TE Vwgh Beschluss 2021/11/2 Ra 2021/14/0332

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.11.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofrätinnen Mag. Schindler und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Dr. Johann Jalovetz, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Postgasse 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. August 2021, 1. L511 2159002-1/25E und 2. L511 2159002-2/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak aus Basra, stellte am 16. Oktober 2015 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Er begründete diesen im Wesentlichen mit einer Bedrohung seines Vaters durch militärisch gekleidete Personen, die verlangt hätten, dass dieser sich ihnen anschließe.

2        Mit Bescheid vom 5. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 11. April 2018 wurde der Revisionswerber wegen versuchter absichtlicher schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.

4        Mit Bescheid vom 2. Jänner 2019 sprach das BFA aus, dass der Revisionswerber sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 4. Dezember 2017 verloren habe (I.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (II.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (III.), stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (IV.), legte eine Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (V.) und erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (VI.).

5        Gegen die beiden Bescheide erhob der Revisionswerber Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

6        Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12. Oktober 2020 wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde gegen den Bescheid vom 5. Mai 2017 mit einer näher genannten Maßgabe ebenso als unbegründet ab wie die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 2. Jänner 2019. Der Beschwerde gegen die weiteren Spruchpunkte des Bescheides vom 2. Jänner 2019 gab das BVwG statt und behob diese ersatzlos. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision macht in ihrem Zulassungsvorbringen zusammengefasst geltend, das BVwG habe seiner Entscheidung nicht die aktuellen Länderberichte zur Lage in Basra zugrunde gelegt. Auch zwischen der mündlichen Verhandlung und dem angefochtenen Erkenntnis habe sich die Lage verändert, was vom BVwG ebenfalls nicht berücksichtigt worden sei. Verwiesen werde auf die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 10. Juni 2021, den Bericht von Amnesty International vom 7. April 2021 und die Anfrage an ACCORD vom 27. September 2021. Aus der letztgenannten Anfrage gehe hervor, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage erheblich zugespitzt und verschlechtert habe. Zudem könne nicht von einer ordnungsgemäßen Begründung des Erkenntnisses ausgegangen werden, da aus den Feststellungen nicht hervorgehe, ob die Angaben des Vaters des Revisionswerbers glaubhaft seien. Auch in der Beweiswürdigung werde nicht darauf Bezug genommen. Bei einer Feststellung, dass die Angaben des Vaters zur damaligen Situation richtig seien, wäre auch von einer Bedrohung des Revisionswerbers auszugehen. Schließlich habe das BVwG bei der im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommenen Abwägung einzelne Aspekte „wie Integration, soziale Tätigkeiten, Lebensgemeinschaften, Dauer des Aufenthaltes etc.“ außer Acht gelassen.

11       Soweit die Revision bemängelt, das BVwG habe es - auch im Hinblick auf die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von subsidiärem Schutz und der Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative - unterlassen, aktuelle Länderberichte zur Lage in Basra heranzuziehen, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Feststellungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 23.9.2021, Ra 2021/14/0277, mwN). Eine solche konkrete und fallbezogene Relevanzdarstellung lässt die Revision vermissen, zumal sie lediglich pauschal auf näher genannte Länderberichte verweist. Soweit die Revision eine Anfragebeantwortung an ACCORD vom 27. September 2021 und eine sich daraus ergebende Verschlechterung der Sicherheits- und Versorgungslage anspricht, ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hat (vgl. wiederum VwGH 23.9.2021, Ra 2021/14/0277, mwN).

12       Insoweit die Revision die Beurteilung des Fluchtvorbringens durch das BVwG rügt und in diesem Zusammenhang Begründungsmängel behauptet, wendet sie sich der Sache nach gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Erkenntnis. Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der unter anderem der Revisionswerber und auch sein Vater einvernommen wurden, mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen beweiswürdigend auseinandergesetzt und festgehalten, dass es zwar das fluchtkausale Ereignis der Bedrohung des Vaters durch militärisch gekleidete Personen auf einer Baustelle als glaubhaft erachte, nicht jedoch die geäußerte Befürchtung einer daraus resultierenden Gefährdung bei einer Rückkehr in den Irak. Das BVwG ging in seinen Erwägungen von einem einmaligen Vorfall aus und führte hinsichtlich der behaupteten Gefährdung im Falle einer Rückkehr unter Einbeziehung spezifischer Länderberichte aus, dass eine Ablehnung einer Rekrutierung keine Konsequenzen habe und der Vater keine derart exponierte Stellung im öffentlichen Leben innegehabt hätte, die eine solche Gefährdung gewärtigen lasse. Der belangten Behörde sei auch zuzustimmen, dass die Schilderungen im Verfahren detailarm erfolgt seien. Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen dazu nicht auf, dass das BVwG die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. zum insoweit im Revisionsverfahren maßgeblichen Prüfkalkül etwa VwGH 15.6.2021, Ra 2020/14/0454, mwN).

13       Soweit sich die Revision schließlich gegen die im Rahmen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 14.7.2021, Ra 2021/14/0158, mwN). Das BVwG berücksichtigte im Rahmen der Interessenabwägung alle entscheidungswesentlichen, auch die vom Revisionswerber angesprochenen Umstände. Dass dem BVwG dabei eine revisible Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, zeigt die Revision nicht auf.

14       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 2. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140332.L00

Im RIS seit

25.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

06.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten