TE OGH 2021/10/22 8ObA99/20x

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Veröffentlicht am 22.10.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Berhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** Ö*****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, gegen die beklagte Partei G***** A*****, vertreten durch Meinhard Novak Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 36.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juli 2020, GZ 6 Ra 17/20x-24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. Oktober 2019, GZ 24 Cga 36/19z-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

1. Die Urkundenvorlage der beklagten Partei vom 28. Oktober 2020 wird zurückgewiesen;

2. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Der Beklagte war im Wahlverfahren zur Bundespräsidentenwahl 2016 im zweiten Wahlgang als Bezirkswahlleiter der Bezirkswahlbehörde für den Stimmbezirk ***** tätig.

[2]            Mit Erkenntnis vom 1. 7. 2016 zu GZ W I 6/2016 hob der Verfassungsgerichtshof das Verfahren des zweiten Wahlgangs zur Wahl des Bundespräsidenten vom 22. 5. 2016 ab der Kundmachung der Bundeswahlbehörde auf. Er begründete diese Entscheidung einerseits mit der rechtswidrig, insbesondere entgegen den §§ 14ff BPräsWG, erfolgten Auswertung der mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen in den Stimmbezirken Innsbruck-Land, Südoststeiermark, Villach, Villach-Land, Schwaz, Wien-Umgebung, Hermagor, Wolfsberg, Freistadt, Bregenz, Kufstein, Graz-Umgebung, Leibnitz und Reutte, und andererseits mit der Übermittlung von (Teil-)Ergebnissen der Wahl vor Wahlschluss an ausgewählte Empfänger durch die Bundeswahlbehörde. Durch diese Vorgänge sei jeweils gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl verstoßen worden.

[3]       In dem genannten Erkenntnis führte der Verfassungsgerichtshof zu den Vollzugsfehlern bei der Briefwahlstimmenzählung im hier verfahrensgegenständlichen Stimmbezirk unter anderem aus:

Im Stimmbezirk ***** sind 3.620 Wahlkarten bei der Bezirkswahlbehörde eingelangt; davon wurden 3.498 Wahlkarten in die Ergebnisermittlung miteinbezogen. 55 Stimmen wurden als ungültig gewertet; von den 3.443 gültigen Stimmen entfielen 1.305 Stimmen auf Ing. Norbert Hofer und 2.138 Stimmen auf Dr. Alexander Van der Bellen.

Der Beklagte als Bezirkswahlleiter hat die Mitglieder der Bezirkswahlbehörde mit Schreiben vom 17. Mai 2016 für Montag, 23. Mai 2016, um 16.30 Uhr zu einer Sitzung der Bezirkswahlbehörde eingeladen. Weitere Einladungen zu Sitzungen am Wahltag oder für den Tag nach dem Wahltag sind nicht ergangen. In der Tagesordnung für diese Sitzung findet sich der Punkt 2. 'Feststellung des endgültigen Ergebnisses inkl. Briefwahlstimmen'.

Der Abteilungsleiter des Melde- und Standesamtes ***** hat die einlangenden Wahlkarten in seinem Büro laufend auf das Vorliegen von 'evidenten Nichtigkeitsgründen' (…) überprüft und die Wahlkarten in miteinzubeziehende und nicht miteinzubeziehende 'vorsortiert'. Des Weiteren hat er die miteinzubeziehenden Wahlkarten laufend in seinem Büro geöffnet und die Wahlkuverts entnommen.

Am Montag, 23. Mai 2016, um 6.45 Uhr, begann er mit fünf Mitarbeitern des Magistrats ***** mit dem Öffnen der Wahlkuverts und mit der Auszählung der mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen. Dieser Vorgang wurde kurz vor 9.00 Uhr beendet. Weder der Bezirkswahlleiter (der Beklagte), noch die Beisitzer waren bei diesem Vorgang anwesend.

Am Montag, 23. Mai 2016, in der Zeit von 16.30 Uhr bis ca 16.45 Uhr fand die Sitzung der Bezirkswahlbehörde für den Tag nach dem Wahltag statt. Diese Sitzung wurde vom Bezirkswahlleiter (dem Beklagten) geleitet. Anwesend waren sechs Beisitzer, zwei Ersatzbeisitzer, eine Vertrauensperson sowie der Abteilungsleiter des Melde- und Standesamts ***** als Schriftführer. In dieser Sitzung wurden weder Wahlkarten geöffnet, noch Stimmen ausgezählt. Vielmehr wurde das von 6.45 Uhr bis kurz vor 9.00 Uhr ermittelte Ergebnis der Auszählung der mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen zum Beschluss der Bezirkswahlbehörde erhoben.“

[4]       Der Verfassungsgerichtshof hat zur Rechtmäßigkeit des Auswertungsvorgangs durch die Bezirkswahlbehörde ***** erwogen:

Im Stimmbezirk ***** erfolgte keine ordnungsgemäße Einberufung der Bezirkswahlbehörde. Die Wahlkarten wurden entgegen § 14a BPräsWG und entgegen dem Grundsatz der geheimen Wahl gemäß Art 60 Abs 1 B-VG in Abwesenheit der Beisitzer und außerhalb einer Sitzung der Bezirkswahlbehörde geöffnet. Auch die Auszählung der Stimmen fand auf die gleiche Weise statt. Die Ermittlung des Ergebnisses der Auszählung der mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen im Stimmbezirk ***** verstößt schon aus diesem Grund gegen § 14a BPräsWG und gegen den Grundsatz der geheimen Wahl gemäß Art 60 B-VG und ist daher rechtswidrig. Diese Rechtswidrigkeit erfasst jedenfalls die im Stimmbezirk ***** in die Ergebnisermittlung miteinbezogenen 3.498 Wahlkarten ...“

[5]            Der Verfassungsgerichtshof ging davon aus, dass die Rechtswidrigkeiten in den Stimmbezirken Innsbruck-Land, Südoststeiermark, Villach, Villach-Land, Schwaz, Wien-Umgebung, Hermagor, Wolfsberg, Freistadt, Graz-Umgebung und Leibnitz (insgesamt 77.769 von der Rechtswidrigkeit erfasste Stimmen) von Einfluss auf das Wahlergebnis sein konnten. Die vom Verfassungsgerichtshof festgestellten Verletzungen des § 14a BPräsWG und jener, die mit ihr im Zusammenhang stehen, wie insbesondere § 18 Abs 1 NRWO, bilden daher Rechtswidrigkeiten, die von Einfluss auf das Wahlergebnis im Sinne des Art 141 BVG sein konnten.

[6]            Der Beklagte wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 26. 7. 2018 wegen des zweifachen Vergehens der falschen Beurkundung und Beglaubigung im Amt nach § 311 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er die Niederschrift am Tag nach dem Wahlgang für den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl unterfertigt und darin bestätigt hatte, dass er als Bezirkswahlleiter am 23. 5. 2016, 9:00 Uhr, unter Beobachtung durch die anwesenden Beisitzerinnen oder Beisitzer die im Weg der Briefwahl eingelangten Wahlkarten geprüft habe, dies obwohl er bei der Auswertung und Auszählung der Briefwahlkartenstimmen der Bezirkswahlbehörde ***** zu keinem Zeitpunkt anwesend war, weiters weil er die Abhaltung einer Sitzung der Bezirkswahlbehörde am Wahltag, dem 22. 5. 2016, von 18:00 Uhr bis 18:15 Uhr und seine Anwesenheit niederschriftlich bestätigte, obwohl keine solche Sitzung stattgefunden hatte.

[7]            Im Strafurteil wurde festgestellt, dass sowohl der Leitfaden für die Bezirkswahlbehörden und Landeswahlbehörden für die Bundespräsidentenwahl am 24. 4. 2016, als auch der Leitfaden für den zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl in der Bezirkswahlbehörde ***** auflagen und der Abteilungsleiter des Melde- und Standesamts der Stadt ***** beginnend ab Donnerstag, dem 19. 5. 2016, unter Missachtung der einschlägigen Vorschriften, teilweise unter Heranziehung von anderen Mitarbeitern, die eingelangten verschlossenen Wahlkartenkuverts geöffnet sowie am 23. 5. 2016 ausgezählt hatte, dies alles ohne Anwesenheit eines Mitglieds der Bezirkswahlbehörde.

[8]            Die klagende Partei brachte vor, ihr sei durch die erforderlich gewordene Wahlwiederholung ein unmittelbarer Schaden von zumindest 8,47 Millionen EUR entstanden, den der Beklagte als Bezirkswahlleiter für seinen Stimmbezirk rechtswidrig und grob fahrlässig, damit auch schuldhaft gemeinsam mit 17 anderen Bezirkswahlleitern verursacht habe. Für diesen Schaden habe der Beklagte, weil er in Vollziehung der Gesetze für die Klägerin gehandelt habe, nach den Bestimmungen des Organhaftpflichtgesetzes einzustehen. Sein Fehlverhalten sei zusammen mit dem Fehlverhalten anderer conditio sine qua non für den Schadenseintritt gewesen, die zu einer Solidarverpflichtung aller Beteiligten führe. Unter Vorwegnahme einer allfälligen richterlichen Mäßigung nach § 3 Abs 1 OrgHG iVm § 2 Abs 2 DHG werde vom Beklagten nur der Klagsbetrag gefordert, und zwar ausgehend von einer Mäßigung auf 648.000 EUR, geteilt durch 18 Organwalter.

[9]       Der Beklagte wandte ein, die bei der Wahl verletzten Normen hätten nicht den Zweck, Vermögensrechte von Dritten zu schützen. Die Klägerin habe diese Rechtsansicht auch selbst im Verfahren um den Schadenersatzanspruch einer Partei, die einen Wahlkandidaten finanziell unterstützt hatte, vertreten. Es erscheine gleichheitswidrig und geradezu willkürlich, wenn sie gegenüber dem Kläger einen anderen rechtlichen Maßstab anlege. Die Normen des BPräsWG sähen keine schadenersatzrechtliche Konsequenz bei Verstößen vor. Die Aufhebung der Wahl durch den Verfassungsgerichtshof sei ausschließlich wegen der rechtswidrigen Vorabinformation durch die Bundeswahlbehörde erfolgt. Die behauptete Schadenshöhe werde bestritten. Das in seiner Zusammensetzung nicht nachvollziehbare Klagebegehren sei unschlüssig. Den Beklagten treffe jedenfalls kein grobes Verschulden an den Verstößen, weil der eigens für diese Aufgabe geschulte Beamte der Magistratsabteilung „die Aufgabe als Wahlleiter übernommen“ habe.

[10]     Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne weitere Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Der Kläger habe gemeinsam mit anderen Schädigern rechtswidrig und schuldhaft eine conditio sine qua non für die erfolgte Wahlaufhebung gesetzt, die eine Haftung nach § 1302 ABGB begründen könne. Er hafte auch für das Verhalten seiner eingesetzten Gehilfen. Zwischen der Verletzung von Normen des BPräsWG und der NRWO und Vermögensschäden von Gebietskörperschaften bestehe jedoch kein Rechtswidrigkeits-
zusammenhang. Derartige Schäden seien vom Schutzzweck dieser Normen nicht erfasst.

[11]     Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin Folge und sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe.

[12]     Der Klägerin sei durch die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl ein von der Organhaftung erfasster Direktschaden entstanden, weil sie für deren Durchführung Kosten aufwenden habe müssen, die ohne die festgestellten Verstöße gegen die Wahlordnung nicht angefallen wären. Für diesen Schaden der Beklagten hafte der Beklagte aufgrund seines rechtswidrigen und schuldhaften Handelns als Organ der Klägerin dem Grunde nach. Dieser Schaden sei nicht mit dem nach dem AHG geltend gemachten Drittschaden zu verwechseln, der Gegenstand des vom Beklagten ins Treffen geführten Verfahrens 1 Ob 212/19m gewesen sei.

[13]           Aufgrund des Zusammenwirkens mehrerer Schädiger bestehe mangels Abgrenzbarkeit der Anteile Solidarhaftung. Im fortgesetzten Verfahren seien die noch fehlenden Feststellungen zur Schadenshöhe und zu allfälligen Mäßigungsgründen zu treffen.

[14]     Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den hier entscheidungswesentlichen Fragen der Organhaftung bei summierten Ursachen fehle.

[15]     Die von der Klägerin beantwortete Revision des Beklagten, die sich auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung stützt, ist zur Klarstellung der Rechtslage zwar im Sinn der Ausführungen des Berufungsgerichts zulässig.

[16]     Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[17]     1. Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu. Weitere Nachträge oder Ergänzungen sind unzulässig. Der Schriftsatz des Beklagten vom 28. 10. 2020 war daher zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041666).

[18]     2. Nach Art 141 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Anfechtung der Wahl des Bundespräsidenten. Im Rahmen einer solchen Prüfung hat er die Vorgangsweise der Wahlkartenauszählung im Stimmbezirk des Beklagten als rechtswidrig erkannt und davon ausgehend und im Zusammenhang mit anderen rechtswidrigen Vorgängen dem Antrag auf Wahlanfechtung stattgegeben.

[19]           Der Umstand, dass die in der Entscheidung dargelegte Rechtsauffassung des Verfassunggerichtshofs in der Lehre teilweise auf Kritik gestoßen ist (etwa Wiederin, Das Erkenntnis über die Stichwahl zum Bundespräsidenten: Eine verfassungsrechtliche Nachlese, in Jahrbuch Öffentliches Recht  2017, 9), ändert nichts daran, dass die Rechtswidrigkeit einzelner Wahlvorgänge und der Wahl insgesamt damit endgültig fest steht (vgl 9 ObA 105/20m).

[20]           3. Der Revisionswerber stellt diese Rechtslage auch nicht in Frage.

[21]           Er bemängelt zunächst, dass das Berufungsgericht zu Unrecht von mangelnder Bestimmbarkeit der Anteile an dem von mehreren Zusammenwirkenden verursachten Schaden ausgegangen sei. Nach dem aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs stehe die genaue Anzahl der rechtswidrig ausgewerteten Wahlkartenstimmen für jeden der betroffenen Stimmbezirke fest, sodass eine Haftung der Mitschädiger nach Anteilen „denkbar“ sei. Die auf den Verantwortungsbereich des Beklagten entfallenden 3.498 Wahlkartenstimmen hätten für sich allein gar nicht zur Wahlaufhebung geführt, weil sie keinen Einfluss auf das Gesamtergebnis gehabt hätten.

[22]           Die Revision lässt bei diesen Ausführungen offen, welche rechtliche Konsequenzen sie aus ihren Überlegungen ableiten will. Es ist nicht zu erkennen, ob sie die aliquote Haftung der betroffenen Wahlleiter nach dem Verhältnis der festgestellten, rechtswidrig ausgewerteten Wahlkartenstimmen befürwortet, oder ob sie die Haftung des Beklagten wegen Geringfügigkeit seines Beitrags überhaupt in Frage stellen will.

[23]     Im Ergebnis wäre unter beiden Aspekten den Ausführungen nicht zuzustimmen.

[24]           Zwischen den Kandidaten im zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl lag nach der Auszählung ein Stimmunterschied von 30.863 Stimmen, während Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkartenauszählung bei mehr als 77.769 Stimmen festgestellt wurden. Diese Zahl konnte nach der Auffassung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH W I 6/2016, Rz 495 mwN) insgesamt von Einfluss auf das Wahlergebnis sein. Die betroffenen Stimmen des Wahlbezirks des Beklagten waren daher tatsächlich nicht für sich allein, sondern nur gemeinsam mit den anderen im Sinn summierter minimaler Einwirkungen für die Entscheidung zur Wahlwiederholung ursächlich.

[25]           Auf summierte Einwirkungen sind nach der Rechtsprechung die Grundsätze des § 1302 ABGB anzuwenden (RS0123611, RS0010538; vgl Koziol Haftpflichtrecht I4 Rz B/2/120 ff). Lassen sich die jeweiligen Anteile der Verursacher am Gesamtschaden nicht bestimmen, so wird auch vertreten, dass eine Haftung zu gleichen Teilen bei fehlendem Zusammenwirken eintritt (Koziol Haftpflichtrecht I3 Rz 3/82, im Ergebnis auch 8 ObA 24/12f).

[26]           Dem Argument des Beklagten, dass das Verhältnis der Wahlkarten der einzelnen betroffenen Stimmbezirke zur Gesamtzahl der fehlerhaft ausgezählten Wahlkarten rechnerisch darstellbar und insofern Anteile der Verursacher durchaus „bestimmbar“ wären, hat das Berufungsgericht aber richtig entgegengehalten, dass die Aufhebung des Wahlverfahrens nicht von der Gesamtzahl der festgestellten (teilweise auch nicht mehr exakt feststellbaren) rechtswidrigen Auswertungen abhing, sondern bereits vom Überschreiten der Grenze der Relevanz für das Wahlergebnis. Schon aus diesem Grund kann der Gesamtschaden nicht anteilig der Anzahl der Briefwahlstimmen der einzelnen Stimmbezirke zugeordnet werden.

[27]           Weitergehende Überlegungen zur Schadenshöhe und zur Aufteilung des Schadens auf mehrere Schädiger sind im Revisionsverfahren über das Zwischenurteil nicht anzustellen. Die Klägerin hat hier im Übrigen – wie in den anderen Verfahren – den gemäßigten Schaden nur anteilig auf die 18 Schädiger verteilt geltend gemacht.

[28]           4. Zentrales Argument der Revision ist die Rechtsauffassung, dass eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach nicht in Frage komme, weil der Schutzzweck des BPräsWG und des NRWG die Verhinderung des streitgegenständlichen Schadens nicht umfasse.

[29]           Diese Regelungen hätten die Aufgabe, zur Wahrung des demokratischen Prinzips die Freiheit und „Reinheit“ der Wahl zu sichern und Manipulationen zu verhindern. Der Normzweck sei es aber nicht, das Vermögen der Klägerin oder Dritter zu schützen.

[30]           Der Oberste Gerichtshof hat sich mit der Frage des Schutzzwecks der genannten Normen bereits in der
– einen Amtshaftungsanspruch betreffenden – Rechtssache 1 Ob 212/19m (RS0133089) auseinandergesetzt und dabei ausgeführt: „Die Beschränkung der Zahl der zur Erhebung von Schadenersatzansprüchen Berechtigten erfolgt aufgrund des Schutzzwecks der verletzten Normen (Rechtswidrigkeitszusammenhang). Dieser stellt ein selbständiges Abgrenzungskriterium der Schaden-
ersatzhaftung neben der Rechtswidrigkeit und der Kausalität dar. Sowohl der Geschädigte als auch die Art des Schadens und die Form seiner Entstehung müssen vom Schutzzweck erfasst sein (RS0027553 [T18]). Ohne die eingrenzende Wirkung des Schutzzwecks drohte die abzulehnende Uferlosigkeit der Haftpflicht. Aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens ist daher nur für jene verursachten Schäden zu haften, die vom Schutzzweck erfasst werden, weil die Norm zumindest auch derartige Schäden verhindern wollte. Die Fragestellung der Normzweckprüfung ist teleologisch ausgerichtet und stellt primär darauf ab, welcher Zweck mit der in ihrem primären Normgehalt festgehaltenen Anordnung zumindest (mit-)verfolgt wird. Nicht jeder Schutz, den die Verhaltensnorm tatsächlich bewirkt, ist auch von deren Schutzzweck erfasst (RS0027553 [T14]; RS0022813 [T10, T16]; RS0031143 [T7, T19, T22]).“ (...) „Aus dem dargelegten Regelungsinhalt des BPräsWG und des Art 60 Abs 1 B-VG, in deren Normzweck die finanziellen Interessen der Klägerinnen nicht einbezogen sind, leitet sich ab, dass sie nicht erfolgreich ihre behaupteten frustrierten Aufwendungen für das Führen eines Bundespräsidentenwahlkampfs gegenüber der Beklagten im Wege der Amtshaftung geltend machen können. Dies gilt auch für die von ihnen begehrten Aufwendungen im Zusammenhang mit dem für den 2. 10. 2016 festgesetzten Wahltermin, dessen Verschiebung durch eine Entscheidung des (Verfassungs-)Gesetzgebers erfolgte (§ 26b BPräsWG).“

[31]           Im vorliegenden Verfahren ist jedoch kein Amtshaftungsanspruch zu beurteilen, sondern der Beklagte wird als Organ von dem Rechtsträger belangt, für den er im Sinn des § 1 OrgHG in Vollziehung der Gesetze tätig war.

[32]           Die Eigenschaft als Organ im Sinn des OrgHG kommt entgegen der Auffassung des Revisionswerbers nicht nur Beamten zu, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen. Ein Organ kann nach § 1 Abs 2 OrgHG jede physische Person sein, wenn sie in Vollziehung der Gesetze (Gerichtsbarkeit oder Hoheitsverwaltung) handelt, gleichviel, ob sie dauernd oder vorübergehend oder für den einzelnen Fall bestellt wurde, ob sie gewähltes, ernanntes oder sonstwie bestelltes Organ ist und ob ihr Verhältnis zum Rechtsträger nach öffentlichem oder nach privatem Recht zu beurteilen ist.

[33]           Für den Umfang des Anspruchs eines Rechtsträgers gegen ein Organ ist der Schutzzweck maßgeblich. Danach kommt es darauf an, ob die verletzte Norm den Sinn hatte, die Schädigung jener öffentlichen Interessen zu vermeiden, die das Organ für den Rechtsträger in seinem Zuständigkeitsbereich zu schützen hatte (Kucsko-Stadlmayer in Holoubek/Lang, Organhaftung und Staatshaftung in Steuersachen, 378).

[34]           Zur Leitung und Durchführung der Wahl des Bundespräsidenten sind nach § 2 BPräsWG die Sprengelwahlbehörden, Gemeindewahlbehörden, Bezirkswahl-
behörden, Landeswahlbehörden und die Bundeswahlbehörde berufen, die nach der Nationalrats-Wahlordnung 1992 (NRWO) jeweils im Amt sind. Im Übrigen sind auf diese Wahlbehörden die einschlägigen Bestimmungen der NRWO anzuwenden.

[35]           Wahlleiter haben nach § 7 Abs 1 NRWO die Geschäfte zu besorgen, die ihnen nach diesem Bundesgesetz zukommen. Sie haben auch die Sitzungen der Wahlbehörden vorzubereiten sowie die Beschlüsse der Wahlbehörden durchzuführen. Aufgabe des Beklagten als Bezirkswahlleiter und damit als funktionell für die Klägerin tätiges Organ war es, für die Einhaltung der Wahlrechtsbestimmungen, darunter auch die ordnungsgemäße Einladung der Wahlkommission, zu sorgen. Diese gesetzmäßige Erfüllung dieser Aufgabe war Voraussetzung für die Wahrung der Freiheit und Richtigkeit jeder Wahl und oblag ihm persönlich. Diese Verantwortung verkennt die Revision, wenn sie meint, dass der Beklagte nicht für Fehlleistungen seiner Mitarbeiter zu haften habe.

[36]           Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sind Formalvorschriften der Wahlordnungen vor dem Hintergrund der aus dem demokratischen Grundprinzip der Bundesverfassung abzuleitenden notwendigen Eindeutigkeit wahlrechtlicher Regelungen strikt nach ihrem Wortlaut auszulegen, damit nicht der Willkür Tür und Tor geöffnet werden. Die Wahlbehörden sind durch die Formalvorschriften der Wahlordnung streng gebunden (VfGH WI2/2020&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True">W I 2/2020, WI3/2020&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True">W I 3/2020 mwN).

[37]     Insbesondere lässt das Gesetz die Entnahme von Stimmzetteln aus den Wahlkuverts, Zählungen sowie sonstige Überprüfungen der Stimmzettel nur unter ständiger gegenseitiger Kontrolle der Mitglieder der Wahlbehörde zu (vgl für den vorliegenden Fall § 14a BPräsWG). Jede anderweitige Manipulation mit den Stimmzetteln widerspricht der strengen Regelung des Gesetzes (vgl VfGH W I-2/64). Eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ist immer schon dann gegeben, wenn das Wahlverfahren einen mit der Anordnung des Gesetzes nicht übereinstimmenden Verlauf genommen hat (VfGH W I-2/70).

[38]           Dem Beklagten ist es daher als rechtswidrig zur Last zu legen, dass er Vorschriften, die eine Teilnahme der Mitglieder der Bezirkswahlbehörde am Auszählungsvorgang ermöglichen sollten, formell nicht eingehalten, sondern eine in mehrfacher Hinsicht offenkundig dem Gesetz widersprechende Praxis geduldet hat.

[39]           Dies hat zu einer in der Folge vom Verfassungsgerichtshof wahrgenommenen Rechtswidrigkeit der Stimmauszählung geführt (vgl 9 ObA 105/20m). Da (unter anderem) der Beklagte seine Pflichten im festgestellten Ausmaß nicht erfüllt hat, musste die Wahl wiederholt werden. Der Klägerin, für die er tätig wurde, ist dadurch unmittelbar Schaden entstanden, weil sie aufgrund der § 115 ff NRWO iVm § 2 BPräsWG nach der Aufhebung des Wahlverfahrens durch den Verfassungsgerichtshof zur Wiederholung der Wahl verpflichtet war (vgl auch RS0108017; 9 ObA 105/20m).

[40]           5. Gründe, aus denen es dem Beklagten ohne sein Verschulden nicht möglich gewesen wäre, seine Verpflichtungen wahrzunehmen, werden in der Revision gar nicht behauptet. Der Beklagte führt dazu lediglich ins Treffen, dass sich allein aus seiner strafrechtlichen Verurteilung ein schadenersatzrechtliches Verschulden mangels Zusammenhangs nicht herleiten lasse.

[41]           Diese Argumentation ist jedoch nicht zielführend. Aus dem Umstand, dass keine Identiät zwischen diesem Vorwurf der Falschbeurkundung und der ihr vorangegangenen, haftungsbegründenden Verletzung von Bestimmungen des BPräsWG durch den Beklagten als Wahlleiter besteht, ist für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen.

[42]           Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung nach § 311 StGB ist für das Zivilverfahren bindend davon auszugehen, dass der Beklagte die Falschbeurkundung vorsätzlich vorgenommen hat. Der Inhalt der von ihm unterfertigten Lugurkunde belegt, dass ihm die verletzten Vorschriften zur Auszählung der Briefwahlstimmen und ihre Wichtigkeit bewusst waren, diente doch die Falschbeurkundung gerade dazu, die tatsächliche Missachtung dieser Regeln zu verschleiern. Gegenteiliges wird in der Revision auch nicht behauptet.

[43]     7. Zusammenfassend sind sämtliche Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem OrgHG dem Grunde nach erfüllt.

[44]           Die Beweisaufnahmen zur bestrittenen Höhe der Forderung sind ebenso dem fortgesetzten Verfahren vorbehalten wie die Prüfung, ob Gründe für eine allfällige (weitere) Mäßigung iSd § 3 OrgHG vorliegen.

[45]     Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

[46]     Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

Textnummer

E133134

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00099.20X.1022.000

Im RIS seit

23.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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