TE OGH 2021/9/28 9Ob51/21x

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Veröffentlicht am 28.09.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H* und 2. Dr. S*, beide vertreten durch Giesinger, Ender, Eberle & Partner, Rechtsanwälte in Feldkirch, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, wegen 8.180,20 EUR sA und Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 20. April 2021, GZ 3 R 33/21g-25, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Bludenz vom 10. Dezember 2020, GZ 3 C 367/19v-19, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 946,39 EUR (darin enthalten 157,73 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Der Beklagte war ab 1982 Eigentümer einer Liegenschaft, auf der er ein Haus errichtete. 1987 wurde ihm von der Gemeinde mit Bescheid die Bewohnungs- und Benützungsbewilligung für den Neubau erteilt. 1998 verkaufte er die Liegenschaft.

[2]            Die Kläger erwarben die Liegenschaft in einem gegen den Käufer eingeleiteten Zwangsver-steigerungsverfahren am 28. 2. 2014. Aus der Ediktsdatei und dem Schätzgutachten ergab sich, dass Teile des Hauses in den Planunterlagen nicht dargestellt sind. Im Langgutachten war ausgeführt, dass eine Bau- und eine Benützungsbewilligung bestehen. Daran anschließend war in Klammer die Wortfolge „ohne abschließende, baurechtliche Beurteilung“ angeführt.

[3]       Anlässlich einer Bauverhandlung im Jahr 2016 zu einem von den Klägern geplanten Umbau wurde ihnen von der Gemeinde mitgeteilt, dass das Gebäude nicht den Planunterlagen entspricht und seitens der Nachbarn eine Bauabstandsnachsicht benötigt werde. Mit Eingabe vom 7. 7. 2016 suchten die Kläger um die nachträgliche Bewilligung des Wohngebäudes an. Ihnen wurde daraufhin aufgetragen binnen einem Monat die Zustimmung der benachbarten Liegenschaftseigentümer zu der in der Natur vorliegenden Bauführung nachzureichen. Ab Herbst 2016 war den Klägern bewusst, dass die Nachbarn die Bauabstandsnachsicht nicht ohne weiteres erteilen würden.

[4]       Mit der am 19. 7. 2019 eingebrachten Klage begehren die Kläger die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle zukünftigen, derzeit noch nicht bekannten Schäden, Folgen und Nachteile, die aus der entgegen der Baubewilligung erfolgten Errichtung des Gebäudes resultieren. Zudem machen sie unter dem Titel des Schadenersatzes 7.160 EUR sA an Anwaltskosten geltend, die ihnen aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten durch den Verstoß gegen das Vorarlberger Baugesetz entstanden seien sowie Kosten für die Absteckung der Grenzpunkte und Gebühren von 1.020,20 EUR sA.

[5]       Der Beklagte habe sich trotz Aufforderung nicht um die Zustimmungserklärungen der Nachbarn gekümmert. Die Gemeinde habe mittlerweile den Beklagten mit Bescheid aufgefordert, den rechtmäßigen Zustand durch Beseitigung des Wohngebäudes herzustellen. Seit Oktober 2016 seien die Kläger mit dem konkreten Schaden belastet, weitere Kosten würden bis zum Vorliegen einer rechtsgültigen Baubewilligung noch entstehen.

[6]            Der Beklagte bestreitet und bringt vor, die Klage sei unschlüssig. Die Voraussetzungen für einen Schadenersatzanspruch lägen nicht vor. Zwischen den Streitteilen bestehe auch kein Vertragsverhältnis. Darüber hinaus seien die Ansprüche sowohl nach der absoluten 30-jährigen als auch nach der dreijährigen, kenntnisabhängigen Verjährungsfrist verjährt.

[7]       Das Erstgericht gab der Klage statt.

[8]            Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte die erstinstanzliche Entscheidung dahingehend ab, dass es die Klage abwies. Nach der Rechtsprechung sei der Beginn der 30-jährigen Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB unabhängig davon, wann der Schaden eingetreten sei sowie ob und wann der Geschädigte davon Kenntnis erlange. Ausgehend von der Fertigstellung des Bauwerks 1987 sei die 30-jährige Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der Klagseinbringung abgelaufen gewesen. Das zusätzlich zu den bewilligten Plänen errichtete unterste Stockwerk des Hauses sei darüber hinaus für jedermann ersichtlich. Auch die kurze Verjährungsfrist, die hier mit der Antragstellung vom 7. 7. 2016 um die nachträgliche Bewilligung von Planabweichungen begonnen habe, sei bei Klagseinbringung daher bereits verstrichen gewesen. Die Klage sei daher abzuweisen.

[9]       Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich über Antrag der Kläger zugelassen, da der Frage, ob die dreißigjährige Verjährungsfrist erst mit dem Verkauf der Liegenschaft und nicht mit der konsenswidrigen Errichtung des Gebäudes beginne, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

[10]     Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Kläger mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11]                    Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

[12]       Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[13]     1. Die Kläger begehren vom Beklagten Schadenersatz. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 erster Satz ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden ist (RS0034951). Die Verjährungsfrist wird nach der Rechtsprechung in Gang gesetzt, wenn die Kenntnis des Geschädigten über den Schadenseintritt, die Person des Schädigers und den Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden und dem schadensstiftenden Verhalten einen solchen Grad erreichte, dass mit Aussicht auf Erfolg geklagt werden kann (RS0034366; RS0034524 ua).

[14]     2. Der Schadensbegriff des § 1293 ABGB ist sehr weit gefasst. Er umfasst jeden rechtlich als Nachteil zu beurteilenden Zustand, an dem ein geringeres rechtliches Interesse besteht als am bisherigen Zustand (RS0022537). Nachteil am Vermögen ist somit jede Minderung am Vermögen, der kein volles Äquivalent gegenübersteht.

[15]     Die schon eingetretenen und die aus demselben Schadensereignis voraussehbaren künftigen Teil-(Folge-)Schäden bilden verjährungsrechtlich eine Einheit. Der drohenden Verjährung seines Anspruchs auf Ersatz der künftigen, aber schon vorhersehbaren Schäden hat der Geschädigte daher dann, wenn ihm schon ein Primärschaden entstanden ist, mit einer Feststellungsklage innerhalb der Verjährungsfrist zu begegnen oder ein außergerichtliches Anerkenntnis des Schädigers zu erwirken (vgl RS0097976).

[16]     3. Seit der Entscheidung eines verstärkten Senats (1 Ob 621/95) wird in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die kurze Verjährungsfrist nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginnt (RS0083144). Besteht Ungewissheit darüber, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist, und ist über diese Frage ein Rechtsstreit anhängig, ist auf die Rechtskraft der Gerichtsentscheidung bzw den Ausgang eines Verwaltungsverfahrens abzustellen, weil erst dann der Schadenseintritt (= die Zahlungspflicht des Regressberechtigten) „unverrückbar“ feststeht (RS0034908 [T9]; RS0083144 [T22, T31]) und ausreichend sichere Informationen für eine Schadenersatzklage verfügbar sind (RS0083144 [T14]). Dies gilt jedoch nur, wenn bis zum Vorliegen des endgültigen Verfahrensergebnisses Ungewissheit über die Entstehung eines Schadens besteht (1 Ob 12/05d mwN).

[17]     Ist nach den gegebenen Umständen nicht offensichtlich, dass ausreichende Kenntnis vom Schaden erst nach Beendigung eines anhängigen behördlichen Verfahrens vorliegen kann, hat der Geschädigte im Falle eines Verjährungseinwands darzulegen, aus welchen Gründen er vorher über einen bereits erfolgten Schadenseintritt noch im Unklaren sein konnte (1 Ob 12/05d).

[18]     4. Die Beurteilung der Verjährung hängt im Allgemeinen typisch von den Umständen des Einzelfalls ab, weshalb grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage betroffen ist. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen liegt hier nicht vor:

[19]           Die Kläger gehen davon aus, dass ihnen ein Schaden dadurch entstanden ist, dass das Haus auf der von ihnen erworbenen Liegenschaft nicht entsprechend der Baubewilligung errichtet wurde. Dafür machen sie den Beklagten verantwortlich. Diese Umstände waren ihnen spätestens zum Zeitpunkt des Ansuchens um nachträgliche Bewilligung des Wohngebäudes am 7. 7. 2016 bekannt. Auch wenn sie noch hofften, nachträglich eine Bewilligung erlangen zu können, ändert das nichts daran, dass der Schaden, aus dem die Kläger ihre Ansprüche ableiten wollen, nämlich ein Wohngebäude erworben zu haben, das konsenswidrig errichtet wurde, schon eingetreten war. Das baubehördliche Verfahren, die Bemühungen um die Zustimmung der Nachbarn und die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Anwaltskosten dienten nur noch der Schadensminderung, nicht der Schadensverhinderung.

[20]           Wenn das Berufungsgericht daher davon ausgegangen ist, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung bei der Baubehörde am 7. 7. 2016 sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen bekannt waren, damit jedenfalls die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen hat und dass diese daher zum Zeitpunkt der am 19. 7. 2019 erfolgten Klagseinbringung schon abgelaufen war, entspricht das der zitierten Rechtsprechung.

[21]           Da daher allfällige Ansprüche jedenfalls nach § 1489 erster Satz ABGB verjährt sind, kommt es darauf, ob und inwieweit den Klägern überhaupt Ansprüche gegen den Beklagten zukommen bzw wie die 30-jährige Verjährungsfrist zu berechnen wäre, nicht weiter an.

[22]     5. Mangels Darstellung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Kläger zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[23]     6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E133128

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:E133128

Im RIS seit

23.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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