Entscheidungsdatum
02.09.2021Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G304 2240649-5/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin über die Anhaltung des XXXX , geb. XXXX , StA. Algerien, Zahl XXXX , im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft, zu Recht erkannt:
A)
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 16.02.2021 wurde über den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG zwecks Sicherung der Abschiebung die Schubhaft angeordnet, wobei ausgesprochen wurde, dass die Rechtsfolgen bei Entlassung des BF aus der Strafhaft eintreten.
2. Nach Entlassung des BF aus der Strafhaft am 25.02.2021 kam der BF in Schubhaft.
3. Seit 25.02.2021, 08:00 Uhr, befindet sich der BF nunmehr durchgehend in Schubhaft.
4. Seitens des Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) wurde nach durch das BFA erfolgter Aktenvorlage bereits mehrmals die Prüfung vorgenommen, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
Die Feststellung, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist, wurde in den darauffolgenden Schubhaftverfahren vor dem BVwG jeweils
- in der mündlichen Verhandlung vom 23.06.2021, Zl. G312 2240649-2,
- in der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2021, Zl. G307 2240649-3, und
- in der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2021, Zl. G309 2240649-4,
mündlich verkündet.
5. Am 24.08.2021 erfolgte die verfahrensgegenständliche Aktenvorlage vor das BVwG zur Vornahme der Prüfung, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 12.04.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sein Antrag wurde mit Rechtskraft 07.06.2006 abgewiesen, wobei auch eine Ausweisung erlassen wurde.
Der BF wurde für den Zeitraum vom 21.11.2009 bis 09.02.2010 zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft genommen, musste jedoch aufgrund eines Hungerstreiks entlassen worden.
1.2. Am 24.11.2009 wurde erstmals ein Heimreisezertifikat (im Folgenden: HRZ) bei der algerischen Botschaft beantragt.
1.3. Am 21.04.2010 wurde der BF erneut in Schubhaft genommen, die Anforderung eines HRZ wurde am 21.04.2010 urgiert, und aufgrund der Nicht-Erlangung des HRZ musste er daraufhin am 05.07.2020 freigelassen werden. Eine positive oder negative Stellungnahme seitens der algerischen Botschaft langte bei der belangten Behörde nicht ein.
1.4. Der BF beantragte am 21.10.2011 über die Caritas eine freiwillige Rückkehr. Es kam folglich nicht zu einer freiwilligen Ausreise des BF, wurde doch seitens des BMI die Übernahme der Kosten abgelehnt, weil noch ein laufendes Verfahren anhängig war.
1.5. Eine Ladung zur Identitätsfeststellung vom 21.02.2012 konnte dem BF nicht zugestellt werden, war er doch unbekannten Aufenthaltes.
1.6. Sein Folgeantrag vom 09.04.2012 wurde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Gegen den BF wurde zudem eine mit 23.05.2012 rechtskräftig gewordene Ausweisung erlassen.
Festgestellt wird, dass der BF in seinen beiden Asylverfahren eine jeweils andere Alias-Identität angegeben hat.
1.7. Nachdem der BF im Juli, September und Oktober 2012 rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden war, wurde mit Bescheid einer Landespolizeidirektion vom 15.03.2013, rechtskräftig mit 20.03.2013, gegen den BF eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung samt zehnjährigem Einreiseverbot erlassen.
1.8. Der vom BF am 29.10.2014 angeregten Duldung wurde seitens des BFA nicht Folge geleistet, mit der Begründung, dass die Gründe dafür, den BF nicht in sein Herkunftsland abschieben zu können, bei ihm gelegen seien, zumal er offenbar falsche Angaben bezüglich seiner Identität gemacht habe.
1.9. Am 09.11.2016 wurde erneut ein Verfahren zur Erlangung eines HRZ eingeleitet.
1.10. Im Zuge einer Kontrolle am 11.04.2017 wurde der BF aufgrund seines illegalen und unsteten Aufenthaltes nach § 34 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG festgenommen.
Es langte eine Meldung ein, dass der BF am 12.04.2017 während einer Verwaltungs-Verwahrungshaft in eine Sicherheitszelle verlegt wurde, äußerte der BF bei der Visitierung doch, sich das nicht gefallen zu lassen und dass er sich was antun werde. Außerdem schlug er mehrmals mit der Faust und dem Hinterhaupt gegen die Wand der Anhaltezelle. Verletzt wurde er dabei nicht.
1.11. Am 13.04.2017 kam der BF in Schubhaft.
Der BF wurde am 18.05.2017 den algerischen Vertretungsbehörden in Wien zu einem Identifizierungsinterview vorgeführt.
Am 08.06.2017 ging bei der belangten Behörde die Mitteilung ein, dass der BF seitens der algerischen Botschaft negativ identifiziert wurde.
1.12. Am 12.06.2017 wurden weitere Verfahren zur HRZ-Erlangung mit Botschaft von Marokko und Tunesien eingeleitet.
1.13. Der BF wurde am 14.06.2017 aus der Schubhaft entlassen.
1.14. Mit Bescheid des BFA vom 14.06.2017 wurde dem BF gemäß § 46 Abs. 2a FPG aufgetragen, mit der für ihn zuständigen ausländischen Behörde seines Herkunftsstaats (Botschaft, Konsulat) Kontakt aufzunehmen, an den notwendigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes mitzuwirken und dieses dem Bundesamt vorzulegen, wobei er diesem Auftrag innerhalb von 3 Wochen ab Durchsetzbarkeit dieses Bescheides nachzukommen und dies dem BFA nachzuweisen gehabt habe, widrigenfalls er ohne wichtigen dem Antrag entgegenstehenden Grund wie etwa Krankheit oder Behinderung damit rechnen müssen habe, dass über ihn eine Haftstrafe von 7 Tagen verhängt wird.
Eine Mitwirkung des BF an der Erlangung eines HRZ erfolgte nicht.
1.15. Der BF wurde in Österreich mehrmals rechtskräftig strafrechtlich verurteilt, und zwar mit
- Urteil von Juli 2012, rechtskräftig mit Juli 2012, wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, dann mit
- Urteil von September 2012, rechtskräftig mit September 2012 wegen Suchtgifthandels und unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, des Weiteren mit
- Urteil von Oktober 2012, rechtskräftig mit Oktober 2012, wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, welche Strafe unter Bedachtnahme auf das zuvor ergangene Strafrechtsurteil von September 2012 als Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 41 StGB ergangen ist, daraufhin mit
- Urteil von August 2019, rechtskräftig mit August 2019, wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und wegen Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten, und zuletzt mit
- Urteil von Juni 2017, rechtskräftig mit September 2019, wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, wobei im Dezember 2020 beschlossen wurde, den BF am 25.02.2021 bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren aus der Strafhaft zu entlassen.
1.16. Im Zuge des Parteiengehörs vom 28.12.2020 wurde der BF über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihm die Beabsichtigung der Erlassung der Schubhaft nach seiner Strafhaft zur Kenntnis gebracht. Gleichzeitig wurde dem BF die Möglichkeit zur Stellungnahme hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse eingeräumt. Dieses Schreiben hat der BF nachweislich am 29.12.2020 übernommen. Weder in der vorgesehenen Frist noch bis zur Erlassung des Schubhaftbescheides langte jedoch beim BFA eine Stellungnahme des BF ein.
1.17. Mit Bescheid des BFA vom 16.02.2021 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG zwecks Sicherung der Abschiebung die Schubhaft angeordnet, und ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides bei Entlassung des BF aus der Strafhaft eintreten.
1.18. Nach Entlassung des BF aus der Strafhaft am 25.02.2021 kam der BF in Schubhaft.
Seit 25.02.2021, 08:00 Uhr, befindet sich der BF nunmehr durchgehend in Schubhaft.
1.19. Der BF brachte am 22.03.2021 beim BVwG, Außenstelle Graz, eine Schubhaftbeschwerde ein.
Mit Beschluss des BVwG vom 25.03.2021, Zl. G315 2240649-1/15E, wurde die Schubhaftbeschwerde wegen Mangelhaftigkeit der Eingabe zurückgewiesen.
1.20. Die Feststellung, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist, wurde in den darauffolgenden Schubhaftverfahren vor dem BVwG jeweils
- in der mündlichen Verhandlung vom 23.06.2021, Zl. G312 2240649-2,
- in der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2021, Zl. G307 2240649-3, und
- in der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2021, Zl. G309 2240649-4,
mündlich verkündet.
1.21. Nachdem gegen den BF, rechtskräftig mit 20.03.2013, eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung samt zehnjährigem Einreiseverbot erlassen worden war, ist der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet verblieben.
Bis dato konnte aufgrund seiner fehlenden Mitwirkung kein HRZ für ihn erlangt werden. Der BF hat sich zu keinem Zeitpunkt von sich aus um die Beschaffung eines Dokumentes aus seinem Herkunftsstaat bemüht. Durch Verweigerung des Gesprächs beim Interviewtermin am 18.05.2017 wurde die Ausstellung eines HRZ erfolgreich verhindert.
1.22. Der BF versuchte zudem, zuletzt im Zeitraum vom 21.03.2021, 18:00 Uhr, bis 29.03.2021, 18:00 Uhr, mit einem Hungerstreik seine Freilassung zu erzwingen.
1.23. Eine aktuelle gesundheitliche Beeinträchtigung, welche einer Anhaltung in Schubhaft entgegenstehen würde, ist nicht bekannt bzw. wurde nach letzter alle 14 Tage stattfindender Arztkontrolle nicht bekannt gegeben.
1.24. Der BF legte in den mit ihm geführten mündlichen Schubhaftverhandlungen vor dem BVwG stets dar, nicht ausreisewillig zu sein.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 23.06.2021, Zl. G312 2240649-2, gab er diesbezüglich an:
„Ich gehe nicht freiwillig nach Algerien, das ist fix. Wenn man mir 48 Stunden in Freiheit gibt, bin ich weg aus Österreich.“ (VH-Niederschrift, S. 13)
In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2021, Zl. G307 2240649-3, gab der BF befragt danach, ob er freiwillig nach Algerien zurückkehren würde, an:
„Nein, es tut mir sehr leid.“ (VH-Niederschrift, S. 4)
In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.08.2021, Zl. G309 2240649-4, hielt der BF seine in den beiden mit ihm zuvor geführten mündlichen Verhandlungen vom 23.06.2021 und 14.07.2021 gemachten Angaben mit den Worten ausdrücklich aufrecht:
„Ich habe dem bereits Gesagten nichts hinzuzufügen. Es ist alles bereits von mir bekanntgegeben.“ (VH-Niederschrift, S. 3).
Später in der Verhandlung vor dem BVwG am 06.08.2021 beteuerte der BF:
„Ich kehre nicht freiwillig zurück. Ich habe in Algerien zwar nichts angestellt, aber ich bin seit 17 Jahren in Europa und wüsste nicht, was ich in Algerien tun sollte. Ich kehre nicht zurück.“ (VH-Niederschrift, S. 5)
1.25. Ab 21.04.2010 war der BF in Österreich entweder in einem Polizeianhaltezentrum oder in einer Justizanstalt behördlich gemeldet, und hatte er nie einen ordentlichen Wohnsitz.
Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen oder sonstigen Bezugspersonen. Eine soziale oder berufliche Verankerung des BF in Österreich gibt es nicht.
Der BF verfügt nicht über ausreichende Existenzmittel, um im österreichischen Bundesgebiet seinen Aufenthalt finanzieren bzw. seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Ihm wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2021, Zl. G307 2240649-3, vorgehalten:
„Sie verfügen seit 20.03.2013 über kein Aufenthaltsrecht mehr in Österreich. Was würden Sie machen, wenn Sie aus Österreich entlassen werden würden?“
Nachdem der BF angegeben hatte, arbeiten zu wollen, wurde ihm vorgehalten:
„Selbst, wenn Sie den Willen haben zu arbeiten, das AuslBG erlaubt das nicht.“ (VH-Niederschrift, S. 4)
Der BF hat keine Möglichkeit, um in Österreich auf legale Weise zu Geld zu gelangen bzw. sich auf legale Weise ein regelmäßiges Einkommen zu erwirtschaften.
1.26. In der diesem Schubhaftverfahren vorangegangenen Verfahren gab der Behördenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.08.2021, Zl. G309 2240649-4, an,
„dass heute eine weitere Urgenz an die algerische Botschaft zur Ausstellung eines HRZ ergangen ist. Betreffend dem Vorführtermin erwarten wir demnächst, ehebaldigst, das Aviso zur Terminisierung. Der BF ist als Prioritätsperson zur Vorführung vermerkt und wird sobald dieser Termin uns bekannt gegeben wird, vorgeführt. Eine freiwillige Rückkehr des BF in sein Land stellt kein Hindernis dar, zumal er jederzeit bis dato die Möglichkeit gehabt hatte, bei seiner Vertretungsbotschaft in Wien ein Ersatzreisedokument zu beantragen. Dies deshalb, da der BF, so fern seine Angaben der Wahrheit unterliegen sollten, in Algerien geboren ist und Volkszählungen in Algerien 1977, 1987, 1998 und 2008 stattgefunden haben. Sohin ist der BF jedenfalls registriert und stellt solch eine Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes, auch wenn keine Verwandten mehr leben oder existieren sollten, kein Hindernis dar. Vielmehr hat der BF in den vorangegangenen Verhandlungen angegeben, dass er trotz der ihm auferlegten Mitwirkungspflicht vom Gesetzgeber bis dato unkooperativ gezeigt hat, keinen Ersatzreisepass beantragt hat und es auch wusste, die Vorführtermine, die stattgefunden haben, zu vereiteln. Daher wird auf Art. 15 Abs. 6 der Rückführungsrichtlinie verwiesen, nicht nur aufgrund der Aktenlage zugrundeliegenden Sachverhaltes, insbesondere das Verhalten des BF hinsichtlich seiner Suchtmitteldelinquenz, dass es bis zu einer Ausdehnung von 18 Monaten die Anhaltung in Schubhaft möglich ist. Zudem hat der BF wiederholt mittels Hungerstreik zuletzt am 25.03.2021 im AHZ (…) versucht, damit seine Freilassung zu erzwingen.“ (VH-Niederschrift, S. 3, 4)
Der Behördenvertreter gab dann in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.08.2021, Zl. G309 2240649-4, bezüglich weiterhin bestehender Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft des BF unter anderem Folgendes an:
„(…) Er war wiederholt im Suchtmittelbereich strafrechtlich verurteilt worden, mehr als unkooperativ zur Erlangung eines HRZs und ist eine Abschiebung sehr wohl zeitnah, sobald ein Interviewtermin in Aussicht ist, da der BF heute auch selber angegeben hat, in Algier geboren worden zu sein und dies der Ausgangspunkt der Volkszählung in den bereits bekanntgegebenen Jahren war und deshalb registriert sein muss. Eine Identifizierung seinerseits ist sehr wohl möglich. Es ist der Behörde schon bekannt, dass 2017 ein solches Verfahren negativ ausgegangen ist, aber wurde neuerlich ein Datensatz übermittelt und sind wir jetzt zuversichtlich, bei einem Interviewtermin auch ein HRZ zu erhalten. Zudem wird der BF auf einer Prioritätenliste geführt, auch aufgrund einer Suchtmitteldelinquenz.“ (VH-Niederschrift, S. 4, 5)
1.27. In einem Aktenvermerk des BFA vom 20.08.2021 „betreffend eventueller Herkunft“ wurde festgehalten:
„Zur Einvernahme mit der oa. Partei (…) am 20.08.2021 im AHZ (…) von 11:00 bis 12:15 Uhr wird hinsichtlich Sprache und Herkunft der Partei laut Dolmetscherin, Frau (…), folgendes zur Erlangung eines HRZ noch festgehalten:
Laut Frau (…) könnte die Partei auf Grund Ihrer Aussprache aus Tunesien oder Algerien stammen. Marokko würde sie in diesem Fall ausschließen.“
Dem in Schubhaft befindlichen BF wurde sodann ein „Informationsblatt gem. § 80 Abs. 4 und Abs. 7 Fremdenpolizeigesetz 2005“ persönlich ausgehändigt.
1.28. Im nunmehr anhängigen HRZ-Verfahren sind mehrere Urgenzen erfolgt, zuletzt am 06.08.2021. Derzeit steht noch kein neuer Termin für ein Identifizierungsinterview mit der algerischen Botschaft fest. Es wird jedoch zeitnah von einem solchen ausgegangen.
Auf Anfrage wurde von der HRZ-Abteilung der BFA-Direktion Folgendes mitgeteilt:
„Da Genannter beim letzten Interviewtermin bei der Botschaft nicht geredet hat, und somit nicht mitgewirkt hat, wurde das Verfahren verzögert. Der Genannte befindet sich auf einer prioritären Liste mit Personen, welche für einen Interviewtermin bei der algerischen Botschaft angedacht sind.“
In der Kalenderwoche 23 (7-13.6.2021) fand ein höherrangiges Gespräch mit der Botschaft statt und die HRZ-Abteilung hofft, das hier dann in naher Zukunft ein Vorführtermin mit der algerischen Botschaft organisiert werden kann.
Gemeinsam mit dem Innenministerium wurde seitens des BFA daran gearbeitet, dass die Interviewtermine mit der algerischen Botschaft wiederaufgenommen werden.
Seitens der BFA-Direktion wurde der zuständigen Regionaldirektion (im Folgenden: RD) des BFA mit E-Mail vom 29.07.2021 mitgeteilt, dass sich der algerische Konsul derzeit nicht in Österreich befindet und, sobald dieser zurückgekehrt ist, ein Termin zur Vorführung bekannt gegeben können wird, wobei Ende August bzw. Anfang September 2021 damit gerechnet werde.
Mit E-Mail des zuständigen Bediensteten der RD des BFA an die BFA-Direktion vom 24.08.2021 wurde wegen des für Ende August, Anfang September in Aussicht gestellten Vorführtermins vor die algerische Delegation nachgefragt.
Im Zuge einer Rückmeldung der BFA-Direktion vom 24.08.2021 wurde mitgeteilt, dass am 12.08.2021 die Zusage der algerischen Botschafterin erfolgt ist, Identifizierungsinterviews Anfang September stattfinden werden, aufgrund dessen, dass sich der algerische Konsul derzeit noch nicht in Österreich aufhält, wohl Ende August der Termin für Anfang September fixiert werden wird, und sobald das Datum des Interviewtermins feststeht, alle Organisationseinheiten diesbezüglich in Kenntnis gesetzt werden.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.
Die in der Sprucheinleitung angeführte Identität wurde vom BF am 18.05.2017 im Zuge seines Vorführtermins vor der algerischen Vertretungsbehörde in Wien angegeben, konnte jedoch nicht festgestellt werden, ging bei der belangten Behörde am 08.06.2017 doch die Mitteilung ein, dass der BF seitens der algerischen Botschaft negativ identifiziert wurde, und dient somit nur der gegenständlichen Verfahrensführung.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Relevante Rechtsvorschriften und Judikatur:
Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:
„§ 22a. (...)
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(...).“
Mit Vorlage des Verwaltungsaktes beim BVwG am 24.08.2021 gilt die gegenständliche Beschwerde für den in Schubhaft befindlichen BF als eingebracht. Das BVwG hat nunmehr zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist, und dies gegebenenfalls festzustellen.
Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),
lautet:
„§ 76. (...).
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. (...),
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
(...).
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.
ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.
ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.
ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.
ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.
ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.
ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.
ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.
der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.
der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.
es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.
ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.
ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.
der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.“
Der mit „Gelinderes Mittel“ betitelte § 77 FPG lautet auszugswiese wie folgt:
„§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.
(…).“
Der mit „Dauer der Schubhaft“ betitelte § 80 FPG lautet wie folgt:
„§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(…).
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“
3.2.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist oder wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-VO vorliegen (§ 76 Abs. 2 FPG). Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
3.3. Der BF ist Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.
Mit Bescheid des BFA vom 16.02.2021 wurde über den BF zwecks Sicherung seiner Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG die Schubhaft angeordnet, und ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides bei Entlassung des BF aus der Strafhaft eintreten.
Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft sind das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes hinsichtlich der Durchführung bestimmter Verfahren oder der Abschiebung, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht.
Nach Entlassung des BF aus seiner Strafhaft kam der BF am 25.02.2021 um 08:00 Uhr in Schubhaft.
Am 24.08.2021 erfolgte beim BVwG die verfahrensgegenständliche Aktenvorlage durch das BFA, damit gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG geprüft werde, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
Gegen den BF besteht seit 20.03.2013 eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung samt zehnjährigem Einreiseverbot. Der BF wollte nie seiner Ausreiseverpflichtung nachkommen und ist unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet verblieben. Er beharrte, auch in den mit ihm vor dem BVwG zuletzt geführten mündlichen Verhandlungen, stets darauf, nicht ausreisen bzw. nicht in sein Herkunftsland zurückkehren zu wollen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.08.2021, Zl. G309 2240649-4, gab der BF an:
„Ich kehre nicht freiwillig zurück. Ich habe in Algerien zwar nichts angestellt, aber ich bin seit 17 Jahren in Europa und wüsste nicht, was ich in Algerien tun sollte. Ich kehre nicht zurück.“ (VH-Niederschrift, S. 5)
In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2021, Zl. G307 2240649-3, gab der BF befragt danach, ob er freiwillig nach Algerien zurückkehren würde, an:
„Nein, es tut mir sehr leid.“ (VH-Niederschrift, S. 4)
Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 23.06.2021, Zl. G312 2240649-2, brachte der BF vor:
„Ich gehe nicht freiwillig nach Algerien, das ist fix. Wenn man mir 48 Stunden in Freiheit gibt, bin ich weg aus Österreich.“ (VH-Niederschrift, S. 13)
Und genau dies bzw. dass der BF bei einer Freilassung „weg“ ist war zu befürchten.
Der BF behinderte seine geplante Abschiebung beträchtlich.
Bereits nachdem sein erster Asylantrag mit Rechtskraft 07.06.2006 abgewiesen und gegen ihn eine Ausweisung erlassen, und der BF folglich für den Zeitraum vom 21.11.2009 bis 09.02.2010 zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft genommen worden war, musste er aufgrund eines Hungerstreiks wieder entlassen worden. Eine Ladung zur Identitätsfeststellung vom 21.02.2012 konnte dem BF zudem nicht zugestellt werden, war der BF doch unbekannten Aufenthaltes.
Nach seiner Verbringung in verfahrensgegenständliche Schubhaft am 25.02.2021 versuchte der BF wie bereits im Zuge seiner Anhaltung vom 21.11.2009 bis 09.02.2010 durch einen am 21.03.2021 begonnenen und am 29.03.2021 selbst wieder beendeten Hungerstreik seine Freilassung zu erzwingen.
Der BF verweigerte bei einem Identifizierungsinterview vor der algerischen Botschaft in Wien am 18.05.2017 ein Gespräch, sodass das HRZ-Verfahren nicht erfolgreich abgeschlossen und kein HRZ für ihn erlangt werden konnte. Der BF wirkte, auch nach Beauftragung durch das BFA mit Bescheid vom 14.06.2017, in keiner Weise am Verfahren zur Erlangung eines HRZ für ihn mit, und hat nie von sich aus einen Schritt gesetzt, um ein Identitätsdokument aus seinem Herkunftsland zu erlangen.
Der BF verfügt in Österreich über keine Familienangehörigen, keine soziale oder berufliche Verankerung, und keine ausreichenden Existenzmittel bzw. mangels Aufenthaltsrechts und mangels Berechtigung zur Arbeitsaufnahme über keine Möglichkeit um auf legale Weise sich ein – regelmäßiges – Einkommen zu erwirtschaften. Er hat zudem keinen gesicherten Wohnsitz. Ab 21.04.2010 war er in Österreich entweder in einem Polizeianhaltezentrum oder in einer Justizanstalt behördlich gemeldet und hatte er nie einen ordentlichen Wohnsitz.
Festgehalten wird somit, dass sich der BF nunmehr seit 25.02.2021, 08:00 Uhr, durchgehend in Schubhaft aufhält und nach wie vor beträchtliche Fluchtgefahr iSv § 76 Abs. 1, Abs. 1a, Abs. 3 und Abs. 9 FPG besteht.
Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
Der BF wurde in Österreich insgesamt fünfmal – vorwiegend wegen Suchtgiftdelikten (unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und Suchtgifthandels), jedoch auch wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt – rechtskräftig strafrechtlich verurteilt.
Hervorzuheben ist in Zusammenhang mit den vom BF begangenen Suchtgiftdelikten die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, weshalb das maßgebliche öffentliche Interesse in diesen Fällen unverhältnismäßig schwerer wiegt, als das gegenläufige private Interesse des Fremden (vgl. VwGH 14.01.1993, 92/18/0475). In diesem Sinne hat auch der EGMR Suchtgift drastisch als "Geißel der Menschheit" bezeichnet; der Oberste Gerichtshof verwendete die Diktion "gesellschaftlichen Destabilisierungsfaktor" (vgl. OGH 27.4.1995, 12 Os 31, 32/95), der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte die verheerende Wirkung von Drogen auf das gesellschaftliche Leben (vgl. EGMR 23.6.2008,1638/03, Maslov gegen Österreich [GK]) und schließlich streicht der VwGH die der Suchmittelkriminalität inhärenten, besonders ausgeprägten Wiederholungsgefahr hervor (vgl. VwGH 29.09.1994, 94/18/0370; VwGH 22.05.2007, 2006/21/0115). In Hinblick auf die "verheerende Wirkung von Drogen auf das Leben von Menschen" brachte auch der EGMR wiederholt sein Verständnis für das restriktive Vorgehen der Mitgliedstaaten gegenüber Personen, die an der Verbreitung von Drogen aktiv mitwirken, zum Ausdruck (vgl. EGMR, 19.02.1998, Dalia gegen Frankreich, Nr. 154/1996/773/974; EGMR vom 30.11.1999, Baghli gegen Frankreich, Nr. 34374/97).
Hingewiesen wird an dieser Stelle zudem darauf, dass gerade Suchtgiftdelinquenzen ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellen, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist, und an deren Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556, mwN).
Unter Berücksichtigung der Schwere der vom BF im Bundesgebiet in Zusammenhang mit Suchtgift begangenen Straftaten überwiegt das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung des BF den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden bzw. ist Verhältnismäßigkeit der Anhaltung des BF in Schubhaft iSv § 76 Abs. 2a FPG gegeben, zumal der trotz seit rechtskräftiger Beendigung seines aufenthaltsbeendenden Verfahrens zur Ausreise verpflichtete BF beharrlich weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben und fortgesetzt nicht zur Ausreise bereit ist, und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Freilassung alsbald untertauchen und für die Behörden nicht mehr greifbar wegen der mit Suchtgiftkriminalität einhergehenden hohen Wiederholungsgefahr erneut dieser verfallen würde.
Der BF würde, wie aus seiner beharrlich beibehaltenen Nichtausreisewilligkeit hervorgehend, sich an keiner bestimmten Adresse für die österreichischen Behörden bereithalten bzw. Meldeverpflichtungen nachkommen. Für den mittellosen BF, der in Österreich seit rechtskräftiger Beendigung seines aufenthaltsbeendenden Verfahrens mit 20.03.2013 kein Aufenthaltsrecht und keine Möglichkeit hat, um auf legale Weise zu Geld zu gelangen, kam somit kein gelinderes Mittel iSv § 77 FPG in Betracht.
Die nach § 80 Abs. 2 Z. 2 FPG höchstzulässige sechsmonatige Schubhaftdauer ist angesichts der Anhaltung des BF in Schubhaft seit 25.02.2021 seit wenigen Tagen überschritten. Im gegenständlichen Fall kann der BF jedoch ohnehin für die höhere nach § 80 Abs. 4 Z. 1 FPG höchstzulässige Schubhaftdauer von 18 Monaten in Schubhaft angehalten werden, kann er doch deshalb nicht abgeschoben werden, weil die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist.
Im anhängigen HRZ-Verfahren sind mehrere Urgenzen erfolgt, zuletzt am 06.08.2021.
Der Behördenvertreter gab im vorangegangenen Schubhaftverfahren in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.08.2021, Zl. G309 2240649-4, bezüglich weiterhin bestehender Verhältnismäßigkeit der Schubhaft an:
„(…) Es ist der Behörde schon bekannt, dass 2017 ein solches Verfahren negativ ausgegangen ist, aber wurde neuerlich ein Datensatz übermittelt und sind wir jetzt zuversichtlich, bei einem Interviewtermin auch ein HRZ zu erhalten. Zudem wird der BF auf einer Prioritätenliste geführt, auch aufgrund einer Suchtmitteldelinquenz.“ (VH-Niederschrift, S. 5)
Auf Anfrage wurde von der HRZ-Abteilung der BFA-Direktion Folgendes mitgeteilt:
„Da Genannter beim letzten Interviewtermin bei der Botschaft nicht geredet hat, und somit nicht mitgewirkt hat, wurde das Verfahren verzögert. Der Genannte befindet sich auf einer prioritären Liste mit Personen, welche für einen Interviewtermin bei der algerischen Botschaft angedacht sind.“
Derzeit steht kein neuer Termin für ein Identifizierungsinterview vor der algerischen Botschaft fest. Es wird jedoch zeitnah von einem solchen ausgegangen.
Seitens der BFA-Direktion wurde der zuständigen Regionaldirektion (im Folgenden: RD) des BFA mit E-Mail vom 29.07.2021 mitgeteilt, dass sich der algerische Konsul derzeit nicht in Österreich befindet und, sobald dieser zurückgekehrt ist, ein Termin zur Vorführung bekannt gegeben können wird, wobei Ende August bzw. Anfang September 2021 damit gerechnet werde.
In einem Aktenvermerk des BFA vom 20.08.2021 „betreffend eventueller Herkunft“ wurde festgehalten:
„Zur Einvernahme mit der oa. Partei (…) am 20.08.2021 im AHZ (…) von 11:00 bis 12:15 Uhr wird hinsichtlich Sprache und Herkunft der Partei laut Dolmetscherin, Frau (…), folgendes zur Erlangung eines HRZ noch festgehalten:
Laut Frau (…) könnte die Partei auf Grund Ihrer Aussprache aus Tunesien oder Algerien stammen. Marokko würde sie in diesem Fall ausschließen.“
Dem in Schubhaft befindlichen BF wurde sodann ein „Informationsblatt gem. § 80 Abs. 4 und Abs. 7 Fremdenpolizeigesetz 2005“ persönlich ausgehändigt.
Mit E-Mail des zuständigen Bediensteten der RD des BFA an die BFA-Direktion vom 24.08.2021 wurde wegen des für Ende August, Anfang September 2021 in Aussicht gestellten Vorführtermins vor die algerische Delegation nachgefragt.
Im Zuge einer Rückmeldung der BFA-Direktion vom 24.08.2021 wurde mitgeteilt, dass am 12.08.2021 die Zusage der algerischen Botschafterin erfolgt ist, dass Identifizierungsinterviews Anfang September stattfinden werden, aufgrund dessen, dass sich der algerische Konsul derzeit noch nicht in Österreich aufhält, wohl Ende August der Termin für Anfang September fixiert werden wird, und sobald das Datum des Interviewtermins feststeht, alle Organisationseinheiten diesbezüglich in Kenntnis gesetzt werden.
Es kann somit von einem zeitnah stattfindenden Identifizierungsinterview des BF vor der algerischen Botschaft ausgegangen und in Zusammenhang damit einer zeitnahen Identifizierung des BF und einer zeitnahen bzw. einer innerhalb der nach § 80 Abs. 4 FPG höchstzulässigen Schubhaftdauer möglichen Abschiebung des BF entgegengesehen werden.
Im gegenständlichen Fall ist fortwährender Sicherungsbedarf bzw. beträchtliche Fluchtgefahr und auch Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft gegeben.
Es wird folglich spruchgemäß festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Im gegenständlichen Fall konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, erschien doch der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits aus der Aktenlage – eindeutig – geklärt und würde auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu keinem anderen Ergebnis führen würde.
Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G304.2240649.5.00Im RIS seit
17.11.2021Zuletzt aktualisiert am
17.11.2021