessenheit der Höhe der präjudiziellen Gebühr geschlossen werden könne.

3.2. Ungeachtet dessen seien die Bedenken des antragstellenden Gerichtes auch nicht begründet:

3.2.1. Die vorgeschriebenen Gebühren würden das doppelte Jahreserfordernis nicht übersteigen. Der das einfache Jahreserfordernis übersteigende Teil stehe in einem inneren Zusammenhang mit der Einrichtung, nämlich der Finanzierung der Anlage durch die Bedarfszuweisungen des Landes Tirol und der daraus resultierenden Mindestgebühr.

3.2.2. Zudem sei bei Berücksichtigung der Abschreibung für Abnutzung das einfache Jahreserfordernis nicht überschritten. Auf Grund der kameralistischen Darstellung der Einnahmen und Ausgaben sei bei den Unterlagen an das antragstellende Gericht eine Abschreibung der jährlichen Absetzung für Abnutzung der Kanalisationsanlage nicht berücksichtigt worden. Diese Kosten seien auf 50 Jahre abzuschreiben. Die dem antragstellenden Gericht vorgelegten Unterlagen hätten keinen vollständigen Aufschluss über die finanzielle Situation der Abwasserbeseitigung geben können. Bei Berücksichtigung der Abschreibung für Abnutzung zeige sich nämlich, dass der Betrieb der Abwasserbeseitigung nicht einmal kostendeckend sei.

4. Die Tiroler Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der dem Antrag Folgendes entgegengehalten wird:

4.1. Die Gemeinde Tösens habe die Mindestsätze der laufenden Kanalgebühren entsprechend den Richtlinien der Tiroler Landesregierung festgesetzt, nach welchen für die Gewährung von Darlehen zur Förderung von kommunalen Wasserleitungs- und Kanalbauten eine Mindestgebühr von den Gemeinden einzuheben ist. Die Mindestgebühr sei auch Voraussetzung für die Gewährung von Bedarfszuweisungen für den Gebührenhaushalt Kanal. Der Gemeinde Tösens sei zuletzt im Jahr 2017 ein Darlehen aus dem Wasserleitungsfonds zur Teilfinanzierung der Erweiterung der Wasserversorgungsanlage gewährt worden.

4.2. Die vom antragstellenden Gericht eingeholten "Kontoauszüge für die Jahre 2009 bis 2018 hinsichtlich der Betriebe mit marktbestimmter Tätigkeit" würden zu kurz greifen: Wie sich aus der von der Gemeindeaufsicht der Bezirkshauptmannschaft Landeck erstellten Kosten- und Leistungsrechnung ergebe, seien in den letzten Jahren überwiegend Abgänge erzielt worden. Der Kostenaufwand der Gemeinde Tösens setze sich aus den Beiträgen an den Abwasserverband Serfaus-Pfunds-Tösens, den laufenden Kreditzinsen sowie der jährlichen Abschreibung für Abnutzung zusammen. Darüber hinaus seien die Kosten für die Verwaltung einzurechnen. Dem stünden Benützungsgebühren sowie Auflösungen aus Subventionen und Anschlussgebühren gegenüber. Bei einem mehrjährigen Betrachtungszeitraum zeige sich, dass überwiegend deutliche Abgänge erzielt worden seien.

4.3. Selbst bei Erwirtschaften von Überschüssen im Rahmen des doppelten Äquivalenzprinzips stehe es der Gemeinde offen, diese im Gebührenhaushalt als Rücklagen zu belassen oder in einem zeitlich beschränkten Ausmaß auch für den allgemeinen Haushalt zu verwenden. Der innere Zusammenhang sei dabei in einem mehrjährigen Zeitraum von zehn Jahren zu beurteilen. Ein Rückfluss an den Gebührenhaushalt sei ebenso in zehn Jahren sicherzustellen.

5. Die Partei des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des antragstellenden Gerichtes anschließt.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Das antragstellende Gericht beantragt, §4 Abs4 der Kanalgebührenordnung 2003 der Gemeinde Tösens, idF des Gemeinderatsbeschlusses der Gemeinde Tösens vom 31. Oktober 2017, auf Grund der Überschreitung der zulässigen Gebührenhöhe aufzuheben.

1.3. Im Ausgangsverfahren vor dem antragstellenden Gericht ist über eine Beschwerde gegen die Vorschreibung der Kanalgebühr für den Zeitraum vom 1. Oktober 2018 bis zum 30. September 2019 zu entscheiden. Für den Verfassungsgerichtshof bestehen keine Zweifel, dass das antragstellende Gericht die angefochtene Bestimmung in dem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat.

1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist nicht begründet.

Das antragstellende Gericht macht als Bedenken geltend, dass die Gebührenhöhe in §4 Abs4 der Kanalgebührenordnung gesetzwidrig sei. Nach Auffassung des antragstellenden Gerichts seien in den Jahren 2009 bis 2018 jährlich Überschüsse aus den Einnahmen der Abwasserbeseitigung erzielt worden, die im Zehnjahresdurchschnitt die Ausgaben um 40% überstiegen. Die Gebühren für Abwasserbeseitigung würden zwar nicht das doppelte Jahreserfordernis überschreiten. Aus der Rechnungslegung nach der Voranschlags- und Rechnungsabschlussverordnung (in Folge: VRV) sei jedoch zu ersehen, dass diese Gewinne dem Gebührenhaushalt entnommen und für kommunale Aufgaben der Gemeinde verwendet worden seien. Es seien somit Abgaben eingehoben worden, "die den mutmaßlichen Jahresbetrag der Aufwendungen für die Ortskanalisation bei weitem überstiegen, dies ohne maßgebliche Gründe, die mit der betreffenden Abwasserbeseitigung in einem inneren Zusammenhang stehen, zumal die Überschüsse offensichtlich für Ausgaben aus dem allgemeinen Haushalt […] verwendet wurden".

2.3. Die vom antragstellenden Gericht aufgeworfenen Bedenken treffen nicht zu:

2.3.1. Nach §17 Abs3 Z4 FAG 2017 dürfen Gebühren bis zu einem Ausmaß erhoben werden, bei dem ihr mutmaßlicher Jahresertrag das doppelte Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Einrichtung oder der Anlage sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung einer der Art der Einrichtung oder Anlage entsprechenden Lebensdauer nicht übersteigt. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist diese Regelung so zu verstehen, dass damit eine über die Anlastung der vollen Kosten der Gemeindeeinrichtung im Sinne des Äquivalenzprinzips hinausgehende Ausschöpfung nur aus Gründen in Betracht kommt, die mit der betreffenden Einrichtung in einem inneren Zusammenhang stehen, sei es, dass Folgekosten der Einrichtung finanziert werden, sei es, dass mit einer solchen Gebühr Lenkungsziele (zB ökologischer Art) verfolgt oder Rücklagen für eine Ausweitung der Einrichtung oder Anlage gebildet werden sollen, sei es auch nur, um Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Anrechenbarkeit bestimmter Kostenpositionen oder um Rechtsstreitigkeiten in Jahren mit unerwartet günstiger Einnahmenentwicklung zu vermeiden (VfSlg 16.319/2001). Die Kalkulationsgrundlage der gebühreneinhebenden Gemeinde hat somit den Zweck, die der Einrichtung zuzurechnenden Kosten zu ermitteln und zu gewährleisten, dass die sich aus dem Äquivalenzprinzip ergebenden Schranken im Zuge der Festlegung der Gebührenhöhe beachtet werden. Dabei können der Gebührenkalkulation zum Teil vereinfachte Annahmen zugrunde gelegt werden, zumal diese dazu dienen, Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Anrechenbarkeit bestimmter Kostenpositionen zu vermeiden (VfSlg 19.859/2014).

Das Erfordernis des inneren Zusammenhanges der für das Entstehen von Überschüssen maßgebenden Gründe mit der betreffenden Einrichtung soll nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sicherstellen, dass das Ausschöpfen der Ermächtigung verfassungsrechtlich nicht dazu führt, dass den Benützern einer bestimmten Gemeindeeinrichtung neben der Anlastung der vollen Kosten zusätzlich noch eine Steuer im finanzwissenschaftlichen Sinn (in maximal gleicher Höhe) auferlegt wird (VfSlg 16.319/2001). Kostenüberdeckungen nehmen dabei den Charakter einer Steuer nicht schon dann an, wenn diese im betreffenden Jahr der Entstehung zur Abdeckung der allgemeinen Haushaltserfordernisse verwendet werden, sondern erst dann, wenn die für das Entstehen der Überschüsse maßgebenden Gründe in keinem inneren Zusammenhang mit der Einrichtung stehen. Ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist im Einzelfall nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im zeitlichen Geltungsbereich des einfachen Äquivalenzprinzips ausgesprochen, dass zum Zweck einer langfristigen Gebührenkalkulation ein Gesamtbetrachtungs- und Ausgleichszeitraum von bis zu zehn Jahren in Betracht gezogen werden kann (VfSlg 11.559/1987). Die Frage nach dem Bestehen eines inneren Zusammenhangs stellt sich somit erst dann, wenn Überschüsse der Einrichtung dauerhaft entzogen werden (VfSlg 19.859/2014).

2.3.2. Das antragstellende Gericht erkennt in diesem Zusammenhang zunächst zwar zutreffend, dass die Gebühren für Abwasserbeseitigung nicht das doppelte Jahreserfordernis überschreiten. Entgegen der Auffassung des antragstellenden Gerichts vermag der Verfassungsgerichtshof jedoch nicht zu erkennen, dass sich aus den in der VRV ausgewiesenen Gewinnentnahmen ergeben würde, dass neben der Anlastung der vollen Kosten im Wege der Gebührenvorschreibung eine Steuer erhoben würde:

2.3.2.1. Das antragstellende Gericht verkennt zunächst, dass für die Frage, ob und in welcher Höhe durch Einhebung von Benützungsgebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen iSd §17 Abs3 Z4 FAG 2017 ein Überschuss entsteht, nicht auf die im Rechenwerk der VRV verbuchten Einnahmen und Ausgaben und ermittelten Gewinne abzustellen ist. Vielmehr ist §17 Abs3 Z4 FAG 2017 zu entnehmen, dass in der Einrichtung erst dann ein Überschuss entsteht, wenn der mutmaßliche Jahresertrag der Gebühren das Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Einrichtung sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung einer der Art der Einrichtung oder Anlage entsprechenden Lebensdauer übersteigt.

2.3.2.2. Errichtungskosten für die Anlage sind im Rahmen der Gebührenkalkulation insoweit zu berücksichtigen, als in der Einrichtung für die Errichtung tatsächlich Kosten anfallen. Wird zu den Errichtungskosten von einem Fördergeber ein nicht rückzahlbarer Investitionszuschuss gewährt, ist daher dieser Teil der Errichtungskosten nicht in die Gebührenkalkulation einzubeziehen. Werden Teile der Errichtungskosten fremdfinanziert, sieht §17 Abs3 Z4 FAG 2017 vor, dass – anstelle eines der Lebensdauer der Anlage entsprechenden Jahreskostenbetrages – der Lebensdauer der Anlage entsprechende Zinsen und Tilgungen anzusetzen sind.

2.3.2.3. Werden – wie im hier vorliegenden Fall – zu Fremdfinanzierungsaufwendungen nicht rückzahlbare Zuschüsse geleistet, kürzen diese entsprechend der Lebensdauer der Anlage die anfallenden Zinsen und die Tilgung. Übersteigen vorgezogene Zuschüsse die zu leistenden Fremdfinanzierungsaufwendungen, rechnen solche "Gewinne" aus "überhängenden Zuschüssen" nicht zum Überschuss der Einrichtung, zumal §17 Abs3 Z4 FAG 2017 lediglich die Gegenüberstellung der Kosten mit dem mutmaßlichen Jahresbetrag an Gebühren anordnet. Solche Überhänge sind vielmehr der Lebensdauer der Anlage entsprechend von künftigen Tilgungsbeträgen in Abzug zu bringen.

2.3.2.4. Dienen – wie im vorliegenden Fall – Anschlussgebühren der Finanzierung der Errichtungskosten der Anlage, sind für die Ermittlung der laufenden Benützungsgebühr insoweit keine Kosten für die Errichtung der Anlage anzusetzen.

2.3.2.5. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass im Zuge der Gebührenkalkulation für die laufende Benützung der Einrichtung – anders als nach dem Rechenwerk der VRV – die Anschlussgebühren für Zwecke der Ermittlung der Benützungsgebühr nicht als Einnahmen anzusetzen sind, soweit sie der Finanzierung der Errichtungskosten dienen. Ebenso wenig sind Annuitätenzuschüsse den Einnahmen zuzurechnen, sondern kürzen diese lediglich der Laufzeit entsprechend Zinsen und Tilgungen aus der Fremdfinanzierung, soweit diese gefördert ist.

2.3.3. Unter Berücksichtigung vorstehender Grundsätze ist somit aber nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nicht zu erkennen, dass die Gemeinde Tösens im Zuge der Einhebung der Gebühren für Abwasserbeseitigung auf Grundlage der Kanalgebührenordnung in den Jahren 2009 bis 2018 Überschüsse in einer Höhe erzielt hätte, die allfälligen Kostenüberdeckungen den Charakter einer Steuer verleihen würden. Vielmehr entsprechen in den einzelnen Jahren die Gesamtkosten für die Beiträge zum Abwasserverband samt sonstigen Betriebskosten einschließlich anteiliger Verwaltungskosten – schon vor Berücksichtigung eines Jahresbetrages für den nicht durch Zuschüsse und Anschlussgebühren eigenfinanzierten Teil der Errichtungskosten – weitgehend der Höhe der eingehobenen Benützungsgebühren. Keinesfalls kann somit aber davon ausgegangen werden, dass in dem vom antragstellenden Gericht herangezogenen Betrachtungszeitraum Überschüsse der Einrichtung dauerhaft entzogen worden wären.

V. Ergebnis

1. Die ob der Gesetzmäßigkeit des §4 Abs4 der Kanalgebührenordnung 2003 der Gemeinde Tösens idF des Gemeinderatsbeschlusses vom 31. Oktober 2017, kundgemacht vom 3. November 2017 bis 20. November 2017, erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Der beteiligten Partei sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 19.019/2010 mwN).

Schlagworte

Abgaben Kanalisation, Verordnung, Finanzausgleich, Abgaben Gemeinde-, Gebühr, Äquivalenzprinzip, Kosten, VfGH / Gerichtsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:V435.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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