TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/20 L510 2195107-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L510 2195107-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Irak, vertreten durch den Verein LegalFocus, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2021, Zl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Heilung des Mangels bezüglich der Nichtvorlage eines Reisepasses oder einer Geburtsurkunde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 02.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom XXXX 2018, Zl. XXXX , wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs 1 Ziffer 1 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Dagegen erhob die bP Beschwerde an das BVwG.

Mit Schriftsatz vom 25.07.2019 übermittelte die belangte Behörde den Abtretungs-Bericht der LPD XXXX vom 23.07.2019 hinsichtlich eines Verdachtes auf einen Verstoß gegen § 27 Abs 2 SMG. In dem Bericht war Folgendes festgehalten:

„Darstellung der Tat

Der irakische Asylwerber XXXX wird beschuldigt und zeigt sich geständig,

?        Zwischen 31.12.2018 – Ende März 2019 im Stadtgebiet von XXXX (Stadtpark) bei 8 Gelegenheiten jeweils 1 Gramm Marihuanagras um € 10,- pro Gramm, insgesamt somit 8 Gramm Marihuanagras um € 80,- sowie

?        bei einer Gelegenheit in XXXX einen Marihuanajoint kostenlos erworben und im Raum XXXX bei mehreren Gelegenheiten in Form von Joints verraucht zu haben.“

Mit Schriftsatz vom 29.07.2020 übermittelte das BFA die Verständigung der Behörde vom Rücktritt der Verfolgung gem. § 30 Abs 5 BFA-VG der Staatsanwaltschaft XXXX vom 26.07.2019. Die Staatsanwaltschaft XXXX teilte darin mit, dass gegen den Beschuldigten XXXX wegen § 27 Abs 1 SMG von der Verfolgung (vorläufig) zurückgetreten worden ist.

Mit Urteil des BG XXXX vom XXXX 2019 (rechtskräftig XXXX 2019), XXXX , wurde die bP wegen §§ 229 Abs 1, 127 StGB, § 50 Abs 1 Z 3 WaffG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt wurde. Zudem wurde eine Luftdruckpistole, die sich im Besitz der bP befunden hatte, eingezogen.

Mit Urteil des BG XXXX vom XXXX 2019 (rechtskräftig XXXX 2019), XXXX , wurde die bP wegen § 125 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Mit Bescheid vom 03.09.2019 wurde der bP mitgeteilt, dass Sie gemäß § 13 Abs 2 Z 1 AsylG das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem XXXX 2019 verloren hat. Dieser Bescheid ist mit 04.10.2019 in Rechtskraft erwachsen.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.07.2020, GZ: XXXX , wurde ihre Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2018, Zl. XXXX als unbegründet abgewiesen. Am 23.07.2020 erwuchs diese Entscheidung in Rechtskraft.

Mit Schriftsatz vom 06.09.2020 übermittelte das BFA eine Anzeige der Finanzpolizei, XXXX XXXX , XXXX XXXX vom 04.09.2020 gegen zwei näher benannte Personen wegen der Beschäftigung von vier Asylwerbern. Einer dieser Asylwerber war die bP.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.09.2020, Ra 2020/14/0422-4, wurde der bP für die außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des BVwG vom 20.07.2020 die Verfahrenshilfe bewilligt.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.12.2020, Ra 2020/14/0422-11, wurde die Revision zurückgewiesen.

In weiterer Folge reiste die bP bis dato trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung nicht aus und hält sich bis dato unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

2. Mit Schriftsatz vom 22.02.2021 übermittelte der rechtliche Vertreter der bP auf dem Postweg gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG und langte dieser am 25.02.2021 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein. Die erforderliche persönliche Antragstellung erfolgte im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.04.2021.

Per 05.03.2021 wurde die bP aus disziplinären Gründen von der Grundversorgung abgemeldet, da sie in Ihrer Unterkunft randalierte und Sachbeschädigungen begangen hatte.

3. Am 16.02.2021 wurde die bP vor dem BFA zu ihrer Antragstellung niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen Folgendes an:

„…

LA: Besitzen Sie einen irakischen Reisepass?

VP: Nein.

LA: Haben Sie irgendwelche sonstige irakische Dokumente?

VP: Ja, einen irakischen Personalausweis, er befindet sich beim BFA.

LA: Haben Sie jemals Kontakt mit der Irakischen Botschaft aufgenommen, um einen Reisepass zu beantragen?

VP: Nein.

LA: Warum haben Sie nicht versucht, eine Geburtsurkunde und einen Reisepass bei der irakischen Botschaft zu beschaffen?

VP: Ich habe nicht gewusst, wie ich das anfangen soll, ich wusste auch nicht, dass es in Österreich eine irakische Botschaft gibt.

LA: Ihre rechtliche Vertretung hat zwar einen Mängelheilungsantrag bezüglich der Nichtvorlage eines Reisepasses und einer Geburtsurkunde gestellt, diesen aber nur sehr vage damit begründet, dass eine Verlängerung/Erneuerung nicht möglich sei, weil Sie keinen Reisepass haben.

LA: Hat sich in Ihrem Privat- und Familienleben seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts irgend etwas geändert?

VP: Nein.

LA: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder machen Sie sonst irgendeine Ausbildung?

VP: Ich mache seit Oktober 2020 beim BFI online einen Vorbereitungslehrgang zur Pflichtschulabschlussprüfung.

LA: Wie oft und wann haben Sie das Bundesgebiet verlassen, wann letztmalig?

VP: Ich habe Österreich seitdem ich eingereist bin nie verlassen.

LA: Sind Sie über die Situation in ihrem Herkunftsstaat informiert? Haben Sie dort Probleme, wenn ja um welche handelt es sich?

VP: Ich bin über die Lage im Irak über die Medien informiert. Ich habe dort noch immer die gleichen Probleme die ich schon bei meinem Asylverfahren geschildert habe.

LA: Haben Sie im Heimatland noch Verwandte oder Besitz (z.B.: Haus- oder Grundbesitz)?

VP: Meine Eltern und ein Bruder und zwei Schwestern leben im Irak. Es gibt auch noch Onkel und Tanten dort, zu diesen habe ich keinen Kontakt. Ich habe nur über Whatsapp Kontakt zu meinen Eltern. Die Eltern wohnen in XXXX , das ist in XXXX , im Nordirak in Kurdistan. Ich habe im Irak kein Eigentum.

LA: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie im Irak?

VP: Nur zu meinen Eltern.

LA: Sind Sie verheiratet oder leben in einer Lebensgemeinschaft, haben Sie Kinder?

VP: Ich bin ledig, lebe in keiner Lebensgemeinschaft und habe keine Kinder. Ich habe eine Freundin in XXXX , mit der ich aber nicht zusammenlebe.

LA: Womit finanzieren Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich?

VP: Mein Bruder der hier lebt unterstützt mich finanziell. Er lebt auch in Wien. Selbst habe ich kein Einkommen. Ich habe auch Freunde, die mir manchmal helfen.

LA: Was haben Sie vor Ihrer Ausreise im Irak gearbeitet?

VP: Ich habe 9 Jahre als Automechaniker gearbeitet.

LA: Sind Sie krankenversichert?

VP: Ich weiß es nicht.

Anm.: Laut Abfrage Betreuungsinformation des Bundes ist die VP nur bis 03.03.2021 krankenversichert gewesen.

LA: Sie halten sich jetzt seit ca. einem Jahr und 9 Monaten illegal in Österreich auf. Dieser Umstand stellt einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar. Warum sind Sie Ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen?

VP: Ich kann nicht weil ich dort Probleme habe.

LA: Haben Sie besondere Bindungen zu Österreich? Haben Sie hier Verwandte? Sind Sie in anderer Form integriert, z.B. Vereinsmitgliedschaften, ehrenamtliche Tätigkeiten, etc.?

VP: Mein Bruder und dessen Ehefrau und deren drei Kinder leben in Österreich als subsidiär Schutzberechtigte. Auf Nachfrage gebe ich an, dass ich mit ihnen nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Ich bin bei keinem Verein und übe keine ehrenamtlichen Tätigkeiten aus.

LA: Leben Sie mit Ihrem Bruder und dessen Familie gemeinsam in einem Haushalt?

VP: Nein.

LA: Besteht zwischen Ihnen und Ihrem Bruder bzw. dessen Familie und Ihnen ein Abhängigkeitsverhältnis, zB. finanziell oder wegen Pflegebedürftigkeit?

VP: Nein. Ich bekomme von ihm nur manchmal 30 oder 50 € wenn ich Geld brauche. Ich habe eine starke emotionale Bindung zu ihm. Er hat selbst ein krankes Kind.

LA: Warum möchten Sie dauerhaft in Österreich leben?

VP:

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?

VP: Da ich seit fünfeinhalb Jahren hier bin und auch Deutsch gelernt habe, habe ich mich in Österreich gut eingelebt. Ich würde gerne einen Aufenthaltstitel erhalten, um hier arbeiten zu können und mich weiterzubilden. Ich kann nicht zurück in den Irak, selbst meine Eltern leben in einem Flüchtlingslager. …“

4. Mit Bescheid vom 23.04.2021, Zl: XXXX , wies das BFA den Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 14.04.2021 gemäß § 58 Abs 10 AsylG zurück (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Es wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der bP

Die beschwerdeführende Partei ist Staatsangehöriger des Irak, bekennt sich zum schiitisch muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Kurden an. Ihre Identität steht fest. Sie ist ledig und hat keine Kinder.

Die bP hat bis 2014 in Mossul gelebt und lebte dann bis zu ihrer Ausreise aus dem Irak 2015 in Kurdistan in einem Flüchtlingslager. Die bP reiste gemeinsam mit ihrem Bruder und dessen Familie auf Pferden und zu Fuß illegal aus dem Irak aus. Nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet stellte sie gemeinsam mit diesen am 02.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde im Rechtsmittelweg vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 20.07.2020, GZ: XXXX , als unbegründet abgewiesen. Eine dagegen erhobene Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 21.12.2020, Ra 2020/14/0422-11, zurückgewiesen. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erwuchs am 23.07.2020 in Rechtskraft. Die bP kam ihrer daraus erwachsenen Ausreiseverpflichtung nicht nach.

Mit Bescheid vom 03.09.2019 wurde der bP mitgeteilt, dass Sie gemäß § 13 Abs 2 Z 1 AsylG das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem XXXX 2019 verloren hat. Dieser Bescheid ist mit 04.10.2019 in Rechtskraft erwachsen.

Die bP hielt sich seit ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz am 02.11.2015 bis zum Verlust ihres Aufenthaltsrechts am XXXX 2019, also ca. drei Jahre und achteinhalb Monate, aufgrund ihres laufenden Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Seit XXXX 2019 hält sie sich nunmehr nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

In Österreich lebt der Bruder der bP mit seiner Familie, ansonsten leben keine Verwandten der bP im Bundesgebiet. Die bP und ihr Bruder leben nicht in einem gemeinsamen Haushalt und besteht auch sonst kein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders intensive Beziehung, die über das normale Maß zwischen Geschwistern hinausgeht. Die bP lebt derzeit in keiner Lebensgemeinschaft. Sie hat eine Freundin in Österreich, mit dieser lebt sie jedoch nicht zusammen. Ein Abhängigkeitsverhältnis oder eine besonders enge Beziehung zu der Freundin wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Besondere Kontakte bzw. Freundschaften zu anderen in Österreich lebenden Personen wurden im Verfahren ebenfalls nicht vorgebracht, ebenso wenig wie Unterstützungsschreiben.

Die bP hat ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung bestritten und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Lediglich vom 16.05.2019 bis zum 21.05.2019 war die bP geringfügig beschäftigt. Sie geht aktuell keiner legalen Erwerbstätigkeit in Österreich nach, verfügt aber über eine Einstellungszusage als Fahrradzusteller bei der Firma „ XXXX “ in XXXX vom Februar 2021. Am 05.03.2021 wurde die bP aus disziplinären Gründen von der Grundversorgung abgemeldet, da sie in Ihrer Unterkunft randalierte und Sachbeschädigungen begangen hatte. Seither erhält die bP keine Leistungen mehr und ist auch nicht krankenversichert. Die bP hat in der Zeit von 03.02.2020 bis 12.10.2020 an einem Kurs des XXXX im Ausmaß von 416 Unterrichtseinheiten teilgenommen, dabei wurden unter anderem auch Lerninhalte wie „Deutsch als Zweitsprache“ vermittelt. Die Einschätzung des Sprachniveaus der bP ergab dabei eine Lese-, Höhr- und Sprechkompetenz der bP auf dem Niveau B1 sowie eine Schreibkompetenz auf dem Niveau A2. Einen sonstigen Nachweis über den Erwerb von Deutschkenntnissen hat die bP bisher nicht erbracht. Seit 12.10.2020 besucht die bP einen Vorbereitungslehrgang zur Pflichtschulabschlussprüfung. Mitgliedschaften in Vereinen wurden ebenso wenig vorgebracht wie ehrenamtliche Tätigkeiten der bP. Die bP ist gesund und arbeitsfähig.

Die bP wurde im Irak sozialisiert, hat die ersten 16 Jahre ihres Lebens dort verbracht und ihre Muttersprache ist die dortige Landessprache. Die bP besuchte in ihrem Herkunftsstaat drei Jahre die Grundschule, hat die Lehre des Automechanikers absolviert und diesen Beruf neun Jahre lang ausgeübt. Sie konnte ihren Lebensunterhalt im Irak selbst finanzieren. Auch familiäre Anknüpfungspunkte sind im Irak nach wie vor vorhanden. Im Herkunftsstaat leben die Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern der bP. Darüber hinaus leben auch noch mehrere Onkel und Tanten der bP im Irak. Mit ihren Eltern steht die bP regelmäßig in Kontakt. Diese leben in XXXX , in der Stadt XXXX , im Norden des Irak.

Mit Urteil des BG XXXX vom XXXX 2019 (rechtskräftig XXXX 2019), XXXX , wurde die bP wegen §§ 229 Abs. 1, 127 StGB, § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt wurde.

Mit Urteil des BG XXXX vom XXXX 2019 (rechtskräftig XXXX 2019), XXXX , wurde die bP wegen § 125 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Aus einem Bericht der LPD XXXX vom 23.07.2019 geht hervor, dass sich die bP im Rahmen einer Einvernahme vor der Polizei geständig zeigte, zwischen 31.12.2018 – Ende März 2019 im Stadtgebiet von XXXX (Stadtpark) bei 8 Gelegenheiten jeweils 1 Gramm Marihuanagras um € 10,- pro Gramm, insgesamt somit 8 Gramm Marihuanagras um € 80,- sowie bei einer Gelegenheit in XXXX einen Marihuanajoint kostenlos erworben und im Raum XXXX bei mehreren Gelegenheiten in Form von Joints verraucht zu haben. Die Staatsanwaltschaft XXXX trat am 26.07.2019 von der Verfolgung wegen § 27 Abs 1 SMG (vorläufig) zurück.

Am 04.09.2020 erstattete die Finanzpolizei Anzeige gegen zwei näher benannte Personen wegen der Beschäftigung von vier Asylwerbern. Einer dieser Asylwerber war die bP.

Aus dem Antragsvorbringen der beschwerdeführenden Partei gemäß § 55 AsylG geht im Vergleich zur rezenten rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 04.06.2019 ein im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gem. Art 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervor.

Einen gültigen Reisepass konnte die bP nicht vorlegen. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass sie sich um die Ausstellung eines solchen bemüht hätte.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat

Zur Lage im Irak wird auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak (Gesamtaktualisierung am 17.3.2020) verwiesen, in welchem eine Vielzahl von Berichten diverser allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt werden. Das LIB der Staatendokumentation zum Irak wurde bereits mit dem Bescheid des BFA vom 23.04.2021 in das Verfahren eingebracht. In der Beschwerde wurde den verwendeten Länderinformationen mit keinem Wort entgegengetreten. Auf eine auszugsweise Wiedergabe wird verzichtet.

2. Beweiswürdigung

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der bP, der von ihr vorgelegten Beweismittel, des bereits geführten Asylverfahrens, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes und die Einsichtnahme in die vom BFA beigeschafften länderkundlichen aktuelle Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der bP.

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zur Person der bP:

Die Identität der bP steht fest, wie dies schon im Erstverfahren festgestellt wurde.

Die sonstigen personenbezogenen Daten ergeben sich unbestrittener Weise aus den diesbezüglich vorgelegten Bescheinigungsmitteln, ihrer niederschriftlichen Angaben und dem bereits abgeschlossenen Asylverfahren.

Die Feststellungen zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz und dem Verfahrensausgang ergeben sich aus den unzweifelhaften diesbezüglichen Akten des BFA und des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.3 Zur Integration der bP:

Die Feststellungen zum Privatleben in Österreich und den integrativen Schritten ergeben sich aus dem Antrags- und Beschwerdevorbringen, den Angaben der bP in der Einvernahme vor dem BFA am 14.04.2021, den vorgelegten Urkunden, dem Bescheid der belangten Behörde und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.07.2020, GZ: XXXX . In diesem Erkenntnis wurde im Wesentlichen festgestellt, dass es keinerlei Indizien für eine Integration der bP in Österreich gegeben hat. So habe zwar der Rechtsvertreter der bP den Befund des Neffen der bP vorgelegt, jedoch seien zu keinem Zeitpunkt in dem langjährigen Verfahren Nachweise für Integrationsbemühungen oder abgelegte Deutschkurse vorgelegt worden. Demgegenüber seien zwei Verurteilungen der bP wegen vorsätzlich begangener Straftaten gestanden. Alleine diese seien einer erfolgreichen Integration in Österreich entgegengestanden.

Im aktuellen Verfahren brachte die bP einen Nachweis über den Besuch eines Vorbereitungslehrgangs zur Pflichtschulabschlussprüfung seit 12.10.2020 in Vorlage. Der Besuch eines Vorbereitungslehrgangs zur Pflichtschulabschlussprüfung stellt jedoch keine wesentliche Sachverhaltsänderung dar, zumal dies weder garantiert, dass die bP eine Pflichtschulabschlussprüfung ablegen wird, noch, dass sie eine solche positiv absolvieren wird.

Ähnliches gilt für ihre berufliche Integration. Abgesehen von einer geringfügigen Beschäftigung von wenigen Tagen im Mai 2019, ging die bP keiner legalen Erwerbstätigkeit in Österreich nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. An der mangelnden beruflichen Integration der bP in Österreich hat sich somit seit Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.07.2020 nichts geändert. Soweit die bP im gegenständlichen Verfahren eine Einstellungszusage als Fahrradzusteller bei der Firma „ XXXX “ in XXXX vom Februar 2021 im Falle eines Aufenthaltstitels vorweist, handelt es sich dabei um keinen wesentlichen Integrationsschritt seit der letzten Rückkehrentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, zumal diese lediglich eine einseitige, nicht einklagbare Willenserklärung darstellt. Ferner kommt nach der der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einer bloßen Arbeitsplatzzusage für den hypothetischen Fall eines legalen Aufenthalts in der Zukunft keine entscheidende Bedeutung zu (vgl. VwGH 21.1.2010, 2009/18/0523; 29.6.2010, 2010/18/0195; 17.12.2010, 2010/18/0385; 22.02.2011, 2010/18/0323).

Die bP brachte eine Bestätigung der Teilnahme an einem Kurs des XXXX in der Zeit von 03.02.2020 bis 12.10. 2020 im Ausmaß von 416 Unterrichtseinheiten in Vorlage. Dabei wurden unter anderem auch Lerninhalte wie „Deutsch als Zweitsprache“ vermittelt. Die Einschätzung des Sprachniveaus der bP ergab dabei eine Lese-, Höhr- und Sprechkompetenz der bP auf dem Niveau B1 sowie eine Schreibkompetenz auf dem Niveau A2. Einen sonstigen Nachweis über den Erwerb von Deutschkenntnissen hat die bP bisher nicht erbracht. Diesbezüglich ist auch anzumerken, dass die bP den Kurs bereits zum Zeitpunkt des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.07.2020 besuchte.

Die bP brachte in der Einvernahme vor dem BFA am 14.04.2021 vor, in Österreich eine Freundin zu haben, welche in XXXX wohne. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die bP in der Einvernahme selbst angab, mit ihrer Freundin nicht zusammenzuleben und sich in keiner Lebensgemeinschaft zu befinden. Sie war in der Einvernahme auch nicht in der Lage, nähere Angaben zu ihrer Freundin zu machen und wurde diese in der Beschwerde mit keinem Wort erwähnt, weshalb von keiner besonders intensiven Beziehung ausgegangen werden kann. Dafür spricht auch der Umstand, dass die bP ihren Wohnsitz in Wien hat, ihre Freundin jedoch im ca. 150 km entfernten XXXX lebt.

Auch die bloße Verlängerung ihres Aufenthaltes in Österreich seit der Entscheidung vom 20.07.2020 stellt ebenfalls keine derartige Sachverhaltsänderung dar um von einer berücksichtigungswürdigen Integration auszugehen, zumal die bP verpflichtet gewesen wäre, Österreich zu verlassen.

2.4. Zum Reisepass:

Die beschwerdeführende Partei stellte am 22.02.2021 einen Antrag auf Mängelheilung und beantragte von der Vorlage des Reisepasses abzusehen. Begründend führte sie aus, dass sie nie einen Reisepass besessen habe. Es sei ihr nicht möglich einen Reisepass erneuern/verlängern zu lassen, eben weil es keinen Reisepass gebe. Die bP sei auch nicht im Besitz einer Geburtsurkunde.

Wenngleich es zwar richtig ist, dass bei Fehlen eines Reisepasses eben dieser nicht verlängert werden kann, so wäre es doch möglich eine Ausstellung eines Reisepasses zu begehren. Eine entsprechende Kommunikation mit der Botschaft oder sonstige Beweismittel wurden nicht vorgelegt. Die bP unternahm somit keine Versuche, um den Erhalt eines Reisedokumentes zu erwirken.

Die beschwerdeführende Partei vermochte somit nicht glaubhaft darzulegen, dass sie sich um die Ausstellung eines Reisepasses oder eines sonstigen Ausweisdokuments durch ihren Herkunftsstaat überhaupt ernsthaft bemüht hätte. Unter diesen Umständen kann dem BFA nicht entgegengetreten werden, wenn es nicht davon ausging, dass der bP die Beschaffung eines Reisepasses nachweislich nicht möglich oder unzumutbar gewesen wäre.

2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat beruhen auf den vom BFA im gegenständlich angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen (Bescheid, S 9-99). Die Beschwerde ist diesen Feststellungen nicht entgegengetreten und es ergeben sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, diese Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

Zur Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK und zur Abweisung des Antrages auf Mängelheilung:

3.1. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Gemäß § 55 Abs 2 AsylG ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

Gemäß § 58 Abs 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 AsylG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Wenn die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (VwGH 19.10.2016, Ro 2016/12/0009).

Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass "- als Nachfolgeregelung des § 44b Abs 1 Z 1 NAG 2005 -" nunmehr § 58 Abs 10 AsylG 2005 bestimmt, dass Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen sind, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG 2014 ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Nach dieser Judikatur liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr läge ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art 8 EMRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs 10 AsylG 2005 zulässig. (VwGH Ra 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Entsprechend § 58 Abs 11 Z 2 AsylG ist der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nachkommt.

Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 und Z 2 AsylG-DV sind ein gültiges Reisedokument (§ 2 Abs 1 Z 2 und 3 NAG) bzw. eine Geburtsurkunde oder ein dieses gleichzuhaltende Dokument im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels anzuschließen, wobei die seitens der beschwerdeführenden Partei beantragte „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs 1 AsylG explizit in § 3 Abs 2 Z 1 AsylG-DV genannt ist.

Nach § 4 Abs 1 Z 1 bis Z 3 AsylG-DV kann die Behörde auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs 5, 6 und 12 AsylG zulassen im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls (Z 1), zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK (Z 2) oder im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war (Z 3).

Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 4 Abs 2 AsylG-DV)

3.2. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt die Nichtvorlage eines gültigen Reisedokuments bei Unterbleiben einer Antragstellung nach § 4 Abs 1 Z 3 und § 8 Abs 1 Z 1 AsylG-DV grundsätzlich eine auf § 58 Abs 11 Z 2 AsylG gestützte zurückweisende Entscheidung (zuletzt VwGH 04.03.2020, Ra 2019/21/0214 mit Hinweis auf VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0039; VwGH 14.04.2016, Ra 2016/21/0077; VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187).

Die bP hat ihrem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK kein gültiges Reisedokument beilegte, weshalb dieser mangelhaft eingebracht worden ist.

Sie vermochte nicht glaubhaft darzulegen, dass sie sich um die Ausstellung eines Reisepasses oder eines sonstigen Ausweisdokuments durch seinen Herkunftsstaat überhaupt ernsthaft bemüht hätte, weshalb eine Heilung nach § 4 Abs 1 Z 3 AsylG-DV ausscheidet.

Eine Heilung nach § 4 Abs 1 Z 1 AsylG-DV scheitert bereits in Anbetracht der Volljährigkeit der beschwerdeführenden Partei.

Zur Heilung nach § 4 Abs 1 Z 2 AsylG-DV hat der VwGH ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK erforderlich sein muss, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG zu erteilen ist, voraussetzungsgemäß erfüllt ist. Auch im Fall eines Antrags auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gilt, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs 1 Z 2 AsylG-DV die gleichen sind wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs 1 Z 2 AsylG-DV stattzugeben ist, unterscheidet sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG zu erteilen ist. Daraus folgt auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs 1 AsylG-DV in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig ist, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (VwGH 21.01.2017, Ra 2016/21/0168 mit Hinweis auf VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187 und VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

Folglich bleibt damit zu prüfen, ob eine Heilung aufgrund von § 4 Abs 1 Z 2 AsylG-DV (zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK) vorliegt.

3.3. Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

§ 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

3.3.1. Für die Beurteilung ob ein relevantes Privat- und/oder Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliegt sind nach der höchstgerichtlichen Judikatur insbesondere nachfolgende Umstände beachtlich:

Privatleben:

Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Rückkehrentscheidungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Bei der Schutzwürdigkeit des Privatlebens manifestiert sich der Grad der Integration des Fremden insbesondere an intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen (vgl. EGMR 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124; 11.10.2005, 2002/21/0124).

Familienleben:

Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben. Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 2006, B 1277/04, unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR; des Weiteren auch das Erkenntnis des VwGH vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0423 und die darauf aufbauende Folgejudikatur, etwa die Erkenntnisse vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/20/0235, vom 8. Juni 2006, Zl. 2003/01/0600, vom 22. August 2006, Zl. 2004/01/0220 und vom 29. März 2007, Zl. 2005/20/0040, vom 26. Juni 2007, 2007/01/0479).

Die Beziehung der bereits volljährigen Kinder zu den Eltern ist vor allem dann als Familienleben zu qualifizieren, wenn jene auch nach Eintritt der Volljährigkeit im Haushalt der Eltern weiterleben, ohne dass sich ihr Naheverhältnis zu den Eltern wesentlich ändert (Chvosta, Die Rückkehrentscheidung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 860 unter Hinweis auf Wiederin in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 8 EMRK Rz 76).

Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern, die wegen des Fehlens von über die üblichen Bindungen hinausgehenden Merkmalen der Abhängigkeit nicht (mehr) unter den Begriff des Familienlebens fallen, unter den Begriff des ebenfalls von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Privatlebens zu subsumieren (VwGH 21.4.2011, 2011/01/0093-7 [vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 9. Oktober 2003, Slivenko gegen Lettland, Beschwerde Nr. 48321/99, Randnr. 97, vom 15. Juni 2006, Shevanova gegen Lettland, Beschwerde Nr. 58822/00, Randnr. 67, vom 22. Juni 2006, Kaftailova gegen Lettland, Beschwerde Nr. 59643/00, Randnr. 63, und vom 12. Jänner 2010, A.W. Khan gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 47486/06, Randnr. 31 ff]).

Alle anderen verwandtschaftlichen Beziehungen (zB zwischen Enkel und Großeltern, erwachsenen Geschwistern [vgl. VwGH 22.08.2006, 2004/01/0220, mwN; 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723-8], Cousinen [VwGH 15.01.1999, 97/21/0778; 26.6.2007, 2007/01/0479], Onkeln bzw. Tanten und Neffen bzw. Nichten) sind nur dann als Familienleben geschützt, wenn eine „hinreichend starke Nahebeziehung“ besteht. Nach Ansicht der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist für diese Wertung insbesondere die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung (vgl. VfSlg 17.457/2005). Dabei werden vor allem das Zusammenleben und die gegenseitige Unterhaltsgewährung zur Annahme eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK führen, soweit nicht besondere Abhängigkeitsverhältnisse, wie die Pflege eines behinderten oder kranken Verwandten, vorliegen.

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

3.3.2. In Österreich lebt der Bruder der bP mit seiner Familie. Die bP und ihr Bruder leben nicht in einem gemeinsamen Haushalt und besteht auch sonst kein relevantes finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis. Zwischen der bP und ihrem Bruder sind somit keine zusätzlichen Merkmale einer Abhängigkeit erkennbar, die über die üblichen Bindungen hinausgehen, weshalb nach o.a. Rechtsprechung des EGMR der Bruder der bP bzw. dessen Familie nicht vom Begriff des "Familienlebens" im Sinne des Art 8 EMRK umfasst sind.

Auf Grund der mehr als fünfeinhalbjährigen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet und der gegeben persönlichen Umstände, liegt hier jedenfalls ein relevantes Privatleben in Österreich vor, auch wenn diesbezüglich festzuhalten ist, dass sich die bP seit XXXX 2019 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt.

3.3.3. Da die Rückkehrentscheidung somit einen Eingriff in das Recht auf Privatleben darstellt, bleibt daher zu prüfen, ob die bP in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt.

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Wenn das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten, ist dies bei der Abwägung gegebenenfalls als die persönlichen Interessen mindernd in Betracht zu ziehen (EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 5.9.2000, Fall Solomon, Appl. 44.328/98; 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562, Fall Nnyanzi gg. Vereinigtes Königreich, Fall Darren Omoregie u.a. gg. Norwegen).

Privatleben iSd Art 8 Abs 1 EMRK kann grundsätzlich nur im Rahmen eines legalen Aufenthaltes entstehen. Eine während des laufenden Asylverfahrens bloß vorläufige Aufenthaltsberechtigung ist nicht geeignet berechtigterweise schon die Erwartung hervorzurufen, in Österreich bleiben zu dürfen (EGMR in den Sachen Ghiban v. 7.10.04, 33743/03 und Dragan NVwZ 2005, 1043, Nnyanzi gg. Norwegen).

Der Asylwerber kann während seines Asylverfahrens nicht darauf vertrauen, dass ein in dieser Zeit entstehendes Privat- bzw. Familienleben auch nach der Erledigung seines Asylantrages fortgesetzt werden kann. Die Rechte aus der GFK dürfen nicht dazu dienen, die Einwanderungsregeln zu umgehen (ÖJZ 2007/74, Peter Chvosta, Die Rückkehrentscheidung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, S 857 mwN).

Verfügt die bP über einen gesicherten Aufenthalt und ist sie nicht straffällig geworden, so bewirken diese Umstände keine relevante Verstärkung ihrer persönlichen Interessen (Hinweis E 24. Juli 2002, 2002/18/0112; 31.10.2002, 2002/18/0190).

Das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration ist weiters dann gemindert, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten (insbesondere bei Vortäuschung eines Asylgrundes [vgl VwGH 2.10.1996, 95/21/0169]), relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers wesentlich [vgl. die Erkenntnisse vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0114, und vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0246] (VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168).

Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es der bP bei der asylrechtlichen Rückkehrentscheidung grundsätzlich nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (vgl. ÖJZ 2007/74, Peter Chvosta, Die Rückkehrentscheidung von Asylwerbern und Art 8 EMRK, S 861, mwN).

3.3.4. Im Einzelnen ergibt sich unter zentraler Beachtung der in § 9 Abs 1 Z 1-9 BFA-VG genannten Determinanten Folgendes:

-        Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:

Die bP ist seit 02.11.2015 in Österreich aufhältig. Sie reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und konnte ihren Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz vorübergehend legalisieren. Nach Abweisung dieses Antrages und Verfügung einer asylrechtlichen Rückkehrentscheidung durch das BFA wurde die vorläufige Aufenthaltsberechtigung durch Einbringung der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht für die Dauer des Beschwerdeverfahrens verlängert. Mit Bescheid vom 03.09.2019 wurde der bP mitgeteilt, dass Sie gemäß § 13 Abs 2 Z 1 AsylG das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem XXXX 2019 verloren hat. Die bP hielt sich seit ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz am 02.11.2015 bis zum Verlust ihres Aufenthaltsrechts am XXXX 2019, also ca. drei Jahre und achteinhalb Monate, aufgrund ihres laufenden Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Seit XXXX 2019 hält sie sich nunmehr nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Abgesehen von der aus der bloßen Asylantragstellung resultierenden vorläufigen Aufenthaltsberechtigung für die Dauer des Verfahrens kam nicht hervor, dass die bP zu irgendeinem Zeitpunkt über einen anderen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügt hätte. Hätte sie diesen unbegründeten Antrag nicht gestellt, wäre sie seit jeher rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würde.

-        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens:

Wie zuvor ausgeführt, verfügt die bP über kein Familienleben in Österreich.

-        Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstaates bewusst waren:

Die bP begründete ihr Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert wurde. Der Aufenthalt der bP war zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privatlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt bzw. war ihr Aufenthalt seit der rechtskräftig negativen Entscheidung über ihren Asylantrag unrechtmäßig und hätte sich die bP ihrer Ausreiseverpflichtung bewusst sein müssen.

Einem Asylwerber muss überdies auch (spätestens) nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages - auch wenn er subjektiv Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrages von einem nicht gesicherten weiteren Aufenthalt ausgehen [Hinweis E 25. März 2010, 2010/21/0064 bis 0068] (VwGH 29.4.2010, 2010/21/0085). Weiter kommt hinzu, dass davon auszugehen ist, dass dieser als unbegründet zu erachtende Asylantrag zudem hinsichtlich der Fluchtgründe auf falsche Gegebenheiten gestützt und damit versucht wurde die Asylinstanzen zu täuschen.

Sofern die bP nach Rechtskraft ihres Asylverfahrens eine Beziehung begründete, musste die bP ebenso wie ihre Freundin zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass die bP in den Herkunftsstaat zurückkehren muss.

Nur beim Vorliegen von außergewöhnlichen, besonders zu berücksichtigenden Sachverhalten kann sich ergeben, dass den Fremden, welche rechtswidrig in das Bundesgebiet einreisten oder sich rechtswidrig in diesem aufhalten, ihre Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes nachgesehen und ein Aufenthaltsrecht erteilt wird. Derartige Umstände liegen im gegenständlichen Fall nicht vor.

Keinesfalls entspricht es der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Systematik, dass das Knüpfen von privaten bzw. familiären Anknüpfungspunkten nach rechtswidriger Einreise oder während eines auf einen unbegründeten Antrag fußenden Asylverfahrens bzw. gar nach negativer Entscheidung im Rahmen eines Automatismus zur Erteilung eines Aufenthaltstitels führen. Dies kann nur ausnahmsweise in Einzelfällen bei Vorliegen eines besonders qualifizierten Sachverhalts der Fall sein, welcher hier bei weitem nicht vorliegt (vgl. hier etwa Erk. d. VfGH U 485/2012-15 vom 12.06.2013).

-        Grad der Integration:

Die bP reiste im November 2015 in Österreich ein und befindet sich somit seit mehr als fünfeinhalb Jahren in Österreich, was in Bezug auf ihr Lebensalter einen relativ kurzen Zeitraum darstellt.

Aus dem Akteninhalt geht auch nicht hervor, dass die bP selbsterhaltungsfähig wäre bzw. ernsthafte und taugliche Bemühungen zur Herstellung der Selbsterhaltungsfähigkeit unternommen hätte. Die bP hat in der Zeit von 03.02.2020 bis 12.10.2020 an einem Kurs des XXXX im Ausmaß von 416 Unterrichtseinheiten teilgenommen, dabei wurden unter anderem auch Lerninhalte wie „Deutsch als Zweitsprache“ vermittelt. Die Einschätzung des Sprachniveaus der bP ergab dabei eine Lese-, Höhr- und Sprechkompetenz der bP auf dem Niveau B1 sowie eine Schreibkompetenz auf dem Niveau A2. Einen sonstigen Nachweis über den Erwerb von Deutschkenntnissen hat die bP bisher nicht erbracht, insbesondere hat sie bisher keine Deutschprüfung abgelegt. Seit 12.10.2020 besucht die bP einen Vorbereitungslehrgang zur Pflichtschulabschlussprüfung. Mitgliedschaften in Vereinen wurden ebenso wenig vorgebracht wie ehrenamtliche Tätigkeiten der bP.

In Anbetracht der Aufenthaltsdauer, den lediglich mittelmäßigen Deutschkenntnissen auf dem Niveau A2-B1 und der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit und insbesondere vor dem Hintergrund, dass die bP während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet bis zu ihrer Abmeldung aus der Grundversorgung aus disziplinären Gründen im März 2021 im Rahmen der Grundversorgung des Bundes unterstützt wurde, kann von einer verfestigten und gelungenen Eingliederung der bP in die österreichische Gesellschaft nicht ausgegangen werden. Auch der Umstand, dass die bP eine Einstellungszusage vorweisen kann, stellt keine besondere berufliche Integration der bP dar.

In diesem Zusammenhang sei auch auf die höchstgerichtliche Judikatur verwiesen, wonach selbst die – hier bei weitem nicht vorhandenen – Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).

-        Bindungen zum Herkunftsstaat:

Die bP verbrachte den überwiegenden Teil ihres Lebens im Irak und wurde dort sozialisiert. Sie spricht die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Die bP besuchte in ihrem Herkunftsstaat drei Jahre die Grundschule, hat die Lehre des Automechanikers absolviert und diesen Beruf neun Jahre lang ausgeübt. Sie konnte ihren Lebensunterhalt im Irak selbst finanzieren. Auch familiäre Anknüpfungspunkte sind im Irak nach wie vor vorhanden. Im Herkunftsstaat leben die Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern der bP. Darüber hinaus leben auch noch mehrere Onkel und Tanten der bP im Irak. Mit ihren Eltern steht die bP regelmäßig in Kontakt. Diese leben in XXXX , in der Stadt XXXX , im Norden des Irak. Dass die bP als vom Irak entwurzelt zu betrachten wäre, kann nicht angenommen werden. Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass selbst bei einem etwa acht Jahre dauernden inländischen Aufenthalt ein Fremder dadurch nicht gehindert ist, sich wieder eine existenzielle Grundlage im Herkunftsland aufzubauen (VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162).

-        strafrechtliche Unbescholtenheit:

In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheint eine rechtskräftige Verurteilung wegen §§ 229 Abs. 1, 127 StGB, § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG und eine rechtskräftige Verurteilung wegen § 125 StGB auf.

Anzumerken sei in diesem Zusammenhang auch, dass sich die bP im Rahmen einer Einvernahme vor der Polizei geständig zeigte, zwischen 31.12.2018 – Ende März 2019 im Stadtgebiet von XXXX (Stadtpark) bei 8 Gelegenheiten jeweils 1 Gramm Marihuanagras um € 10,- pro Gramm, insgesamt somit 8 Gramm Marihuanagras um € 80,- sowie bei einer Gelegenheit in XXXX einen Marihuanajoint kostenlos erworben und im Raum XXXX bei mehreren Gelegenheiten in Form von Joints verraucht zu haben. Die Staatsanwaltschaft XXXX trat am 26.07.2019 von der Verfolgung wegen § 27 Abs 1 SMG (vorläufig) zurück.

-        Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-. Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts:

Die bP reiste nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet ein, was grundsätzlich als relevanter Verstoß gegen das Einwanderungsrecht in die Interessensabwägung einzubeziehen ist (vgl. zB. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0165; 25.02.2010, 2009/21/0070).

Sie legalisierte ihren Aufenthalt erst durch die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz.

Nach Erlassung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung weigerte sie sich auszureisen und ist seither illegal im Bundesgebiet aufhältig.

Darüber hinaus verhielt sich die bP in ihrer Asylunterkunft aggressiv, randalierte und beging Sachbeschädigungen, weswegen sie am 05.03.2020 aus disziplinären Gründen von der Grundversorgung abgemeldet wurde. Weiters ist sie bei der Ausübung nicht angemeldeter, illegaler Tätigkeiten betreten worden.

-        Mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer

Ein derartiges Verschulden kann aus der Aktenlage nicht entnommen werden.

3.3.5. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der bP im Bundesgebiet das persönliche Interesse der bP am Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Die für den Verbleib der bP in Österreich sprechenden Umstände betreffend ihr Privatleben erreichen vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen nicht ein solches Gewicht, als dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Die seit der Antragstellung gesetzten integrationsbergründenden Schritte setzte die bP schließlich auch in einem Zeitraum, in dem sie sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste und die erreichte Integration muss deshalb entsprechend relativiert werden (z. B. VwGH XXXX 2019, Ro 2019/01/0003).

Überdies wirken sich die zwei vorliegenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf Grund vorsätzlich begangener Taten entschieden zu Lasten der bP aus und machen eine Aufenthaltsbeendigung im öffentlichen Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten dringend erforderlich. Selbst das Bewusstsein über das anhängige Verfahren über ihren Antrag auf internationalen Schutz vermochte sie nicht davon abzuhalten, mehrmals Straftaten zu begehen, an deren Verhinderung besonders hohe öffentliche Interessen bestehen. So besteht ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere der Gewalt- und Eigentumskriminalität (VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474 mit Hinweis auf VwGH 22.05.2013, 2013/18/0041).

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalen Recht und vorbehalt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten