TE OGH 2021/11/2 20Ds3/21b

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Veröffentlicht am 02.11.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 2. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Hofer und Dr. Mitterlehner als Anwaltsrichter in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 11. Jänner 2021, AZ D 16/20, 6 DV 24/20, TZ 20, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Nordmeyer, des Kammeranwalts Mag. Kammler und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Berufung wegen Nichtigkeit wird der Ausspruch über die teilbedingte Strafnachsicht aus dem angefochtenen Erkenntnis ersatzlos ausgeschaltet.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Kammeranwalt auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldbuße von 3.600 Euro verurteilt, wobei gemäß § 16 Abs 2 DSt ein Teilbetrag von 2.400 Euro unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

[2]          Danach hat er als zu AZ ***** des Bezirksgerichts ***** bestellter Erwachsenenvertreter trotz Aufträgen des Bezirksgerichts (Verbesserungsauftrag 30. September 2019, Beschlüsse von 29. Oktober 2019 und 26. November 2019) keine ordnungsgemäße Rechnung gelegt und nicht über die Lebenssituation des Betroffenen berichtet, weshalb das Gericht über ihn eine Geldstrafe von 400 Euro verhängte.

[3]          Dagegen richtet sich die Berufung des Kammeranwalts wegen Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 StPO (vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und wegen des Ausspruchs über die Strafe.

[4]          Gestützt auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO macht der Kammeranwalt geltend, die Übergangsbestimmung des § 80 Abs 6 4. Satz DSt idF BGBl I 19/2020 sehe die Anwendung des § 16 Abs 2 DSt in der Fassung des Berufsrechtsänderungsgesetzes (BRÄG) 2020, welcher die Möglichkeit der bedingten Nachsicht einer Geldbuße eröffnete, ausnahmslos für Disziplinarvergehen vor, die nach dem 31. März 2020 begangen wurden, weshalb fallbezogen teilbedingte Nachsicht der verhängten Geldbuße nicht in Betracht komme.

[5]       Der Beschuldigte hat sich dazu schriftlich nicht geäußert.

[6]       Die Generalprokuratur ist dem Begehren des Kammeranwalts im Ergebnis beigetreten.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[7]       Mit dem BRÄG 2020, BGBl I 19/2020, wurde die Möglichkeit bedingter und teilbedingter Strafnachsicht der Disziplinarstrafe der Geldbuße geschaffen (§ 16 Abs 2 DSt). Nach der Übergangsbestimmung des § 80 Abs 6 DSt trat (ua) § 16 Abs 2 DSt mit 1. April 2020 in Kraft und ist auf Disziplinarvergehen anzuwenden, die nach dem 31. März 2020 begangen werden. Mit Ablauf eben dieses Tages trat § 39 DSt („Schuldspruch ohne Strafe“) außer Kraft, ist aber weiter auf Disziplinarvergehen anzuwenden, die vor dem 1. April 2020 begangen wurden.

[8]       Zunächst ist festzuhalten, dass es im DSt keine generelle Verweisungsnorm auf die Bestimmungen des StGB gibt, vielmehr bloß punktuell auf einzelne Normen dieses Gesetzes rekurriert wird (etwa in § 16 Abs 5 und Abs 8 DSt). Art I Abs 1 des StRAG (BGBl 422/1974) ordnet die Anwendung des Allgemeinen Teils des StGB lediglich auf Taten an, die in anderen auf Gesetzesstufe stehenden, als Bundesrecht geltenden Rechtsvorschriften mit gerichtlicher Strafe bedroht werden, sofern diese Gesetze nichts anderes bestimmen. § 61 StGB findet daher mangels einer entsprechenden – allgemeinen oder konkreten – Verweisungsnorm im Bereich des DSt keine direkte Anwendung (anders gelagert [keine Übergangsbestimmung, analoge Anwendung des § 61 StGB zur Vermeidung der Verletzung des Gleichheitsgebots] VfGH 11. 6. 2002, SlgNr 16518).

[9]       Im angefochtenen Erkenntnis wird vermeint, dass § 80 Abs 6 DSt nicht „anführt“, dass bedingte Nachsicht einer Geldbuße „nur“ auf nach dem 31. März 2020 begangene Disziplinarvergehen anzuwenden sei, vielmehr ergebe „ausdrückliche Analogie“ dieser Bestimmung die Möglichkeit der in Rede stehenden Rechtswohltat auch auf vor dem Stichtag gesetzte Taten.

[10]     Der klare Wortlaut des § 80 Abs 6 DSt lässt indes keine planwidrige Lücke erkennen, weshalb Analogie bereits vom Ansatz her nicht in Frage kommt. Die Auslegung durch den Disziplinarrat würde vielmehr der genannten Norm jeglichen Sinn und Anwendungsbereich nehmen, was ihr schon methodisch entgegensteht (vgl etwa Kramer, Juristische Methodenlehre3 105 mwN).

[11]     Bei der grundrechtlichen Prüfung – Art 7 Abs 1 zweiter Satz MRK unter Beachtung von Art 49 Abs 1 dritter Satz GRC – ist der Vergleich der zum Tat- und zum Urteilszeitpunkt geltenden Gesetze in ihrer Gesamtheit vorzunehmen (Kröll in Holoubek/Lienbacher GRC-Komm Art 49 Rz 29 mwN).

[12]     Vor dem BRÄG 2020 gab es im DSt zwar nicht die Möglichkeit bedingter Nachsicht einer Geldbuße, wohl aber den klar weniger eingriffsintensiven § 39 („Schuldspruch ohne Strafe“). Die Gesamtbetrachtung erweist das Sanktionenrecht des DSt nach dem 1. April 2020 folglich nicht als milderes Gesetz iSv Art 49 Abs 1 dritter Satz GRC. Damit kann auch die – im Übrigen keineswegs unbestritten gebliebene (Grabenwarter/Pabel EMRK7 § 24 Rz 161) – Entscheidung des EGMR vom 17. September 2009, Zl 10249/03 (Scoppola/Italien) gerade wegen ihres ausdrücklichen Bezugs auf Art 49 Abs 1 GRC im Gegenstand dahinstehen.

[13]     In Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts wegen Nichtigkeit war daher wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden, die Berufung wegen Strafe darauf zu verweisen und die Kostenersatzpflicht des Beschuldigten auszusprechen (§§ 38 Abs 2, 54 Abs 5 DSt).

Textnummer

E133122

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0200DS00003.21B.1102.000

Im RIS seit

22.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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