Entscheidungsdatum
15.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2203874-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch seinen Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX StA. Bangladesch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.05.2018, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.08.2021 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 12.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen einer am Tag der Antragstellung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, in Bangladesch sei das Dorf, wo er gewohnt habe, überflutet worden. Alle hätten das Dorf verlassen müssen. Da der BF nicht mehr zurückkehren habe können, habe er sich entschlossen, das Land in Richtung Europa zu verlassen. Er könne nicht nach Bangladesch zurück, weil sein Dorf noch immer unter Wasser stehe. In einer anderen Stadt könne er nicht leben.
I.2. Am 16.05.2018 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.
Dabei aufgefordert, seine persönlichen Fluchtgründe darzulegen, führte der BF aus, er sei in Bangladesch ordentliches Mitglied der Bangladesh Nationalist Party (im Folgenden: BNP) gewesen. Nach einiger Zeit sei die Gegenpartei an die Macht gekommen. Die höheren Positionen sowie die niederen Mitglieder der BNP seien mit falschen Anzeigen beschuldigt worden und ihnen sei so das Leben erschwert worden. Viele seien in verschiedene Richtungen geflohen. Die älteren Parteimitglieder hätten dem BF vorgeschlagen, das Land zu verlassen und zu flüchten, weil sie gemeint hätten, dass er nicht mehr in Sicherheit sei. Dann sei er schlepperunterstützt geflohen. Gegen den BF seien zwei falsche Anzeigen erstattet worden. Es seien Anzeigen gegen ihn von Mitgliedern der Awami League erstattet worden. Junge Mitglieder der Awami League hätten versucht, ihm das Leben zu nehmen. Sie hätten geplant, den BF zu schlagen. Einige Mitglieder seiner Partei seien auch geschlagen worden. Als der BF gesehen habe, dass Mitglieder seiner Partei geschlagen worden seien, habe er Angst gehabt, deren Eltern hätten sie von zu Hause weggeschickt, weil sie sagten, dass sie nicht mehr in Sicherheit wären. So etwas sei öfters passiert. Da er es nicht mehr ertragen habe wollen, sei er geflohen.
In der Folge wurde der BF zur BNP und zur Awami League befragt, wobei sich folgendes ergab: „F. Hatten Sie eine Funktion bei der Partei? A: Ich war ordentliches Mitglied. F: Machen sie mir genaue Angaben über die BNP? A:. Die Partei hat 19 Ziele. Anm. AW schweigt. F. Können Sie mir weitere Angaben über die BNP machen! A: Die BNP ist eine starke Partei in Bangladesch. Die BNP möchte die Unabhängigkeit und die Unversehrtheit des Landes stärken, dass verschiedene Religionen friedlich in unserem Land leben. Wir wollen uns vom Fluch des Analphabetismus trennen, damit kein einziges Kind mehr ungebildet ist. F. Wer ist der Gründer der Partei? A: der ehemalige Präsident Ziaur Rahmann. F: Wer ist jetzt Präsident der BNP? A. Seine Ehefrau Khaleda Zia. F. Machen Sie mir genaue Angaben über die Awami League! A. Ehrlich gesagt kann ich nichts Gutes über diese Partei sagen. Sie ist derzeit illegal an der Macht. Sie ist für kein ordentliches und friedliches Zusammenleben, da sie nur Unruhe stiftet.“
Bei dem Vorfall, als versucht worden sei dem BF das Leben zu nehmen, seien zehn bis 15 Personen mit verschiedenen Waffen wie Holzstangen, Krummsäbel und Eisenstangen etwas wollen. Aufgefordert, genaue Angaben zu dem tragischen Ereignis zu machen, führte er aus: „Als die BNP einen Antrag für die Übergangsregierung beantragte, da es zu keiner ordentlichen Wahl gekommen ist, wurde die Gegenpartei wütend und hat Ihre Macht an unsere BNP Anhänger ausgeübt. So kam es zu Unruhen im ganzen Land. Als wir protestiert und demonstriert haben, dass wir eine ordentliche Wahl wollen, da die vorige Wahl manipuliert wurde, wurde uns gesagt, wir sollen keinen Mucks aus uns geben und solche Informationen nicht verbreiten.“ Und weiter: „F. Was steht in den Anzeigen? A. Sie erwähnen meinen Namen, dass ich Autos angezündet hätte und Schlägereien. F. Wann sind die Anzeigen gemacht worden? A. Kurz bevor ich nach Österreich gekommen bin und in letzter Zeit glaube ich wurden einige Anzeigen erstattet. F. Wiederholung der Frage: Was steht in Ihren Anzeigen? A: Ich wurde zum Beispiel beschuldigt, bei Demonstrationen Fahrzeuge angezündet habe und dass ich bei Schlägereien dabei war – Anm. Nach einer längeren Pause – und dass ich Schutzgeld verlangt habe. F. Von wann sind die Anzeigen? A. Im Jahr 2015. F: Wann erfuhren sie von den Anzeigen? A: Nachdem die Anzeige erstellt wurde, habe ich von meinen höheren Parteimitgliedern erfahren. Die höheren Parteimitglieder erfahren das früher und warnen uns. F. Wann haben Sie von den Anzeigen erfahren? A. Im Jahr 2015. F: Von wem erfuhren Sie, dass Sie nach der Flucht angezeigt worden wären? A. Ich habe es flüchtig gehört, aber ich denke mir, dass es mich nicht mehr interessiert, weil ich ja dort nicht mehr lebe. F: Was verstehen Sie unter ‚flüchtig gehört‘? A. Ich spreche regelmäßig mit meiner Mutter und manchmal mit meinen Freunden, auch mit meinem Cousin, der hat mir gesagt, das wahrscheinlich Anzeigen gegen mich erstattet wurden. So habe ich es erfahren. Ich sagte, dass die mich nicht mehr interessieren, ich bin ja nicht mehr dort.“ Im Falle einer Rückkehr fürchte der BF, von Anhängern der Awami League ermordet oder von der Polizei verhaftet zu werden.
Der BF legte zwei Deutschzertifikate und englischsprachige Urkunden vor.
I.3 Mit dem angefochtenen und im Spruch bezeichneten Bescheid wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.
I.4. Mit Schriftsatz vom 28.06.2018 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – im Beschwerdezeitpunkt durch den Verein Menschenrechte Österreich vertretenen – BF wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.
Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes und der behaupteten Fluchtgründe wurde darin zusammengefasst vorgebracht, das BFA habe es unterlassen, auf das individuelle Vorbringen des BF einzugehen und seiner Begründung lediglich „Textbausteine“ zugrunde gelegt. Der BF habe die Gründe für seine Antragstellung schlüssig, ausführlich und glaubhaft angeführt und habe sich mit Erhebungen im Herkunftsland einverstanden erklärt. Er sei seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG 2005 nachgekommen. Weiters müsse berücksichtigt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr eine unverhältnismäßig lange Haftstrafe drohen könne, weil gegen ihn zu Unrecht Anklage erhoben worden sei. Hinsichtlich des Individualantrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten werde angegeben, dass sich die derzeitige Situation in Bangladesch so auswirke, dass der BF im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger Bedrohung und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre.
Es wurden die Anträge gestellt, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu, ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat zuzuerkennen, in eventu, die Rückkehrentscheidung „für dauernd unzulässig“ zu erklären, in eventu, einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 55 ff. AsylG 2005 zu erteilen, in eventu, den Bescheid zur Gänze zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung an das BFA zurückzuverweisen, sowie eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen..
I.5. Mit Schreiben vom 13.08.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.6. Mit Schreiben vom 16.07.2021 wurde zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen und damit dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 12.08.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt. Darüber hinaus wurde dem BF auch mitgeteilt, dass er sich einer Rechtsvertretung, nämlich der BBU GmbH, bedienen könne.
I.7. Am 12.08.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde. Da der Bf ohne Rechtsvertreter erschien wurde er während der Verhandlung vom vorsitzenden Richter besonders angeleitet und erfolgten zusätzliche Rechtsausführungen.
Im Zuge der Verhandlung wurde – zusammengefasst – zum Leben des BF in Österreich festgehalten, dass dieser, abgesehen von einer Hautkrankheit und gelegentlichen Rückenschmerzen, gesund ist.
Der BF hat Kontakt zu seiner Mutter, angeblich jedoch nicht zu seinen fünf Brüdern und einer Schwester. Sein Vater sei krank und werden die Eltern von einem Bruder versorgt. Finanziell gehe es seiner Familie in Bangladesch durchschnittlich. Sie hätten früher ein sehr großes Haus auf einem Grundstück gehabt, aber als das Wasser kam und der See immer größer wurde, kam es zu Überschwemmungen. Der BF wisse nicht, ob seine Familie ein neues Haus gebaut habe (VS S 6); dem widersprechend führte der BF etwas später aus, dass sie das Haus auf ein anderes Grundstück gebracht hätten und sie dort weitergelebt haben (VS S 7).
Er habe eine achtjährige Schulausbildung und habe als Elektriker, allerdings ohne Berufsausbildung, gearbeitet.
Im Zuge der Verhandlung vor dem BVwG wurde festgestellt, dass mit dem BF eine Konversation in deutscher Sprache nur sehr schwer möglich ist. Der Sprachwortschatz ist sehr begrenzt. Zwar legte der BF viele Bescheinigungen über die Teilnahme an deutschen Sprachkursen vor, der BF erlangte 2018 das Niveau von A2 (Zertifikat im Zuge der Verhandlung vorgelegt).
Der BF lerne in seiner Freizeit deutsch, ansonsten gehe er vormittags und nachmittags spazieren, etwa auf der Donauinsel in Wien; vor der Coronakrise sei er auch in ein Fitness-Center gegangen. Er besuche seine Freunde bei einem Zeitungsstand an der XXXX . Er habe bengalische Freunde.
Der BF lebt gemeinsam mit sechs anderen bengalischen Mitbewohnern in einer Wohnung mit vier Zimmern und zahle dafür € 150. Er lebe von der Unterstützung der Caritas, für sein Leben würde er € 200 monatlich verbrauchen.
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der BF dem BVwG einen Bausparvertrag der XXXX abgeschlossen am 09.01.2018, vorlegte. Auch brachte der BF einen „Arbeitsvorvertrag“ als Hilfskraft für einen Gastronomiebetrieb in Vorlage.
In Österreich habe er keine Verwandten, keine Kinder und keine Beziehung.
Der BF sei im Jänner 2016 nach Österreich gekommen.
Er habe Bangladesch Mitte 2015 verlassen, den Entschluss dazu fasste er Ende 2014 oder 2015. Er habe in einem Dorf mit seiner Familie gewohnt. Es habe Probleme gegeben und es gab Schlägereien zwischen den Anhängern von zwei Parteien.
Der BF behauptete, er habe sein Dorf (ca 1.900 Einwohner) aus politischen Gründen verlassen. Er sei Mitglied der BNP gewesen. Über Nachfrage gab der BF an, dass er keine Votar-Card, welche man für die Teilnahme an Wahlen benötige, besessen habe. Anfänglich nicht wissend, wozu man eine Votar-Card benötige, meinte der BF, dass man auch mit der Votar-Card von jemanden anderen wählen könne.
Nachgefragt, ob der BF von seinem Wahlrecht Gebrauch machte, meinte dieser, die Probleme hätten einen Tag vor der Wahl begonnen. Die Anhänger der Regierungspartei hätten die Anhänger der Gegenpartei von der Ortschaft verscheucht. Auf die Frage, wann diese Wahlen waren, konnte der BF keine Antwort geben (VS S 14). Er glaube, so der BF, dass es seit 2005 keine Wahlen mehr in Bangladesch gegeben habe. Er könne kein genaues Datum nennen. Nochmals gefragt, ob es nach 2005 Wahlen in Bangladesch gegeben habe, meinte der BF, „Nein, nach 2005 gab es keine Wahlen mehr.“ Der BF wurde in weiterer Folge über die Wahlen am 05.01.2014 sowie 30.12.2018 vom vorsitzenden Richter informiert.
Zu den im Akt befindlichen Urkunden (BFA Akt S 93-127) befragt führte der BF aus, dies seien „Originalurkunden“ (VS S 17). Er habe diese von seinem Cousin übermittelt bekommen, für den Cousin sei es sehr schwierig gewesen, sie zu erhalten. Er wisse nicht, was sie gekostet haben. Befragt, seit wann Originalurkunden in Bangladesch in englischer Sprache abgefasst werden, konnte der BF keine glaubhafte Antwort geben und meinte, sie seien vom Gericht übersetzt worden. Ein Hinweis darauf ist den Dokumenten nicht zu entnehmen.
Die Dokumente gegen ihn stammen vom „24.03.2017“ („First information Report zu FIR 18“, XXXX AA S 93), „22.08.2017“ („Charge sheet Nr 157 zu FIR 18“; AA S 99), „12.02.2018“ („Order sheet des XXXX “; dieses bezieht sich auf „ XXXX Dated 24.03.2017; AA S 105; beachte: das Dokument des Gerichtes, welches sich auf die Anzeige der XXXX bezieht, stammt angeblich vom 12.02.2017, also vor der Anzeige der Polizei vom 24.03.2017), „12.02.2018“ („Warrant of Arrest“ des XXXX betreffend Anzeige der XXXX vom 24.03.2017; AA S 107); „03.07.2013“ der XXXX FIR Nr 14 (AAS 109); „09.08.2014“ („Charge sheet“ der XXXX “ zur FIR 14 vom 03.07.2013; AAS 115); „02.11.2014“ („Warrant of Arrest“ des XXXX FIR 14 vom 03.07.2013; AAS 123).
Diese, im Akt des BFA bereits befindlichen Dokumente waren auch Gegenstand der Verhandlung vor dem BVwG. Der BF gab dazu an, dass er sich gegen diese Anzeigen (aus 2013 und 2017) nicht gewehrt habe, insbesondere sich auch keinen Anwalt genommen habe. Der BF habe Bangladesch Mitte 2015 verlassen, nachdem er sich zuvor noch drei oder vier Monate in Dhaka – ohne Arbeit - aufgehalten habe. Davor habe er sich in seinem Heimatdorf „seit 2013 versteckt“ gehalten (VS S 12). Befragt, wie er sich versteckt gehalten habe und gleichzeitig als Elektriker arbeitete, meinte der BF, es sei so gewesen, dass er zum Bazar gegangen sei und sich dort mit Freunden in einem Geschäft traf. Wenn es Arbeit gegeben habe, habe er die Arbeit als Elektriker ausgeführt.
Andere Fluchtgründe habe der BF – nach nochmaliger Nachfrage – nicht.
Wenn er nach Bangladesch zurückkehren müsse, würde er in ständiger Angst leben. Viele hohen Führer seiner Partei seien verschwunden und unauffindbar. Er möchte nicht so ein Leben haben, er befürchte, getötet zu werden oder in jahrelange Haft genommen zu werden.
Abschließend hielt der BF fest, dass er in einer schwierigen Situation sei. Er wolle nicht nach Bangladesch zurückkehren. Er sei jetzt fünfeinhalb Jahre in Österreich und wolle hierbleiben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali (gleichlautende Angaben in Erstbefragung AS 21 sowie bei der Einvernahme vor dem BFA AS 83).
Der BF ist im Distrikt XXXX geboren und hat dort gelebt (AS 21 ff., 83). Er hat in seinem Heimatland für acht Jahre die Schule besucht (AS 21, 84) und in Bangladesch als Hilfsarbeiter (AS 21), als Elektriker und in der Landwirtschaft (AS 84) gearbeitet.
Der BF ist ledig und hat keine Kinder (AS 21 ff., 84). In Bangladesch halten sich die Eltern, eine Schwester und fünf Brüder des BF auf (AS 84). Zwischen dem BF und seiner Mutter besteht aufrechter regelmäßiger Kontakt.
Der BF ist im Jänner 2016 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Er ist in die staatliche Grundversorgung einbezogen. Er besitzt einen Bausparvertrag und weist einen Arbeitsvorvertrag vor. In Österreich hat der BF keine Verwandten und er führt kein Familienleben oder eine vergleichbare Beziehung im Bundesgebiet (AS 85). Er geht in Österreich keiner Beschäftigung nach, besucht aber regelmäßig seine bengalischen Freunde beim Zeitungsstand in der XXXX . Der BF ist in Österreich Mitglied der XXXX (AS 77, 85), er besucht Deutschkurse und – früher - ein Fitnessstudio (AS 85). Der BF engagierte sich während seines bisherigen Aufenthaltes nicht ehrenamtlich.
Der BF hat ein Deutschzertifikat Niveau A2 vorgelegt. Der BF verfügt dennoch nur über sehr geringe Deutschkenntnisse. Er ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF ist gesund, abgesehen von Rückenschmerzen und einer Hauterkrankung.
I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Nicht festgestellt werden kann eine konkrete Verfolgung des BF in Bangladesch.
Es wird festgestellt, dass der BF zwar behauptet Mitglied der BNP gewesen zu sein, aber er besitzt keine für Wahlen erforderliche Votar-Card. Festgestellt wird, dass der BF vor dem BFa keine Ziele der oppositionellen Partei BNP wusste. Festgestellt wird somit, dass der BF glaubhaft nicht Mitglied der oppositionellen Partei war.
Der BF weiß nicht, wann in Bangladesch Wahlen stattfanden. Der BF behauptet, dass nach 2005 keine Wahlen mehr erfolgten, seine politischen Probleme aber „am Tag vor den Wahlen“ begonnen hätten. Dem BF sind die erfolgten Wahlen im Jänner 2014 und Dezember 2018 unbekannt.
Der BF legte englischsprachige „Originaldokumente“ vor; wieso diese Polizeianzeigen und Gerichtsverfügungen in englischer Sprache erfolgten, konnte der BF nicht schlüssig erklären. Festgestellt wird, dass die vorgelegten „Dokumente“ nicht als „Originaldokumente“ anerkannt werden.
Der BF bezog sich auf Anzeigen aus 2013 und 2017. Der BF hat sich gegen diese Anzeigen nicht (anwaltlich) gewehrt. Festgestellt wird, dass jedenfalls die Anzeige aus 2017 eine falsche Anzeige ist, weil sie gegen den BF erstattet wurde, als er sich in Österreich aufhielt.
Der BF behauptet, sich seit 2013 in seinem Heimatdorf versteckt gehalten zu haben, ging aber in den Bazar, um sich dort mit Freunden zu treffen und um Arbeitsmöglichkeiten zu sondieren.
Festgestellt wird, dass der BF nach eigenen Angaben nicht verhaftet wurde.
Es bestehen keine Anzeigen gegen den BF und es werden gegen ihn keine Verfahren geführt. Der BF hat Bangladesch infolge wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit verlassen.
Im Falle einer Rückkehr kann der BF auf Rückkehrhilfe zurückgreifen und sich so eine Existenz aufbauen. Allfälligen Behelligungen kann er sich durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen entziehen. Festgestellt wird, dass es keine Akteure gibt, die den BF landesweit suchen würden.
II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
COVID-19:
Letzte Änderung: 08.06.2021
Der Regierung wird vorgeworfen, dass die Vorbereitung auf die Viruserkrankung im Inland inadäquat gewesen sind. COVID-19-Testungen waren zunächst nur in der Hauptstadt Dhaka möglich gewesen. Anfang April 2020 nahmen Diagnostikeinrichtungen am Rajshahi Medical College und am Cox's Bazar Medical College ihre Tätigkeiten auf und testen seitdem Bewohner ihrer jeweiligen Regionen auf eine Infektion mit COVID-19. Mit Ende März 2020 erließ die Regierung weitreichende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Das Transportwesen, Einkaufsmöglichkeiten, behördliche Dienste und anderes wurden auf das nötigste reduziert. Von den erlassenen Kontakt- und Arbeitsbeschränkungen ist ein Großteil der bangladeschischen Bevölkerung betroffen. Viele stehen dadurch vor unmittelbar existenzbedrohenden finanziellen Risiken. Viele Großaufträge beispielsweise im Bereich der Textilindustrie wurden zurückgezogen. Diese Maßnahmen bedeuteten einen Wegfall der Einkommensgrundlage von 4,1 Millionen Textilarbeitern, die zu den Geringverdienern in Bangladesch zählen. Einige Textilfabriken stellten jedoch ihre Produktion teilweise auf die Herstellung von Atemschutzmasken und Schutzanzügen um. Lokale Initiativen von einkommensstärkeren Personen versuchen, die Grundversorgung von einkommensschwächeren Familien durch die Verteilung von Lebensmitteln in den jeweiligen Anwohnergebieten aufrecht zu erhalten. Auch die Regierung hat erste staatliche Entlastungsprogramme in die Wege geleitet. Darunter Programme zur finanziellen Unterstützung der in der Landwirtschaft Tätigen oder für Personen, die in extremer Armut leben (GIZ 11.2020; vgl. ÖB 9.2020). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Millionen Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Millionen rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).
Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Der durch die Regierung verhängte umfassende Lockdown war de facto jedoch immer brüchig und wurde einmal mehr und einmal weniger eingehalten. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020).
Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Angesichts der historisch niedrigen Ausgaben für die öffentliche Gesundheitsversorgung im Land erwiesen sich die Einrichtungen als unzureichend, schlecht vorbereitet und schlecht ausgerüstet, um die Krise zu bewältigen (AI 7.4.2021). Die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen. Landesweit sind etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar. Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020b).
Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens aufgrund des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs dar. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).
COVID-19 erhöht Risiken im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und setzen Frauen und Kinder zusätzlichen Bedrohungen aus (iMMAP 3.2021).
Die Behörden gehen gegen Journalisten und Medien vor, die kritisch über die Reaktion der Regierung auf die COVID-19-Pandemie berichten (HRW 20.5.2021; vgl. AI 19.5.2021). Kritische Journalisten sehen sich systematischen Verleumdungsklagen ausgesetzt (ÖB 9.2020). Eine Überwachung von Personen, die „Gerüchte“ über die Covid-19-Pandemie verbreiten könnten, wird verstärkt, die Medienzensur verschärft (HRW 20.5.2021).
Nachdem die Zahl der Neuinfektionen im April 2021 Tagen stark angestiegen, wurden die Anfang April 2021 eingeführten Abriegelungsmaßnahmen, die auch die Schließung von Geschäften beinhaltet, aufgrund der sich verschlechternden Situation weiter verschärft (BAMF 12.4.2021).
Das Außenministerium des Landes bestätigt Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Massenimpfprogrammes wegen einem Fehlen an den dafür notwendigen Impfstoff-Dosen. Bisher hat Bangladesch erst 7 Millionen Dosen (darüber hinaus schenkte Indien 3,2 Millionen Dosen separat) einer vertraglich mit Indien vereinbarten Menge von 30 Millionen Dosen des vom Serum Institute of India hergestellten Oxford AstraZeneca-Impfstoffs erhalten (AnAg 22.5.2021).
Um eine Übertragung von den als ansteckender eingestuften Varianten des COVID-19-Virus aus Indien zu verhindern, wurden Flüge abgesagt und Grenzen geschlossen (TG 5.5.2021).
Quellen:
? AnAg – Anadolu Agency (22.5.2021): Bangladesh extends border lockdown with India, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-extends-border-lockdown-with-india/2251062, Zugriff 25.5.2021
? AI – Amnesty International (19.5.2021): Bangladesh: Rozina Islam must not be punished for her journalistic work, Zugriff 19.5.2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2051859.html, Zugriff 1.6.2021
? AI – Amnesty International (7.4.2021): Bangladesh 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048635.html, Zugriff 18.5.2021
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw15-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 17.5.2021
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 17.5.2021
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020
? GTAI - Germany Trade and Invest [Deutschland] (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020
? HRW – Human Rights Watch: Bangladesh (20.5.2021): Arrest of Journalist Investigating Corruption, https://www.ecoi.net/de/dokument/2052025.html, Zugriff 1.6.2021
? iMMAP – Information Management and Mine Action Programs (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (3.2021): COVID-19 Situation Analysis , https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/iMMAP_COVID-19_Bangladesh_Analysis%20Report_032021.pdf, Zugriff 17.5.2021ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? TG – The Guardian (5.5.2021): India’s neighbours close borders as Covid wave spreads across region, https://www.theguardian.com/world/2021/may/05/indias-neighbours-close-borders-as-covid-wave-spreads-across-region, Zugriff 25.5.2021
Politische Lage:
Letzte Änderung: 08.06.2021
Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Unabhängigkeit und der Übergang zur Demokratie brachten ein Einparteiensystem, mehrere Militärputsche (1975 und 1982), zwei Übergangsregierungen, Ausnahmezustände und Machtkämpfe zwischen den beiden großen Parteien, der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami-Liga (AL). Die beiden Parteien regieren Bangladesch seit 1991 abwechselnd (OMCT 7.2019).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch. Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 30.3.2021; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der BNP und der AL als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit um die Führung des Landes konkurriert haben. Unterstützt werden die beiden Parteien von einem kleinen Kreis von Beratern (FH 3.3.2021). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).
Bei den Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitzen (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019). Diese waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a). Die rivalisierenden Parteien AL und BNP dominieren die Politik und schränken die politischen Handlungsmöglichkeiten für diejenigen ein, die parteiinterne Strukturen oder Hierarchien in Frage stellen oder alternative Parteien oder politische Gruppierungen gründen wollen, Animositäten zwischen den Parteispitzen von AL und BNP die sich bis in die Kader der unteren Ebenen ziehen, haben zu andauernder politischer Gewalt beigetragen (FH 3.3.2021).
Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).
Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses (FIDH 29.12.2018). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit diese auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).
Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020
? DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020
? DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 28.5.2021)
? FIDH - International Federation for Human Rights (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020
? OMCT – World Organisation Against Torture (7.2019): Cycle of Fear - Combating Impunity for Torture and Strengthening the Rule of Law in Bangladesh, https://www.omct.org/files/2019/07/25475/cycleoffear_bangladesh_report_omct.pdf, Zugriff 1.6.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043519.html, Zugriff 28.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020
? NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048142.html, Zugriff 28.5.2021
Rechtsschutz/Justizwesen:
Letzte Änderung: 16.06.2021
Die Politisierung der Justiz und der Druck auf sie halten an (FH 3.3.2021). Seit die Awami-Liga (AL) im Jahr 2009 an die Macht kam, hat die von ihr geführte Regierung begonnen, erheblichen Einfluss auf die Justiz auszuüben (FIDH 25.1.2021). Vorwürfe des politischen Drucks auf Richter sind üblich, ebenso wie der Vorwurf, dass unqualifizierte AL-Loyalisten in Gerichtspositionen berufen werden (FH 3.3.2021). Wie die meisten Beobachter übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018). Strafanzeigen gegen Mitglieder der Regierungspartei werden regelmäßig aus „politischer Rücksichtnahme“ zurückgezogen (FH 3.3.2021).
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).
Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden. Dennoch wird diese Unabhängigkeit der Justiz durch Überlastung, überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindert (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).
Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, „Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).
Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden (ÖB 9.2020). In ländlichen Gebieten kommt es zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht“. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 9.2020). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020). Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020
? FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 19.5.2021
? FIDH -International Federation for Human Rights (Autor), ODHIKAR (Autor) (25.1.2021): Annual Human Rights Report 2020 Bangladesh, https://www.fidh.org/IMG/pdf/annual-hr-report-2020_eng.pdf, Zugriff 19.5.2021
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020
? ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
Allgemeine Menschenrechtslage:
Letzte Änderung: 16.06.2021
Die Menschenrechte werden nach der Verfassung mit Gesetzesvorbehalten garantiert (AA 21.6.2020). Bangladesch hat bisher mehrere UN Menschenrechtskonventionen ratifiziert, ist diesen beigetreten oder hat sie akzeptiert (ÖB 9.2020; vgl. UNHROHC o.D.). Die Verfassung von Bangladesch in der seit 17. Mai 2004 geltenden Fassung listet in Teil III, Artikel 26 bis 47A, einen umfassenden Katalog an Grundrechten auf. Artikel 102 aus Teil VI, Kapitel 1 der Verfassung regelt die Durchsetzung der Grundrechte durch die High Court Abteilung des Obersten Gerichtshofes. Jeder Person, die sich in ihren verfassungsmäßigen Grundrechten verletzt fühlt, steht der direkte Weg zum „High Court“ offen. Die „National Human Rights Commission“ wurde im Dezember 2007 unter dem „National Human Rights Commission Ordinance“ von 2007 eingerichtet, hat aber noch keine nennenswerte Aktivität entfaltet (ÖB 9.2020). Die Verwirklichung der in der Verfassung garantierten Rechte ist nicht ausreichend (AA 21.6.2020).
Teils finden Menschenrechtsverletzungen auch unter Duldung und aktiver Mitwirkung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte statt (GIZ 11.2019a). Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen sowie Folter (USDOS 30.3.2021). Die Regierung verhaftete laut neuesten Berichten bis zu 2.000 Mitglieder der RABs (Rapid Action Battalion (RAB), Spezialkräfte für u.a. den Antiterrorkampf wegen diverser Vergehen. Obwohl die RABs in den letzten Jahren hunderte Tötungen bzw. mutmaßliche Morde verübt haben, kam es noch zu keinen diesbezüglichen Verurteilungen wegen diverser Vergehen (ÖB 9.2020).
Menschenrechtsverletzungen beinhalten weiters harte und lebensbedrohende Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre, Zensur, Sperrung von Websites und strafrechtliche Verleumdung; erhebliche Behinderungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie beispielsweise restriktive Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Beschränkungen der Aktivitäten von NGOs; erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der politischen Partizipation, da Wahlen nicht als frei oder fair empfunden werden; Korruption, Menschenhandel; Gewalt gegen Frauen, Kinder, Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender- und Intersexuelle (LGBTI) und Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten; Einschränkungen für unabhängige Gewerkschaften und der Arbeitnehmerrechte sowie die Anwendung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (USDOS 30.3.2021).
Die Regierung von Bangladesch ignoriert Empfehlungen im Hinblick auf glaubwürdige Berichte zu Wahlbetrug, hartem Vorgehen gegen die Redefreiheit, Folterpraktiken von Sicherheitskräften und zunehmenden Fällen von erzwungenem Verschwinden und Tötungen. Die Regierung von Bangladesch versäumt es, einen angeforderten Folgebericht zur Überprüfung ihrer Praktiken durch den Ausschuss gegen Folter vorzulegen (HRW 13.1.2021).
Das Gesetz verbietet Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und es werden Maßnahmen ergriffen, um diese Bestimmungen wirksamer durchzusetzen. Nichtsdestotrotz stellt eine wissenschaftliche Studie vom Mai 2020 fest, dass 2,2 Millionen Strafverfahren gegen Menschen mit Behinderungen anhängig sind. So wird resümiert, dass Menschen mit Behinderungen „die am meisten gefährdeten unter den Gefährdeten“ sind. Über Fälle von Diskriminierung und gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse und andere Minderheiten, insbesondere im privaten Bereich, wird berichtet (USDOS 30.3.2021).
Die Regierung nutzt weiterhin den Digital Security Act (DSA) 2018, um das Recht auf freie Meinungsäußerung zu unterdrücken. Trotz wiederholter Aufrufe der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen, die umstrittenen und strafenden Bestimmungen des DSA aufzuheben, wurde das Gesetz nicht abgeändert. Offiziellen Statistiken zufolge wurden zwischen Januar und Dezember 2020 mehr als 900 Fälle unter dem DSA eingereicht. Etwa 1.000 Personen wurden angeklagt und 353 inhaftiert (AI 7.4.2021).
Bangladesch ist nach wie vor ein wichtiger Zubringer wie auch Transitpunkt für Opfer von Menschenhandel. Jährlich werden Zehntausende Menschen in Bangladesch Opfer von Menschenhandel. Frauen und Kinder werden sowohl in Übersee als auch innerhalb des Landes zum Zweck der häuslichen Knechtschaft und sexuellen Ausbeutung gehandelt, während Männer vor allem zum Zweck der Arbeit im Ausland gehandelt werden. Ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2013 bietet den Opfern Schutz und verschärft die Strafen für die Menschenhändler, doch die Durchsetzung ist nach wie vor unzureichend (FH 3.3.2021). Internationale Organisationen behaupten, dass einige Grenzschutz-, Militär- und Polizeibeamte an der Erleichterung des Handels mit Rohingya-Frauen und -Kindern beteiligt sind. Formen der Unterstützung von Menschenhandel reichen dabei von „Wegschauen“ über Annahme von Bestechungsgeldern für den Zugang der Händler zu Rohingya in den Lagern, bis hin zur direkten Beteiligung am Handel (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? AI – Amnesty International (7.4.2021): Bangladesh 2020, 7. April 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048635.html, Zugriff am 18.5.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 18.5.2021
? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2019a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat, Zugriff 18.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043519.html, Zugriff 18.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? UNHROHC- United Nations Human Rights Office of the High Commissioner (o.D.): View the ratification status by country or by treaty - Bangladesh, http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/TreatyBodyExternal/Treaty.aspx?CountryID=37&Lang=EN, Zugriff 11.11.2020
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048142.html, Zugriff 18.5.2021
Bewegungsfreiheit:
Letzte Änderung: 16.06.2021
Die Freiheit, sich im Land zu bewegen, ist relativ unbeschränkt (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021, AA 21.6.2020). Ausgenommen davon sind jedoch zwei sensiblen Gebiete: die Chittagong Hill Tracts (CHT) und die Rohingya-Lagern in Cox's Bazar (USDOS 30.3.2021). Auch wurden im Zuge der Eindämmung der COVID-19-Pandemie durch die Regierung einige Bewegungseinschränkungen angeordnet, deren Umfang und Dauer begrenzt sind (FH 3.3.2021).
Grundsätzlich respektiert die Regierung die Rechte der inländischen und ausländischen Bewegungsfreiheit, Emigration und Rückkehr von Bürgern, mit Ausnahme der zwei sensiblen Regionen Chittagong Hill Tracts und Cox’s Bazar. Die Regierung hat 2015 Restriktionen für ausländische Reisende in diese Gebiete, in denen viele nichtregistrierte Rohingyas außerhalb der zwei offiziellen Flüchtlingscamps in den Städten und Dörfern leben, angekündigt, allerdings war die Art der Umsetzung zum damaligen Zeitpunkt noch unklar (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020).
Es liegen keine Einschränkungen hinsichtlich der Ein- oder Ausreise vor (ÖB 9.2020; vgl. FH 3.3.2021; AA 21.6.2020). Personen, die in der Vergangenheit bereits ihren Pass verloren haben, bekommen allerdings oft nur Reisepässe, die für wenige Monate gültig sind, ausgestellt. Generell kommt es zu teils enormen Verzögerungen bei der Reisepassausstellung (ÖB 9.2020). Ein Ausreiseverbot besteht für Personen, welche verdächtigt werden, an den Kriegsverbrechen während des Unabhängigkeitskrieges 1971 beteiligt gewesen zu sein (ÖB 9.2020).
Frauen brauchen keine Erlaubnis ihrer Väter oder Ehemänner, um zu reisen. Minderjährige über zwölf Jahren brauchen keinen gesetzlichen Vertreter, um einen Pass zu beantragen. Sie dürfen auch alleine reisen, bedürfen dazu aber eines speziellen, von einem Elternteil unterschriebenen Formular (ÖB 9.2020).
Ein staatliches Meldewesen oder Staatsangehörigkeitsregister besteht nicht (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020). Faktisch migriert jährlich eine große Zahl von Menschen vom Land in die Städte. Es handelt sich hierbei teilweise um Klimaflüchtlinge, deren Lebensgrundlage entzogen wurde und teilweise um Arbeitssuchende, die hoffen, insbesondere in der Textilindustrie Anstellung zu finden.Neuankömmlinge fallen wegen fehlender familiärer Bindungen und aufgrund der engen Nachbarschaftsverhältnisse auf. Dies setzt der Anonymität auch in Städten gewisse Grenzen (AA 21.6.2020).
Für Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten dürften innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten kaum vorhanden sein. Indiz dafür ist auch die verstärkte Auswanderung religiöser Minderheiten Richtung Indien. Aufgrund des Bevölkerungsreichtums und der nur schwach ausgeprägten staatlichen Strukturen dürfte allerdings insbesondere für Opfer lokaler politischer motivierter Verfolgung das Ausweichen in andere Landesteile eine plausible Alternative sein (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom House: Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 17.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048142.html, Zugriff 17.5.2021
Grundversorgung:
Letzte Änderung: 16.06.2021
Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln hat sich in den vergangenen Jahren wesentlich verbessert (AA 21.6.2020). Obwohl die Armutsquote in den letzten zwei Dekaden zurückging, leben weiterhin mindestens 11,3 Prozent der Bevölkerung (circa 20 Millionen) unterhalb der extremen Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar (DB 1.10.2019). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verschärfte sich die Situation. Gemäß Schätzungen der Bangladesh Economic Association verloren etwa 36 Millionen Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Millionen rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020). Unter- sowie Fehlernährung bleiben weit verbreitete Phänomene (DB 1.10.2019).
Bangladeschs Wirtschaft ist seit 2005 jährlich um rund sechs Prozent gewachsen, trotz politischer Instabilität, schlechter Infrastruktur, Korruption, unzureichender Stromversorgung und langsamer Umsetzung der Wirtschaftsreformen (CIA 4.5.2021). Der landwirtschaftliche Sektor beschäftigt knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung (GIZ 3.2020b; vgl. CIA 24.5.2021). Die Verarbeitung von Produkten der Landwirtschaft und die Textilindustrie sind die wichtigsten Zweige des industriellen Sektors (GIZ 3.2020b), auf den 2017 geschätzt 29,3 Prozent des BIP gefallen sind. Der Export von Kleidungsstücken macht ca. 80 Prozent aller Exporte aus. Der Dienstleistungssektor erwirtschaftete 2017 mehr als die Hälfte des BIP (CIA 4.5.2021).
Arbeitsmigration, vornehmlich in die Golfstaaten und Malaysia, ist stark ausgeprägt und wird von der Regierung gefördert. Etwa zehn Millionen bangladeschische Staatsangehörige arbeiten im Ausland. Die Migration wird durch das „Bureau of Manpower, Employment and Training“ (BMET) gesteuert. Daneben existieren weitere Organisationen, die sich der Bedürfnisse der Wanderarbeiter vor Ausreise und nach Rückkehr annehmen (z.B. „BRAC“, „Welfare Association of Bangladeshi Returnee Employees“, „Bangladesh Migrant Centre“, „Bangladesh Women Migrants Association“). Dachverband ist das „Bangladesh Migration Development Forum“ (BMDF). Diese Organisationen werden aber auch bei zurückgeführten Personen aktiv (AA 21.6.2020).
Pro Jahr verlassen schätzungsweise bis zu 500.000 Personen Bangladesch zur legalen Beschäftigung im Ausland (hauptsächlich in Indien, Pakistan, Malaysia, Jordanien und den Golfstaaten) (ÖB 9.2020). Der Anteil an der bangladeschischen gesamtwirtschaftlichen Leistung der durch Geldüberweisungen von Arbeitsmigranten nach Bangladesch geleistet wird, beträgt mehr als 10 Prozent (GIZ 3.2020b). Das entspricht etwa 13 - 16 Mrd. USD (ÖB 9.2020; vgl. GIZ 3.2020b, CIA 24.5.2021).
Die offizielle Arbeitslosenrate lag 2019 gem. Weltbank bei lediglich 4,2 Prozent jedoch mit verdeckter, weit verbreiteter massiver Unterbeschäftigung. Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association allerdings ca. 36 Mio. Menschen während des Lockdown ihre Arbeit. Darüber hinaus mussten zehntausende Bangladeshi, die im Ausland beschäftigt waren, in ihre Heimat zurückkehren, nachdem sie ihre Arbeitsplätze verloren hatten. Vor allem in der Landwirtschaft (19 Prozent des BIP und mehr als 65 Prozent der Beschäftigten) ist Subsistenzwirtschaft ausgeprägt. Formelle und organisierte Beschäftigung gibt es lediglich im staatlichen Bereich, sowie bei größeren Unternehmen. 85 Prozent der Beschäftigten arbeiten im informellen Sektor. Von ca. 70 Millionen Beschäftigten sind nur rund zwei Mio. gewerkschaftlich organisiert. Die Gewerkschaften sind stark politisiert oder von einzelnen Führern oder Unternehmen abhängig. Ein Streikrecht gibt es in Bangladesch nicht. Staatlichen Angestellten, Mitgliedern der Sicherheitskräfte, sowie staatlichen und privaten Lehrern ist die Bildung von Gewerkschaften oder der Beitritt zu solchen, aufgrund deren starker Politisierung, explizit verboten (ÖB 9.2020).
Die Bevölkerung Bangladeschs erfährt seit einigen Jahren einen erhöhten Verteilungs- und Chancenkonflikt, aufgrund des Bevölkerungswachstums bei gleichzeitig abnehmenden Landressourcen und fehlenden Alternativen zur Landarbeit, sowie erhöhtem Druck durch Extremwetterereignisse und anderen Konsequenzen des Klimawandels. Die Slums der Städte wachsen, wenn auch im Vergleich zu anderen Ländern mit ähnlichen Bedingungen etwas langsamer. Ebenso konkurriert die Bevölkerung mit einem höheren Bildungsabschluss um Universitätsplätze und besser bezahlte Arbeitsplätze. Die Lebenshaltungskosten in den Städten steigen und die Versorgung mit Wasser und Elektrizität in den ländlichen Gebieten und kleineren Städ