TE Vfgh Erkenntnis 2021/10/7 E2563/2021

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; keine Auseinandersetzung mit dem sich aus den Länderinformationen ergebenden Risikoprofil insbesondere im Hinblick auf die Neuansiedelung des sunnitischen Arabers in Bagdad

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Araber angehört und sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekennt. Er lebte bis zu seiner Ausreise in Mossul. Am 30. Oktober 2015 stellt er im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, und setzte eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 28. Mai 2021 als unbegründet ab.

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründet zunächst, dass der Beschwerdeführer keine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können. Die vorgebrachte Verfolgungsgefahr auf Grund einer unehelichen Beziehung sei unglaubwürdig. Selbst bei Wahrunterstellung des asylbezogenen Vorbringens stünde dem Beschwerdeführer zudem eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Bagdad zur Verfügung.

Soweit der Beschwerdeführer sein Asylvorbringen auf konfessionelle Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten stütze, führt das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung aus, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen nicht auf seine sunnitische Glaubenszugehörigkeit gestützt habe. Diese habe der Beschwerdeführer erst in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht in den Vordergrund gerückt, in der mündlichen Verhandlung aber wiederum nicht ins Treffen geführt. In diesem Zusammenhang sei darauf zu verweisen, dass im Irak keine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft stattfinde. Da der Verwaltungsgerichtshof eine Gruppenverfolgung von Sunniten in Bagdad ausdrücklich verneint habe, könne sich der – keine besonderen Vulnerabilitäten aufweisende – Beschwerdeführer mit Blick auf die UNHCR-Erwägungen und die EASO-Country Guidance auch in einem mehrheitlich sunnitisch geprägten Stadtteil von Bagdad niederlassen. Der Beschwerdeführer habe demnach nicht bereits auf Grund seiner sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten.

3.2. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hält das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben. Der Beschwerdeführer gehöre keiner Personengruppe mit besonderem Risikoprofil an; im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art2 und 3 EMRK verletzt werden. Es könne auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art3 EMRK überschritten wäre. UNHCR vertrete die Ansicht, dass arabisch-sunnitische, alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer im arbeitsfähigen Alter in der Lage seien, in der Stadt Bagdad auch ohne Unterstützung durch ihre Familie bzw ihren Stamm zu bestehen. Dem Beschwerdeführer sei daher eine (Neu-)Ansiedlung in Bagdad zumutbar.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Der Beschwerdeführer bringt insbesondere vor, dass das Bundesverwaltungsgericht die Lage der Sunniten im Irak unzureichend beurteilt habe.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und der Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht begründet die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten damit, dass dem Beschwerdeführer, der keine besonderen Vulnerabilitäten aufweise, eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Bagdad zur Verfügung stehe. Das Bundesverwaltungsgericht führt in diesem Zusammenhang zunächst zutreffend aus, dass nach den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vom Mai 2019 (im Folgenden: UNHCR-Erwägungen) ua arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten grundsätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Bagdad zur Verfügung stehe, ohne dass eine externe Unterstützung vorauszusetzen sei (UNHCR-Erwägungen, S 141).

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt aber nicht, dass nach den UNHCR-Erwägungen eine innerstaatliche Fluchtalternative für sunnitische Araber aus ehemals vom IS besetzten oder konfliktbetroffenen Gebieten (vgl zu diesem Risikoprofil VfGH 7.10.2021, E2372/2021) generell nicht relevant ist in Gebieten, in denen behördliche Einreise- oder Aufenthaltsbestimmungen bestehen, sofern nicht festgestellt werden kann, dass auf Grund der besonderen Umstände ihres Falles solche Personen in der Lage sind, den geplanten Neuansiedlungsort zu erreichen und sich dort legal und dauerhaft aufzuhalten (UNHCR-Erwägungen, S 138).

Für die Stadt Bagdad bestünden nach übereinstimmenden Berichten des – in dieser Hinsicht im Erkenntnis nicht berücksichtigten – Länderinformationsblattes der Staatendokumentation in der Fassung vom 14. Mai 2020 (Kapitel "Bewegungsfreiheit") und den UNHCR-Erwägungen (S 137 f.) solche Aufenthaltsbestimmungen. Personen aus ehemals vom IS besetzten oder konfliktbetroffenen Gebieten benötigten für eine Ansiedlung in Bagdad zwei Sponsoren aus dem Viertel, in welchem sie leben möchten, sowie einen Unterstützungsbrief des lokalen "Muchtars" (vgl auch die EASO-Country Guidance:Iraq vom Jänner 2021, S 168).

Da das Bundesverwaltungsgericht entgegen diesen Länderinformationen in keiner Weise darauf eingeht, ob dem Beschwerdeführer auch angesichts seines besonderen Risikoprofils diese Voraussetzungen für eine Neuansiedlung in Bagdad zugänglich sind und ihm daher tatsächlich eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Bagdad offen steht, hat das Bundesverwaltungsgericht in einem entscheidenden Punkt die Ermittlungstätigkeit unterlassen und sein Erkenntnis daher im angegebenen Umfang mit Willkür belastet.

2.4. Sofern das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis auch von der Zulässigkeit einer Rückkehr nach Mossul ausgehen sollte, fehlt diesbezüglich jegliche Auseinandersetzung damit, ob dem Beschwerdeführer in Mossul eine reale Gefahr einer Verletzung in Rechten nach Art2 und 3 EMRK droht und ob die Herkunftsregion sicher zu erreichen ist (vgl dazu VfSlg 20.296/2018; VfGH 8.6.2021, E149/2020 ua; VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0516).

B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind, insbesondere angesichts des im Hinblick auf eine wahrscheinliche Verfolgung als sunnitischer Araber aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet kaum substantiierten Vorbringens des Beschwerdeführers, zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B-VG zur Entscheidung abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E2563.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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