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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des M in D, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 18. Juni 1996, Zl. 13/43-4/1996, betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines den Spruchpunkt 1) des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 2. Februar 1996 bestätigenden Teiles wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer (u.a.) - in seinem den Spruchpunkt 1) des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bestätigenden Teil - schuldig erkannt, er habe am 8. Dezember 1994 gegen 16.15 Uhr an einem bestimmten Ort einen nach dem Kennzeichen bestimmten Pkw in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 begangen. Es wurde eine Geldstrafe in Höhe von S 8.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 8 Tage) verhängt.
Dagegen - und zwar ausdrücklich nur gegen diesen Teil des angefochtenen Bescheides - richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde ließ es offen, ob die Werte von 0,8 Promille bzw. 0,4 mg/l (schon) zum Zeitpunkt des Lenkens erreicht oder überschritten waren (die ca. 1/4 Stunde nach Anhaltung durchgeführte Atemalkoholuntersuchung mit einem Alkomat ergab Werte von 0,40 mg/l und 0,41 mg/l). Die belangte Behörde stützte sich vielmehr darauf, daß sich der Beschwerdeführer in der für die Fahrtüchtigkeit besonders schädlichen "Anflutungsphase" befunden habe. Sie ging davon aus, daß zum Zeitpunkt der Anhaltung des Beschwerdeführers die Alkoholresorption noch nicht abgeschlossen gewesen sei (nach seiner Trinkverantwortung habe der Beschwerdeführer zwischen 12.00 Uhr und 12.45 Uhr ein großes Bier und gegen 15.45 Uhr ein Glas Jägertee getrunken; im Zuge des erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahrens sei dies dahingehend ergänzt worden, daß er noch ein weiteres kleines Bier zwischen 15.00 Uhr und 15.30 Uhr konsumiert habe). Die bei den Alkomatmessungen ermittelten Werte hätten auch eine steigende Tendenz aufgewiesen.
Nun trifft es zu, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Tatbestand des § 5 Abs. 1 StVO 1960 nicht nur bei Feststellung eines Blutalkoholgehaltes von 0,8 Promille oder darüber oder bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber, sondern auch - ohne Rücksicht auf die Höhe des Alkoholgehaltes des Blutes bzw. der Atemluft - bei Vorliegen einer derartigen Beeinträchtigung durch Alkohol als erfüllt anzusehen ist, bei der der Lenker infolge seiner körperlichen und geistigen Verfassung ein Fahrzeug nicht zu beherrschen oder die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften nicht zu befolgen vermag (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1994, Zl. 93/03/0135).
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1994, Zl. 93/03/0120), es stehe mit dem Stand der medizinischen Wissenschaft im Einklang, daß Alkohol in der Anflutungsphase besonders nachteilige Auswirkungen auf die Fahrtüchtigkeit zeitige. Der Beschwerdefall ist aber dadurch gekennzeichnet, daß vom Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren ein gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten vorgelegt wurde, aus dem hervorgeht, daß es sich um einen Grenzfall handle, "bei dem die von der Gendarmerie erfolgte Beschreibung des Erscheinungsbildes des Beschwerdeführers, die "sogenannten Alkoholisierungssymptome" letztlich auf eine noch nicht erreichte Alkoholbeeinträchtigung bei leichter Alkoholbeeinflussung verkehrsmedizinisch schließen lassen". Die belangte Behörde sah sich veranlaßt, dieses Gutachten der Sanitätsabteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung zur Stellungnahme und allfälliger Erstellung eines Gegengutachtens zu übermitteln. Der Gutachter der Sanitätsabteilung kam hierauf zum Schluß, daß beim Beschwerdeführer, "ausgehend von den Alkomatmeßwerten und in Berücksichtigung der zeitlichen Trinkverantwortung insbesondere des Letzttrunkes für den Zeitpunkt der Betretung um 16.15 Uhr eine alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit nicht erweisbar" sei.
In dem vorliegenden, besonders gelagerten Fall kamen daher sowohl das vom Beschwerdeführer beigebrachte als auch das von der belangten Behörde eingeholte Gutachten zum Ergebnis, daß eine "absolute" Fahruntüchtigkeit nicht erweisbar sei, ohne daß sich diese Gutachten explizit mit der - auch von der belangten Behörde als entscheidungsrelevant angesehenen - Frage der Anflutungsphase auseinandersetzen. Zur Klärung dieser Frage wäre die belangte Behörde aber verhalten gewesen, eine - im Hinblick auf die Schlüssigkeitsprüfung der Gutachten - erforderliche, dem Stand der medizinischen Wissenschaften entsprechende Sachverständigenaussage einzuholen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich damit - im bekämpften Umfang - mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Er war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringes bedurfte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Alkoholbeeinträchtigung Fahrtüchtigkeit Anforderung an ein Gutachten Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer Sachverständiger Feststellung der Alkoholbeeinträchtigung Gutachten Polizeiarzt Amtsarzt Feststellung der Alkoholbeeinträchtigung privates Gutachten Gutachten Ergänzung Verfahrensrecht Beweiswürdigung Verfahrensrecht VerfahrensmängelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996030256.X00Im RIS seit
12.06.2001