RS Vfgh 2021/10/5 E3007/2021

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Veröffentlicht am 05.10.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Auseinandersetzung mit der sich äußerst rasch ändernden Situation betreffend die kriegerische Auseinandersetzung zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung und ihren Truppen; mangelhafte Prüfung der laufenden Entwicklung bei extremer Volatilität der Sicherheitslage auch in Orten der innerstaatlichen Fluchtalternative

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) stützt seine Erwägungen auf Länderfeststellungen fußend auf dem "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020 in der Aktualisierung vom 02.04.2021" und kommt zum Schluss, dass die Sicherheitslage in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif einer Rückkehr des Einschreiters nicht entgegenstehe.

Dabei übersieht das BVwG, dass zum Entscheidungszeitpunkt am 29.06.2021 bereits aktuellere Länderberichte in Form des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vorlagen. Insbesondere auf Grund des Länderinformationsblattes vom 11.06.2021, war für das BVwG erkennbar, dass angesichts der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan die Gefahr einer das ganze Land betreffenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und Regierungstruppen und damit eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes für Angehörige der Zivilbevölkerung, wie den Beschwerdeführer, gegeben war. So wird im Länderinformationsblatt vom 11.06.2021 berichtet, dass sich die Sicherheitslage nach dem erfolgten Truppenabzug stetig verschlechtert hat. In diesem Sinne halten die genannten Länderinformationen ausdrücklich fest, dass auf Grund des US-Truppenabzuges der Beginn "eine[r] neue[n] Phase des Konflikts und des Blutvergießens", der "Zusammenbruch der afghanischen Regierung" und die "Übernahme durch die Taliban" zu befürchten sei, und verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass die "Luftwaffe, vor allem die der Amerikaner, [...] in den vergangenen Jahren entscheidend dazu beigetragen [hat], den Vormarsch der Taliban aufzuhalten." Die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen hätten seit dem Abzug der internationalen Truppen im April stark zugenommen, die Taliban "den Druck in allen Regionen des Landes verstärkt" und "seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens zwölf Distrikte erobert".

Indem das BVwG den zu beurteilenden Sachverhalt nicht mit den aktuellen Länderberichten, die - entgegen der Ansicht des BVwG - eine für den vorliegenden Fall entscheidende Lageveränderung offenbaren, in Bezug gesetzt hat und folglich von einer (Neu-)Ansiedlungsmöglichkeit in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif ausgeht, belastet es sein Erkenntnis mit Willkür.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E3007.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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