RS Vfgh 2021/10/7 E2563/2021

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; keine Auseinandersetzung mit dem sich aus den Länderinformationen ergebenden Risikoprofil insbesondere im Hinblick auf die Neuansiedelung des sunnitischen Arabers in Bagdad

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) begründet die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten damit, dass dem Beschwerdeführer, der keine besonderen Vulnerabilitäten aufweise, eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Bagdad zur Verfügung stehe. Das BVwG führt in diesem Zusammenhang zunächst zutreffend aus, dass nach den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vom Mai 2019 ua arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten grundsätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Bagdad zur Verfügung stehe, ohne dass eine externe Unterstützung vorauszusetzen sei.

Das BVwG berücksichtigt aber nicht, dass nach den UNHCR-Erwägungen eine innerstaatliche Fluchtalternative für sunnitische Araber aus ehemals vom IS besetzten oder konfliktbetroffenen Gebieten generell nicht relevant ist in Gebieten, in denen behördliche Einreise- oder Aufenthaltsbestimmungen bestehen, sofern nicht festgestellt werden kann, dass auf Grund der besonderen Umstände ihres Falles solche Personen in der Lage sind, den geplanten Neuansiedlungsort zu erreichen und sich dort legal und dauerhaft aufzuhalten.

Für die Stadt Bagdad bestünden nach übereinstimmenden Berichten des - in dieser Hinsicht im Erkenntnis nicht berücksichtigten - Länderinformationsblattes der Staatendokumentation idF vom 14.05.2020 (Kapitel "Bewegungsfreiheit") und den UNHCR-Erwägungen solche Aufenthaltsbestimmungen. Personen aus ehemals vom IS besetzten oder konfliktbetroffenen Gebieten benötigten für eine Ansiedlung in Bagdad zwei Sponsoren aus dem Viertel, in welchem sie leben möchten, sowie einen Unterstützungsbrief des lokalen "Muchtars".

Da das BVwG entgegen diesen Länderinformationen in keiner Weise darauf eingeht, ob dem Beschwerdeführer auch angesichts seines besonderen Risikoprofils diese Voraussetzungen für eine Neuansiedlung in Bagdad zugänglich sind und ihm daher tatsächlich eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Bagdad offen steht, hat das BVwG in einem entscheidenden Punkt die Ermittlungstätigkeit unterlassen und sein Erkenntnis daher im angegebenen Umfang mit Willkür belastet. Sofern das BVwG in seinem Erkenntnis auch von der Zulässigkeit einer Rückkehr nach Mossul ausgehen sollte, fehlt diesbezüglich jegliche Auseinandersetzung damit, ob dem Beschwerdeführer in Mossul eine reale Gefahr einer Verletzung in Rechten nach Art2 und 3 EMRK droht und ob die Herkunftsregion sicher zu erreichen ist.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E2563.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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