Entscheidungsdatum
07.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L508 2153318-3/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr.in HERZOG als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Libanon, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG, § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 a FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat: „Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 FPG 2005 wird gegen Sie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“
B)
Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrenshergang und Sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend BF), ein Staatsangehöriger aus dem Libanon, stellte erstmals am 23.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der Erstbefragung am 24.11.2015 begründete der Beschwerdeführer seinen Fluchtgrund damit, dass im Libanon zwischen der Armee und der Hisbollah Bürgerkrieg herrsche und er deshalb um sein Leben fürchte. Er habe die Schule nicht besuchen und keine Ausbildung machen können. Er habe Angst im Krieg getötet zu werden.
3. In der nachfolgenden Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 21.12.2016 begründetet der Beschwerdeführer seinen Asylantrag damit, dass er persönlich wegen seiner gelegentlichen ehrenamtlichen Hilfstätigkeit für die „Zukunftsströmung“ in den Blickpunkt der Hisbollah geraten sei und er deshalb vor der Ausreise von der Hisbollah gesucht bzw. verfolgt worden sei. Aus diesem Grund habe er das Land verlassen.
4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Fluchtgeschichte sei in wesentlichen Teilen sehr vage und detailarm geblieben. Die bP sei behauptetermaßen und unbescheinigt geblieben nur einmal telefonisch bedroht worden. Ansonsten sei ihr nichts passiert und sie habe auch nie persönlich Kontakt zur Hisbollah gehabt. Ebenso ergebe sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Relevante Abschiebungshindernisse lägen demnach nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht gegeben sein und werde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt.
5. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.08.2020, mit Erkenntnis vom 29.10.2020, Zahl: L504 2153318-1/19E, in allen Spruchpunkten als unbegründet ab.
In diesem Erkenntnis wurde begründend dargelegt, warum - als Folge der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens - der vom BF vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Letztlich wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Diese Entscheidung erwuchs mit 31.10.2020 in Rechtskraft.
6. Am 16.03.2021 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten und nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung am 16.03.2021 führte der Beschwerdeführer als Grund für seine neuerliche Antragstellung aus, dass er seinen alten Fluchtgründe aufrecht halte. Er wolle auch angeben, dass sein Cousin von der Hisbollah getötet worden sei. Das sei ein Racheakt gewesen. Auch einer seiner Brüder namens Ibrahim sei schwer verletzt worden. Auch ein weiterer Cousin sei verletzt worden.
Im Rahmen der Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs am 27.04.2021, welche unter Beiziehung eines Rechtsberaters erfolgte, wiederholte der BF sein bisheriges Vorbringen. Der Beschwerdeführer brachte Beweismittel in Bezug auf die Vorfälle im August 2020 betreffend seine Cousins und seine Brüder in Vorlage. Befragt, wann sich die Vorfälle ereignet hätten, führte der BF den 27.08.2020 an. Befragt, seit wann er im Besitz dieser Videos sei, gab der BF an, dass dies seit 5-6 Monaten sei. Er habe Kontakt zur Familie aufgenommen und die Familie seiner Cousins hätten ihm das Video geschickt. Das Video zeige, wie die Hisbollah in ihr Gebiet gekommen sei und seine Cousins erschossen habe. Befragt, was sich in Bezug auf das Fluchtvorbringen seit der Rechtskraft des Vorverfahrens am 31.10.2020 geändert habe, führte der BF an, dass die Hisbollah seine Familie seit April 2007 bedrohe. Die Vorfälle in Bezug auf die Verletzungen seiner zwei Brüder und seiner drei Cousins hätten sich im August 2020 neu ereignet. Ferner führte er aus, dass es viele Bedrohungen durch die Hisbollah gäbe. Im Falle einer Rückkehr drohe im der Tod. Im Verfahren wurden vom den vom BF verschiedene Fotoausdrucke, Medizinische Unterlagen in Fremdsprache betreffend fremder Personen inkl. Übersetzung, Ausschnitte aus Online Artikel, ein USB Stick mit Videoaufnahmen in Vorlage gebracht, deren Abbildungen und Inhalte von der belangten Behörde mit dem BF erörtert wurden.
7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2021, wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides). Hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wies das BFA den Antrag gemäß § 8 Abs 1 AsylG ebenso wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt II). Das BFA erteilte dem Beschwerdeführer des weiteren keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkte III), erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV) und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Libanonn gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Das BFA sprach zudem aus, dass gemäß § 55 Abs 1a keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI). Ferner wurde gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 6 FPG ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt VII).
Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass entschiedene Sache vorliege und das Vorbringen des Beschwerdeführers in einem rechtskräftig beendeten Verfahren bereits als nicht glaubwürdig und „nicht asylrelevant“ erachtet worden sei. Das BFA führte aus, dass der BF im gegenständlichen Verfahren erklärt habe, sein Fluchtvorbringen hätte sich dahingehend geändert, dass die allgemeine Situation noch schlimmer geworden wäre. Es würde sich nun um eine „Rachegeschichte“ zwischen der Hisbollah und seinem Stamm handeln. Außerdem würde es viele Bedrohungen von Seiten der Hisbollah geben, eine konkrete Begebenheit sei er jedoch, wie schon in seinem Erstverfahren, nicht im Stande gewesen zu schildern. Die belangte Behörde hielt ferner fest, dass der Beschwerdeführer neue „Beweismittel“ in Vorlage gebracht habe, welche seine im Heimatland bestehende Bedrohung glaubhaft machen sollten und habe er diverse Fotoausdrucke, einen USB-Stick mit mehreren Videos, Zeitungsberichte sowie medizinische Unterlagen von Familienmitgliedern in Vorlage gebracht.
Das BFA würdigte die in Vorlage gebrachten Beweismittel wie folgt:
„Zu den vorgelegten Fotoausdrucken und Videoaufnahmen ist zunächst anzuführen, dass Sie selbst darauf nicht abgebildet sind. Die Videoaufnahmen zeigen Ausschnitte einer bewaffneten Auseinandersetzung und mehrerer Nachrichtensendungen, die von Anschlägen der Hisbollah berichten. Zu dem von Ihnen in Vorlage gebrachten Bildmaterial ist weiters anzuführen, dass hierauf keine Sachverhalte abgebildet sind, welche nach rechtskräftigem Abschluss Ihres Vorverfahrens entstanden sind und darüber hinaus auch über keine Beweiskraft hinsichtlich Ihrer behaupteten Verfolgung im Libanon verfügen, da dieses keinen persönlichen Bezug auf Ihre Person nimmt.
Auch aus den vorgelegten Kopien medizinischer Unterlagen zu fremden Personen und anderen vorgelegten Beweismitteln ist kein Bezug zu Ihrer Person festzustellen. Dass es in verschiedenen Gebieten im Libanon vermehrt zu Auseinandersetzungen mit der Hisbollah kommen kann, wird nicht in Zweifel gestellt. Nicht glaubhaft ist jedoch, dass gerade Ihre Person dergestalt in den Blickpunkt der Hisbollah geraten wäre und nun einer persönlichen, individuelle Verfolgung ausgesetzt wäre.
Ihr jetziges Vorbringen, wonach Sie im Falle der Rückkehr in den Libanon von Seiten der Hisbollah einer Bedrohung ausgesetzt wären, steht jedenfalls in einem untrennbaren Zusammenhang mit Ihren anlässlich des Erstverfahrens als völlig unglaubwürdig erachteten Angaben. Hieraus folgt notwendigerweise, dass für Sie auch mit Folgebehauptungen, die auf die als nicht glaubhaft erachteten Fluchtgründe aufbauen bzw. diese bekräftigen sollen, nichts zu gewinnen ist. Wird nämlich die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Antragsteller auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt, bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken“ behauptet, über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist (iSd Erkenntnisses des VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480).“
Das BFA hielt fest, dass der BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz somit ausschließlich aus den Gründen stellte, welche er bereits im ersten hier geführten Verfahren vorgebracht habe und welche bereits durch die österr. Asylbehörden geprüft worden seien und liege daher ein neuer objektiver asylrelevanter Sachverhalt nicht vor.
Im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand, seine Integration sowie seine private wie familiäre Situation hätten sich für die belangte Behörde ebenso wenig Umstände ergeben, die zu einer anderen Einschätzung als in dem rechtskräftig abgeschlossenen ersten Verfahren geführt hätten.
Zu den Gründen für die Erlassung eines Einreiseverbotes hielt die belangte Behörde fest, dass seine Verstöße gegen das österreichische Rechtssystem eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würden. Der Beschwerdeführer sei insbesondere dem Ausreisebefehl in sein Heimatland nicht nachgekommen. Ferner könne er die Mittel für seinen Unterhalt nicht nachweisen und sei er mittellos.
8. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2021 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und dieser ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
9. Gegen den Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 24.06.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Hinsichtlich des genauen Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
In der Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht, dass sich die im ersten Asylverfahren vorgebrachte Verfolgung nunmehr verschärft habe und habe der Beschwerdeführer dazu neue Beweismittel in Vorlage gebracht. Entschiedene Sache liege aufgrund des Umstandes, dass sich die Situation verschärft habe und der Beschwerdeführer neue Beweismittel in Vorlage gebracht habe nicht vor. Schon allein deswegen könne nicht von einem identischen Sachverhalt ausgegangen werden. Weitere Ausführungen bspw. in Bezug auf eine Verletzung von Artikel 3 EMRK sowie der Erlassung des Einreiseverbotes wurden nicht getätigt
9.1. Beantragt wurde,
- den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem Beschwerdeführer Asyl oder subsidiären Schutz zu gewähren;
-dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen
- keine Rückkehrentscheidung zu erlassen
- festzustellen, dass die Abschiebung in den Libanon unzulässig ist;
- kein Einreiseverbot zu erlassen,
- sowie eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
9.2. Ferner wurde der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.
9.3. Mit diesem Rechtsmittel wurde kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre zu einer anderslautenden Entscheidung zu gelangen.
10. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt des BFA langte am 08.07.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dieser wurde gem. § 17 BFA-VG mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen keine aufschiebende Wirkung zuerkannt.
11. Hinsichtlich des Verfahrensgangs und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
12. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der Erstverfahren, in den gegenständlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen (Sachverhalt):
II.1.1. Der BF ist Staatsangehöriger aus dem Libanon und damit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Die Identität des BF konnte mangels Vorlage von geeigneten Dokumenten nicht festgestellt werden.
Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat und seinem Wohnort, sowie des Umstandes, dass der Antragsteller die für den Libanon gebräuchliche Sprachen Arabisch spricht sowie aufgrund seiner Kenntnisse über den Libanon ist festzustellen, dass es sich bei ihm um einen libanesischen Staatsangehörigen handelt.
Der Beschwerdeführer reiste November 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23.11.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Seit Abschluss des ersten Asylverfahrens durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.10.2020, Zahl: L504 2153318-1/19E, hielt sich der Beschwerdeführer jedenfalls unrechtmäßig in Österreich auf.
Am 16.03.2021 stellte der BF seinen zweiten und nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Er verfügte noch nie über ein Aufenthaltsrecht für Österreich außerhalb des Asylverfahrens. Gegen ihn bestand seit 31.10.2020 (Datum der Zustellung des Erkenntnisses vom 29.10.2020 an den BF) eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung. Der Ausreiseverpflichtung in den Libanon kam er nicht nach.
Der Beschwerdeführer stellte in Österreich zweimal einen Antrag auf internationalen Schutz; alle zwei Anträge wurden abgewiesen bzw. wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Er verfügt ab dem Zeitpunkt der Erlassung dieser Entscheidung wiederum über keinen gültigen Aufenthaltstitel für Österreich.
Der BF hielt sich seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens bis zur Folgeantragsstellung am 16.03.2021 unrechtmäßig in Österreich auf.
Der Beschwerdeführer stützt seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz auf dieselben Ausreisegründe, die er bereits im ersten Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz geltend gemacht hatte. Vorgebracht wurde eine Verschärfung seiner Situation. Ansonsten hat er keine neuen Gründe vorgebracht.
In Bezug auf die individuelle Lage des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.
Im gegenständlichen Verfahren ergab sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat noch in sonstigen in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen. Auch die aktuelle Covid-19-Pandemie hat nicht derartige Auswirkungen, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat in der Zwischenzeit unzumutbar machen würden. Im übrigen ist festzuhalten, dass die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie im Libanon auch bereits im Erkenntnis vom 29.10.2020 geprüft wurden.
Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.
Der private und familiäre Lebensmittelpunkt des BF befindet sich im Libanon. Der BF verfügt in Österreich über keine familiären oder sonstigen nennenswerten sozialen Bindungen. Der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX (GZ: 2153321-2), befindet sich ebenso wie der Beschwerdeführer als Asylwerber in Österreich und hat dieser, gleich wie der Beschwerdeführer, einen Folgeantrag eingebracht.
Die Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid (§68 AVG und weitere Absprüche) des Bruders des BF wurde mit Erkenntnis des BVwG vom heutigen Tag ebenso in allen Spruchpunkten (§ 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 a, § 53 Abs. 1 iVm Absatz 2 FPG 2005 idgF) als unbegründet abgewiesen.
Der BF verfügt über normale soziale Kontakte. Unterstützungserklärungen wurden keine vorgelegt. Ehrenamtliche bzw. gemeinnützige Tätigkeiten sind ebenso wenig evident. Der BF bezog seit seiner Einreise im November 2015 bis inklusive Februar 2016 Leistungen aus der Grundversorgung (Krankenversicherung). Seit 15.04.2021 ist der BF bei der XXXX als Arbeiter beschäftigt. Er besucht(e) und absolvierte am 13.01.2021 einen Deutschkurs Niveau A1. Er verfügt aufgrund seines Aufenthalts in Österreich und der Absolvierung des Deutschkurses zweifelsfrei über einfache Deutschkenntnisse.
Der Beschwerdeführer wurde am 24.08.2017 vom Landesgericht für Strafsachen Wien für schuldig befunden, dass er am 07.06.2017 in Wien vorschriftswidrig auf einer öffentlichen Verkehrsfläche öffentlich und unmittelbar wahrnehmbar für mindestens zehn Personen, Suchtgift, nämlich Cannabiskraut einem anderen gegen Entgelt überlassen hat, dies zu einem Preis von 10 Euro pro Gramm, weiters 1,1 Gramm zu überlassen versucht, indem sie es zum unmittelbar bevorstehenden Verkauf abgepackt in ihrer Socke bereithielt. Gem. § 27 Abs 2a, zweiter Fall SMG, § 15 StGB wurde er zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten bedingt unter einer Probezeit von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt. Das Gericht stellte ua. fest, dass der BF die strafbare Handlung nicht überwiegend deshalb beging, um sich seinen allfälligen Suchtmittelkonsum zu finanzieren, sondern der überwiegende Teil des Erlöses floss in die Finanzierung seines sonstigen Lebensunterhaltes. Erschwerend wurde das Zusammentreffen von zwei Vergehen, mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel und dass es teilweise beim Versuch geblieben ist sowie das teilweise reumütige Geständnis gewertet.
Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Es konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat Libanon gemäß § 46 FPG unzulässig wäre.
II.1.2. In Bezug auf die zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon zu treffenden Feststellungen schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den seitens des BFA getroffenen Feststellungen an:
Politische Lage
Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten „Dokument der Nationalen Versöhnung“ (AA 24.1.2020).
In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:
• Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein
• Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein
• Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein (GIZ 3.2020)
Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen: 34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5 orthodoxe Armenier, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 Vertreter einer Minderheit (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die konfessionelle Fragmentierung des Landes bewirkt eine äußere Abhängigkeit von den jeweiligen Schutzmächten der konfessionellen Gruppen. Dies reduziert die Souveränität des Staates (GIZ 3.2020). Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher allerdings keine Fortschritte (AA 24.1.2020).
Die Hizbollah, die „Partei Gottes“, ist - wie auch jetzt – seit Jahrzehnten immer wieder Teil der libanesischen Regierung. Sie tritt dabei jedoch nicht nur als politische Partei, sondern häufig auch als soziale Organisation auf, die mit ihrem Angebot an sozialen und medizinischen Hilfsleistungen ärmeren Menschen in Not hilft. Der bewaffnete Arm der Hizbollah kämpft in Syrien an der Seite der Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Gleichzeitig stellt die Organisation das Existenzrecht Israels offen in Frage. Immer wieder kommt es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Hizbollah und Israel (DF 30.4.2020). Die Hisbollah macht gleichzeitig Geschäfte gegen und mit dem Gesetz, schmuggelt Drogen und kontrolliert die Zollstationen am Hafen von Beirut. Dabei hilft ihr ein weltweites Netzwerk von Unterstützern in der Diaspora (Zeit 6.5.2020).
Die Hizbollah wird von den Vereinigten Staaten als terroristische Gruppe eingestuft. In der EU stand bislang nur der militärische Arm der Hizbollah auf der Terrorliste, bis Deutschland den Kurs nun verschärft und auch den politischen Arm der Hizbollah als terroristische Vereinigung bewertet und ein Betätigungsverbot der Organisation in Deutschland verfügt hat (Spiegel 30.4.2020; vgl. Spiegel 5.5.2020; DailyStar 6.11.2019).
Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander unversöhnlich gegenüberstehen:
? die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hizbollah angeführte 8. März-Koalition und
? die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (GIZ 3.2020).
Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft. Die Polarisierung zwischen den beiden Lagern lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten (GIZ 3.2020). Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Am 31. Oktober 2016 wurde schließlich nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hizbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Dessen Zustimmung erfolgte erst, als Aoun Hariri im Gegenzug beauftragte, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Diese wurde schließlich am 19. Dezember 2016 vereidigt (GIZ 3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).
Im Juni 2017 konnte man sich schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem eine Ablöse des Mehrheitswahlrechts durch das Verhältniswahlrecht vor. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden. Das Wahlgesetz enthält jedoch zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent. Positiv ist jedoch, dass die Parteien nun faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden (GIZ 3.2020).
Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt. 77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal] 21; Free Patriotic Movement 20; Amal 17; Lebanese Forces 15; Hizbollah 12; Progressive Socialist Party 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UNSC 13.7.2018).
Die Hizbollah und ihre politischen Verbündeten - darunter auch das „Free Patriotic Movement“ (FPM), eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die knapp zwanzig Sitze erringen konnte (AA 24.1.2020), besetzen nach dieser Wahl knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Saad al-Hariri (Premierminister bis Ende 2019, Anm.) mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist (RFE 7.5.2018; vgl. ICG 9.6.2018). Der bisherige Premier Hariri wurde trotz Wahlverlusten neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 3.2020).
Aufgrund der zunehmend prekären wirtschaftlichen Situation kam es schon Mitte Oktober 2019 zu massiven Protesten gegen Korruption und Misswirtschaft (Standard 12.2.2020; vgl. FAZ 24.1.2020). Ende Oktober gab Regierungschef Saad Hariri schließlich angesichts der Massenproteste auf und trat zurück (FAZ 24.1.2020).
Ende Januar 2020 wurde schließlich eine neue Regierung gebildet. Der neue Premierminister Hassan Diab wollte sich mit seiner technokratischen Regierung für umfassende Wirtschaftsreformen einsetzen. Diab selbst kam dank der Unterstützung der Hizbollah, der Amal-Bewegung und der Freien Patriotischen Bewegung von Präsident Michel Aoun an die Macht, die nun mit einigen kleineren Parteien gemeinsam über eine parlamentarische Mehrheit verfügten. Pro-westliche politische Rivalen wie etwa Hariris Future Movement, die größte sunnitische Partei des Landes, unterstützten die Regierung nicht (ECFR 4.2.2020).
Am 4. August 2020 ereignete sich im Hafen von Beirut eine verheerende Explosion mit mindestens 180 Toten und rund 6.000 Verletzten. 300.000 Menschen wurden obdachlos und große Teile der Stadt wurden stark beschädigt. Tausende zogen in der Folge zu Protesten auf die Straßen und forderten eine umfassendere Aufklärung der Hintergründe der Explosion. Die Regierung von Ministerpräsident Hassan Diab trat zurück (Standard 17.8.2020), nachdem dieser die endemische Korruption für die verheerende Explosion verantwortlich gemacht hatte (AJ 10.8.2020). Am 31. August 2020 wurde Mustapha Adib, bislang libanesischer Botschafter in Deutschland, von Staatspräsident Michel Aoun mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt (Spiegel 31.8.2020; vgl. Standard 31.8.2020).
Adib ist Sunnit, das ist gemäß Verfassung des Landes die Bedingung für den Premierposten. Sowohl die sunnitische Zukunftspartei von Ex-Premier Saad Hariri als auch die schiitische Hisbollah mit ihren Verbündeten sowie die maronitische Patriotenbewegung von Präsident Michel Aoun haben sich bereits öffentlich hinter Adib gestellt (Standard 31.8.2020, vgl. CNN 31.8.2020), was die Protestbewegung prompt als Fortsetzung des gescheiterten Proporzsystems ablehnte (Zeit 31.8.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020
- AJ - Al Jazeera (10.8.2020): Lebanon president accepts gov't resignation after Beirut blast, https://www.aljazeera.com/news/2020/08/lebanon-pm-hassan-diab-resigns-anger-beirut-blast-200810135202076.html, Zugriff 24.8.2020
- CNN (31.8.2020): Lebanese diplomat Mustapha Adib named Prime Minister-designate ahead of Macron visit, https://edition.cnn.com/2020/08/31/middleeast/lebanon-new-prime-minister-intl/index.html, Zugriff 31.8.2020
- DailyStar (6.11.2019): Why is Lebanon in an economic and political mess?, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2019/Nov-06/495099-explainer-why-is-lebanon-in-an-economic-and-political-mess.ashx, Zugriff 12.5.2020
- DF – Deutschlandfunk (30.4.2020): Andere Länder der EU werden dieser Linie folgen, https://www.deutschlandfunk.de/hisbollah-verbot-in-deutschland-andere-laender-der-eu.694.de.html?dram:article_id=475794, Zugriff 30.6.2020
- ECFR – European Council on Foreign Relations (4.2.2020): Counterfeit change. Lebanon‘s new government, https://www.ecfr.eu/article/commentary_counterfeit_change_lebanons_new_government, Zugriff 15.5.2020
- FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.1.2020): Ein Land vor dem Kollaps, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/proteste-in-libanon-ein-land-vor-dem-kollaps-16595022.html, Zugriff 15.5.2020
- GIZ– Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020): Libanon – Geschichte und Staat: https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/, Zugriff 16.6.2020
- ICG – International Crisis Group (9.6.2018): In Lebanon’s Elections, More of the Same is Mostly Good News,
https://www.ecoi.net/de/dokument/1432128.html, Zugriff 30.6.2020
- RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (7.5.2018): Iran-Backed Hizballah And Allies Make Big Gains In Lebanese Election, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431871.html, Zugriff 30.6.2020
- Spiegel (30.4.2020): Seehofer geht gegen Hisbollah vor, https://www.spiegel.de/politik/ausland/bundesinnenminister-horst-seehofer-csu-geht-mit-betaetigungsverbot-gegen-die-hisbollah-vor-a-9a2e5cb7-03af-4bc6-87f0-e363b938364f, Zugriff 15.5.2020
- Spiegel (5.5.2020): Libanon bestellt deutschen Botschafter ein, https://www.spiegel.de/politik/ausland/hisbollah-verbot-libanon-bestellt-deutschen-botschafter-ein-a-67bed83b-6c6d-41b5-9d9c-cf079d1f2cf4, Zugriff 15.5.2020
- Spiegel (31.8.2020): Libanons Präsident beauftragt Botschafter Adib mit Regierungsbildung, https://www.spiegel.de/politik/ausland/libanon-nach-beirut-katastrophe-mustapha-adib-mit-regierungsbildung-beauftragt-a-577e3b8f-71b6-47e4-814f-c4c6151e9e1b, Zugriff 1.9.2020
- Standard (12.2.2020): Unmut nach erfolgreichem Vertrauensvotum für neue libanesische Regierung, https://www.derstandard.at/story/2000114474346/neue-libanesische-regierung-gewann-vertrauensabstimmung-im-parlament, Zugriff 15.5.2020
- Standard (17.8.2020): Nach der Explosion in Beirut: Haftbefehl gegen Zollchef des Hafens, https://www.derstandard.at/story/2000119415098/nach-der-explosion-in-beirut-haftbefehl-gegen-zollchef-des-hafens, Zugriff 24.8.2020
- Standard (31.8.2020): Berlin-Botschafter Adib soll als neuer Premier den Libanon aus der Krise führen, https://www.derstandard.at/story/2000119691285/berlin-botschafter-adib-soll-als-neuer-premier-den-libanon-aus, Zugriff 1.9.2020
- UNSC - United Nations Security Council (13.7.2018): Implementation of Security Council resolution 1701 (2006); Report of the Secretary-General; Reporting period from 1 March 2018 to 20 June 2018 [S/2018/703], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf Zugriff 20.6.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html, Zugriff 12.5.2020
- Zeit (6.5.2020): Schlechte Zeiten für die Schattenmacht, https://www.zeit.de/2020/20/hisbollah-terrormiliz-israel-libanon-deutschland/komplettansicht, Zugriff 28.8.2020
- Zeit (31.8.2020): Macron macht Druck, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/emmanuel-macron-libanon-besuch-beirut-explosion-krise, Zugriff 1.9.2020
Sicherheitslage
Anm.: Der besseren Übersichtlichkeit wegen wird die Situation in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Abschnitt über palästinensische Flüchtlinge dargestellt.
Die libanesische Regierung hat weder die vollständige Kontrolle über alle Regionen des Landes noch über die Grenzen zu Syrien und Israel. Nach wie vor kontrolliert die Hizbollah den Zugang zu bestimmten Gebieten und hat überdies Einfluss auf einige Elemente innerhalb der libanesischen Sicherheitsdienste. Die Al-Nusrah-Front, der sogenannte Islamische Staat (IS) und andere sunnitische Terrorgruppen operierten auch 2019 weiterhin in unkontrollierten Gebieten entlang der unmarkierten libanesisch-syrischen Grenze. Andere terroristische Gruppen wie die Hamas, die Volksfront für die Befreiung Palästinas, das Generalkommando der Volksfront für die Befreiung Palästinas, Asbat al-Ansar, Fatah al-Islam, Fatah al-Intifada, Jund al-Sham, der Palästinensische Islamische Dschihad und die Abdullah-Azzam-Brigaden operierten weiterhin in Gebieten mit begrenzter Regierungskontrolle, vor allem in den 12 palästinensischen Flüchtlingslagern. Diese Lager werden als sichere Zufluchtsorte genutzt und sie dienen als Waffenverstecke (USDOS 24.6.2020a). Der staatlichen Kontrolle weitgehend entzogen, wird deren Sicherheit teilweise durch palästinensische bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion gestellt werden. Das deutsche Außenamt berichtet von teils schweren Auseinandersetzungen, zuletzt zwischen verschiedenen Palästinenserfraktionen in den Lagern Ain El-Hilweh und Mieh-Mieh. Das Lager Nahr el-Bared stellt insofern eine Ausnahme dar, da es unter libanesischer Kontrolle steht. Allerdings beschränkt sich die libanesische Armee auf Zugangskontrollen und die Sicherung der Umgebung (AA 24.1.2020).
Der Libanon und Israel befinden sich offiziell noch im Krieg. An der gemeinsamen Grenze im Südlibanon kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah (ORF 26.8.2020).
Es besteht ein hohes Risiko von nicht explodierten Bomben und Minen (MAG o.D.). Im September 2019 kam es dort nach der Aufdeckung von Tunnelanlagen durch israelisches Militär kurzfristig zu erhöhten Spannungen und gegenseitigem Artilleriebeschuss zwischen der Hizbollah und der israelischen Armee. Die Hizbollah beschoss israelische Militärstellungen und -fahrzeuge nahe der Ortschaft Avivim mit mehreren Panzerabwehrlenkraketen. Israel reagierte seinerseits mit Artilleriebeschuss auf Ziele im südlichen Libanon. Nach wenigen Stunden wurden die Gefechte beidseitig wieder eingestellt (AA 24.1.2020).
Die Bekaa-Ebene ist bekannt für Waffen- und Drogenhandel (Al Ahram 13.2.2020).
Die Sicherheitslage in der Bekaa-Ebene hat sich durch den bewaffneten Konflikt in Syrien zunehmend verschlechtert. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. Es kommt regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppen, vor allem in und um Ersal, Ras Baalbek und Qaa. Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch innerhalb einzelner Gemeinschaften, können sich in bewaffneten Konfrontationen oder Anschlägen entladen (EDA 12.8.2020). In der Provinz Baalbek-Hermel gab es neben solchen Entführungen auch Plünderungen und Mordanschläge (Asharq al-Awsat 22.9.2019). Hermel gilt als Hochburg der Hizbollah (Al Ahram 13.2.2020).
Die Spannungen im Nordlibanon (insbesondere um die Stadt Tripoli und in der Region Akkar) haben sich durch den Konflikt in Syrien und die Ankunft zahlreicher Flüchtlinge weiter verschärft. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen verschiedenen politisch-religiösen Gruppierungen. Die Gefahr von Anschlägen und einer Eskalation der Lage ist groß (EDA 12.8.2020).
Die libanesische Armee (Lebanese Armed Forces - LAF) trägt die Hauptverantwortung für die Sicherung der Land- und Seegrenzen des Libanon, während das „Directorate of General Security“ (DGS) und der Zoll für die offiziellen Einreisepunkte zuständig sind. Die Effizienz der Kontrollen der Landgrenze des Libanon mit Syrien konnte in letzter Zeit durch ein von den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und Kanada finanziertes Landgrenzsicherungsprojekt gesteigert werden, was die Festnahme von aus Syrien einreisenden IS-Mitgliedern ermöglichte (USDOS 24.6.2020b).
Infolge der Krise in Syrien haben die destabilisierenden regionalen, politischen und konfessionellen Spannungen deutlich zugenommen. So ist die Hizbollah erklärtes Ziel sunnitischer Extremisten, die sich mit Selbstmordanschlägen gegen schiitische Wohn- und Einflussgebiete für den Kampf der Schiiten-Miliz an der Seite von Baschar al-Assad in Syrien rächen wollen. Die größte christliche Partei des Landes (Free Patriotic Movement) ist demgegenüber politisch mit der Hizbollah verbündet und betrachtet diese als Stabilisierungsfaktor für Libanon und seine religiösen Minderheiten. Die politische und militärische Rolle von Hizbollah, die zumindest in ihren Hochburgen auch soziale, politische und sicherheitsbehördliche Aufgaben wahrnimmt, bleibt damit struktureller Streitpunkt für den Libanon (AA 24.1.2020).
Bei der von der UN geforderten Abrüstung aller bewaffneten Gruppen einschließlich der palästinensischen Milizen und dem militärischen Flügel der Hizbollah konnten bislang keine Fortschritte erzielt werden. Die Hizbollah bestätigte immer wieder, über entsprechende militärische Kapazitäten zu verfügen. Die libanesische Regierung ist somit weiterhin nicht in der Lage, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben (UNSC 13.7.2018).
Die allgemeine Sicherheitslage ist insbesondere durch die seit Oktober 2019 immer wieder stattfindenden Massenproteste und Verkehrsblockaden unübersichtlicher geworden (AA 24.1.2020). Der Zorn der Demonstranten konzentriert sich auf die wahrgenommene Korruption libanesischer Politiker, die das Land seit dem Bürgerkrieg von 1975-1990 beherrscht haben (DailyStar 6.11.2019). Im Zuge der Demonstrationen kommt es insbesondere in Beirut immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Straßenschlachten mit der Polizei, die zum Teil zahlreiche Verletzte fordern (Spiegel 20.1.2020; vgl. Zeit-Online 7.8.2020). Auch in der Hafenstadt Tripoli kam es zu schweren Auseinandersetzungen (Tagesspiegel 29.4.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 23.6.2020
- Al Ahram (13.2.2020): Lebanon‘s security and economy at stake, http://english.ahram.org.eg/NewsContent/50/1203/363350/AlAhram-Weekly/World/Lebanon’s-security-and-economy-at-stake.aspx, Zugriff 3.9.2020
- Asharq al-Awsat (22.9.2019): Beqaa Witnesses Wave of Kidnappings Amid Failure to Control Security, https://english.aawsat.com//home/article/1913576/lebanon-beqaa-witnesses-wave-kidnappings-amid-failure-control-security, Zugriff 31.8.2020
- DailyStar (6.11.2019): Why is Lebanon in an economic and political mess?, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2019/Nov-06/495099-explainer-why-is-lebanon-in-an-economic-and-political-mess.ashx, Zugriff 12.5.2020
- EDA – Eidgenössisches Department für auswärtige Angelegenheiten (12.8.2020): Reisehinweise für den Libanon, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/libanon/reisehinweise-libanon.html, Zugriff 7.7.2020
- MAG – Mines Advisory Group (o.D.): Lebanon, https://www.maginternational.org/what-we-do/where-we-work/lebanon/, Zugriff 31.8.2020
- ORF (26.8.2020): Israel greift nach Schüssen auf Soldaten Ziele im Libanon an, https://orf.at/stories/3178860/, Zugriff 1.9.2020
- Spiegel (20.1.2020): Randale am Abgrund, https://www.spiegel.de/politik/ausland/schwere-proteste-im-libanon-randale-am-abgrund-a-eab1a8dd-2f7c-45b6-84b0-03febe804779, Zugriff 30.8.2020
- Tagesspiegel (29.4.2020): Der Hunger ist größer als die Angst, https://www.tagesspiegel.de/politik/proteste-im-libanon-der-hunger-ist-groesser-als-die-angst/25784480.html, Zugriff 31.8.2020
- UN – United Nations Security Council (13.7.2018): Bericht des UNO-Generalsekretärs zu Entwicklungen vom 1. März bis 20. Juni 2018 (Sicherheitslage; Entwaffnung bewaffneter Gruppen; politische Stabilität; weitere Themen) https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf, Zugriff 21.8.2018
- USDOS – United States Department of State (24.6.2020a): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 4 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032504.html, Zugriff 6.7.2020
- USDOS – United States Department of State (24.6.2020b): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter 1 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032521.html, Zugriff 6.7.2020
- Zeit (7.8.2020): Beirut. Konfrontationen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-08/proteste-beirut-explosion-korruption, Zugriff 31.8.2020
Sicherheitsbehörden
Die führenden Positionen in den Sicherheitsbehörden werden u.a. nach konfessionellem Proporz vergeben. Die dem Innenministerium unterstehenden Forces de Sécurité Intérieure (FSI) [auch „Internal Security Force“ – ISF, Anm.] sind die allgemein zuständige Polizei und gleichzeitig auch Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters). Sie wird durch einen sunnitischen General geleitet und steht dem ebenfalls sunnitischen Innenminister nahe. Die schiitisch geprägte Sûreté Générale (SG) übt neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion aus. Ihr Leiter wird der AMAL-Partei von Parlamentspräsident Berri zugeordnet. Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht (AA 24.1.2020).
Das Verhältnis zwischen den Bürgern und den staatlichen Sicherheitsbehörden, einschließlich des ISF und der Sûreté Générale (SG) ist nicht immer vertrauensvoll. Es wird beklagt, dass die Sicherheitsinstitutionen wie viele andere Staatsorgane von dem selben Klientelismus betroffen sind, der den Libanon als Ganzes durchzieht. Dieser Umstand stellt die Unparteilichkeit der Polizei in Frage. Auf der anderen Seite hat der Strategische Plan 2018-2022 des ISF die Organisation zu einem allgemeinen Wechsel zu mehr Verantwortlichkeit und Schutz der Menschenrechte verpflichtet. Die Verwirklichung solcher Ambitionen wird natürlich einige Zeit in Anspruch nehmen und nicht ganz reibungslos vor sich gehen (MEI 23.1.2019).
Das General Directorate for State Security (GDSS), das an den Premierminister berichtet, ist für Spionage und Staatssicherheit verantwortlich (USDOS 11.3.2020).
Die Lebanese Armed Forces (LAF) unter der Führung des Verteidigungsministeriums sind für die äußere Sicherheit verantwortlich, aber auch zur Festnahme von Verdächtigen aus Gründen der nationalen Sicherheit befugt. Sie inhaftierten auch mutmaßliche Drogenhändler, führten die Überwachung von Protesten durch, setzten Bauvorschriften im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften durch und intervenierten, um Gewalt zwischen rivalisierenden politischen Fraktionen zu verhindern. Die zivilen Behörden behielten die Kontrolle über die Streitkräfte der Regierung (USDOS 11.3.2020). Im Gegensatz zu den anderen Sicherheitskräften gilt die Armee trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen. Sie nimmt - beispielsweise durch zahlreiche Kontrollpunkte - auch Aufgaben der inneren Sicherheit wahr (AA 24.1.2020).
Daneben gibt es noch mehrere vorwiegend nachrichtendienstlich tätige Sicherheitsbehörden (Amn ad-Daula – Staatssicherheit; Amn al-Dschaisch – militärische Sicherheit; Sicherheitsdienst der Quwat al-Amn ad-Dakhili – Polizeikräfte; Nachrichtendienstliche Abteilung der Sûreté Générale). Alle genannten Institutionen und Dienste arbeiten verstärkt zusammen, auch wenn die Abgrenzung ihrer Kompetenzen nicht immer klar ist. Ihre Professionalisierung wird auch deutlich dahingehend beschränkt, dass bestimmte Institutionen einer bestimmten Konfession und somit dem entsprechenden politischen Lager zuzuordnen sind. Die daraus resultierenden Loyalitäten beeinflussen teilweise spürbar deren Arbeit (AA 24.1.2020).
Zudem haben die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff (AA 24.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Zum Beispiel übernimmt die Hizbollah zumindest in ihren Hochburgen, d.h. in Teilen der Bekaa-Ebene, in südlichen Beiruter Vororten und Teilgebieten des Südens faktisch auch Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Parallel bestehen kleinere bewaffnete Milizen der AMAL-Partei des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, drusische Bürgerwehren sowie christliche Milizen (etwa in Nähe zur Kataeb-Partei oder zur griechisch-orthodoxen Kirche), die sich zuletzt im Spätsommer 2015 auch an Kampfhandlungen gegen aus Syrien einsickernde sunnitische Extremisten beteiligt haben (AA 24.1.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 15.5.2020
- MEI – Middle East Institute (23.1.2019): Security sector reform and the Internal Security Forces in Lebanon, https://www.mei.edu/publications/security-sector-reform-and-internal-security-forces-lebanon, Zugriff 24.8.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html, Zugriff 15.5.2020
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Im Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig, die grundsätzlich frei arbeiten können. Regierungsbeamte gingen manchmal auf die Ansichten dieser Gruppen ein, aber es gab nur eine begrenzte Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 24.1.2020). NGOs müssen das – in seinen Grundzügen seit 1909 bestehende - Vereinsgesetz und andere anwendbare Gesetze in Bezug auf Arbeit, Finanzen und Einwanderung einhalten. Auch ist eine Registrierung beim Innenministerium erforderlich, womit unter Umständen ein Genehmigungsverfahren verbunden ist. Weiters kann das Innenministerium gegen Gründer, Funktionäre und Mitarbeiter einer NGO ermitteln (FH 4.3.2020).
Die Anwaltskammer Beirut veranstaltet regelmäßig öffentliche Seminare zum Schutz der Menschenrechte. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) arbeiten offiziell mit staatlichen Stellen bei der Aus- und Fortbildung von Sicherheitskräften und anderen Staatsbediensteten zusammen, deren Arbeit Auswirkungen auf die Menschenrechtslage haben kann. Vertreter internationaler Organisationen wie Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) können sich im Land frei bewegen. HRW unterhält ein Regionalbüro in Beirut und publiziert – wie auch lokale NGOs – regelmäßig kritische Berichte zur Menschenrechtslage im Land. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure zu verzeichnen wären. Der Libanon hat nach mehrjährigen Vorarbeiten im Herbst 2016 den Aufbau einer nationalen Menschenrechtsinstitution beschlossen, die seit Mai 2018 mit 10 Mitgliedern besetzt ist. Auch ist im Libanon eine Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) vertreten. Das IKRK befasst sich insbesondere mit der Situation in den Gefängnissen. Im Februar 2007 hat das IKRK ein Protokoll mit der Regierung unterzeichnet, das ihm auch den Zutritt zu den Gefängnissen der Armee und des Verteidigungsministeriums erlaubt. Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen durch Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 24.1.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 15.5.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030886.html, Zugriff 16.6.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html, Zugriff 12.5.2020
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährt Bewegungsfreiheit in Bezug auf Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, und die Regierung respektierte grundsätzlich diese Rechte. Einschränkungen gibt es nur für Flüchtlinge und Asylsuchende, von denen die meisten aus Palästina, Syrien und dem Irak stammen [Für detaillierte Informationen wird auf den entsprechenden Abschnitt "IDPs und Flüchtlinge" verwiesen; Anm.]. Innerhalb des Landes behinderten oder verhinderten bewaffnete nichtstaatliche Akteure die Bewegung in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Bewaffnete Mitglieder der Hizbollah kontrollierten den Zugang zu einigen Gebieten, und die Palästinensische Front für die Befreiung Palästinas und bewaffnete Anhänger des drusischen Führers Walid Jumblatt verhinderten den Zugang zu Gebieten unter ihrer Kontrolle (USDOS 11.3.2020).
Aufgrund von Übergriffen des sogenannten Islamischen Staates (IS), terroristischen Anschlägen und Waffenschmuggel nach Syrien hält der Libanon die Grenzen zu Syrien nur für den eingeschränkten Personenverkehr offen (GIZ 3.2020).
Innerhalb der Familien übten die Männer manchmal eine beträchtliche Kontrolle über die weiblichen Verwandten aus, indem sie ihre Aktivitäten außerhalb des Hauses oder ihren Kontakt zu Freunden und Verwandten einschränkten (USDOS 11.3.2020). Verheiratete Frauen benötigen für die Ausstellung eines Reisepasses die Zustimmung des Ehemannes (AA 24.1.2020).
Im Zuge der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie kommt es immer wieder zu Lockdowns, Ausgangssperren und Ausgangsbeschränkungen sowie zu Reisebeschränkungen (France24 21.8.2020; vgl. SZ 19.8.2020, vgl. Worldaware 4.6.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (24.1.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025311/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Libanon_%28Stand_November_2019%29%2C_24.01.2020.pdf, Zugriff 15.5.2020
- France24 (21.8.2020): Lebanon braces for fresh Covid-19 lockdown in wake of Beirut blast, https://www.france24.com/en/20200821-lebanon-braces-for-fresh-covid-19-lockdown-in-wake-of-beirut-blast, Zugriff 28.8.2020
- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020): Libanon – Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/, Zugriff 16.6.2020
- SZ – Süddeutsche Zeitung (19.8.2020): Erneuter Lockdown, https://www.sueddeutsche.de/politik/libanon-erneuter-lockdown-1.5003936, Zugriff 28.8.2020
- USDOS – United States Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026426.html, Zugriff 12.5.2020
- WorldAware (4.6.2020): COVID-19 Alert: Lebanon Extends Nationwide Lockdown Through July 5, Curfew in Effect, https://www.worldaware.com/covid-19-alert-lebanon-extends-nationwide-lockdown-through-july-5-curfew-effect, Zugriff 28.8.2020
Grundversorgung
Vor dem Bürgerkrieg 1975 zählte der Libanon zu den bedeutendsten Finanzzentren im Nahen Osten. Im Zuge des Bürgerkriegs überschuldete sich der Staat maßlos. Die Verschuldung beläuft sich nunmehr auf über 150 Prozent des BIP. 40 Prozent des Haushalts fließen somit in den Zinsendienst, seine eigentlichen Aufgaben kann der Staat kaum noch erfüllen (SZ 17.2.2020; vgl. DailyStar 6.11.2019).
69 Prozent des BIP wird durch den Dienstleistungssektor erwirtschaftet, 8 Prozent durch den Agrarsektor und 23 Prozent durch den Industriesektor. Dabei erzielt das Land seit Jahren hohe Handelsbilanzdefizite. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt Schätzungen zu Folge bei über 63 Prozent (GIZ 6.2020b). Insbesondere gut ausgebildete Ingenieure, Ärzte und Betriebswirte verlassen das Land. Notwendige Investitionen bleiben aus (GIZ 6.2020b).
Die aktuelle massive Finanzkrise wird durch die COVID-19-Pandemie weiter verschärft (AJ 1.7.2020). Im Juni 2020 kam es bei den ersten größeren Protesten gegen die Regierung seit Wochen neuerlich zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Anhängern