Entscheidungsdatum
28.07.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W154 1433178-2/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.3.2020, Zl. 821025401/180658935, nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung vom 11.5.2020, Zl. 821025401/180658935 - 1, und dem Vorlageantrag vom 20.5.2020 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung bestätigt, dass Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides zu lauten hat:
II. Die Ihnen mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.11.2016, Zahl 821025401 – 2111135/BMI-BFA_TIROL_RD, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 8.8.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen einer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag und seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23.1.2013 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, ledig zu sein, der Volksgruppe der Paschtunen und dem sunnitischen Glauben anzugehören. Er stamme aus Tora-Bora in der Provinz Nangarhar, seine Muttersprache sei Paschtu. Drei Jahre vor seiner Ausreise aus Afghanistan sei er nach Jalalabad gezogen, wo er auf der Straße Gemüse verkauft und in einem Mietshaus gewohnt habe. Finanziell sei es ihm gut gegangen.
Physische oder psychische Probleme gebe es keine, der Beschwerdeführer sei gesund und leide an keiner Krankheit.
3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 7.2.2013, Zl. 12 10.254 – BAI, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
4. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 10.12.2015, GZ W137 1433178-1/21E, hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab (Spruchpunkt I.), gab der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides statt und erkannte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten im Bezug auf dem Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung
als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 10.12.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).
Dabei stellte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest, der Beschwerdeführer habe keine Schulbildung und keine Berufsausbildung. In Afghanistan habe er in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes begründete es im Wesentlichen damit, dass sich im Fall des Beschwerdeführers aus den Feststellungen zu seiner persönlichen Situation vor dem Hintergrund der spezifischen Länderfeststellungen zu Afghanistan konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses seiner Rückverbringung in die Heimat ergäben. In der Heimatprovinz Nangarhar lebten zwar noch sein Onkel mütterlicherseits und seine Schwägerin, jedoch gehöre Nangarhar zu den zwischen regierungsfeindlichen und regierungsfreundlichen Kräften am meisten umkämpften Provinzen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer, der keine Schulbildung und keinen Beruf erlernt habe, in Afghanistan außerhalb Nangarhars über tragfähige familiäre Beziehungen oder Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse verfüge oder tatsächliche Unterstützung und Schutz erhalten würde. Ausgehend davon sei mit Blick auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers zu erkennen, dass er im Falle seiner nunmehrigen Rückkehr bezogen auf das gesamte Staatsgebiet in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.
5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) vom 21.11.2016, Zahl 821025401 – 2111135/BMI-BFA_TIROL_RD, wurde dem Beschwerdeführer die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 10.12.2018 erteilt.
Begründet wurde dies allgemein damit, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat im Zusammenhang mit dem Vorbringen bzw. dem Antrag des Beschwerdeführers das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet würden.
6. Mit Schreiben des Landesgerichtes Innsbruck vom 25.4.2019 wurde dem Bundesamt mitgeteilt, dass über den Beschwerdeführer die Untersuchungshaft angeordnet worden sei.
Mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 2.10.2019 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB beschuldigt werde (17 St 89/19y).
7. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 9.12.2019 durch das Landesgericht Innsbruck als Geschworenengericht unter GZ 24 Hv 84/19w für schuldig erkannt, dass namentlich genannte Opfer durch Versetzung von zumindest zwei Schlägen mit einer Axt gegen den Kopf absichtlich schwer (§ 84 Abs. 1 StGB) am Körper verletzt zu haben. Dadurch habe der Beschwerdeführer das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB begangen und sei zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren gemäß § 369 Abs. 1 StPO zur Zahlung eines Teilschmerzensgeldbetrages in der Höhe von € 1500 an den namentlich genannten Privatbeteiligten binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung zu Handen dessen Vertreters sowie gemäß § 389 Abs. 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt worden. Die erlittene Vorhaft vom 22.4.2019 bis 9.12.2019 wurde gemäß § 38 Abs. 1 Z 1 StGB auf die verhängte Strafe angerechnet. Gemäß § 43a Abs. 4 StGB sei ein Teil der Freiheitsstrafe, und zwar zwei Jahre, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden. Gemäß § 265 StPO wurde der Beschwerdeführer aus der zu diesem Verfahren zu 24 Hv 84/19w des Landesgerichtes Innsbruck zu verbüßenden Haft gemäß § 46 Abs. 1 StGB nach Verbüßung der Hälfte der zu verbüßenden Freiheitsstrafe nicht bedingt entlassen.
Gegen dieses Urteil erhob die Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen des Ausspruches über die Strafe Berufung, welcher mit Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 11.2.2020 zu 11 Bs 10/20p teilweise Folge gegeben und die Gewährung teilbedingter Strafnachsicht nach § 43a Abs. 4 StGB aus dem Ersturteil ausgeschieden wurde. Nach § 390a Abs. 1 StPO fielen dem Beschwerdeführer auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
8. Die belangte Behörde leitete in weiterer Folge von amtswegen ein Aberkennungsverfahren ein und führte am 9.3.2020 in den Räumen der Justizanstalt zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts unter Heranziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu eine niederschriftliche Einvernahme durch.
Dabei erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zunächst, gesund zu sein und außer Tabletten gegen seine Nasenschmerzen, die 2014 begonnen hätten, keinerlei Medikamente zu nehmen. Der Arzt habe ihm die konkrete Diagnose nicht gesagt, aber er hätte ein Antibiotikum bekommen. Beschränkt würde er in seiner Arbeitsfähigkeit nicht, er könne nicht mit Freunden in einer Gruppe sprechen, jedoch alleine arbeiten. Die ärztlichen Befunde habe er bei einem im Österreich lebenden Freund, dem Beschwerdeführer wurde eine Frist von einer Woche zur Vorlage dieser Unterlagen gewährt.
Der Beschwerdeführer befinde sich seit August 2012 in Österreich, sei illegal eingereist und habe, abgesehen von seinem subsidiären Schutz, über keine Visa oder Aufenthaltstitel verfügt.
2015 habe er seinen subsidiären Schutz erhalten, beim Bauhof gearbeitet, in der Volksschule gearbeitet und Deutschkurse besucht. Zudem sei er auch in einer Supermarktkette tätig gewesen. Als er wegen seiner Nasenschmerzen nicht gearbeitet habe, habe er privat Deutschkurse gesucht. 2019 sei er bei einer weiteren Firma tätig gewesen und danach habe er dieses „Problem“ (die Straftat) gehabt.
Seit seiner Ausreise aus Afghanistan habe er sich als Person weiterentwickelt und in verschiedenen Bereichen gearbeitet. Er habe zwar keinen Beruf erlernt, jedoch viele Erfahrungen in unterschiedlichen Branchen gesammelt und Deutschkenntnisse erworben.
Seit einem Jahr sei er verlobt, damals habe seine Verlobte in Pakistan gelebt, jetzt sei sie in Jalalabad bei ihren Eltern. Sie habe vier Brüder und sechs Schwestern. Angemerkt wurde im Protokoll, dass der Beschwerdeführer lange überlegte, bis ihm der Nachname seiner Verlobten einfiel. Er selbst habe keine Kinder und lebe ansonsten mit niemanden in einer Familiengemeinschaft oder Lebensgemeinschaft. In Österreich existierten auch keine Verwandten oder Personen, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bestehe.
Es gebe mehrere afghanische und österreichische Freunde, hauptsächlich habe der Beschwerdeführer Zeit mit Österreichern verbracht. Er besuche regelmäßig die Moschee, wenn er Zeit habe, und immer freitags. Vor seiner Inhaftierung habe er Kontakt mit seinem damaligen Rechtsvertreter gehabt, zu der Person, mit der dann Probleme gehabt habe und zu seinen mit Vornamen angeführten Freunden.
Vor seiner Einreise in das Bundesgebiet habe der Beschwerdeführer nur Berufserfahrungen in der Landwirtschaft gesammelt. Zu seinen Tätigkeiten im Bundesgebiet wurde ihm der vorliegende Versicherungsdatenauszug vom 5.3.2020 vorgehalten, wonach er ua. im Zeitraum 23.2.2016 bis 30.6.2016 in einem näher genannten Betrieb als Arbeiter und von 10.5.2016 bis 11.5.2016 bei einer Transportfirma beschäftigt gewesen sei. In den Zeiträumen ua. vom 4.7.2016 bis 30.9.2017 und 5.10.2017 bis 15.2.2018 sei er bei einer Supermarktkette als Arbeiter tätig gewesen. Dazu gab er an, an seiner ersten Stelle als Installateur und Elektrikergehhilfe, eigentlich Hausmeister gearbeitet zu haben. Sie hätten Häuser abgerissen, Waren angenommen, die Preise gescannt und in die Regale gestellt. Sein letztes Einkommen sei € 2000 netto gewesen. Seit einer Woche arbeite er in der Bäckerei der Justizanstalt. Zweimal monatlich komme ein guter Freund, der auch sein Rechtsvertreter sei, ihn in der Justizanstalt besuchen.
Zu Zwischenfällen sei es bei diesen Firmen nicht gekommen. Vorgehalten, dem Akt sei zu entnehmen, dass es im Supermarkt eine Auseinandersetzung gegeben habe, räumte der Beschwerdeführer ein, einen Streit mit einem anderen Afghanen gehabt zu haben, bei dem es zu einer Prügelei gekommen sei.
Den Deutschkurs Niveau A2 habe er abgeschlossen, mündlich habe er die Prüfung geschafft, schriftlich jedoch nicht. Werte- und Orientierungskurs habe er keinen besucht, es hätte kein Angebot gegeben. Schulabschluss habe der Beschwerdeführer auch keinen nachgeholt.
Früher sei er Mitglied bei einem Fußballklub gewesen, nach einer Fußverletzung jedoch nicht mehr.
In der Justizanstalt arbeite er als Bäcker.
Zu seiner Situation in der Heimat brachte der Beschwerdeführer vor, er sei von seinem Heimatdorf in die Stadt Jalalabad gezogen und dann ausgereist. Im Dorf hätten sie ein Lehmhaus und Grundstücke, zusammengelebt habe er dort mit seiner Mutter und seinem Bruder. Nachdem beide verstorben seien, habe er bei seinem Onkel im selben Dorf gewohnt. Seine Familie habe noch immer die Grundstücke und das Haus, was genau damit sei, wisse er nicht genau, aber sein Onkel wohne nebenan, dieser habe auch Kinder und Enkel. Zum Sohn des Onkels stehe er in Kontakt, die Sicherheitslage dort sei nicht gut. Der Familie gehe es finanziell normal. Seine Verlobte lebe bei ihren Eltern und werde von diesen versorgt, zweimal monatlich stehe er in Kontakt zu ihr. Der Schwiegervater wisse, dass der Beschwerdeführer hier sei, seine Frau nicht. Seine Familie werde vom Beschwerdeführer nicht finanziell unterstützt, er habe seinem Schwiegervater nur einmal € 1400 geschickt. Nachgefragt, inwieweit dem Beschwerdeführer die gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten seines Heimatlandes vertraut seien, antwortete er, das sei „unsere“ Tradition. Vor seiner Ausreise aus Afghanistan habe der Beschwerdeführer auf dem Feld gearbeitet und sich damit versorgen können.
Nachgefragt, wo genau die Verlobung stattgefunden habe, überlegte der Beschwerdeführer lange und erklärte dann, es sei in Pakistan gewesen. Bezüglich Fotos dieser Hochzeit erklärte er, er habe ein Handy gehabt, das sich in der Justizanstalt bei den Beamten befinde, er glaube aber, dass sie alles gelöscht hätten. Die Trauung habe in einem Haus in Peschawar stattgefunden. Nach langem Überlegen gab der Beschwerdeführer an, es habe sich um das Haus des Bruders des Schwiegervaters gehandelt, die genaue Adresse wisse er nicht.
Gegen die Rückkehr nach Afghanistan spreche, dass ihn seine Feinde überall verfolgten. Seine Probleme würden immer aktuell sein, sie wollten ihm seine Besitztümer, genauer gesagt, seine Grundstücke wegnehmen. Es handle sich um die Grundstücke, die sich unter Aufsicht seines Onkels befänden. Sie könnten die Grundstücke nicht nehmen, weil der Beschwerdeführer noch am Leben wäre.
Nach Vorhalt der Länderfeststellungen äußerte sich der Beschwerdeführer dahingehend dazu, dass es in den großen Städten auch Bombenattentate gebe. Zudem hätte ihm das Opfer seines Verbrechens gedroht, ihn zu töten, wenn er nach Afghanistan zurückkehre. Diese Person hätte Kontakte zum IS und hätte erklärt, sie könne den Auftrag zur Tötung des Beschwerdeführers geben. Dies habe der Beschwerdeführer von Afghanen, die bei dieser Person arbeiteten, erfahren.
9. Mit dem gegenständlichen im Spruch genannten Bescheid wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Erkenntnis vom 10.12.2015, Zahl W137 1433178-1/21E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und laut Spruchpunkt II. die mit selbigem Erkenntnis erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 9 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Sein Antrag vom 5.11.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt VIII.).
Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hätten sich maßgebliche und nachhaltige Verbesserungen hinsichtlich der allgemeinen Umstände in der Heimat sowie der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ergeben. Während er zum Zeitpunkt der Statuszuerkennung keinerlei Berufserfahrungen habe vorweisen können, sei er während seines Aufenthaltes in Österreich bei unterschiedlichen Firmen als Arbeiter beschäftigt gewesen und habe somit umfangreiche und nützliche Berufserfahrungen in unterschiedlichen Branchen sammeln und seine Kenntnisse und Fähigkeiten erheblich erweitern können. Zum Entscheidungszeitpunkt im Jahr 2020 weise er umfangreiche und vielseitige Berufserfahrungen in unterschiedlichen Branchen vor. Insoweit habe sich seine persönliche Situation erheblich verbessert. Weiters habe er in Österreich mit zunehmendem Lebensalter Selbstständigkeit entwickeln und an nützlicher Lebenserfahrung gewinnen können. Nunmehr sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer als volljährige, arbeitsfähige und im Wesentlichen gesunde Person, die an umfangreicher und vielseitiger Lebens- und Berufserfahrung hinzu gewonnen habe, in Afghanistan geboren und aufgewachsen sei, eine Landessprache beherrsche und mit den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten vertraut sei, im Falle der Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat nicht mehr Gefahr laufe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Der Beschwerdeführer halte sich seit August des Jahres 2012 im Bundesgebiet auf, habe Kontakt zu afghanischen und österreichischen Staatsbürgern, in seiner Freizeit hauptsächlich Sport betrieben und Fußball geschaut. Er habe keinen Werte- und Orientierungskurs besucht, keine sonstigen Schulen, Kurse oder Fortbildungen absolviert und sei aktuell kein Mitglied eines österreichischen Vereines. Er verfüge über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache, habe mehrere Sprachkurse besucht, den Deutschkurs Niveau A zwei bis dato jedoch nicht abgeschlossen. In Relation zu seiner mehrjährigen Aufenthaltsdauer verfüge er über unterdurchschnittliche Sprachkenntnisse. Weiters traf die Behörde konkrete Feststellungen zur beruflichen Integration des Beschwerdeführers und führte aus, dass er seit dem 22.4.2019 keine legale Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt habe. Festgehalten wurde, dass die getätigten Integrationsschritte durch die Straffälligkeit erheblich beeinträchtigt würden.
10. Dagegen wurde Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
11. Mit der im Spruch genannten Beschwerdevorentscheidung wies die belangte Behörde die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu lauten habe:
„I. Der Ihnen mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.12.2015, Zahl W137 1433178-1/21E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 1 Ziffer 1 und Absatz 2 Ziffer 3 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG), von Amts wegen aberkannt.“
12. Am 20.5.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht der Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG ein.
Am 28.5.2020 wurde ein Schreiben des Beschwerdeführers nachgereicht, wonach es am 22.4.2019 zu einer „Schlägerei“ zwischen ihm und seinem Opfer gekommen sei, welches in weiterer Folge nach Afghanistan gereist wäre und seinem Schwiegervater erzählt hätte, dass der Beschwerdeführer schlecht über seine Verlobte reden würde. In Afghanistan wäre das eine sehr schwere Anschuldigung und würde mit dem Tode bestraft. Sein Schwiegervater hätte ihm bereits telefonisch mit dem Tode gedroht, weshalb der Beschwerdeführer nicht nach Afghanistan zurückkehren könne.
13. Mit Schriftsatz vom 1.7.2021 wurden dem Beschwerdeführer durch das Bundesverwaltungsgericht die Länderinformationen betreffend Afghanistan übermittelt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, binnen 14 Tagen ab Zustellung dieses Schreibens eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.
14. Diese Stellungnahme langte beim Bundesverwaltungsgericht am 15.7.2021 ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu. Er ist kinderlos.
Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Nangarhar in Tora Bora geboren, wuchs dort im familieneigenen Haus auf und arbeitete in der familieneigenen Landwirtschaft. Zuletzt lebte er in Jalalabad, wo er Gemüse verkaufte und sich sein Leben finanzieren konnte.
Das Haus und das Grundstück gehören nach wie vor dem Beschwerdeführer. Ein Onkel lebt in der Nachbarschaft, der Beschwerdeführer steht zu ihm bzw. einem seiner Söhne in regelmäßigem Kontakt.
Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut. Auch im Bundesgebiet umgab er sich bis zu seiner Inhaftierung mit afghanischen Landsleuten.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen schweren und in der Heimat nicht behandelbaren Krankheiten, er ist anpassungsfähig und arbeitsfähig.
Im Bundesgebiet erwarb der Beschwerdeführer Berufserfahrungen in diversen Branchen hinzu, die meisten nach der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung am 21.11.2016.
Er besuchte Deutschkurse bis zum Niveau A2, bestand jedoch die schriftliche Prüfung nicht. Gemessen an seiner Aufenthaltsdauer sind seine Deutschkenntnisse unterdurchschnittlich. Werte- und Orientierungskurs absolvierte er keinen, ebensowenig sonstige Ausbildungen.
Der Beschwerdeführer verrichtete keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Er war früher bei einem Fußballverein aktiv, weitere Vereinsmitgliedschaften weist er nicht auf.
Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet weder Familienangehörige noch Lebensgemeinschaften oder sonstige enge Beziehungen. Bis zu seiner Inhaftierung pflegte er Freundschaften zu Afghanen und Österreichern, von denen eine Person ihn in der Justizanstalt besuchte.
Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet massiv straffällig und wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er mindestens zweimal auf den Kopf einer anderen Person mit einer Axt eingeschlagen hatte.
1.2. Zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
Dem Beschwerdeführer, der nach der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung eine weitere Anzahl von verschiedenen Berufserfahrungen sammelte und an Alter, an Lebens- und Berufserahrung hinzugewann, steht nunmehr eine interne Fluchtalternative in Herat und Mazar-Sharif zur Verfügung (vgl. Punkt II.1.3. und II.2.3.).
Der Beschwerdeführer wurde überdies nach Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und v.a. auch nach der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung rechtskräftig wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Im Strafregister der Republik Österreich - geführt von der Landespolizeidirektion Wien - scheint folgende Verurteilung auf:
01) LG INNSBRUCK 024 HV 84/2019w vom 09.12.2019 RK 11.02.2020
§ 87 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat 22.04.2019
Freiheitsstrafe 3 Jahre
zu LG INNSBRUCK 024 HV 84/2019w RK 11.02.2020
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 22.04.2021, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
LG INNSBRUCK 024 BE 3/2021g vom 04.02.2021
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die ursprüngliche Herkunftsprovinz Nangarhar aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Der Beschwerdeführer ist volljährig, grundsätzlich gesund, anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Er erwarb im Bundesgebiet zahlreiche unterschiedliche Berufserfahrungen, v.a. auch nach der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung im Jahr 2016.
Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.
Der Beschwerdeführer verbrachte die gesamte Kindheit und Jugend in der Heimat, wuchs im familieneigenen Haus auf, war in der familieneigenen Landwirtschaft und zuletzt in Jalalabad als Gemüseverkäufer tätig und konnte sich so seinen Unterhalt erwirtschaften. Er umgab sich bis zu seiner Inhaftierung auch im Bundesgebiet mit Landsleuten, seine Muttersprache ist Paschtu. Im Bundesgebiet sammelte er eine Anzahl von Berufserfahrungen, v.a. auch nach der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung. Das Haus und der landwirtschaftliche Grund im Heimatort gehören laut seinen eigenen Angaben nach wie vor ihm, zu seinem in der Nachbarschaft lebenden Onkel steht der Beschwerdeführer in Kontakt.
Somit kann er insgesamt auch trotz der zurzeit durch die Coronpandemie erschwerten wirtschaftlichen Lage bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer alternativen Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.
Es ist dem Beschwerdeführer auch möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
1.4. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Stand 11.6.2021
COVID-19
Letzte Änderung: 10.06.2021
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).
Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).
Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).
Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).
Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).
Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).
Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).
Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).
Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).
Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).
Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).
Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).
Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).
Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).
Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).
Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).
Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).
Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).
Frauen, Kinder und Binnenvertriebene
Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen (IOM 23.9.2020; vgl. ACCORD 25.5.2021), wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden (ACCORD 25.5.2021). Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021) wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021, UNICEF 4.5.2021). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Ende Mai 2021 wurde berichtet, dass in 16 Provinzen aufgrund steigender Fallzahlen für 14 Tage die Schulen geschlossen würden (BAMF 31.5.2021).
Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, waren nun auch anfälliger für Rekrutierung durch die Konfliktparteien (IPS 12.11.2020; vgl. UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). In den ersten Monaten des Jahres 2021 wurde im Durchschnitt eines von drei Kindern in Afghanistan außer Haus geschickt, um zu arbeiten. Besonders außerhalb der Städte wurde ein hoher Anstieg der Kinderarbeit berichtet (IOM 18.3.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021). Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IPS 12.11.2020, UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt (ACCORD 25.5.2021; vgl. AI 3.2021, HRW 13.1.2021, UNOCHA 19.12.2020). Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (AI 3.2021; vgl. HRW 13.1.2021, Martins/Parto 11.2020, AAN 1.10.2020).
Binnenvertriebene sind besonders gefährdet, sich mit COVID-19 anzustecken, da sie bereits vorher anfällig waren, es keine Gesundheitseinrichtungen gibt, die Siedlungen überfüllt sind und sie nur begrenzten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen sind die vertriebenen Gemeinschaften nicht in der Lage, Präventivmaßnahmen wie soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren und sind daher anfälliger für die Ansteckung und Verbreitung des Virus (AI 3.2021).
Bewegungsfreiheit
Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).
Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021). Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (IOM AUT 25.5.2021).
Quellen:
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