TE Vfgh Erkenntnis 2021/10/7 E2637/2021

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; mangelhafte Auseinandersetzung mit der sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion angesichts des sich aus den Länderinformationen ergebenden Risikoprofils des sunnitischen Arabers

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er stammt aus Mossul und hat Familie (seine Frau und seine zwei minderjährigen Töchter) im Irak.

Der Beschwerdeführer stellte am 12. November 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen damit, Soldat beim irakischen Militär und in Kirkuk stationiert gewesen zu sein, bis irakische Streitkräfte und schiitische Einheiten gewaltsam gegen sunnitische Demonstranten vorgegangen seien. "Teile des Militärs" hätten auf die Demonstranten geschossen; er hingegen habe versucht, den Demonstranten zur Flucht zu verhelfen. Nach diesem Vorfall sei er nicht mehr zum Militär zurückgekehrt, sondern habe sich in Mossul bis zum Einmarsch des IS versteckt gehalten. Ferner sei er von schiitischen Milizen auf Grund seiner Glaubenszugehörigkeit bedroht worden.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 19. Februar 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

2. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen. Im Wesentlichen führt es mit näherer Begründung aus, dass die Tätigkeit für das irakische Militär zwar glaubwürdig sei, nicht aber die behauptete Desertion. Auch dem Vorbringen, auf Grund seines sunnitisch-muslimischen Glaubens von Mitgliedern einer schiitischen Miliz bedroht worden zu sein, misst das Bundesverwaltungsgericht keine asylrelevante Bedeutung bei.

Ferner erachtet das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten für nicht gegeben. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers an – dieser sei jung, gesund und im erwerbsfähigen Alter und verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat – und verweist darauf, dass die allgemeine Sicherheitslage in Mossul einer Rückkehr nicht entgegenstehe.

3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und der Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung insbesondere mit Verweis auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers und die allgemeine Sicherheitslage davon aus, dass ihm im Falle seiner Rückkehr nach Mossul eine reale Gefahr einer Verletzung seiner in Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte nicht drohe.

Dabei lässt das Bundesverwaltungsgericht allerdings die sunnitisch-arabische Identität des Beschwerdeführers und den Umstand, dass dieser aus einem Gebiet stammt, das zuvor vom IS besetzt war, unberücksichtigt. Nach UNHCR werden "Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität und zwar vornehmlich […] Männer und Jungen im kampffähigen Alter aus Gebieten, die zuvor von ISIS besetzt waren, […] Berichten zufolge kollektiv verdächtigt, mit ISIS verbunden zu sein oder ISIS zu unterstützen" (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vom Mai 2019, S 69), und weisen daher ein besonderes Risikoprofil auf (siehe VfGH 7.10.2021, E2372/2021).

2.3. Diesem Umstand kommt auch für die Beurteilung der sicheren Erreichbarkeit der Region, in die der Beschwerdeführer zurückkehren soll, maßgebliche Bedeutung zu (vgl VfGH 8.6.2021, E149/2021 ua; VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0516).

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 14. Mai 2020 führt im Kapitel "Bewegungsfreiheit" aus:

"Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS, zwischen 2014 und 2017, führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts[a]nforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren."

Indem es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen hat, sich unter Berücksichtigung der Länderinformationen und des besonderen Risikoprofils des Beschwerdeführers mit der sicheren Erreichbarkeit der Region Mossul auseinanderzusetzen, hat es sein Erkenntnis – soweit es sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht – mit Willkür belastet und ist insoweit aufzuheben.

B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind, insbesondere angesichts des im Hinblick auf eine wahrscheinliche Verfolgung als sunnitischer Araber aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet kaum substantiierten Vorbringens des Beschwerdeführers, zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B-VG zur Entscheidung abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E2637.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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