RS Vfgh 2021/10/7 E4080/2020 ua

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

PersFrSchG Art1
EMRK Art5
FremdenpolizeiG 2005 §76, §80 Abs2, §80 Abs4
BFA-VG §22a
Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungs-RL) Art15
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Freiheit und Sicherheit durch Fortsetzung der Schubhaft betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen; mangelhafte Prüfung der Voraussetzungen für eine über sechs Monate dauernde Anhaltung in Schubhaft insbesondere mangels der Kausalität des Verhaltens während der Haft für die Nichtdurchführung der Abschiebung

Rechtssatz

Im vorliegenden Fall befand sich der Beschwerdeführer ab 03.12.2019 in Schubhaft und wurde somit zum Zeitpunkt der Entscheidungen vom 09.10.2020 und vom 06.11.2020 jeweils über die vorgesehene grundsätzliche Höchstdauer von sechs Monaten hinaus in Schubhaft angehalten. Ob seitens der Behörden angemessene Bemühungen hinsichtlich der Abschiebungsmaßnahmen gesetzt wurden (vgl Art15 Abs6 Rückführungs-RL), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Das BVwG hat zum einen gar nicht näher geprüft, ob das vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten kausal dafür war, dass der Beschwerdeführer nicht abgeschoben werden konnte. Zum anderen hat es verkannt, dass das vom Beschwerdeführer während der Anhaltung gesetzte Verhalten überhaupt nicht kausal für die Unmöglichkeit der Abschiebung innerhalb der sechs Monate und damit für eine längere Anhaltung nach §80 Abs4 Z4 FPG gewesen ist: Zum einen betraf die "widerrechtliche Abgängigkeit von etwa drei Tagen" im September 2018 als Minderjähriger einen vor der Schubhaft liegenden Zeitraum und damit kein Verhalten während der Anhaltung. Zum anderen kann den Erkenntnissen nicht entnommen werden, dass die Hungerstreiks oder Ordnungswidrigkeiten in der konkreten Situation kausal dafür waren, dass der Beschwerdeführer nicht abgeschoben werden konnte und deshalb die gegenständliche Schubhaft verlängert werden musste. Aus den Feststellungen des BVwG ergibt sich, dass die für 06.10.2020 geplante Flugabschiebung storniert habe werden müssen; weitere Charterflüge seien für November bzw Dezember 2020 geplant gewesen. Die Abschiebung dürfte daher aus nicht vom Beschwerdeführer zu vertretenden Gründen nicht stattgefunden haben; das BVwG stellte nämlich auch fest, dass "[d]ie Abschiebung des Beschwerdeführers [...] umgehend durchgeführt [wird], sobald die gegenwärtigen Restriktionen im Zusammenhang mit CoVID-19 wieder gelockert werden".

Dem Urteil EuGH 05.06.2014, Rs C-146/14, Mahdi, folgend, liegt dann eine "mangelnde Kooperationsbereitschaft" iSd Art15 Abs6 lita Rückführungs-RL vor - und der Ausnahmetatbestand des §80 Abs4 Z4 FPG ist erfüllt -, "wenn die Prüfung des Verhaltens des Drittstaatsangehörigen während der Haft ergibt, dass er nicht bei der Durchführung der Abschiebung kooperiert hat und dass diese wegen dieses Verhaltens wahrscheinlich länger dauern wird als vorgesehen [...]". Indem das BVwG im vorliegenden Fall jeweils das Vorliegen der Vor-aussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft und die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung festgestellt hat, ohne aber die konkrete Kausalität eines (während der Anhaltung gesetzten) Verhaltens des Beschwerdeführers für die nichterfolgte Abschiebung und die dadurch bewirkte Verlängerung der Schubhaft darzulegen, hat es - mangels Erfüllung des §80 Abs4 Z4 FPG und weil es daher an einer Rechtsgrundlage für die weitere Anhaltung in Schubhaft fehlt - den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt.

Entscheidungstexte

  • E4080/2020 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 07.10.2021 E4080/2020 ua

Schlagworte

Schubhaft, Freiheit persönliche, Verhältnismäßigkeit, Rückkehrentscheidung, Ausweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E4080.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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