Entscheidungsdatum
07.09.2021Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L524 2148589-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA Irak, vertreten durch RAe Dr. Hans GRADISCHNIG und Mag. Hannes GRADISCHNIG, Moritschstraße 5, 9500 Villach, gegen den Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen Asyl vom 06.02.2017, Zl. 1067688707-150474595, betreffend Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.06.2021, zu Recht:
A) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. erster Satz wird gemäß § 3, § 8 und § 57 AsylG als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. zweiter und dritter Satz und IV. wird stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 08.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 09.05.2015 erfolgte eine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts. Am 12.10.2016 war die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA).
Mit Bescheid des BFA vom 06.02.2017, Zl. 1067688707-150474595, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 17.06.2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an der nur der Beschwerdeführer als Partei teilnahm. Das BFA entsandte keinen Vertreter.
II. Feststellungen:
Der 32jährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, Araber, Angehöriger des größten arabischen Stammes XXXX , sunnitischer Moslem, ledig und kinderlos. Er lebte vor seiner Ausreise aus dem Irak bis in das Jahr 2010 gemeinsam mit seinen Eltern und drei Geschwistern im Norden des Gouvernements Bagdad in einem Haus im ländlichen Bezirk XXXX , XXXX . In der Folge zog er mit seiner Familie in den Westen der irakischen Hauptstadt in das Stadtviertel XXXX innerhalb des Stadtbezirks XXXX , wo er noch für sechs Monate verblieb.
Der Beschwerdeführer besuchte in Bagdad die Schule im Ausmaß von zwölf Jahren (Grundschule, Hauptschule und Gymnasium); er erlangte einen Maturaabschluss. Seine vierjährige universitäre Ausbildung absolvierte der Beschwerdeführer ebenfalls in Bagdad. Er schloss ein Bachelorstudium „ XXXX “ erfolgreich ab. Der Beschwerdeführer übte vor seiner Ausreise keinen Beruf aus, sondern bestritt seinen Lebensunterhalt mithilfe seines Vaters. Er beherrscht Arabisch auf muttersprachlichem Niveau und Englisch bzw. Türkisch in geringem Ausmaß.
Im Irak leben unter anderem die Eltern, zwei Brüder, eine Schwester und zwei Tanten. Diese Familienangehörigen sind weiterhin in Bagdad im Stadtviertel XXXX innerhalb des Stadtbezirks XXXX aufhältig. Seine Eltern und die zwei Brüder bewohnen dort das Haus der Familie. Die verheiratete Schwester lebt bei ihrer Schwiegerfamilie. Sein Vater befindet sich bereits im Ruhestand und bezieht eine Pension. Ferner erhalten seine Eltern Einkünfte aus der Vermietung des im Bezirk XXXX liegenden Hauses. Die Brüder des Beschwerdeführers arbeiten als Taxifahrer. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig mit seinen Eltern und Geschwistern im Irak Kontakt.
Der Beschwerdeführer verließ den Irak im Juni 2011 und begab sich für mehrere Jahre nach Syrien und in die Türkei. Der Beschwerdeführer wurde nach seiner Ausreise vom Hochkommissar für Flüchtlingsangelegenheiten der Vereinten Nationen in Syrien als Flüchtling anerkannt und ließ sich des Weiteren gegen Ende 2012 laut Bestätigung des Hochkommissars für Flüchtlingsangelegenheiten der Vereinten Nationen in der Türkei als Asylwerber registrieren. Im Februar 2015 kehrte der Beschwerdeführer nochmals für einen Monat in den Irak zurück. Der Beschwerdeführer verließ dann am 06.03.2015 illegal den Irak. Er reiste im Mai 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 08.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich somit als Asylwerber rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Der Beschwerdeführer ist gesund. Er gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer hat die Prüfung ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A2 am 21.11.2017 und die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz (Niveau: B1) und zu Werte- und Orientierungswissen des Österreichischen Integrationsfonds am 06.03.2020 bestanden. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 17.06.2021 besuchte der Beschwerdeführer zudem einen Deutschkurs Niveau B2 des Germanica Bildungsinstituts (Kursende: 01.07.2021). Eine Bestätigung über die vollständige Absolvierung dieses Kurses übermittelte der Beschwerdeführer bislang nicht. Die Verständigung mit dem Beschwerdeführer in deutscher Sprache ist problemlos möglich.
Der Beschwerdeführer hat im Rahmen des Integrationspasses der Stadt XXXX in den Jahren 2016/17 mehrere Integrationsmodule besucht. Der Beschwerdeführer ist weder ehrenamtlich noch gemeinnützig tätig. Der Beschwerdeführer ist ebenso wenig in Vereinen oder Organisationen aktiv; er ist ansonsten auch nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich.
Der Beschwerdeführer besitzt eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern bis 3500 kg, ist für den in Wien tätigen Kurierdienst „ XXXX " selbständig tätig und beschäftigte zweitweise selbst bis zu drei Dienstnehmer. Des Weiteren geht der Beschwerdeführer seit längerer Zeit einer unselbständigen Tätigkeit in einer Wiener Krankenanstalt als Bote nach. Der Beschwerdeführer ist zur Sicherstellung seines Auskommens seit Mai 2019 nicht mehr auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber angewiesen. Er verfügt jedenfalls mittlerweile seit Juli 2020 über eine geeignete eigene Unterkunft in Form einer Mietwohnung, wobei er für deren Kosten selbst aufkommt.
Der Beschwerdeführer verfügt hier über einen Freundes- und Bekanntenkreis, dem auch österreichische Staatsangehörige bzw. in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigte Personen angehören. Er pflegt, insbesondere im Rahmen seiner Freizeitaktivitäten, zahlreiche soziale Kontakte. Der Beschwerdeführer legte im gegenständlichen Verfahren auch Unterstützungserklärungen seiner Freunde und Bekannten vor.
Zwei Cousins des Beschwerdeführers – beide erhielten den Status eines Asylberechtigten – leben im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer lebt mit diesen Personen nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Es besteht kein (wechselseitiges) Abhängigkeitsverhältnis zu diesen Personen. Er führt seit etwa Frühjahr 2020 eine Beziehung. Zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Freundin besteht ebenfalls kein (wechselseitiges) Abhängigkeitsverhältnis, die beiden haben keine Kinder, die Freundin des Beschwerdeführers ist nicht schwanger und sie leben nicht in einem gemeinsamen Haushalt.
Bei einem Terroranschlag im August 2008 wurde das Fahrzeug des Vaters des Beschwerdeführers beschädigt und erlitt der Vaters des Beschwerdeführers hierbei Verletzungen im Beinbereich. Des Weiteren verstarb ein Onkel des Beschwerdeführers im Mai 2013 aufgrund von Schussverletzungen. Die Identität oder das Motiv der Täter war in beiden Fällen nicht feststellbar.
Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund, dass er auf Grund eines Erpressungsversuchs in Zusammenhang mit einem wertvollen Grundstück der Familie und/oder auf Grund falscher Anschuldigungen in Zusammenhang mit dem sogenannten „Hochzeitsmassaker“ wegen seiner Stammes- und Religionszugehörigkeit durch regierungsnahe schiitische Milizen bedroht und/oder verfolgt worden sowie gegen ihn in dieser Angelegenheit im Jahr 2018 ein Todesurteil in Abwesenheit ergangen sei, wird der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt.
Zur Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen:
Andauernde sektiererische Spannungen befeuerten den Aufstieg von Da’esh (auch bekannt als Islamischer Staat (IS)), der in der in der Besetzung von großen Teilen des Irak durch Da’esh im Jahr 2014 gipfelte. Auf seinem Höhepunkt hielt Da’esh etwa 40 Prozent des irakischen Territoriums. Während seiner Besatzung verübte Da’esh zahlreiche Gräueltaten, insbesondere gegen Minderheiten, einschließlich Massenmord und sexuelle Versklavung. Da’esh besiegte die irakischen Sicherheitskräfte in mehreren Schlachten und kam bis auf 50 Kilometer an Bagdad heran, bevor er von den regulären irakischen Streitkräften gestoppt wurde, die von einer von den USA geführten internationalen Koalition und den Volksmobilisierungskräften (PMF) unterstützt wurden. Nach drei Jahren Konflikt erklärte die Regierung im Dezember 2017 den endgültigen Sieg über Da’esh, nachdem entlang der syrischen Grenze die letzten Gebiete unter Da’esh-Kontrolle zurückerobert worden waren. Im September 2017 hat sich die kurdische Regionalregierung (KRG) über die Bundesbehörden hinweggesetzt und ein unverbindliches Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Region im Irak sowie über umstrittene Gebiete, die unter Kontrolle der KRG stehen, abgehalten. Nach Durchführung des Referendums forderte die irakische Regierung die Ungültigerklärung des Ergebnisses. Anschließend besetzten Bundestruppen die Stadt Kirkuk und andere umstrittene Gebiete, um die Kontrolle über die wertvollen Ölfelder zu übernehmen. Im Mai 2018 fanden im Irak zuletzt Parlamentswahlen statt. Im Oktober 2019 begann eine Reihe von Protesten, die schiitische Gebiete im Irak und Bagdad erfassten, wobei die Demonstranten ein hohes Maß an institutioneller Korruption, Nichterbringung wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen und vermutete Einmischung durch ausländische Mächte, insbesondere Iran, kritisierten. Viele interne und externe Beobachter haben ernste Besorgnis über die gewaltsame Unterdrückung von Protesten durch die Sicherheitskräfte und mit dem Iran verbündete Milizen. Auf dem Höhepunkt der Proteste im November 2019 trat Premierminister Adil Abd Al-Mahdi von seinem Amt zurück.
Demografische Daten für den Irak sind unzuverlässig, aber die meisten Schätzungen gehen von einer Bevölkerung des Landes zwischen 38 und 40 Millionen aus. Beinahe 60 Prozent sind jünger als 25 Jahre. Etwa 70 Prozent der Einwohner leben in städtischen Gebieten. In der Hauptstadt Bagdad, der größten Stadt des Landes, leben zwischen sechs und sieben Millionen Menschen. Die Städte Basra und Mossul haben jeweils mehr als zwei Millionen Einwohner. In Erbil, Kirkuk, Suleymania und Hilla leben jeweils mehr als eine Million Menschen. Der größte Teil der Einwohner lebt im Norden und Osten des Landes sowie im Zentralirak. Die größten städtischen Gebiete befinden sich entlang des Euphrat und des Tigris. Der Großteil des Westens und des Südens des Irak ist Wüste und dünn besiedelt bzw. unbewohnt.
Der Irak hat seit 1987 keine vollständige Volkszählung durchgeführt. Internationale Beobachter schätzen, dass etwa 97 Prozent der Bevölkerung Muslime sind. Davon gehören 55 bis 60 Prozent der schiitischen Glaubensrichtung an, die überwiegend Araber sind, und ca. 40 Prozent der sunnitischen Glaubensrichtung. Etwa 60 Prozent der sunnitischen Moslems sind Araber, ca. 37,5 Prozent sind Kurden und der Rest sind Turkmenen.
Schiiten leben überwiegend im Süden und Osten des Landes und stellen die Mehrheitsbevölkerung in Bagdad dar. In den meisten Teilen des Landes gibt es schiitische Gemeinden. Sunniten bilden die Mehrheit im Westen und im Zentralirak. Kurden sind die Mehrheitsbevölkerung in der Autonomen Region Kurdistan (KRI) im Norden des Landes.
Gemischte sunnitisch-schiitische Viertel in Bagdad gibt es in den Bezirken Rusafa und Karrada sowie kleinere gemischte Viertel auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya. Schiitische Viertel dominieren die Vororte Sadr City, Abu Dashir und Al Doura. Bedeutenden sunnitische Viertel gibt es in Abu Ghraib, A’adamia, Rusafa, Za’farania, Doura und Rasheed.
Der Konflikt mit Da’esh hat der irakischen Wirtschaft erheblich geschadet. Die irakische Wirtschaft wird größtenteils vom Staat geführt und mehr als 90 Prozent der Staatseinnahmen und 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) stammen aus dem Ölsektor. Im Jahr 2019 wuchs das BIP des Irak aufgrund verbesserter Sicherheitslage, höherer Ölpreise und einer höher als erwarteten landwirtschaftlichen Produktion um geschätzte 4,4 Prozent. Die Weltbank geht jedoch davon aus, dass die irakische Wirtschaft 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie und der stark gesunkenen Ölpreise um 9,7 Prozent schrumpfen wird. Ein Wachstum von 1,9 Prozent im Jahr 2021 und 7,3 Prozent im Jahr 2022 wird erwartet.
Artikel 31 Absatz 1 der Verfassung garantiert den Bürgern das Recht auf Gesundheitsversorgung. Es verpflichtet den Staat, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheitsversorgung und zur Bereitstellung von Mitteln zur Prävention und Behandlung durch den Aufbau verschiedener Typen von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es 229 Krankenhäuser landesweit, zusammen mit 1.146 primären Gesundheitszentren, die von Mitarbeitern auf mittlerer Ebene geleitet werden, und 1.185 primäre Gesundheitszentren die von Ärzten geleitet werden. Die Gesundheitsindikatoren des Irak sind im Allgemeinen schlecht. Die geschätzte Lebenserwartung bei der Geburt beträgt 70,7 für Männer und 74,6 für Frauen. Die Gesundheit der irakischen Bevölkerung hat unter jahrzehntelangen Konflikten und Wirtschaftssanktionen verbunden mit chronischer Unterinvestition gelitten. Die Gesundheitsversorgung hat sich verschlechtert und der Sektor sieht sich mit fortgesetzten Kürzungen von Medikamenten und anderen Hilfsgütern - teilweise aufgrund von Korruption - konfrontiert. Der Zugang der Bevölkerung zu grundlegenden Gesundheitsdienstleistungen wird zunehmend beeinträchtigt, da viele Angehörige der Gesundheitsberufe das Land aus Sicherheitsgründen verlassen haben.
Artikel 34 der Verfassung garantiert das Recht auf kostenlose Bildung in allen Phasen. Sie macht die Grundschulbildung obligatorisch und verpflichtet den Staat zur Bekämpfung des Analphabetismus. Das Bildungsministerium (MoE) und das Ministerium für Hochschulbildung und wissenschaftliche Forschung sind in Bildungsangelegenheiten in allen Gouvernements außerhalb der KRI, in denen das kurdische Bildungsministerium und das kurdische Ministerium für Hochschulbildung und Forschung Verantwortung tragen, zuständig. Öffentliche Bildung ist auf allen Ebenen kostenlos. Die Schulpflicht besteht bis zum Ende der 6. Klasse, in der KRI bis zum Ende der 9. Klasse. Bis 2003 gab es keine Privatschulen. Heute sind es ungefähr 1.200 mit Lizenzen des MoE. Privatschulen sind im Vergleich zum unterfinanzierten öffentlichen System oft von hoher Qualität, verlangen jedoch extrem hohe Gebühren, so dass sie nur für die wohlhabende Elite finanzierbar sind. Seit 2017 gibt es im Irak 35 öffentliche und 55 private Universitäten sowie 15 private und 15 öffentliche Universitäten in der KRI.
Die Arbeitslosigkeit ist im Irak mit 11 Prozent hoch. Die Erwerbstätigenquote zählt mit 48,7 Prozent zu den niedrigsten der Welt. Der öffentliche Sektor ist der größte Arbeitgeber, aber die Expansion des öffentlichen Sektors hat in den letzten Jahren nicht genügend Arbeitsplätze für die Neueinsteiger am Arbeitsmarkt geschaffen. Mehr als ein Fünftel der erwerbsfähigen jungen Bevölkerung hat keine Arbeit und nimmt auch kein Bildungs- oder Ausbildungsangebot in Anspruch. Der öffentliche Sektor stellt rund 40 Prozent der Arbeitsplätze (und rund 60 Prozent der Arbeitsplätze für erwerbstätige Frauen). Trotz der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Irak vom Öl beschäftigt der wenig arbeitsintensive Ölsektor nur 1 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung. Ein großer Prozentsatz der in der Ölindustrie Beschäftigten sind zudem Ausländer, was bei den Einheimischen Unmut erzeugt. Trotz eines nur geringen Beitrags zur Gesamtwirtschaft sind die Landwirtschaft und die Industrie bedeutende Arbeitgeber.
Der Irak ist Vertragsstaat der meisten der wichtigsten internationalen Menschenrechtsinstrumente, darunter: dem Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT); dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), dem Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CPED); dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW); dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD); dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR); dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC) und seiner beiden Fakultativprotokolle über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (OP-CRC-AC) und zum Verkauf von Kindern, Kinderprostitution und Kinderpornografie (OP-CRC-SC) und dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD). Der Irak ist kein Unterzeichner des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OP-CAT), des Zweiten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todstrafe (ICCPR-OP2) oder der Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (ICMW).
Die Verfassung enthält zahlreiche Verpflichtungen zu den Menschenrechten, darunter die Gewährleistung der Meinungs-, Versammlungs-, Kultus-, Vereinigungs- und Gedankenfreiheit. Zahlreiche Gesetze unterstützen diese verfassungsmäßigen Freiheiten. (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020)
Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an: Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung, in Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Art. 3 legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung Iraks fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes. Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z. B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht. Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Sabäer, Schabak und Fayli Kurden). (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 02.03.2020)
Nach Artikel 2 der Verfassung ist der Islam die offizielle Religion des Irak. Die Verfassung erkennt das Recht aller Menschen auf Religions- und Glaubensfreiheit an. Christen, Jesiden und Sabäer-Mandäer werden speziell erwähnt. Eine Reihe von Verfassungsbestimmungen garantieren die Religionsfreiheit. Alle Iraker sind vor dem Gesetz gleich und können ihre Religion frei wählen. Die Verfassung garantiert die Ausübung der religiösen Riten. Zahlreiche religiöse Gruppen werden vom Personenstandsregister anerkannt. Etwa Muslime, Chaldäer, Assyrer, Syrisch-Orthodoxe, Armenisch-Katholische, Römisch-Katholische, Anglikanische, Evangelisch-Protestantische Assyrer, Siebenter-Tags-Adventisten, Koptisch-Orthodoxe, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die Anerkennung ermöglicht, dass gesetzliche Vertreter ernannt und rechtliche Transaktionen, wie Kauf und Verkauf von Immobilien, durchgeführt werden können.
Es gibt drei Diwans (Verwaltungsorgane), die für die Verwaltung der Angelegenheiten der anerkannten religiösen Gruppen im Land zuständig sind: die sunnitische Stiftung Diwan, die schiitische Stiftung Diwan und die Stiftung der christlichen, jazidischen und sabäisch-mandäischen Religionen Diwan. Die drei Stiftungen arbeiten unter der Autorität des Amtes des Premierministers, um staatliche Mittel für die Aufrechterhaltung und den Schutz religiöser Einrichtungen auszuzahlen.
In der KRI können religiöse Gruppen eine Anerkennung erhalten, indem sie sich beim KRG-Ministerium für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) registrieren. Um sich registrieren zu können, muss eine Gruppe mindestens 150 Anhänger haben, Unterlagen über die Quellen ihrer finanziellen Unterstützung vorlegen und nachweisen, dass sie nicht antiislamisch ist. Bei der KRG MERA sind acht Glaubensrichtungen registriert: Islam, Christentum, Jesidentum, Judentum, Sabean-Mandäismus, Zoroastrismus, Yarsanismus und Bahaismus.
Die Konversion zum Islam ist nach dem Gesetz ein einfacher Vorgang. Es ist jedoch verboten, vom Islam zu einer anderen Religion zu konvertieren. Minderjährige Kinder sind Muslime, wenn ein Elternteil Moslem ist oder zum Islam konvertiert. Das Zivilstandsgesetz erlaubt nicht-muslimischen Frauen, muslimische Männer zu heiraten, verbietet jedoch muslimischen Frauen, nicht-muslimische Männer zu heiraten. Berichten zufolge ist die Konversion vom Islam in der KRI einfacher, und Quellen aus dem Inland berichten von einem wachsenden Trend, dass muslimische Kurden zur „ursprünglichen kurdischen Religion“ des Zoroastrismus konvertieren. Diese Quellen berichten jedoch, dass es landesweit häufiger vorkommt, dass Menschen, die von ihrem Glauben desillusioniert sind, einfach nicht religiös werden, als dass sie ihre Religion wechseln.
Es gibt keine Gesetze, die die Ehe zwischen Sunniten und Schiiten verhindern. Berichten zufolge hat diese Prävalenz zugenommen, da die sektiererischen Spannungen in den letzten zehn Jahren abgenommen haben, sie sind jedoch aufgrund von Bedenken und Widerständen der Familien der betroffenen Personen relativ selten. Mischehen zwischen sunnitischen und schiitischen Paaren sind Berichten zufolge häufiger als Mischehen zwischen arabischen und kurdischen Paaren.
Es gibt irakische Gesetze und langjährige Praktiken, die der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung zugutekommen und dazu neigen, Nicht-Muslime zu diskriminieren. Das Ausmaß dieser Diskriminierung kann je nach geografischem Gebiet variieren und Gewalt oder die Androhung von Gewalt gegen Angehörige religiöser Minderheiten umfassen, die sich beispielsweise nicht an islamische Kleidungsstandards halten.
Es gibt Islamunterricht an öffentlichen Schulen, aber nichtmuslimische Schüler müssen nicht daran teilnehmen. Einige nicht-muslimische Schüler haben berichtet, dass sie unter Druck von Lehrern und Klassenkameraden gerieten, an den islamischen Unterrichtsstunden teilzunehmen. In den meisten Regionen des Landes umfassen die Lehrpläne für Grund- und Sekundarschulen drei Klassen pro Woche Islamunterricht, einschließlich des Studiums des Korans, als Abschlussvoraussetzung für muslimische Schüler. Der christliche Religionsunterricht ist in den Lehrplänen von mindestens 150 öffentlichen Schulen in Bagdad, Ninewah und Kirkuk enthalten.
Bei der Einreise in den Irak über die internationalen Flughäfen werden Personen, die illegal ausgereist sind, nicht festgenommen. Es werden jene Iraker bei der Rückkehr festgenommen, die eine Straftat begangen haben und gegen die ein Haftbefehl erlassen worden war. Um den Irak zu verlassen, sind gültige Dokumente (in der Regel ein Pass) und eine entsprechende Genehmigung (z. B. ein Visum) für die Einreise in das vorgesehene Ziel erforderlich. Eine illegale Ausreise aus dem Irak ist rechtswidrig, jedoch sind keine Strafverfahren gegen Einzelpersonen wegen illegaler Ausreise bekannt. Zurückkehrende Iraker, die nicht im Besitz eines irakischen Passes sind, müssen bei einer irakischen Botschaft oder einem irakischen Konsulat im Ausland um einen laissez-passer ansuchen. Die Einreise mit einem laissez passer-Dokument ist üblich und Personen, die damit einreisen, werden weder gefragt, wie sie den Irak verlassen haben, noch werden sie gefragt, warum sie keine anderen Dokumente haben. Dem britischen Innenministerium zufolge können Grenzbeamte am Flughafen Bagdad ein Schreiben ausstellen, um die Verbringung einer Person an den Herkunftsort oder irgendeinen anderen Ort im Irak zu erleichtern. (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020)
Die Fälle von COVID-19 sind im Irak schnell gestiegen, nachdem sie in den ersten Monaten der Pandemie relativ niedrig geblieben sind, obwohl die tatsächlichen Infektionsraten mit ziemlicher Sicherheit immer höher waren als die offiziellen Statistiken. Das irakische Gesundheitssystem hat damit gekämpft die grundlegende Gesundheitsversorgung unter der zusätzlichen Belastung durch COVID-19 aufrechtzuerhalten. Als Reaktion auf die Pandemie hat die Regierung in der Anfangsphase eine Reihe landesweiter Ausgangssperren verhängt, obwohl die Umsetzung dieser in der Praxis landesweit unterschiedlich konsequent war. Reisebeschränkungen wurden mit Ausnahmen für die Sicherheit und öffentliche Dienstleistungen, Gesundheitspersonal, Diplomaten, Journalisten und Lieferungen von Lebensmitteln und anderen Gütern eingeführt. Die Regierung setzte auch zeitweise alle normalen kommerziellen Flüge mit einer Ausnahme für Militär- und Charterflüge aus. Zu den weiteren ergriffenen Maßnahmen gehörten Grenzschließungen und Gesundheitsuntersuchungen. Provinz- und Regionalregierungen setzten ähnliche Maßnahmen im ganzen Irak, einschließlich der KRI, um. Es ist wahrscheinlich, dass COVID-19 über Jahre hinweg eine tiefgreifende Auswirkung auf die Gesundheit, die Wirtschaft und das Sicherheitsumfeld des Irak haben wird. (Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020)
Der Irak hat das Ein- und Ausreiseverbot für 21 Länder, unter anderem für Österreich, aufgehoben. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra sind für kommerzielle Linienflüge offen. Passagiere, die in den Irak einreisen wollen, müssen maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19-Test verfügen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) widmet 22 Millionen US-Dollar des Stabilitätsfonds für Infrastruktur Maßnahmen gegen COVID-19. Geschäftsmänner aus Najaf spendeten der Regierung 350 Millionen Irak-Dinar zur Anschaffung von Gütern des medizinischen Bedarfs. (Coronavirus: Situation im Irak, Aktuelle Lage und Info-Updates der Wirtschaftskammer Österreich vom 10.05.2021)
In Bagdad wurden im dritten Quartal 2020 169 Vorfälle mit 51 Toten und im vierten Quartal 2020 174 Vorfälle mit 37 Toten erfasst. Insgesamt wurden in Bagdad im gesamten Jahr 2020 595 Vorfälle mit 176 Toten erfasst und an folgenden Orten lokalisiert: Abu Ghraib, Al Ghuzayliyah, Al Latifiyah, Al Mahmudiyah, Al Moshahda, Al Mushahidah, Al Wahdah, Al Yusufiyah, Ar Rashidiyah, Ash Shulah, At Tarmiyah, Az Zaydan, Baghdad, Baghdad - 9 Nissan, Baghdad - Adhamiya, Baghdad - Al Rashid, Baghdad - Kadhimiya, Baghdad - Karadah, Baghdad - Karkh, Baghdad - Mansour, Baghdad - Rusafa, Baghdad – Sadr City, Baghdad International Airport, Bismayah, Hawr Rajab, Jisr Diyala, Madain, Nahrawan, Radwaniyah, Sabaa Al Bour, Taji, Uwayrij, Zaidan und Zawbaa. (Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), Irak, 3. Quartal 2020, von ACCORD, 18.03.2021; Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), Irak, 4. Quartal 2020, von ACCORD, 18.03.2021; Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), Irak, Jahr 2020, von ACCORD, 25.03.2021)
In der ersten Märzwoche 2021 verblieb die Gewalt im Irak auf einem niedrigen Niveau. Vom 1. bis 7. März gab es insgesamt 19 Anschläge. 5 davon waren von pro-iranischen Gruppen, 14 vom Islamischen Staat. Von den 14 Anschlägen des Islamischen Staates fand(en) einer in Anbar, zwei in Bagdad, drei in Kirkuk, drei in Salahaddin und fünf in Diyala statt und führten zu fünf Toten und acht Verwundeten. Von den fünf Anschlägen der pro-iranischen Gruppen ereignete sich wiederum einer in Anbar, einer in Babil, einer in Bagdad, einer in Diwaniya und einer in Muthanna. Der größte Angriff war im Bezirk Samarra in Salahaddin, wo es bei einer Attacke des Islamischen Staates auf ein Armeelager ein stundenlanges Feuergefecht gab. Es waren zwar keine Opfer zu vermelden, aber es zeigte sich, dass die Gruppierung trotz der geringen Anzahl von Vorfällen immer noch in der Lage ist, öfters einen kühnen Angriff durchzuführen, um die Regierung direkt herauszufordern. (Musings on Iraq, 10.03.2021)
In der zweiten Märzwoche 2021 wurden insgesamt lediglich zwölf Vorfälle registriert. Zwei davon waren von pro-iranischen Gruppen, zehn vom Islamischen Staat. Von den 10 Anschlägen des Islamischen Staates fand(en) einer in Bagdad, zwei in Kirkuk, zwei in Ninewa, zwei in Salahaddin und drei in Diyala statt. Von den zwei Anschlägen der pro-iranischen Gruppen ereignete sich wiederum einer in Anbar und einer in Diwaniya. Was den Anschlag in Bagdad betrifft, so wurde eine Granate in eine Menschenmenge auf einer Brücke in Khadimiya geworfen, wo sich ein schiitischer Schrein befindet. Eine Person wurde getötet und drei Personen wurden verletzt. Es ist unklar, wer dafür verantwortlich war, aber wenn es der Islamische Staat wäre, wäre es das zweite Mal in den vergangenen Wochen, dass er einen Anschlag innerhalb der Stadt verübt hätte. Normalerweise trifft es nur die Städte an der Peripherie der Provinz. Salahaddin sah den schlimmsten Vorfall der Woche. Eine Gruppe von Kämpfern des Islamischen Staates in Uniformen der Iraqi Security Forces (ISF) drang in ein Haus ein und tötete sieben Menschen, zudem einen Polizisten und verletzte einen weiteren Polizisten. Ein Hashd-Kämpfer wurde ebenfalls von einem Scharfschützen getötet. (Musings on Iraq, 16.03.2021)
In der dritten Märzwoche 2021 kam es zu einem leichten Anstieg der Angriffe im Irak. Vom 15. bis 21. März gab es im Irak insgesamt 24 Vorfälle. 6 davon stammten von dem Iran nahestehenden Gruppierungen und 18 vom Islamischen Staat. Von den Anschlägen des Islamischen Staates fand(en) einer in Ninewa, zwei in Kirkuk, drei in Bagdad, vier in Salahaddin und acht in Diyala statt. Von den sechs Anschlägen der pro-iranischen Gruppen ereigneten sich wiederum zwei in Babil, einer in Diwaniya, einer in Muthanna und zwei in Salahaddin. In Bagdad gab es demnach drei Schießereien. Eine war ein Infiltrationsversuch im Süden und die anderen beiden ereigneten sich in Tarmiya im Norden, wo es ein Feuergefecht gab und ein Soldat von einem Scharfschützen verwundet wurde. Hier führt der IS regelmäßig seine Operationen in den Außenregionen der Provinz durch. (Musings on Iraq, 23.03.2021)
Der Aufstand im Irak blieb in der vierten Märzwoche 2021 auf einem der niedrigsten Stände seit 2003. Vom 22. bis 28. März gab es im Irak insgesamt 14 Vorfälle. 2 davon stammten von dem Iran nahestehenden Gruppierungen und 12 vom Islamischen Staat. Von den zwei Anschlägen der pro-iranischen Gruppen ereignete sich einer in Babil und einer in Bagdad. Von den Anschlägen des Islamischen Staates fand(en) einer in Salahaddin, zwei in Anbar, zwei in Bagdad, zwei in Ninewa und fünf in Diyala statt. Diyala bleibt das gewalttätigste Gebiet des Irak. In Bagdad gab es demnach zwei Vorfälle mit Beteiligung des Islamischen Staates, darunter eine Motorradbombe, welche eine Person tötete. Beim zweiten Vorfall wurde das Haus eines Scheichs in Tarmiya im Norden zerbombt. Motorradbomben sind heutzutage selten, zuletzt wurde eine im Oktober 2020 gezündet. In der Hauptstadtprovinz gibt es insgesamt nur wenige Anschläge, die meisten passieren in den äußeren Gebieten im Norden und Süden. (Musings on Iraq, 30.03.2021)
Die erste Aprilwoche 2021 war eine Premiere. Das lag daran, dass es im Irak mehr Angriffe pro-iranischer Gruppen gab als des Islamischen Staates. Es wurden insgesamt 16 sicherheitsrelevante Vorfälle gemeldet, 11 davon durch mit Teheran verbundene Fraktionen. Der Aufstand hingegen stockt seit dem Winter mit nur fünf Anschlägen. Pro-Teheran-Gruppen griffen weiterhin Konvois an, die Nachschub für die USA transportierten. Zehn ihrer elf Angriffe zielten auf diese Objekte in ganz Anbar, dreimal in Babil, zweimal in Bagdad, zweimal in Diwaniya und einmal in Salahaddin. Die Balad AirBase in Salahaddin, die Amerikaner beherbergt, wurde auch von Raketen getroffen. Es gab nur fünf Angriffe des Islamischen Staates, was einer der wöchentlichen Tiefststände aller Zeiten war. Diese traten einmal in Babil, zweimal in Diyala, einmal in Kirkuk, einmal in Ninewa und zweimal in Salahaddin auf. (Musings on Iraq, 12.04.2021)
Vom 08. bis 14. April 2021 gab es im Irak insgesamt 15 sicherheitsrelevante Vorfälle. Sechs davon stammten von Teheran nahestehenden Gruppierungen und neun vom Islamischen Staat. Von den Anschlägen des Islamischen Staates fand(en) einer in Anbar, einer in Babil, zwei in Bagdad, zwei in Diyala, einer in Ninewa und zwei in Salahaddin statt. Diese führten zu sechs Toten und achtzehn Verwundeten. Von den sechs Anschlägen der pro-iranischen Gruppen ereigneten sich wiederum einer in Anbar, zwei in Babil, einer in Dhi Qar, einer in Irbil und einer in Muthanna. In Bagdad gab es somit zwei Vorfälle mit Beteiligung des Islamischen Staates. Ein Kontrollpunkt wurde beschossen, um zwei Soldaten zu verwunden, und eine improvised explosive device (IED [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung]) tötete eine Person. Die Schießerei fand in Tarmiya im Norden statt und die IED wurde in Besmaya im Südosten gezündet. (Musings on Iraq, 19.04.2021)
In der dritten Aprilwoche 2021 ereigneten sich 32 sicherheitsrelevante Vorfälle. Das waren die meisten seit der dritten Septemberwoche 2020. Vier davon stammten von pro-iranischen Gruppierungen und 28 vom Islamischen Staat. Von den 32 sicherheitsrelevanten Vorfällen ereigneten sich - ausgeführt vom Islamischen Staat - zwei in Bagdad. Es starben landesweit 19 Personen und 44 Personen wurden verletzt. Acht der Getöteten und 28 der Verletzten waren Zivilisten. Bagdad verzeichnete aufgrund einer Autobombe mit 27 Personen die meisten Opfer. (Musings on Iraq, 26.04.2021)
In der ersten Maiwoche 2021 wurden die meisten wöchentlichen sicherheitsrelevanten Vorfälle seit einem Jahr verzeichnet. Es kam vom 01. bis 07. Mai 2021 zu insgesamt 36 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Acht davon stammten von pro-iranischen Gruppierungen und 28 vom Islamischen Staat. Von den Anschlägen des Islamischen Staates fand(en) einer in Anbar, einer in Babil, zwei in Bagdad, neun in Diyala, zehn in Kirkuk, vier in Ninewa und einer in Salahaddin statt. Von den acht Anschlägen der pro-iranischen Gruppen ereigneten sich wiederum zwei in Anbar, einer in Babil, einer in Bagdad, einer in Basra, einer in Muthanna und zwei in Salahaddin. Anbar, Babil, Bagdad und Ninewa blieben für die Aufständischen zweitrangige Gebiete im Irak. Abgesehen von einer weiteren Schießerei in der Provinz kam es seitens des Islamischen Staates in Tarmiya im Norden Bagdads, einem langjährigen IS-Zentrum, zu einer großen Konfrontation mit den Sicherheitskräften. Es starben landesweit 33 Personen und 37 Personen wurden verletzt. Zwei der Getöteten und einer der Verletzten waren Zivilisten. (Musings on Iraq, 10.05.2021)
Die meisten der Schutzmauern, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind. Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt - obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden. Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife. Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert. Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden. Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops. Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden. (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019)
Im Juni 2019 wurde das neue deutsch-irakische Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration in Bagdad eröffnet. Es ist das zweite seiner Art im Irak neben dem Beratungszentrum in Erbil, das seine Arbeit bereits im April 2018 aufgenommen hatte. Im Mittelpunkt der Arbeit des Beratungszentrums steht die Schaffung attraktiver und langfristiger Bleibeperspektiven. Zu den angebotenen Leistungen gehören Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen. Das Zentrum steht Rückkehrenden ebenso offen wie Binnenvertriebenen und der lokalen Bevölkerung und fördert damit auch die Stärkung des irakischen Privatsektors. In den kommenden Jahren soll das Beratungszentrum schrittweise in die lokalen Strukturen überführt werden, um den langfristigen und nachhaltigen Betrieb zu sichern. (Neues deutsch-irakisches Beratungszentrum in Bagdad eröffnet, BMZ 13.06.2019)
Die Zahl der Binnenvertriebenen (IDP’s) wird seit April 2014 aufgezeichnet, jene der Rückkehrer seit April 2015. Seit Juni 2017 sinkt die Zahl der IDPs kontinuierlich. Zum 28.02.2021 wurden 1.205.767 IDPs (207.213 Haushalte), verteilt auf 18 Gouvernements und 105 Distrikte identifiziert. Die Zahl der IDPs sinkt kontinuierlich in einem stetig langsamen Tempo. Im Jänner und Februar 2021 wurde ein Rückgang von 18.341 IDPs, verzeichnet, wobei die signifikantesten Rückgänge in den Gouvernements Ninewa (-12.838), Dahuk (-4.022), Najaf (-786) und Bagdad (-578) erfolgten. Die Zahl der Rückkehrer liegt bei 4.851.816 (808.636 Haushalte) in acht Gouvernements und 38 Distrikten. Im Jänner und Februar 2021 kehrten - bei 20.250 Rückkehrern - die meisten Menschen nach Ninewa (15.204 Personen), Anbar (780) und Salah al-Din (1.254) zurück. Nahezu alle Rückkehrer (95%, 4.593.924 Personen) kehrten an ihren vor der Vertreibung gewöhnlichen Wohnsitz zurück, der sich in einem guten Zustand befand. Ein Prozent (78.150) lebt in anderen privaten Einrichtungen (gemietete Häuser, Hotels, Gastfamilien). Vier Prozent der Rückkehrer (179.742) leben in kritischen Unterkünften (informelle Siedlungen, religiöse Gebäude, Schulen, unfertige, aufgegebene oder zerstörte Gebäude). Von den zuletzt Genannten leben die meisten in den Distrikten Mossul (32.556), Falluja (15.480), Ramadi (13.926) und Baji (13.086). (Displacement Tracking Matrix, Round 120, Januar - Februar 2021)
Zum sogenannten Hochzeitsmassaker in XXXX werden folgende Feststellungen (Auszug aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 22.06.2018) getroffen:
„Was ist bei dem Massaker genau passiert?
Es konnten weder internationale Quellen noch irakische Medienquellen gefunden werden, die im Jahr 2006 über den Vorfall berichten. Auch die Jahresberichte des US-Außenministeriums zur Religionsfreiheit und zu Menschenrechten und der Jahresbericht von Human Rights Watch zu dem in Frage kommenden Berichtszeitraum erwähnen einen solchen Vorfall oder ähnliche Vorfälle in Al-Tadschi nicht. (USDOS, 15. September 2006; USDOS, 6. März 2007; USDOS,14. September 2007; HRW, Jänner 2007). Auch in den damals veröffentlichten zweimonatlichen Berichten der UNO-Unterstützungsmission im Irak (UNAMI) zur Menschenrechtslage finden sich keine Hinweise auf einen derartigen Vorfall (UNAMI, Februar 2006; UNAMI, April 2006; UNAMI, Juni 2006; UNAMI, August 2006; UNAMI, Oktober 2006; UNAMI, Dezember 2006).
Die ersten Quellen, die über den Vorfall berichten, stammen aus dem Jahr 2011, als es Verhaftungen mutmaßlicher Täter gegeben hat und deren Geständnisse im irakischen Staatsfernsehen ausgestrahlt wurden. Zum Tatort gibt es verschiedene Angaben, manche Quellen erwähnen den Ort Dudschail, andere den Ort Tadschi. Das könnte daran liegen, dass die Hochzeitsgesellschaft angeblich aus Dudschail kam und daher im Arabischen oft vom „Massaker der Hochzeit von Dudschail“ die Rede ist. Internationale Medien beziehen sich hingegen eher auf den mutmaßlichen Tatort und sprechen vom Hochzeitsmassaker von Tadschi.
[…]
Informationen zu öffentlichen Geständnissen, Zurechnung des Vorfalls zu einem bestimmten Stamm/Clan
In den gefundenen Quellen wird weder durch die Quellen selbst noch durch die darin zitierten Sprecher der Justiz oder der Sicherheitskräfte ein bestimmter Stamm mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht. Die mutmaßlichen Täter werden stattdessen bewaffneten Gruppen, darunter der Islamischen Armee [arabisch: Al-Dschaisch Al-Islami, eine militante, sunnitisch geprägte Gruppierung, die sich als Reaktion auf die US-Invasion 2003 bildete, Anm. ACCORD] und/oder Al-Qaida zugerechnet. Die Namen von drei vermeintlichen Tätern (Ibrahim Nadschm Aboud Schahab al-Dschaburi, Firas Hassan Al-Dschaburi und Hikmat Fadil Al-Dschaburi) lassen erkennen, dass sie vom Stamm der Dschabur sind [Die Dschabur sind eine große, weit verbreitete Stammeskonföderation im Irak, Anm. ACCORD]. In den nachstehend erwähnten öffentlichen Geständnissen weisen die Angeklagten zudem darauf hin, dass sich das Massaker in einem Ort des Stammes der Fallahat ereignet habe (Al-Fayhaa, 7. November 2011a; Al- Fayhaa, 7. November 2011b).
AFP berichtet im Mai 2011, dass die irakischen Sicherheitskräfte 25 mutmaßliche Mitglieder von Al-Qaida festgenommen hätten, denen eine Reihe von Angriffen zur Last gelegt werde, darunter das Massaker an 70 Personen einer Hochzeitsgemeinschaft im Jahr 2006. Unter den Festgenommenen befinde sich auch der mutmaßliche Anführer der Aufständischen, der sich Angaben der Sicherheitskräfte zufolge als ein Menschenrechtsaktivist ausgegeben habe, um einer Verhaftung zu entgehen. Laut einem Sprecher der Sicherheitskräfte würden die 25 Verhafteten zu einer Gruppe von 34 Personen gehören, die für 15 verschiedene Anschläge verantwortlich sei. Die schlimmste Tat der Gruppe sei, so der Sprecher, die systematische Tötung einer Gesellschaft bei der Hochzeit zwischen einem schiitischen Mann und einer sunnitischen Frau im Ort Tadschi im Norden von Bagdad gewesen. Videoaufzeichnungen des Massakers von 2006 und gefälschte Dokumente, die man bei Hausdurchsuchungen gefunden habe, hätten zu den Festnahmen geführt.
[…]
Das irakische Nachrichtenportal Buratha News mit Nachrichten zu aktuellen Entwicklungen und schiitischen Angelegenheiten erwähnt in einem Artikel vom November 2011, dass das Operationskommando Bagdad [eine Abteilung der irakischen Armee, Anm. ACCORD] am 8. Juni 2011 ein Geständnis des Drahtziehers der Tat, Ibrahim Nadschm Aboud Al-Dschaburi, veröffentlicht habe. Zuvor sei am 27. Mai das Geständnis von zwei Mitgliedern der Islamischen Armee veröffentlicht worden, die zugegeben hätten, an 14 terroristischen Operationen, darunter am Hochzeitsmassaker, beteiligt gewesen zu sein. (Buratha News, 24. November 2011)
Der irakische Fernsehsender Al-Sumaria News berichtet im Juni 2011, dass es neue Geständnisse im Fall der Hochzeit von Dudschail gegeben habe, die das Operationskommando Bagdad veröffentlicht habe. Der Angeklagte Ibrahim Nadschm Aboud Al-Dschaburi, Drahtzieher des Massakers und Mitglied der Islamischen Armee, habe in einem Journalisten vorgeführten Video bestätigt, dass er und seine Komplizen sämtliche Insassen des Autokonvois der Hochzeitsgesellschaft getötet und sie anschließend in den Tigris geworfen hätten. Laut Ibrahim Al-Dschaburi habe die Gruppe die Frauen der Hochzeitsgesellschaft vergewaltigt und deren Körper ebenfalls in den Fluss geworfen. An den Körpern der etwa 20 Kinder habe man Steine befestigt und habe sie dann in den Fluss geworfen. (Al-Sumaria, 9. Juni 2011)
Auf Youtube findet sich ein von einem Nutzer namens Alwuheli im Juni 2011 veröffentlichtes Video, in dem Ausschnitte aus dem vom irakischen Staatssender Iraqiya veröffentlichten Geständnis des mutmaßlichen Drahtziehers hinter dem Hochzeitsmassaker, Ibrahim Nadschm Aboud Al-Dchaburi zu sehen sind. Ibrahim gibt an, 2005 der Islamischen Armee beigetreten zu sein. Er gesteht, zusammen mit anderen Mitgliedern seiner Gruppe (er nennt Fadil Awwad, Sofian, Hikmat Fadil und Firas Hassan), Gashändler aus Sadr City nach Schati At-Tadschi entführt und getötet zu haben. Er gesteht auch, an dem Massaker der Hochzeitsgesellschaft beteiligt gewesen zu sein, schildert in etwa den oben beschriebenen Tathergang und sagt, dass das Massaker im Dorf des Scheich Mahgub bei Tadschi stattgefunden habe. (Al-Iraqiya, 9. Juni 2011)
[…]
Ein ähnliches Geständnis-Interview führte der Sender Al-Fayhaa mit einem weiteren mutmaßlichen Täter, Hikmat Fadil. Das Video wurde ebenfalls im November 2011 auf Youtube veröffentlicht. Hikmat sagt, dass er 2005 der Islamischen Armee beigetreten und Anschläge auf Mitglieder der irakischen Polizei verübt habe. Der Hauptverantwortliche für das Hochzeitsmassaker sei Ibrahim Nadschm Aboud gewesen. Zusammen mit Ibrahim und weiteren Personen habe er die Hochzeitsgesellschaft angehalten und sie an den Ort der Fallahat in das Haus von Stammesführer Scheich Mahgub gebracht. (Al-Fayhaa, 7. November 2011b)
Grund/Motiv der Tat sowie politische Dimension des Vorfalls
Im oben bereits angeführten, im Juni 2011 erschienenen Artikel des Daily Star wird erwähnt, dass, wie aus Geständnissen der Angeklagten zu entnehmen sei, das Massaker aus dem Grund verübt worden sei, da der Bräutigam Schiit und die Braut Sunnitin gewesen sei. Das Massaker an 70 Hochzeitsgästen in dem mehrheitlich von Schiiten bewohnten Ort Dudschail gelte als einer der schlimmsten Angriffe, der während des sunnitischen Aufstandes („Sunni insurgency") von sunnitischen Kämpfern durchgeführt worden sei. Dudschail befinde sich etwa 80 Kilometer nördlich von Bagdad und sei von sunnitisch besiedelten Gebieten umgeben, die sich zu der Zeit unter Kontrolle von Al-Qaida befunden hätten. Seit der Verhaftung der Angeklagten im Mai 2011 habe das irakische Staatsfernsehen deren Geständnisse ausgestrahlt, was als Versuch des in Bedrängnis geratenen schiitischen Premierministers Nuri al-Maliki gewertet werde, zu demonstrieren, dass er das Land beschütze. In einer öffentlichen Mitteilung nach Bekanntwerden des Urteils habe al-Maliki dem Gericht gedankt und die Aufständischen als „gewaltsame Kriminelle, die alle Iraker mit ihrem schrecklichen Verbrechen schockiert hätten" bezeichnet. Eine Reihe internationaler Menschenrechtsorganisationen habe angezweifelt, ob die Gerichtsverhandlungen internationalen Standards hinsichtlich Fairness entsprochen hätten.
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Wie man aus den im irakischen Staatsfernsehen Al-Iraqiya ausgestrahlten Geständnissen habe entnehmen können, sei der Hauptangeklagte im Fall des Hochzeitsmassakers Firas al-Dschaburi, der als Menschenrechtsaktivist gearbeitet und der Bewegung Al-Wifaq Al-Watani angehört habe. Der Präsident der Wifaq-Partei sei Iyad Allawi [ein politischer Gegner des damaligen Präsidenten Nuri al-Maliki, Anm. ACCORD]. Dieser Umstand habe dazu geführt, dass die Tat eine politische Dimension angenommen habe. Auf dem Tahrir-Platz in Bagdad habe eine Demonstration stattgefunden, bei der Bilder hochgehalten worden seien, auf denen Al-Dschaburi mit Allawi zu sehen gewesen sei. Die meisten Demonstranten hätten zur Dawa-Partei [schiitische Partei des damaligen Premierministers Nuri al-Maliki, Anm. ACCORD] gehört. (Al-Sharq Al-Awsat, 2. Juli 2011)
Die in saudischem Besitz befindliche, in London herausgegebene Onlinezeitung Elaph geht in einem Artikel vom Juni 2011 ebenfalls auf die politische Dimension des Vorfalls ein. Nachdem Fotos veröffentlicht worden seien, in denen einer der Geständigen, Firas al-Dschaburi, sowohl mit Führern der Partei Irakische Liste als auch der Dawa-Partei zu sehen sei, habe dies zu gegenseitigen Anschuldigungen geführt und eine politische Krise hervorgebracht, in der sich irakische Führungspersönlichkeiten um Vermittlung bemühen würden. (Elaph, 16. Juni 2011)
Die US-amerikanische Tageszeitung Los Angeles Times schreibt im Juni 2011, dass von der Regierung finanzierte Demonstranten, von denen manche mit Knüppeln bewaffnet gewesen seien, andere Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, die Demokratie gefordert hätten, angegriffen hätten. Sie hätten zudem Bilder gezeigt, auf denen Iyad Allawi, der Hauptgegner des Premierministers Nuri al-Maliki, zu sehen gewesen sei, dessen Gesicht mit roter Farbe durchgestrichen worden sei. Dieser Vorfall sei passiert, nachdem das irakische Staatsfernsehen die angeblichen Geständnisse der Personen ausgestrahlt habe, die verdächtigt würden, ein Massaker an 70 schiitischen Muslimen im Jahr 2006 verübt zu haben. Eine sunnitische Gruppe habe damals eine Hochzeitsgesellschaft in Tadschi überfallen. Eines der Geständnisse, von denen manche annehmen würden, dass sie unter Zwang erfolgt seien, werde von Bildern begleitet, auf denen man die Opfer sehe, die gefesselt und geknebelt am Ufer des Tigris liegen würden. Auf einem weiteren Bild sehe man die Opfer, nachdem sie erschossen worden seien sowie das Wasser des Flusses, das sich rot färbt. Schätzungen zufolge hätten etwa 1.000 regierungsfreundliche Demonstranten die Todesstrafe für die Verantwortlichen des Massakers gefordert.
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CNN berichtet im Juni 2011 ebenfalls über die regierungsfreundliche Demonstration, an der hunderte Unterstützer von Nuri Al-Maliki, darunter Stammesvertreter und staatliche Bedienstete, teilgenommen hätten. Die Demonstranten hätten die Todesstrafe für die Verantwortlichen der schlimmsten konfessionell motivierten Gewalt gefordert. Das staatliche Fernsehen sei live bei der Demonstration gewesen, während es eine kleine gegen die Regierung gerichtete Demonstration auf demselben Platz nicht gezeigt habe. Die regierungsfreundliche Demonstration habe stattgefunden, nachdem das Staatsfernsehen die Geständnisse von Personen, die für konfessionell motivierte Gewalt im Irak von 2006 bis 2007 verantwortlich gewesen sein sollen, gezeigt habe. Eines der Verbrechen, zu denen sich die Personen in der Fernsehsendung bekannt hätten, sei das Hochzeitsmassaker von Dudschail.
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Informationen zum Strafprozess, Verurteilungen, Hinrichtungen
Die im Folgenden angeführten Quellen machen unterschiedliche Angaben zur Anzahl der
Hingerichteten.
AFP berichtet im Juni 2011, dass der oberste Strafgerichtshof 15 Mitglieder der Gruppe Al- Qaida wegen eines Massakers auf eine Hochzeit im Jahr 2006 zum Tode verurteilt habe. Unter den Verurteilten, so ein Gerichtssprecher, befinde sich Firas Fleih, der Anführer einer Gruppe, die für mehrere Anschläge, darunter für das Hochzeitsmassaker, verantwortlich sei. Die Verurteilten hätten einen Monat, um gegen die Entscheidung Berufung einzulegen, danach müssten die Urteile vom Präsidenten bestätigt werden.
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Auch Elaph schreibt im Juni 2011, dass 15 Mitglieder der Gruppe Islamische Armee, die für das Hochzeitsmassaker 2006 verantwortlich gemacht werde, darunter der Anführer Firas Al-
Dschaburi, vom Strafgerichtshof in Bagdad zum Tod durch Erhängen verurteilt worden sei. (Elaph, 16. Juni 2011)
Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) schreibt im November 2011 Folgendes zur Hinrichtung der im Fall des Hochzeitsmassakers Verurteilten: „Zwölf Männer, die Mitglieder bewaffneter Gruppen im Irak sein sollen, wurden am 24. November hingerichtet. Unter ihnen waren Firas Hassan Fleih al-Juburi, der der Anführer der Gruppe sein soll, Fadhel Ibrahim al-Juburi, Haydar Mut'eb 'Abdel-Qader und Hikmat Fadhel Ibrahim. Generalmajor Hamid al-Moussawi, ein hoher Beamter des Justizministeriums, teilte gegenüber den Medien mit, dass einige der Männer des Mordes an mehreren Personen, die im Jahr 2006 an einer Hochzeitsfeier in Al-Taji im Norden von Bagdad teilgenommen hatten, für schuldig befunden wurden. Die übrigen waren wegen anderer Morde im Jahr 2006 in Al-Tadji zum Tode verurteilt worden. Er sagte: ,Die Hinrichtung derartig rücksichtsloser Krimineller soll als Abschreckung dienen, die solche Straftaten zukünftig verhindern könnte'. Die getöteten Männer wurden allem Anschein nach unter dem Anti-Terror-Gesetz angeklagt und vom Zentralen Irakischen Strafgericht (Central Criminal Court of Iraq) zum Tode verurteilt.
Die Männer waren am 16. Juni im Zusammenhang mit dem Hochzeitsmassaker nahe al- Taji im Juni 2006 vom Zentralen Strafgericht in Bagdad zum Tode verurteilt worden. Der irakische Fernsehsender al-Iraqiya hatte zuvor offenbar ,Geständnisse' von einigen der Gefangenen ausgestrahlt, in denen sie sich zu den Morden sowie anderen schweren Straftaten bekannt hatten. Es ist unklar, ob es sich hierbei um freiwillige oder erzwungene Geständnisse handelt. Diese Geständnisse, die im Vorfeld der Verurteilung ausgestrahlt worden waren, könnten darauf hinweisen, dass die Gerichtsverfahren gegen die Männer möglicherweise nicht den internationalen Standards der Fairness entsprachen und sie könnten maßgeblich zur Urteilsfindung beigetragen haben. Die Todesurteile der Männer wurden am 1. November durch den irakischen Präsidenten bestätigt. Die 15 zum Tode verurteilten Männer sollen Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen und für mehrere Morde, auch an Kindern und Frauen, sowie Entführungen und Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen, darunter auch die Braut der Hochzeit im Jahr 2006 nahe al-Taji, verantwortlich sein. [...]
Drei weiteren Männern, über deren Identität Amnesty International keine weiteren Informationen vorliegen, droht nun ebenfalls die unmittelbare Hinrichtung im Zusammenhang mit denselben Mordfällen. Dies gab Iraks stellvertretender Justizminister Busho Ibrahim an. Er erklärte außerdem, dass die Hinrichtung der Männer nur verlegt wurde, weil ein anderer Fall, an dem sie beteiligt sind, noch vor Gericht verhandelt wird." (AI, 25. November 2011)
Der Daily Star erwähnt zwölf in Zusammenhang mit dem Hochzeitsmassaker von 2006 hingerichtete Mitglieder von Al-Qaida. 15 Personen seien zum Tode verurteilt worden, allerdings sei bei drei der Personen die Hinrichtung noch nicht erfolgt, da gegen sie noch weitere Gerichtsverfahren laufen würden.
[…]
Buratha News berichtet im November 2011, dass das Todesurteil gegen die Täter des Vorfalls bei der Hochzeit von Dudschail vollstreckt worden sei. Insgesamt seien 15 Täter durch Erhängen hingerichtet worden, darunter Firas Hassan Fleih Al-Dschaburi, Fadil Ibrahim, Haidar Mutib Abdel Qadir, Hikmat Fadil Ibrahim, Sajjid Hammadi Ahmad und Sofian Dschasim Muhammad. (Buratha News, 24. November 2011)
Laut dem Sender Al-Sumaria, der im November 2011 ebenfalls die Hinrichtung meldet, habe die Hinrichtung von 15 Personen stattgefunden, die wegen zwei verschiedenen Verbrechen verurteilt worden seien. Eines davon sei das Hochzeitsmassaker von Dudschail, das andere der „Gas-Vorfall" gewesen. (Al-Sumaria, 24. November 2011)
[…]
Berichte über Zweifel am tatsächlichen Vorkommen des Verbrechens
Radio Netherlands Worldwide (RNW), der als internationaler öffentlich-rechtlicher Sender gegründet wurde und dem niederländischen Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft unterstellt ist, behauptet in einem undatierten, wahrscheinlich im Juni 2011 veröffentlichten Artikel, hinreichende Informationen von verschiedenen Quellen eingeholt zu haben und dabei keine konkreten Indizien dafür gefunden zu haben, dass das Massaker von Dudschail je stattgefunden habe. Ein mutmaßlicher Täter des Massakers, Firas Al-Fleih, habe an Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen. Die Geständnisse seien am 28. Mai 2011 im Fernsehen gesendet worden, nur ein paar Tage bevor eine gegen die Regierung gerichtete Demonstration geplant gewesen sei. Al-Fleih sei im Fernsehen als ein Aktivist präsentiert worden, der zu einem Terroristen geworden sei. Laut RNW seien die im Fernsehen über das Massaker ausgestrahlten Informationen nicht schlüssig. Laut Angaben in der betreffenden Sendung sei die Hochzeitsgesellschaft auf dem Weg von Dudschail nach Tadschi gewesen. Die Braut sei Berichten zufolge aus dem sunnitischen Ort Tadschi gewesen. Im Irak sei es jedoch Tradition, dass die Familie des Bräutigams (aus Dudschail) die Braut (in Tadschi) abhole, dann hätte sich die Braut zur Zeit der Tat jedoch nicht unter der Hochzeitsgesellschaft befunden. Die Zeugenaussagen seien teilweise widersprüchlich gewesen. Während Firas ausgesagt habe, dass er Wache gestanden sei, während die anderen die Morde begangen hätten, hätten die anderen mutmaßlichen Täter angegeben, dass er an den Tötungen teilgenommen habe. In dem Video, das die angebliche Tat zeige, seien keine Autos zu sehen gewesen, obwohl angegeben worden sei, dass die Opfer in ihren Autos entführt worden seien. Premierminister Nuri Al-Maliki habe laut RNW von der Tragödie profitiert und die Geständnisse seien für die Regierung sehr günstig gewesen. Firas, einer der mutmaßlichen Täter, sei ein Mitglied der Iraqiya-Partei gewesen, die vom Rivalen des Premierministers Iyad Allawi geführt werde.
[…]
Vor dem Jahr 2011, so RNW weiters, sei über das Massaker von 2006 nicht in den Medien berichtet worden. Das Projekt Iraq Body Count, das alle Medienberichte über Vorfälle mit Todesopfern sammle, habe den Vorfall nicht registriert. Auch nach einer Anfrage von RNW an Iraq Body Count, für die Medienberichte zwischen Juni und Oktober 2006 noch einmal gezielt durchsucht worden seien, habe man keinen Hinweis auf den Vorfall gefunden. Erst nach Veröffentlichung der Geständnisse [Mai 2011] sei eine Berichterstattung erfolgt. Muwaffek al- Ayesh, ein für die im Irak stationierten US-Truppen tätiger Analyst, habe erklärt, dass die Nachricht über eine so schreckliche Tat sich schnell unter den Menschen verbreitet hätte. Wenn es seine Aufgabe gewesen sei, Informationen zu sammeln, wieso habe er von einer solchen Tat nichts erfahren? Obwohl angeblich 70 Personen getötet worden seien, würden sich laut RNW keine Familienangehörigen der Opfer finden. In einer Fernsehsendung seien mutmaßliche Familienmitglieder zu sehen gewesen. Als eine parlamentarische Delegation jedoch zu ihnen gefahren sei, um sie zu treffen, habe sich herausgestellt, dass sie Familienangehörige bei anderen Anschlägen verloren hätten. Ein Parlamentsabgeordneter des Parteienbündnisses von Iyad Allawi habe gesagt, dass die 15 Männer wegen anderer Verbr