Entscheidungsdatum
26.07.2021Norm
AsylG 2005 §54Spruch
L518 2210515-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch RA Dr. G. ECKHARTER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.04.2021 zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX , geb. XXXX gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist. Gemäß § 54 und § 55 Abs. 1 Z. 1 und 2 AsylG wird ihr eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz als „bP“ bezeichnet), ist Staatsangehörige der Republik Georgien und hält sich gemäß Zentralem Melderegister seit 14.10.2009 in Österreich auf. Sie hielt sich nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet von 17.10.2011 bis zum 22.10.2017 mit fortlaufend verlängerten Aufenthaltstiteln als Schülerin bzw. Studierende rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Ihr Verlängerungsantrag vom 19.10.2017 wurde am 17.01.2018 jedoch abgewiesen, sodass ihr Aufenthalt im Bundesgebiet seither nicht mehr rechtmäßig ist.
1.2. Am 14.07.2018 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde = bB) die bP wegen Überschreitung der schengenweiten Einreisefrist aufgefordert, das österreichische Bundesgebiet zu verlassen und darauf hingewiesen, dass für den Fall ihrer Nichtausreise die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Rückkehrentscheidung), Sicherungsmaßnahmen und eine Abschiebung nach Georgien in Aussicht genommen würden. Weiters wurde die bB auf die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise unter Gewährung einer Rückkehrhilfe hingewiesen. Zudem wurde am 14.07.2018 der zuletzt bis 22.10.2017 gültig gewesene Aufenthaltstitel der bP nach dem BFA-VG sichergestellt.
Mit 18.07.2018 wurde bei der bB ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem FPG anhängig.
1.3.Die bP hat am 20.07.2018 persönlich beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgesprochen und einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach dem AsylG 2005 gestellt. Es wurde im Formularvordruck ua. angegeben, dass die bP über ein Girokonto mit EUR 10.000 verfügt, eine Krankenversicherung habe und wurde ein Schriftsatz beigelegt. Ausgeführt wurde im Schriftsatz, dass die bP ursprünglich eine Aufenthaltsbewilligung Sonderfall unselbstständige Erwerbstätigkeit inne gehabt hätte und seit 2010 jedenfalls einen Aufenthaltstitel als Schüler bzw. Studierende gehabt hätte. Der negative Bescheid der XXXX vom 17.01.2018 sei ihr nie zugestellt worden und befinde sie sich letztlich noch innerhalb der sichtvermerksfreien Zeit. Sie habe bereits in der Heimat Deutsch gelernt und absolviere seit 2015 einen Lehrgang bei der HTL. Unterkunftmäßig sei sie abgesichert und hätte sie eine Stellenzusage. Die Eltern in der Heimat könnten weder für Unterkunft noch für Verpflegung der bP sorgen, da diese auch auf Zahlungen ihres Bruders aus Spanien angewiesen wären. Es wurden diverse Unterlagen zur Integration und Identität der bP vorgelegt, ua. ein B1 Zertifikat Deutsch des Goethe Instituts in Deutschland vom XXXX .2009.
Sie wurde zudem erneut aufgefordert, das österreichische Bundesgebiet umgehend, spätestens jedoch bis 27.07.2018, 24:00 Uhr, zu verlassen, ansonsten die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Rückkehrentscheidung), Sicherungsmaßnahmen und dien Abschiebung nach Georgien in Aussicht genommen würden. Gleichzeitig wurden am 20.07.2018 der am 01.04.2007 und abgelaufene sowie der am XXXX ausgestellte und gültige georgische Reisepass der bP gemäß § 39 BFA-VG sichergestellt.
1.4.Gegen die Sicherstellung der abgelaufenen Aufenthaltstitel vom 14.07.2018 und der Reisepässe der Beschwerdeführerin vom 20.07.2018 wurde Beschwerde erhoben.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 28.09.2018, Zl. W117 2201687-1/4E wurden die Maßnahmenbeschwerden sowie der Antrag der bP auf Kostenersatz sowie auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung als unbegründet abgewiesen.
I.5. Mit Schreiben der bB vom 04.09.2018 wurde die bP darüber informiert, dass ein Verfahren zur Erlassung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung eingeleitet ist und dass die Behörde gegen sie die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gem. § 52 FPG prüft. Gleichzeitig wurde die bP aufgefordert, zu ihrer Person und ihrem Aufenthalt im Bundesgebiet Auskunft zu erteilen.
Am 14.09.2018 langte die Stellungnahme samt Urkundenvorlage ein. Folgendes wurde bekannt gegeben:
Vorweg ist der angerufenen Behörde zu entgegnen, dass nach herrschender Lehre und Judikatur das Parteiengehör KEINESWEGS im schriftlichen Weg abzuwickeln ist, sondern dass vielmehr die Behörde, um sich nicht dem Vorwurf gravierender Verfahrensmängel aussetzen zu müssen, verpflichtet ist, für die erforderliche Einzelfallbetrachtung die Partei persönlich zu vernehmen, um sich von dieser ein genaues Bild verschaffen zu können. Dies gilt erst recht und dann einschränkungslos, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorgesehen sind. Abgesehen davon, muss es als eigenartig, eigenwillig und effektiv grotesk bezeichnet werden, wenn die Behörde von allem Anfang an kund gibt, dass sie gar nicht bereit ist, ein Verfahren zu dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzuführen, sondern sie vielmehr gleich von Anbeginn an bloß ein Verfahren zur einer möglichen Aufenthaltsbeendigung führt, womit sie das Grunderfordernis der uneingeschränkten Objektivität vermissen lässt.
Weiters ist der Behörde vorzuhalten, dass gem § 55 Abs 1 AsylG im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung Plus“ zu erteilen IST, wenn …, wozu dann kommt, dass gem § 58 Abs 9 leg cit ein derartiger Antrag als unzulässig zurückzuweisen ist, wenn sich der Antragsteller in einem Verfahren nach dem NAG befindet oder bereits über ein Aufenthaltsrecht nach diesem Bundesgesetz oder dem NAG verfügt, was in meinem Fall nicht der Fall ist, sodass der Vorwurf, ich hätte die sichtvermerksfreie Zeit überschritten und wäre deshalb illegal im Bundesgebiet aufhältig, vollkommen verfehlt ist, da eben nur solche Drittstaatsangehörige einen derartigen Aufenthaltstitel beantragen können und dürfen, welche über keine, wie immer namhaft zu machende, Aufenthaltsberechtigung für das Bundesgebiet verfügen, sich aber in demselben, wenn auch nicht rechtmäßig, aufhalten.
Die Behörde wird aber auch zu beachten haben, dass gem § 58 Abs 10 AsylG selbst rechtskräftige Rückkehrentscheidungen außer Acht zu bleiben haben, wenn sich seit Erlassung derselben der Sachverhalt geändert hat und es gilt, das Familien- oder Privatleben des Antragstellers gem Art 8 Abs 1 EMRK zu schützen.
Nicht übersehen werden darf dann auch noch, dass gem § 9 Abs 1 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gem § 52 FPG NUR dann zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der im Art 9 Abs 2 EMRK genannten Ziele DRINGEND GEBOTEN ist. Dieser Eingriff muss nun eine Maßnahme darstellen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist, von welchen die Behörde mir keine Einzige zur Last legen kann, wodurch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auch absolut unzulässig ist. Dementsprechend wird die Behörde im Sinn des § 9 Abs 2 BFA-VG auch zu beachten haben, dass ich mich nun bereits 9 Jahre im Bundesgebiet aufhalte, wovon jedenfalls 8 Jahre rechtmäßig waren, welches Faktum nicht so ganz einfach vom Tisch gewischt werden kann und darf. Ein Familienleben im Bundesgebiet besteht zwar nicht, dafür aber gilt es, mein Privatleben zu schützen, nachdem ich mich noch immer auf der HTL Mödling in Ausbildung befinde, sich mein gesamter Freundeskreis im Bundesgebiet aufhält und ich mir die österreichischen Lebensgewohnheiten derart zu Eigen gemacht habe, dass ich mich in meinem Herkunftsstaat nicht mehr eingliedern könnte. Dementsprechend bin ich hier, auch aufgrund der zwischenzeitig erworbenen Deutschkenntnisse, vollinhaltlich integriert und sozialisiert, gibt es nahezu keine Bindungen zu meinem Herkunftsstaat mehr und bin ich strafrechtlich absolut unbescholten. Auch können mir keine Verstöße gegen die öffentliche Ordnung zur Last gelegt werden, hat mein Privatleben im Bundesgebiet mit einer rechtmäßigen Einreise begonnen und war mein Aufenthalt jedenfalls bis in das Jahr 2018 rechtmäßig, wodurch sämtliche Positionen des § 9 Abs 2 BFA-VG zu meinen Gunsten sprechen und es tatsächlich keinen einzigen Belastungspunkt gibt, Hier verweise ich insbesondere auch darauf, dass ich schon vor dem ersten Aufenthaltstitel der XXXX über eine Aufenthaltsbewilligung als Au Pair verfügte, weshalb der Beginn meines Aufenthalts im Bundesgebiet auch rechtmäßig war.
Der Vorwurf, dass ich derzeit keiner erlaubten Beschäftigung nachgehen würde, entbehrt jeder rechtlichen Grundlage, wozu bloß auf die eindeutigen Bestimmungen des AuslBG verwiesen werden muss, um der Behörde die Haltlosigkeit ihres Vorhalts darzustellen.
Richtig ist, dass ich derzeit noch das Kolleg für Innenraumgestaltung und Holztechnik-Innenraumgestaltung an der XXXX besuche, für dessen Abschluss mir noch zwei Prüfungen für die Fächer Wirtschaft und geometrisch Zeichnen sowie die Diplomprüfung fehlen, welche ich noch in diesem Jahr nachholen möchte, sodass ich nach Abschluss dieses Kollegs sogar Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiss-Rot Karte“ wegen meiner Eigenschaft als Fachkraft hätte.
Dementsprechend ist mir die Zukunft durch Erteilung des hiermit beantragten Aufenthaltstitels zu sichern, nachdem es keine wie immer namhaft zu machende negative Zukunftsprognose geben kann.
Die an mich gerichteten Fragen werden sohin beantwortet wie folgt:
ad 1.
Letztmals im Juni 2016; davor alle 2 Jahre einmal für Kurzaufenthalte
ad 2.
In meiner Heimatstadt XXXX während meiner Urlaube für jeweils 14 Tage.
ad 3.
a. In Georgien 11 Jahre Grundschule mit Maturaabschluss. Der Besuch einer Universität war mir mangels finanzieller Möglichkeiten verwehrt und waren auch alle Versuche, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, erfolglos geblieben.
b. 2008 bis 2009 Au Pair in der BRD mit Besuch einer Sprachschule und Erlangung des B1 – Zeugnisses
c. Seit 2009 in Österreich, davor 1 Jahr Au Pair in XXXX und Besuch weiterer Sprachkurse. 2010 bin ich nach XXXX übersiedelt, musste aber das Wirtschaftskolleg in XXXX abbrechen, weil die gestellten Anforderungen meine Schulkenntnisse bei weitem überstiegen haben. Im Anschluss hieran absolvierte ich den Kurs für das B2-Zeugnis an der Universität XXXX und absolvierte gleichzeitig am Wifi einen Kurs für Printgrafik und Webdesign. Seither besuche ich das Kolleg an der XXXX für Innenarchitektur und Möbeldesign, für dessen Abschluss mir, wie bereits dargestellt, nur noch 2 Prüfungen und die Diplomprüfung fehlen.
Es kann sohin niemand behaupten, dass ich mich nicht ständig fortbilden würde.
ad 4.
Gemäß den eindeutigen Gesetzestexten befinden sich keine Familienangehörige von mir in meinem Herkunftsstaat. An Angehörigen verfüge ich noch über meine Eltern, wobei meine Mutter im Haushalt tätig ist, der Vater wegen eines Herzinfarktes erwerbsunfähig ist, sodass die beiden ausschließlich von dem Geld leben können, welches ihnen mein Bruder monatlich übermittelt. Mein Bruder lebt mit seiner Gattin und den beiden Töchtern in Spanien ( XXXX ). Entfernte Verwandte kann ich nicht namhaft machen, da ich zu diesen seit unvordenklicher Zeit keinerlei Kontakt mehr habe, mir deren Aufenthaltsorte ebenso wenig bekannt sind wie der Umstand, ob sie überhaupt noch am Leben sind. Die Wohnung meiner Eltern wäre für 3 erwachsene Personen zu klein, sodass mir diese nicht einem Unterkunft gewähren könnten.
ad 5.
Ich habe durch die Dauer meine Absenz jeglichen Kontakt zu meinen Schulfreunden, etc verloren, habe all die Neuerungen in meinem Herkunftsstaat nicht mitbekommen und verfüge dagegen im Bundesgebiet über einen erheblichen Freundeskreis zuzüglich einer Vielzahl an Interessenten für die, von mir entworfenen und produzierten, Einrichtungsgegenstände und Taschen, weshalb ich auch mein Studium im Bundesgebiet beenden und in weiterer Folge in einem Architekurbüro als Designerin arbeiten möchte. Hierbei wäre die Eröffnung eines eigenen Designerstudios nicht ausgeschlossen, wenn es die Möglichkeiten zulassen.
ad 6.
Wie bereits nachgewiesen, beträgt das Guthaben auf meinem Girokonto € 10.000,00, erhalte ich, je nach Bedarf, Zuwendungen von meinem Bruder in der Höhe zwischen
€ 100,00 bis € 200,00, bekomme ich fallweise Aufträge für den Entwurf und die Produktion speziell gewünschte Möbelstücke und lassen sich die, von mir entwickelten und produzierten Taschen, auf den, fallweise besuchten, Flohmärkten relativ gut verkaufen, wodurch mein Lebensunterhalt jedenfalls gesichert ist, bezüglich dessen wiederum auf die gesetzlichen Bestimmungen zu § 5 Abs 2 ASVG zu verweisen wäre. Darüber hinaus verfüge ich über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag und befinde mich auch in Gesprächen mit Architekturbüros wegen einer möglichen Anstellung als Designerin, sodass es für mich ausschließlich positive Zukunftsprognosen gibt.
Ergänzend zu den, bereits vorgelegten, Unterlagen iVm den Ausführungen in der Antragsergänzung lege ich nunmehr noch vor die Jahreslohnzettel für 2015, 2016 und 2017, die Auskunft des KSV sowie ein ganzes Paket an Fotos meiner Arbeiten, um die Behörde auch davon zu überzeugen, dass ich sehr wohl geeignet und fähig bin, mir ein Leben als Fachkraft im Bundesgebiet zu organisieren.
Zusammenfassend halte ich deshalb hiermit nochmals fest, dass die, von der Behörde nach meiner persönlichen Einvernahme, vorzunehmenden Abwägungen ergeben werden, dass ich sämtliche Erteilungsvoraussetzungen erfülle und, es kein einziges Erteilungshindernis gibt, weshalb mir auch der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen sein wird.
Aus all den genannten Gründen wiederhole ich deshalb, auch unter Hinweis auf die mit dem Antrag bereits vorgelegten, Unterlagen den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem § 55 AsylG.
Vorgelegt wurden von der bP Unterlagen zu ihren Tätigkeiten in Österreich.
I.6. Der Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 20.07.2018 wurde gemäß § 55 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen und wurde gemäß § 10 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt I.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen gewährt.
I.7. Gegen den im Spruch genannten Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
Im Wesentlichen begründet wurde die Beschwerde mit dem mehr als 9 Jahre dauernden rechtmäßigen Aufenthalt der bP im Bundesgebiet, ihren Deutsch-Kenntnissen auf dem Niveau B1 und ihrer laufenden HTL-Ausbildung, ihrer ortsüblichen Unterkunft, einem arbeitsrechtlichen Vorvertrag, ihrem Bekanntenkreis in Österreich und ihrer privaten Krankenversicherung. Im Herkunftsstaat seien nur noch ihre Eltern aufhältig, welche aber von ihrem in Spanien lebenden Bruder finanziert werden müssten, weil der Vater wegen eines Herzinfarktes erwerbsunfähig und die Mutter stets im Haushalt tätig gewesen sei, weshalb sie keine Hilfe von ihnen zu erwarten hätte. Es gäbe keine Abwägungskriterien, welche zu ihren Ungunsten ausschlagen könnten. Der Eingriff in ihr von Art. 8 EMKR geschütztes Privatleben sei als ausgeschlossen zu bezeichnen. Zudem sei die bP nicht persönlich einvernommen worden und lägen gravierende Verfahrensmängel vor. Die Länderfeststellungen würden die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zeigen. Es wurden diverse Anträge gestellt.
Vorgelegt mit der Beschwerde wurde von der bP Unterlagen zur Integration.
I.8. Mit Schreiben vom 09.09.2019 wurden Semesterzeugnisse der HTL (2016/2017 und 2015/2016 jeweils mit „Nicht genügend“) sowie eine Bestätigung über ein Kolloquium an der HTL und einen Massagekurs vorgelegt.
I.9. Für den 27.04.2021 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Gemeinsam mit der Ladung wurden Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat zugestellt.
In ihrer Stellungnahme vom 19.04.2021 wurde ausgeführt, dass die Länderfeststellungen zur Sicherheitslage sowie sozialen Lage nicht richtig wären und sie zudem aufgrund des Auslandsaufenthalts keinen Anspruch habe. Hingewiesen wurde auf die Covid-Lage und seien die Bemühungen der bP, Berufsabschlüsse zu erlangen, an den Maßnahmen gescheitert. Es wurden weitere Unterlagen zur Integration, eine Wohnrechtsvereinbarung, ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag vom 06.04.2021, ein Kontoauszug mit einem Saldo von ca. EUR 8000,-, Unterstützungsschreiben und Kursbestätigungen (Massage und Lymphdrainage Grundkurs) und ein Bericht zum Kaukasus Konflikt vorgelegt.
Die bP wurde zu ihren persönlichen Verhältnissen befragt und konnte ihre sehr guten Deutschkenntnisse belegen.
Abschließend befragt gab die rechtsfreundliche Vertretung an:
RV: Ich verweise abschließend darauf, dass die P nun seit 12 Jahren in Österreich aufhältig ist, wovon jedenfalls 8 Jahre rechtmäßig waren und ist es herrschende Judikatur, dass bei einem Aufenthalt von 10 Jahren und mehr die öffentlichen Interessen gegenüber den privatrechtlichen Interessen und dem Privatleben vollkommend zurückzutreten haben, ausgenommen die P weist strafrechtliche Verurteilungen und ein sonstiges Verhalten auf, welches mit den öffentlichen Interessen und der Sicherheitsglase nicht vereinbar ist, was der P samt und sonders nicht angelastet werden kann und darf. Ihre Deutschkenntnisse sind absolut einwandfrei. Sie hat schon in Ihrer Heimat Deutschkurse besucht und erweist sich, dass sie seit sie in Österreich ist, sich ständig fort- und weiterbildet, was ihr in Georgien nicht mehr möglich wäre. Dementsprechend wäre die Feststellung einer Rückkehrentscheidung unzulässig.
Vorgelegt in der Verhandlung wurde von der bP:
? Bilder, die von der P angefertigt wurden
? - Krankenversicherung vom 06.04.2021
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
II.1.1. Die beschwerdeführende Partei
II.1.1.1. Bei der bP handelt es sich um eine im Herkunftsstaat der Mehrheits- und Titularethnie angehörige Georgierin, welche aus einem überwiegend von Georgiern bewohnten Gebiet stammt und sich zum Mehrheitsglauben des Christentums bekennt. Sie ist Fremde iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG 2005.
Sie wurde in Georgien geboren und hat dort 11 Jahre die Schule besucht und die Matura absolviert. Sie spricht Georgisch.
Sie ist seit 14.10.2009 im Bundesgebiet gemeldet und war vorerst als Au-Pair in Deutschland und dann in Österreich tätig.
Am 17.10.2011 wurde ihr erstmals seitens der XXXX ein Aufenthaltstitel „Schüler“ mit Gültigkeit bis 17.10.2012 erteilt. Nach Ablauf des Aufenthaltstitels wurde ihr am 18.10.2012 ein Aufenthaltstitel „Studierende“ mit Gültigkeit bis 18.10.2013 erteilt. Den darauffolgenden Verlängerungsanträgen wurde stattgegeben und erfolgte die letztmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels am 20.10.2016. Am 19.10.2017 stellte sie erneut einen Verlängerungsantrag, welcher am 17.1.2018 seitens des Magistrats der Stadt Wien MA 35 aufgrund mangelnden Schulerfolgs abgewiesen wurde.
Sie hielt sich nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet bis zum 22.10.2017 mit fortlaufend verlängerten Aufenthaltstiteln rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Ihr Verlängerungsantrag vom 19.10.2017 wurde am 17.01.2018 jedoch abgewiesen, sodass der Aufenthalt im Bundesgebiet seither nicht mehr rechtmäßig ist. Der am 20.07.2018 gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK gewährte kein Recht zum Aufenthalt.
Die bP ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer –wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.
Familienangehörige leben nach wie vor in Georgien. Die Eltern haben zuletzt ihre Wohnung verkauft und der bP einen Teil des Erlöses überwiesen, sodass sie über ca. 8000 Eur Vermögen verfügt. Der Bruder lebt in Spanien und unterstützt die Eltern der bP. Der Vater kann nach einer Erkrankung nicht mehr arbeiten, die Mutter ist Hausfrau. Die Eltern leben aktuell in einem vom Bruder der bP gekauften Haus in Georgien. Bis 2017 besuchte sie regelmäßig ihre Verwandten in Georgien zu urlaubszwecken.
Die bP ist ledig und kinderlos.
II.1.1.2. Die bP hat in Österreich keine Verwandten und lebt mit Wohnrechtsvereinbarung bei einer Familie, welche sie auch sonst in anderen Belangen unterstützt. Sie hält sich seit 12 Jahren, davon ca. 8 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Sie ist strafrechtlich unbescholten und spricht sehr gut Deutsch. Sie hat sich für die A2 ÖIF Prüfung im Mai 2021 unter der Bedingung der Zulässigkeit aufgrund Covid angemeldet. Sie hat am XXXX .2009 in Deutschland am Goethe Institut die Deutschprüfung B1 mit Befriedigend abgelegt.
Festgestellt wird weiters, dass sie von 15.10.2009 – 25.09.2010 und 14.09.2015 bis 10.09.2017 als geringfügig beschäftigte Arbeiterin gemeldet war und über Beschäftigungsbewilligungen verfügte. Sie verfügt in Österreich überdies über einen aufrechten Krankenversicherungsschutz.
Von 21.05.2012 bis 15.06.2012 hat sie eine Lehrveranstaltung am Wifi besucht. Im Semesterzeugnis der HTL (Kolleg für Berufstätige) im Schuljahr 2015 / 2016 und 2016 / 2017 scheinen „Nicht genügend“ auf.
Ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag aus 2021 als Haushaltshilfe wurde in Vorlage gebracht. Die Identität der bP steht fest. Zuletzt hat sie einen Massagekurs und einen Lymphtrainagekurs absolviert. Sie hilft ehrenamtlich im interkulturellen Verein einer Freundin und weist ein soziales Netzwerk in Österreich auf.
Bei der volljährigen bP handelt es sich um einen mobilen, jungen, gesunden, arbeitsfähigen Menschen. Einerseits stammt die bP aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehört die bP keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. So war es der bP auch vor dem Verlassen ihres Herkunftsstaates möglich, dort ihr Leben zu meistern.
II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Georgien
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei Georgien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:
Politische Lage
Letzte Änderung am 13.7.2020
In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 10.3.2020).
Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl für maximal zwei Amtszeiten von je fünf Jahren gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 10.3.2020).
Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabishvili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60% gegen ihren Konkurrenten Grigol Vashadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakashvili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabishvili (OSCE/ODIHR 29.11.2018).
Am 8.10. und 30.10.2016 fanden Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei „Georgischer Traum“ sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze gewann. Die „Vereinigte Nationale Bewegung“ (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die „Allianz der Patrioten Georgiens“ (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl am 30.10.2016 in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der „Georgische Traum“ 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016).
Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die übernächsten, 2024 stattfindenden Wahlen beschlossen (KP 23.11.2019a; vgl. RFE/RL 28.11.2019). Demonstrationen im Juni 2019 führten unter anderem dazu, dass bereits bei der für Oktober 2020 angesetzten Wahl die Parlamentssitze nach dem Verhältniswahlrecht vergeben werden sollten (DW 24.6.2019; vgl. RFE/RL 5.8.2019). Die notwendige Drei-Viertel-Mehrheit zur Abänderung des Wahlgesetzes für die Wahl 2020 kam infolge des parlamentarischen Abstimmungsverhaltens der Regierungspartei „Georgischer Traum“ nicht zustande (KP 23.11.2019a; vgl. NZZ 20.11.2019).
Zu Beginn des Jahres 2020 kam es zu Verhandlungen zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien, wobei im März 2020 ein Kompromiss erzielt werden konnte. Bei den kommenden Wahlen im Oktober 2020 werden 120 Abgeordnete über proportionale Parteilisten und 30 Abgeordnete über das Mehrheitswahlsystem (Wahlkreise mit einem einzigen Mandat) gewählt werden. Die Wahlhürde für die Verhältniswahl wird auf 1% der Stimmen festgelegt. Es wird ein Begrenzungsmechanismus eingeführt, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40 % der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf (civil 8.3.2020; vgl. KP 11.4.2020).
Quellen:
? CW - Caucasus Watch (29.11.2018): Surabischwili gewinnt Wahl: Georgien bekommt erstmals eine Präsidentin, http://caucasuswatch.de/news/1190.html, Zugriff 12.8.2019
? civil.ge (8.3.2020): Georgian Dream, Opposition Reach Consensus over Electoral Reform, https://civil.ge/archives/341385, Zugriff 9.3.2020
? DW – Deutsche Welle (24.6.2019): Proteste in Tiflis trotz Zugeständnissen, https://www.dw.com/de/proteste-in-tiflis-trotz-zugest%C3%A4ndnissen/a-49339505, Zugriff 13.8.2019
? FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.11.2018): Georgien bekommt eine Präsidentin, https://www.faz.net/aktuell/salome-surabischwili-wird-neue-praesidentin-in-georgien-15915289.html, Zugriff 12.8.2019
? FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020
? KP – Kaukasische Post (23.11.2019a): Vorhängeschlösser und Wasserwerfer ersetzen den politischen Diskurs, http://www.kaukasische-post.com/?p=3078, Zugriff 17.1.2020
? KP – Kaukasische Post (23.11.2019b): Welches Wahlrecht für Georgien?, http://www.kaukasische-post.com/?p=3075, Zugriff 17.1.2020
? KP – Kaukasische Post (11.4.2020): Neues Wahlrecht mit Virus infiziert?, in: Kaukasische Post Ausgabe März 2020, Seiten 1,2.
? NZZ – Neue Zürcher Zeitung (20.11.2019): Georgiens Politiker manövrieren sich in eine Sackgasse, https://www.nzz.ch/international/georgien-proteste-nach-gebrochenem-versprechen-ld.1522982, Zugriff 22.11.2019
? OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (29.11.2018): International Election Observation Mission, Georgia – Presidential Election, Second Round, 28 November 2018 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/georgia/404642?download=true, Zugriff 12.8.2019
? RFE/RL – Radion Free Europe/Radion Liberty (28.11.2019): Georgian Police Cordon Off Parliament Building To Prevent Opposition Rally, https://www.rferl.org/a/georgian-police-cordon-off-parliament-building-to-prevent-opposition-rally/30297334.html, Zugriff 2.12.2019
? RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (1.11.2016): Georgia's Ruling Party Wins Constitutional Majority, http://www.rferl.org/a/georgia-elections-second-round-georgian-dream-super-majority/28085474.html, Zugriff 12.8.2019
? RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (5.8.2019): Georgian Parliament Speaker Presents Amendments To Electoral Code, https://www.rferl.org/a/georgian-parliament-speaker-presents-amendments-to-electoral-code/30093372.html, 13.8.2019
? Der Standard (31.10.2016): Regierungspartei kann Georgien im Alleingang regieren, http://derstandard.at/2000046738001/Wahlsieg-von-Regierungspartei-in-Georgien-in-zweiter-Runde-bestaetigt, Zugriff 12.8.2019
1. Sicherheitslage
Letzte Änderung am 13.7.2020
Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen (EDA 23.3.2020; vgl. BMEIA 13.5.2020). Die Kriminalität ist gering (MSZ 25.5.2020; vgl. EDA 23.3.2020).
Die EU unterstützt durch die Arbeit des EU-Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und die EU-Beobachtermission (EUMM) aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung. 2009 wurde der Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM) geschaffen, der Risiko- und Sicherheitsfragen der Gemeinden in den abtrünnigen Regionen Abchasiens und Südossetiens erörtern soll (EC 30.1.2019).
Quellen:
? BMEIA – Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten der Republik Österreich (13.5.2020): Reiseinformation Georgien, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/georgien/, Zugriff 10.6.2020
? EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 30.1.2019
? EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (23.3.2020): Reisehinweise für Georgien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/georgien/reisehinweise-georgien.html, Zugriff 10.6.2020
? MSZ – Ministerstwo Spraw Zagranicznych Rzeczypospolitej Polskiej (25.5.2020): Informacje dla podró?uj?cych – Gruzja, https://www.gov.pl/web/dyplomacja/gruzja, Zugriff 10.6.2020
2. Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung am 16.3.2020
Georgien hat bei der Reform des Justizsektors bescheidene Fortschritte erzielt. Es gibt noch immer wichtige Herausforderungen, um die erzielten Fortschritte zu konsolidieren und die Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Die Zivilgesellschaft hat Bedenken hinsichtlich einer möglichen politischen Einmischung in die Justiz und den Medienpluralismus. Die wirksame Umsetzung der Rechtsvorschriften zu Menschenrechten und Antidiskriminierung stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Am 23.3.2018 schloss das georgische Parlament den Prozess der Verfassungsreform ab. Die überarbeitete Verfassung enthält neue Bestimmungen über die Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierung und Kinderrechte (EC 30.1.2019).
Die Stärkung eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der Regierung und wird fortgesetzt. NGOs begleiten den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch mit. Ungeachtet der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wenig ausgeprägt. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis [zum Regierungswechsel] 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch fingierte Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden von georgischen und ausländischen NGOs nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 19.10.2019).
Trotz der laufenden Justizreformen bleiben die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Gerichte ein erhebliches Problem, ebenso wie die Korruption und der Mangel an Transparenz und Professionalität bei Gerichtsverfahren. Nach einem neuen verfassungsrechtlichen Rahmen, der nach den Präsidentschaftswahlen 2018 in Kraft trat, werden die Richter des Obersten Gerichtshofs nicht mehr vom Präsidenten, sondern vom Hohen Justizrat ernannt und vom Parlament gebilligt. Ein gerichtliches Selbstverwaltungsorgan wählt die Mehrheit der Mitglieder des Rates (FH 10.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020
? EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 22.8.2019
? FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020
3. Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung am 13.7.2020
Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst (SSSG) tragen die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der Gesetze und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das Ministerium ist die primäre Organisation der Strafverfolgung und umfasst die nationale Polizei, die Grenzsicherheitsdienste und die georgische Küstenwache. Der SSSG ist der Inlandsnachrichtendienst, der für Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und Korruptionsbekämpfung zuständig ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass die zivilen Behörden zeitweise keine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte ausüben (USDOS 11.3.2020).
Seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 ist von Machtmissbrauch von Amtsträgern nicht mehr die Rede. Bis 2012 waren Exekutivorgane, z.B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, als Machtinstrument oder als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung wirtschaftlicher Vorteile von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen missbraucht worden. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter des Gesetzes werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch als untätig wahrgenommen. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf. NGOs fordern jedoch eine organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium (AA 19.10.2019).
Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte ist begrenzt (USDOS 11.3.2020) und Straffreiheit bei Misshandlungsfällen bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Das 2018 geschaffene Büro der staatlichen Inspektoren (State Inspector‘s Office) nahm seine Arbeit am 1.11.2019 auf (HRW 14.1.2020). Neben der Beobachtung etwa der gesetzeskonformen Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist eine weitere Hauptaufgabe des State Inspector‘s Service die unparteiische und wirksame Untersuchung schwerer Verbrechen (inklusive Folter), die von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden gegen die Menschenrechte und Freiheiten verübt werden, sowie Untersuchung von Straftaten, die unter Anwendung von Gewalt oder unter Verletzung der persönlichen Würde eines Opfers begangen wurden (SIS 22.8.2019; vgl. HRW 14.1.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020
? Eurasianet (19.4.2020): Dashboard: Coronavirus in Eurasia, https://eurasianet.org/dashboard-coronavirus-in-eurasia, Zugriff 20.4.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Georgia, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/georgia, Zugriff 17.1.2020
? SIS - State Inspector‘s Service (22.8.2019): Who we are? https://personaldata.ge/en/about-us#, Zugriff 22.8.2019
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2020
4. Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung am 16.3.2020
Während die Verfassung und das Gesetz Folter verbietet, gibt es Berichte, dass sie von Regierungsbeamten angewandt wird (USDOS 11.3.2020). Umfangreicher Personalaustausch, insbesondere in den Behördenleitungen, die juristische Aufarbeitung (Strafverfahren gegen Verantwortliche) sowie durchgreifende Reformen bei Polizei und im Strafvollzug haben Vorfälle von Gewaltanwendung auf Einzelfälle reduziert, ein systemischer Charakter ist nicht mehr feststellbar. Ombudsperson und zivilgesellschaftliche Organisationen sprechen bekannt werdende Vorfälle von Gewaltanwendung und gegebenenfalls unzureichend betriebene Ermittlungen öffentlich an (AA 19.10.2019).
Beim Besuch des Europäischen Anti-Folterkomitees des Europaratals (CPT) im September 2018 wurden seitens Personen, die sich in Polizeigewahrsam befanden oder zuvor befunden hatten kaum Anschuldigungen wegen Misshandlung durch Polizeibeamte erhoben. Keinerlei diesbezügliche Anschuldigungen gab es gegenüber dem Personal in temporären Haftinstitutionen (CoE-CPT 10.5.2019). Das Büro der Ombudsperson erhielt im Zeitraum Jänner bis September 2019 54 Beschwerden über Misshandlungen durch Gefängnispersonal oder die Polizei und ersuchte hierbei die Staatsanwaltschaft, in 52 Fällen Untersuchungen einzuleiten. Keine der Untersuchungen führte zu einer Strafverfolgung (HRW 14.1.2020).
Was Misshandlung betrifft, gab es den Aktionsplan zur Bekämpfung von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe für den Zeitraum 2017-2018. Fälle von Misshandlungen im Strafvollzug haben sich im Gegensatz zu Fällen von Misshandlungen durch Polizeibeamte verringert (EC 30.1.2019).
In ihrem Jahresbericht 2019 an das Parlament berichtet die Ombudsfrau von Fällen von Misshandlungen auf Polizeistationen und in Haftanstalten. Verbesserungen zum Schutz der Häftlinge vor Misshandlung blieben eine wichtige Aufgabe der georgischen Regierung. Die öffentlich erhobenen Forderungen nach unabhängiger Untersuchung mündeten in der Einrichtung einer unabhängigen Stelle (Service of State Inspector; vgl. Abschnitt 4. Sicherheitsbehörden), die auch die Aufgaben des bestehenden Datenschutzbeauftragten umfasst. Es stößt jedoch auf deutliche Kritik, dass dieses Amt nicht mit einem eigenen Budget und staatsanwaltlichen Befugnissen ausgestattet ist (AA 19.10.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020
? CoE-CPT – Council of Europe - European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (10.5.2019): Report to the Georgian Government on the visit to Georgia carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 10 to 21 September 2018 [CPT/Inf (20 19 )16], https://www.ecoi.net/en/file/local/2009081/2019-16-inf-eng.docx.pdf, Zugriff 22.8.2019
? EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 22.8.2019
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Georgia, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/georgia, Zugriff 17.1.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2020
5. Korruption
Letzte Änderung am 13.7.2020
In Bezug auf die Prävention und Bekämpfung von Korruption hat Georgien seine Antikorruptionsstrategie und den mit den Verpflichtungen der EU-Assoziationsagenda im Einklang stehenden Aktionsplan weiter umgesetzt. Allerdings bestehen nach wie vor einige Bedenken hinsichtlich Korruption auf hoher Ebene (EC 30.1.2019; vgl. SWP 5.2020).
Während das Land bei der Bekämpfung der kleinen Korruption erhebliche Fortschritte gemacht hat, bleibt die Korruption innerhalb der Regierung ein Problem (FH 10.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, SWP 5.2020). In einigen Fällen hat sie bei der staatlichen Postenbesetzung angeblich die Form von Vettern- und Günstlingswirtschaft angenommen. Die wirksame Anwendung von Antikorruptionsgesetzen und -vorschriften wird durch die mangelnde Unabhängigkeit sowohl der Strafverfolgungsbehörden als auch der Justiz beeinträchtigt (FH 10.3.2020; vgl. SWP 5.2020). Erfolgreiche Klagen gegen hochrangige Beamte, die mit der Führung der Regierungspartei „Georgischer Traum“ in gutem Einvernehmen stehen, sind selten (FH 10.3.2020).
Im „Corruption Perceptions Index 2019“ von Transparency International erreichte Georgien 56 von 100 [bester Wert] Punkten und lag damit auf Rang 44 von 180 Ländern (TI 31.1.2020). (2018: 58 Punkte und Rang 41 von 180 Ländern) (TI 29.1.2019). Das Land steht vor einem Rückfall in der Demokratieentwicklung, was es anfällig für Korruption auf hoher Ebene macht. Dieser Rückwärtstrend ist unter anderem auf die mangelnde Rechenschaftspflicht bei der Strafverfolgung, Korruption und politische Einmischung in die Justiz und von der Regierung unterstützte Angriffe auf die unabhängige Zivilgesellschaft zurückzuführen. Trotz der dringenden Notwendigkeit, Fälle von Korruption und Fehlverhalten in der Regierung zu untersuchen, hat Georgien es versäumt, unabhängige Stellen einzurichten, die dieses Mandat übernehmen. Straflosigkeit trägt zum öffentlichen Misstrauen bei. Laut einer 2018 von Transparency International Georgia durchgeführten Umfrage glauben 36% der Bürger, dass Beamte ihre Macht zum persönlichen Vorteil missbrauchen. Das ist ein Anstieg des Wertes verglichen mit nur 12% im Jahr 2013 (TI 5.2019).
Quellen:
? EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 22.8.2019
? FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020
? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik / Uwe Halbach (5.2020): SWP-Studie 8 - Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S08_suedkaukasus.pdf, Zugriff 9.6.2020
? TI - Transparency International (29.1.2019): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/GEO, Zugriff 22.8.2019
? TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://files.transparency.org/content/download/2450/14822/file/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 11.2.2020
? TI - Transparency International (29.15.2019b): Eastern Europe & Central Asia: weak checks and balances threaten anti-corruption efforts, https://www.transparency.org/news/feature/weak_checks_and_balances_threaten_anti_corruption_efforts_across_eastern_eu, Zugriff 5.3.2020
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2020
6. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung am 13.7.2020
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) können sich in der Regel ohne Probleme registrieren und ihre Arbeit durchführen. Sie werden in der Öffentlichkeit gut wahrgenommen, von der Regierung generell respektiert und können auch Einfluss auf die politische Willensbildung ausüben. Einige wurden auch an wichtigen politischen Verfahren als Berater beteiligt (AA 19.10.2019).
Trotz der Schwäche der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Bezug auf die Zahl der Mitglieder und der Abhängigkeit von finanziellen Zuwendungen aus dem Ausland spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Formulierung der staatlichen Politik und der Aufsicht. Über die von der EU unterstützten Nationalen Plattform des Forums der Zivilgesellschaft hat letztere die Möglichkeit, ihre Anliegen auf internationaler Ebene zu äußern (BS 29.4.2020).
Während manche NGOs in die politischen Diskussionen einbezogen werden, berichten andere, dass sie unter Druck stehen, vor allem in Form von öffentlicher Kritik von Regierungsbeamten aber auch seitens der Opposition (FH 10.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020
? BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Georgia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029512/country_report_2020_GEO.pdf, Zugriff 10.6.2020
? FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020
7. Ombudsperson
Letzte Änderung am 16.3.2020
Die Ombudsperson (Public Defender of Georgia) überwacht die Einhaltung der Menschenrechte und Freiheiten in Georgien. Sie berät die Regierung in Menschenrechtsfragen. Sie analysiert auch die Gesetze, Richtlinien und Praktiken des Staates in Übereinstimmung mit internationalen Standards und gibt entsprechende Empfehlungen ab. Die Ombudsperson übt die Funktionen des Nationalen Präventionsmechanismus (NPM) aus, der im Fakultativprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OPCAT) vorgesehen ist. Basierend auf dem Gesetz zur "Beseitigung aller Formen der Diskriminierung" wird die Ombudsperson auch als Gleichbehandlungsstelle definiert, deren Hauptfunktion darin besteht, die Umsetzung des Gesetzes zu überwachen. Das Büro der Ombudsperson führt zudem Bildungsaktivitäten im Bereich der Menschenrechte und Freiheiten durch und reicht beim Verfassungsgericht von Georgien Beschwerden ein, falls die Menschenrechte und Freiheiten durch einen normativen Akt verletzt werden. Die Ombudsperson ist ferner ermächtigt, die Funktion des Amicus Curiae [Anm.: eine unbeteiligte Partei, der es gestattet ist, zu wichtigen Fragen eines anhängigen Rechtsstreits Stellung zu nehmen] bei den ordentlichen Gerichten und dem Verfassungsgericht von Georgien auszuüben (ENNHRI 19.12.2017).
Mit dem Büro des Public Defenders (Ombudsperson), aber auch dem Menschenrechtsausschuss des Parlaments bestehen weithin bekannte Institutionen und Beschwerdeeinrichtungen. Sie verfügen zwar nicht über eigene Sanktionsmittel, nutzen aber sehr aktiv ihre Befugnisse, Missstände und individuelle Beschwerdefälle zu untersuchen, die Ergebnisse zu veröffentlichen und Empfehlungen an Regierungsbehörden zu geben. Mit ihren sehr zahlreichen öffentlichen Stellungnahmen zu vielen Themen und Einzelfällen und mit konkreten Empfehlungen an Regierungsstellen erzielt sie viel öffentliche Aufmerksamkeit. Die Ombudsperson veröffentlicht auch regelmäßig Berichte über ihre Erkenntnisse zur Menschenrechtslage, die vom Menschenrechtsausschuss des Parlaments diskutiert werden. Außerdem kann die Ombudsperson die Staatsanwaltschaft auffordern Untersuchungen einzuleiten und Verfassungsklagen erheben. Die Zahl der Regionalbüros im Land stieg auf zehn. Der stetige Anstieg der Beschwerden zeigt ein zunehmendes Bewusstsein der Bevölkerung für ihre Rechte und ein zunehmendes Ansehen der Institution der Ombudsperson (AA 19.10.2019).
NGOs betrachten das Amt der Ombudsperson als objektivste aller staatlichen Einrichtungen, die sich mit Menschen- und Bürgerrechten befassen. Während das Büro der Ombudsperson im Allgemeinen ohne staatliche Einmischung arbeitet und als effizient gilt, berichtet die Ombudsperson im Gegenzug, dass die Regierungsstellen manchmal nur teilweise oder gar nicht auf Anfragen und Empfehlungen reagieren, obwohl sie verpflichtet sind, innerhalb von zehn Tagen zu antworten und Folgemaßnahmen innerhalb von 20 Tagen einzuleiten (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020
? ENNHRI – European Network of National Human Rights Institutions (19.12.2017): The Public Defender (Ombudsman) of Georgia, http://www.ennhri.org/The-Public-Defender-Ombudsman-of-Georgia-131, Zugriff 26.8.2019
? USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2020
8. Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung am 13.7.2020
Artikel 7 der georgischen Verfassung verpflichtet den Staat zu Anerkennung und Schutz der universellen Menschenrechte; sie sind direkt anwendbares Recht für Staat und Bürger. Einzelne Menschenrechte sind explizit in eigenen Verfassungsartikeln aufgeführt. Mit dem Büro des Public Defenders (Ombudsperson), aber auch dem Menschenrechtsausschuss des Parlaments bestehen weithin Institutionen und Beschwerdeeinrichtungen. Auch Staatsanwaltschaft und Gerichte, die in Georgien an Unabhängigkeit und Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen haben, werden zunehmend zur Wahrung individueller Rechte in Anspruch genommen. Darüber hinaus können lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen ohne jede staatliche Behinderung ermitteln und öffentlichkeitswirksam Ergebnisse präsentieren und Kritik äußern. Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten werden vom georgischen Staat weitgehend geachtet und gestärkt. Gesellschaftlich sind diese Rechte aber noch nicht weit genug akzeptiert, sodass Minderheiten und Andersdenkende in der Gesellschaft mit faktischer Benachteiligung rechnen müssen. Vereinzelt kommt es auch zu gewalttätigen Handlungen. Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und im Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann (AA 19.10.2019).
Im Jahr 2019 wurde das Anti-Diskriminierungsgesetz und der Arbeitnehmerschutz verbessert. Sexuelle Belästigung wurde als Vergehen in relevante Gesetze aufgenommen. Die Justiz erfüllt 2018 nicht die Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Verfahrensrechte für Opfer haben sich nicht verbessert (HRC 2020). Die Straffreiheit bei Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 14.1.2020).
Minderheitengruppierungen haben Schwierigkeiten, die Grundre