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Baurecht - WienNorm
AVG §68 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde der Mag. FJ in W, vertreten durch Dr. Wolf-Dieter Arnold, Rechtsanwalt in Wien I, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 23. Oktober 1987, Zl. MDR-B XIX-40/87, betreffend einen Antrag, die Erfüllungsfrist für eine Verpflichtung, einen Gehsteig herzustellen, zu erstrecken bzw. zu stunden, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 7. Dezember 1983 hatte der Wiener Magistrat die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf der Liegenschaft Wien 19., K Straße 88, erteilt. Im Punkt 13 der Vorschreibungen war angeordnet worden, gemäß § 54 der Bauordnung für Wien (BO) bis zur Erteilung der Benützungsbewilligung in der vollen Länge der Baulinie einen Gehsteig nach den Anordnungen der Behörde herzustellen. Vor Inangriffnahme der Gehsteigherstellung sei gemäß § 54 Abs. 10 BO um die Bekanntgabe der Breite und der Bauart und um die Aussteckung der Höhenlage beim Vermessungsdezernat der Baubehörde anzusuchen.
Mit Bescheiden vom 24. April 1986 und 25. September 1986 hatte der Wiener Magistrat gemäß § 68 Abs. 2 AVG 1950 die Durchführung des Auftrages zur Gehsteigherstellung jeweils erstreckt.
Mit Eingabe vom 13. Mai 1987 beantragte die Beschwerdeführerin eine neuerliche Fristerstreckung mit der Begründung, daß auf dem benachbarten Grundstück erst die Baugruben ausgehoben würden und eine endgültige Gehsteigherstellung angesichts der örtlichen Gegebenheiten erst nach Beendigung der groben Bauarbeiten möglich sei. Sie ersuche deshalb erneut um Fristerstreckung der Gehsteigherstellung um ein weiteres Jahr und hoffe nun, die Benützungsbewilligung, um welche sie bereits angesucht habe, zu erhalten.
Die Magistratsabteilung 28, die Straßenbauabteilung des Wiener Magistrates, gab zu diesem Antrag am 27. Mai 1987 bekannt, daß für die Herstellung des Gehsteiges eine Fristerstreckung nicht gewährt werden könne. Der Gehsteig sei raschestmöglich herzustellen. Die neben dem Gehsteig vorgesehene 2 m breite Zufahrtsstraße könne jedoch zu einem späteren Zeitpunkt fertiggestellt werden. Ohne Gewährung des Parteiengehörs wies der Wiener Magistrat sodann mit Bescheid vom 4. Juni 1987 das Ansuchen um Verlängerung der Erfüllungsfrist unter Hinweis auf § 68 Abs. 1 AVG 1950 zurück, wonach Anbringen, die die Abänderung eines der Berufung nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache abzulehnen seien. Weiters wurde auf die Stellungnahme der Magistratsabteilung 28 verwiesen.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin insbesondere vor, daß nach § 54 Abs. 3 BO die Baubehörde auf Ansuchen die Gehsteigherstellung zu stunden habe, wenn noch kein Bedarf nach dem Gehsteig bestehe oder andere wichtige Gründe dafür sprechen und keine öffentlichen Rücksichten entgegenstünden. Die Verpflichtung in dem Baubewilligungsbescheid, bis zur Benützungsbewilligung einen Gehsteig herzustellen, könne nicht bedeuten, daß nicht auch im Beschwerdefall § 54 Abs. 3 BO zur Anwendung komme. Es könne nicht in das Belieben der Behörde gestellt sein, die Inanspruchnahme des gesetzlich verankerten Rechtes auf Stundung zu vereiteln. Die Behörde wäre daher zu einer inhaltlichen Prüfung ihres Antrages verpflichtet gewesen. Durch die Zurückweisung des Antrages wegen entschiedener Sache habe sie diese Pflicht verletzt.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die Bauoberbehörde für Wien die Berufung ab. Zur Begründung wurde auf § 68 Abs. 1 AVG 1950 sowie darauf verwiesen, daß gemäß § 68 Abs. 7 AVG 1950 auf die Ausübung des Ermessens niemandem ein Rechtsanspruch zustehe. Im übrigen schließe sich die Berufungsbehörde der Auffassung der Erstinstanz an, daß eine Fristerstreckung im vorliegenden Fall nicht im öffentlichen Interesse gelegen sei.
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof lehnte dieser Gerichtshof ab, verfügte jedoch die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht verletzt, daß die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung gestundet oder ihre Fälligkeit anderweitig, etwa durch Fristverlängerung, hinausgeschoben werde. Die Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Über diese Beschwerde sowie über die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung für Wien (BO) in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 18/1976 ist bei Herstellung eines Neu-, Zu- oder Umbaues im Bauland oder einer fundierten Einfriedung an einer Baulinie der Eigentümer (Miteigentümer) des Gebäudes bzw. der Einfriedung verpflichtet, in der vollen Länge der Baulinien des Bauplatzes oder Bauloses, auf dem der Neu-, Zu- oder Umbau bzw. die Einfriedung hergestellt wird, in der von der Behörde bekanntgegebenen Breite, Höhenlage und Bauart (Abs. 10) einen Gehsteig herzustellen.
Nach § 54 Abs. 3 Satz 1 BO hat die Behörde auf Ansuchen die Gehsteigherstellung zu stunden, wenn noch kein Bedarf nach dem Gehsteig besteht oder andere wichtige Gründe dafür sprechen und keine öffentlichen Rücksichten entgegenstehen.
Die Tatsache, daß in einem Baubewilligungsbescheid die Verpflichtung zur Herstellung eines Gehsteiges bis zur Erteilung der Benützungsbewilligung ausgesprochen wird, steht nach § 54 Abs. 3 BO einem Antrag auf Stundung der Gehsteigherstellung nicht entgegen, was sich insbesondere auch daraus ergibt, daß erst durch die Errichtung des Neubaues die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung entsteht, eine solche Verpflichtung aber Voraussetzung für den im Gesetz vorgesehenen Antrag auf Stundung ist.
Im Beschwerdefall hat die Beschwerdeführerin vor der Behörde erster Instanz zwar nur einen Antrag „um Fristerstreckung der Gehsteigherstellung“ gestellt, doch hat sie jedenfalls in der Berufung erkennen lassen, daß sie die Bestimmung des § 54 Abs. 3 BO auf ihren Fall angewendet wissen wollte. Wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift darauf hinweist, daß ein Antrag auf Stundung der Verpflichtung zur Gehsteigherstellung im Sinne der genannten Gesetzesstelle an die erste Instanz gar nicht gestellt worden sei und der Berufungsbehörde daher ein solcher Abspruch verwehrt gewesen wäre, so vermag der Verwaltungsgerichtshof einer derart formalen Betrachtungsweise nicht zu folgen. Der bei der Behörde erster Instanz gestellte Antrag bezweckte nämlich eindeutig, der Verpflichtung zur Herstellung eines Gehsteiges noch nicht entsprechen zu müssen, wofür die Beschwerdeführerin auch Gründe anführte. Ein solcher Antrag bedeutet inhaltlich ein Ansuchen, die Gehsteigherstellung zu stunden, mag auch dieser Ausdruck im Antrag der Beschwerdeführerin nicht verwendet worden sein. Die von der belangten Behörde vertretene Auffassung läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß ein Antrag auf Stundung nur dann vorliege, wenn ausdrücklich eine solche Stundung begehrt worden ist. Mit dieser Auffassung verkennt die belangte Behörde, daß ein Ansuchen um Erstreckung einer Erfüllungsfrist sich inhaltlich von einem Stundungsansuchen nicht unterscheidet, was im Beschwerdefall die Beschwerdeführerin darüber hinaus ausdrücklich in ihrer Berufung dem Sinne nach ausführte. Da aber, wie schon erwähnt, ein Ansuchen, die Gehsteigherstellung zu stunden, die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung voraussetzt, hätte die Baubehörde erster Instanz den Antrag der Beschwerdeführerin nicht wegen entschiedener Sache nach § 68 Abs. 1 AVG 1950 zurückweisen dürfen. Der Antrag „auf Fristerstreckung der Verpflichtung zur Gehsteigherstellung“ wäre vielmehr einer Behandlung als Stundungsansuchen zuzuführen gewesen, was im Ergebnis eine Prüfung dahin bedeutet hätte, ob wichtige Gründe für die Stundung vorliegen und keine öffentlichen Rücksichten dem Antrag entgegenstehen.
Auf Grund der dargelegten Erwägungen hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand nehmen, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG sowie auf die Verordnung BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 20. September 1988
Schlagworte
Baubewilligung BauRallg6 Gehsteigherstellung BauRallg8 Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1988:1988050092.X00Im RIS seit
23.11.2021Zuletzt aktualisiert am
23.11.2021