Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ÄrzteG 1998 §141Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentlichen Revisionen des 1. Disziplinaranwalt-Stellvertreters für Tirol beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer in Innsbruck, vertreten durch Dr. Daniela Altendorfer-Eberl, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Brucknerstraße 6, (protokolliert zu Ra 2021/09/0075) und 2. Dr. A B in C, vertreten durch Dr. Ingrid Türk, Rechtsanwältin in 9900 Lienz, Südtiroler Platz 9a, (protokolliert zu Ra 2021/09/0096) jeweils gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 1. Februar 2021, LVwG-2019/27/2353-5, betreffend Disziplinarstrafe nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Tirol), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang des Freispruchs, des Strafausspruchs und der Kosten wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Revisionsbeantwortung des Disziplinaranwalt-Stellvertreters zu Ra 2021/09/0096 wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf Kostenersatz des Revisionswerbers zu Ra 2021/09/0075 wird abgewiesen.
Die Österreichische Ärztekammer hat dem Revisionswerber zu Ra 2021/09/0096 Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber zu Ra 2021/09/0096 (in der Folge: Zweitrevisionswerber) ist aufgrund des ihm am 5. Februar 2019 von der Österreichischen Ärztekammer ausgestellten Diploms zur selbständigen Berufsausübung als Arzt für Allgemeinmedizin berechtigt und seit 8. Februar 2019 als solcher in die Ärzteliste eingetragen. Bereits im April 2018 hatte er einen Notarztkurs abgeschlossen.
2 Mit Beschluss der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 25. September 2018 wurde gegen den Zweitrevisionswerber (zu Dk 96/2018) ein Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er im Verdacht stehe, er habe sich an näher konkretisierten Tagen im Mai 2018 für Notarztdienste und Dienste im allgemeinmedizinischen Bereitschaftsdienst der „Notarzteinsatzgruppe D-Tal des Notarztverbandes E“ einteilen lassen, obwohl er nur als Turnusarzt in der Ärzteliste eingetragen gewesen sei und über kein Diplom „Arzt für Allgemeinmedizin“ verfügt habe und daher nicht zur Ausübung selbständiger ärztlicher Tätigkeiten berechtigt gewesen sei.
3 Über die weiteren Anzeigen des Disziplinaranwalt-Stellvertreters (in der Folge: Erstrevisionswerber) vom 7. Februar 2019, der Zweitrevisionswerber habe sich im Jänner 2019 für Notarztdienste der „Notarzteinsatzgruppe F-Tal des Notarztverbandes E“, und vom 8. April 2019, der Zweitrevisionswerber habe sich auch an näher genannten Tagen im März und im April 2018 für Notarztdienste und Dienste im allgemeinmedizinischen Bereitschaftsdienst der „Notarzteinsatzgruppe D-Tal des Notarztverbandes E“ einteilen lassen, wurden mit den Beschlüssen der belangten Behörde vom 18. Juni 2019 gegen den Zweitrevisionswerber weitere Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er im Verdacht stehe, er habe im Januar 2019 (Dk 8/2019) und an näher konkretisierten Tagen im März und April 2018 (Dk 10/2019) jeweils für Notarztdienste bzw. Notarztdienste und Dienste im allgemeinmedizinischen Bereitschaftsdienst der „Notarzteinsatzgruppe F-Tal des Notarztverbandes E“ eintragen lassen, obwohl er nur als Turnusarzt in der Ärzteliste eingetragen gewesen sei und über kein Diplom „Arzt für Allgemeinmedizin“ verfügt habe und daher nicht zur Ausübung selbständiger ärztlicher Tätigkeiten berechtigt gewesen sei.
4 Mit dem in den verbundenen Disziplinarverfahren ergangenen Disziplinarerkenntnis vom 30. Juli 2019 erkannte die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde den Zweitrevisionswerber schuldig, seine Berufspflichten, zu deren Einhaltung er nach dem Ärztegesetz verpflichtet gewesen sei, verletzt und ein Disziplinarvergehen nach § 136 Abs. 1 Z 2 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) dadurch begangen zu haben, dass er sich für die Monate März, April und Mai 2018 sowie Januar 2019 jeweils für Notarztdienste und Dienste im allgemeinmedizinischen Bereitschaftsdienst der Einsatzgruppe D-Tal in E habe einteilen lassen, obwohl er damals noch nicht über ein Diplom als Arzt der Allgemeinmedizin verfügt habe und daher noch nicht zur selbständigen Ausübung ärztlicher Tätigkeiten berechtigt gewesen sei. Über den Zweitrevisionswerber wurde hiefür als Disziplinarstrafe gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 und Abs. 6 ÄrzteG 1998 eine Geldstrafe von € 3.000,-- verhängt und diese gemäß § 139 Abs. 3 ÄrzteG 1998 unter Setzung einer Bewährungsfrist von drei Jahren bedingt nachgesehen. Zudem wurde der Zweitrevisionswerber gemäß § 163 Abs. 1 ÄrzteG 1998 verpflichtet die mit € 1.000,-- bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens zu bezahlen.
5 Gegen den Schuldspruch betreffend die Monate März, April und Mai 2018 erhob der Zweitrevisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht.
6 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol der Beschwerde dahingehend Folge, dass es den Zweitrevisionswerber von den Vorwürfen hinsichtlich der Monate März und April 2018 sowie Januar 2019 gemäß § 161 Abs. 1 ÄrzteG 1998 freisprach, nach § 139 Abs. 1 Z 2 und Abs. 6 erster Satz ÄrzteG 1998 die über ihn verhängte Disziplinarstrafe auf € 700,-- herabsetzte und ihn zum Ersatz der mit € 500,-- neu festgesetzten Verfahrenskosten verpflichtete. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
7 Den Freispruch betreffend die Monate März und April 2018 begründete das Verwaltungsgericht zusammengefasst damit, dass sich der diesbezügliche Einleitungsbeschluss auf die Notarztgruppe F-Tal bezogen habe, der Zweitrevisionswerber in diesen Monaten allerdings bei der Notarztgruppe D-Tal eingeteilt gewesen sei. Eine Richtigstellung sei nicht möglich, weil ein dahingehender Einleitungsbeschluss fehle.
8 Im Jänner 2019 sei der Zweitrevisionswerber zwar - wie im entsprechenden Einleitungsbeschluss ausgeführt - bei der Einsatzgruppe F-Tal eingetragen gewesen und habe entsprechende Dienste verrichtet, und nicht wie ihm im behördlichen Disziplinarerkenntnis vorgeworfen werde, bei der Einsatzgruppe D-Tal. Ihm sei das erforderliche ärztliche Diplom jedoch am 5. Februar 2019 rückwirkend mit 13. Dezember 2018 ausgestellt worden, weshalb bereits ab 13. Dezember 2018 die Voraussetzungen für die selbstständige Ausübung des ärztlichen Berufs vorgelegen seien. Unter diesen Umständen lägen die in § 136 Abs. 8 ÄrzteG 1998 genannten Voraussetzungen vor.
9 Zur Strafbemessung führte das Verwaltungsgericht lediglich aus, dass für den Monat Mai 2018 eine Berufspflichtverletzung anzunehmen und mildernd die Unbescholtenheit, erschwerend hingegen kein Umstand zu werten gewesen sei.
10 Die Unzulässigkeit der Revision begründete es fallunspezifisch mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.
11 Gegen die mit diesem Erkenntnis erfolgten Freisprüche, die Strafbemessung und die Höhe der Verfahrenskosten richtet sich die zu Ra 2021/09/0075 protokollierte außerordentliche Revision des Disziplinaranwalt-Stellvertreters (Erstrevisionswerber). Die zu Ra 2021/09/0096 protokollierte außerordentliche Revision des Disziplinarbeschuldigten (Zweitrevisionswerber) bekämpft ausschließlich den Strafausspruch.
12 In den vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Erstrevisionswerber zur Revision des Zweitrevisionswerbers eine Revisionsbeantwortung. Weitere Revisionsbeantwortungen wurden nicht eingebracht.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in den aufgrund ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Verfahren erwogen:
14 Vorweg ist festzuhalten, dass der Schuldspruch betreffend den Monat Mai 2018 nicht in Revision gezogen wurde. Insoweit kann das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol daher im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft werden.
15 Der Erstrevisionswerber sieht die Zulässigkeit seiner Revision darin gelegen, dass zur entscheidenden Frage, ob trotz ausreichend konkreter und substantiierter Darstellung der Eigenart der Berufspflichtverletzung im Einleitungsbeschluss, der jedoch in einem Punkt aufgrund eines offenkundigen Versehens unrichtig sei, ein Freispruch zu fällen sei oder dieser Umstand einer „Entscheidung in der Sache“ nicht entgegenstehe, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle. Die in ähnlichen Fällen ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stütze die Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht.
16 In der Begründung der Revision wird ferner ausgeführt, dass das Faktum Jänner 2019 in der Beschwerde des Zweitrevisionswerbers ausdrücklich nicht angefochten worden sei. Diesbezüglich habe dieser lediglich statt der Verhängung einer Strafe den Ausspruch einer Verwarnung begehrt.
17 Der Zweitrevisionswerber macht in seiner Revision im Wesentlichen geltend, das Landesverwaltungsgericht hätte im Hinblick auf den Freispruch von mehreren Vorwürfen nicht statt der im erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnis bedingt verhängten Geldstrafe diese nun unbedingt verhängen dürfen.
18 Die Revisionen sind zulässig; sie sind aus folgenden Erwägungen auch begründet:
19 Nach § 154 Abs. 2 ÄrzteG 1998 hat der Einleitungsbeschluss die Beschuldigungspunkte bestimmt zu bezeichnen.
20 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung zum insofern vergleichbaren Disziplinarrecht der Beamten (siehe etwa VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0007, u.a., mwN), dass die dem Einleitungsbeschluss in einem Disziplinarverfahren zukommende rechtliche Bedeutung in erster Linie darin gelegen ist, dem wegen einer Dienstpflichtverletzung Beschuldigten innerhalb der Verjährungsfrist gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren innerhalb der Verjährungsfrist eingeleitet wurde. Dieser dient zugleich dem Schutz des Beschuldigten, der ihm entnehmen kann, nach welcher Richtung er sich vergangen hat und inwiefern er pflichtwidrig gehandelt haben soll. Der Einleitungsbeschluss begrenzt regelmäßig den Umfang des vor der Disziplinarkommission stattfindenden Verfahrens: Es darf keine Disziplinarstrafe wegen eines Verhaltens ausgesprochen werden, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluss in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens ist (zum Ärztegesetz 1998 siehe bereits VwGH 15.7.2015, Ro 2014/09/0064).
21 Um dieser Umgrenzungsfunktion gerecht zu werden, muss das dem Disziplinarbeschuldigten als Dienstpflichtverletzung vorgeworfene Verhalten im Einleitungsbeschluss derart beschrieben werden, dass unverwechselbar feststeht, welcher konkrete Vorgang den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildet. Die angelastete Tat muss daher nach Ort, Zeit und Tatumständen so gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welches dem Disziplinarbeschuldigten zur Last gelegte Verhalten auf der Grundlage des Einleitungsbeschlusses als Prozessgegenstand im anschließenden Disziplinarverfahren behandelt werden darf. Solcherart muss sich daher der Tatvorwurf von anderen gleichartigen Handlungen oder Unterlassungen, die dem Disziplinarbeschuldigten angelastet werden können, genügend unterscheiden lassen (vgl. abermals VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0007, u.a.).
22 Wie der Verwaltungsgerichtshof ferner bereits judiziert hat, kann die Behörde nach § 62 Abs. 4 AVG die Berichtigung von u.a. Schreib- und Rechenfehlern oder anderen offenbar auf einem Versehen beruhenden Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen vornehmen. Offenbar auf einem Versehen beruht eine der Berichtigung zugängliche Unrichtigkeit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann, wenn sie für die Partei, bei Mehrparteienverfahren für alle Parteien, klar erkennbar ist und von der Behörde bei entsprechender Aufmerksamkeit bereits bei der Bescheiderlassung hätte vermieden werden können (vgl. VwGH 9.8.2017, Ra 2017/09/0028, mwN).
23 Auch eine unrichtige Namensbezeichnung kann eine Unrichtigkeit im Sinn des § 62 Abs. 4 AVG darstellen, wenn die Identität der Person feststeht. Offenbar auf einem Versehen beruht eine Unrichtigkeit nämlich dann, wenn sie für die Partei klar erkennbar ist und bei entsprechender Aufmerksamkeit bereits bei der Erlassung des Bescheids bzw. des Erkenntnisses hätte vermieden werden können. Auch ohne Ergehen eines Berichtigungsbeschlusses ist die Entscheidung in einem solchen Fall berichtigend zu lesen (siehe zum Ganzen VwGH 21.12.2020, Ra 2020/12/0071, mwN).
24 Im vorliegenden Fall wurden dem Zweitrevisionswerber in den beiden Einleitungsbeschlüssen vom 18. Juni 2019 die oben näher dargestellten Vorwürfe betreffend die Monate März und April 2018 bzw. Jänner 2019 in Bezug auf die „Notarzteinsatzgruppe F-Tal des Notarztverbandes E“ gemacht. Zwar muss die angelastete Tat im Einleitungsbeschluss auch nach ihrem Ort so gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welches Verhalten dem Disziplinarbeschuldigten im anschließenden Disziplinarverfahren zur Last gelegt werden soll. Im vorliegenden Fall erweist sich die Nennung der Notarztgruppe F-Tal im Einleitungsbeschluss betreffend den Tatvorwurf März und April 2018 anstelle jener des D-Tals jedoch als offenbar auf einem Versehen der belangten Behörde beruhende Unrichtigkeit. So wurde - wie der Erstrevisionswerber insoweit zutreffend ausführt - in den Anzeigen zwischen dem Vorwurf betreffend die Notarztgruppe D-Tal und jenem betreffend die Notarztgruppe F-Tal unterschieden. Die Nennung des F-Tals in beiden Einleitungsbeschlüssen ist daher auf eine Unachtsamkeit der belangten Behörde, bei der Erstellung der beiden Einleitungsbeschlüsse am selben Tag, zurückzuführen. Es handelt sich somit um einen Fehler, der bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte vermieden werden können und dem keine unrichtige Vorstellung zugrunde lag. Diese augenscheinliche Unrichtigkeit war offenbar auch für den Zweitrevisionswerber klar erkennbar, und hinderte diesen nicht, seine Verteidigungsrechte ausreichend wahrzunehmen. Weder sein Vorbringen im Verfahren noch jenes in seiner Beschwerde lassen Zweifel an den ihm konkret angelasteten Disziplinarvergehen erkennen.
25 Das Landesverwaltungsgericht hätte den Einleitungsbeschluss daher auch ohne formeller Berichtigung berichtigend zu lesen und auszulegen gehabt. Indem es den Freispruch des Zweitrevisionswerbers hinsichtlich der Monate März und April 2018 jedoch auf das Fehlen eines korrekten Einleitungsbeschlusses stützte, belastete es sein Erkenntnis insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
26 Wie in der Revision des Erstrevisionswerbers zudem zutreffend aufgezeigt wird, war die Beschwerde des Zweitrevisionswerbers gegen das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis in ihrem Anfechtungsumfang ausdrücklich auf den Schuldspruch betreffend die Monate März, April und Mai 2018 eingeschränkt. Das Disziplinarerkenntnis blieb also im Umfang des Schuldspruchs zum Tatvorwurf Jänner 2019 unangefochten und war somit insoweit bereits in Rechtskraft erwachsen.
27 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren bereits ausgesprochen, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen grundsätzlich nicht mehr in merito entschieden werden darf. Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen (vgl. VwGH 20.9.2018, Ra 2017/09/0043, mwN).
28 Im Umfang des Schuldspruchs betreffend den Monat Jänner 2019 war die Disziplinarsache daher nicht mehr Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol. Indem dieses den Zweitrevisionswerber von diesem Vorwurf - trotz des insoweit vorliegenden rechtskräftigen Schuldspruchs - freisprach, belastet es das angefochtene Erkenntnis auch in diesem Umfang mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
29 Das angefochtene Erkenntnis ist daher im Umfang seiner Freisprüche mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Da mit dem Schuldausspruch der Ausspruch über die zu verhängende Strafe und jener über die Verfahrenskosten (siehe hiezu VwGH 29.10.2019, Ra 2019/09/0010) in untrennbarem Zusammenhang stehen, war das angefochtene Erkenntnis auch in diesem Umfang bereits deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Auf die weiteren Revisionsausführungen brauchte daher nicht mehr eingegangen zu werden.
30 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der Kostenantrag des Erstrevisionswerbers war abzuweisen, weil nach § 47 Abs. 4 VwGG in einem - hier gemäß § 141 ÄrzteG 1998 vorliegenden - Fall des Art. 133 Abs. 8 B-VG der Revisionswerber und der Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG keinen Anspruch auf Aufwandersatz haben.
31 Die Beantwortung der Revision des Zweitrevisionswerbers durch den Erstrevisionswerber war zurückzuweisen, weil weder dem Disziplinaranwalt noch dem Disziplinaranwalt-Stellvertreter nach § 141 ÄrzteG 1998 im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Parteistellung zukommt, wenn er nicht selbst Revision erhebt (vgl. VwGH 9.3.2021, Ra 2019/09/0104, mwN).
Wien, am 28. Oktober 2021
Schlagworte
Allgemein Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021090075.L00Im RIS seit
24.11.2021Zuletzt aktualisiert am
30.11.2021