TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/7 L502 2226818-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2021
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Entscheidungsdatum

07.09.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L502 2168055-1/8E

L502 2168058-1/9E

L502 2168057-1/7E

L502 2226818-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX und 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Irak und vertreten durch XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.07.2017 und 18.11.2019, FZ. XXXX und XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.07.2021 zu Recht erkannt:

A)       

1. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III., erster Satz, der Bescheide vom 27.07.2017 und der Spruchpunkte I., II. und III. des Bescheides vom 18.11.2019 als unbegründet abgewiesen.

2. Den Beschwerden wird hinsichtlich Spruchpunkt III., zweiter Satz der Bescheide vom 27.07.2017 und Spruchpunkt IV. des Bescheides vom 18.11.2019 stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX und XXXX gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

3. Gemäß § 55 Abs. 1 Z. 1 AsylG wird XXXX und XXXX jeweils eine „Aufenthaltsberechtigung“ erteilt.

Gemäß § 55 Abs. 1 Z. 2 AsylG wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

4. Die Spruchpunkte III., dritter Satz, und IV. der Bescheide vom 27.07.2017 sowie die Spruchpunkte V. und VI. des Bescheides vom 18.11.2019 werden jeweils ersatzlos behoben.

B)       

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und seine Ehegattin, die Zweitbeschwerdeführerin (BF2), stellten nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 06.06.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 06.06.2015 erfolgten ihre Erstbefragungen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Dabei legten sie Personalausweise vor, welche behördlich sichergestellt wurden.

In weiterer Folge wurden ihre Verfahren zugelassen und an der Regionaldirektion Kärnten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) weitergeführt.

3. Am 20.02.2017 wurden sie vor dem BFA zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz einvernommen.

4. Am 23.02.2017 legte der BF1 eine Heiratsurkunde im Original und sonstige Beweismittel vor.

5. Am 23.03.2017 stellte die BF2 als gesetzliche Vertreterin des in Österreich geborenen Drittbeschwerdeführers (BF3) unter Vorlage einer Kopie seiner Geburtsurkunde im Rahmen des Familienverfahrens für diesen einen schriftlichen Antrag auf internationalen Schutz.

6. Zu diesem Antrag wurde die BF2 als seine gesetzliche Vertreterin am 18.04.2017 beim BFA niederschriftlich einvernommen.

7. Mit den im Spruch genannten Bescheiden der belangten Behörde vom 27.07.2017 wurden die Anträge von BF1 bis BF3 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurden die Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihnen eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

8. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 02.08.2017 wurde diesen Beschwerdeführern von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

9. Gegen die am 04.08.2017 mittels Hinterlegung zugestellten Bescheide wurde mit Schriftsatz ihrer zugleich bevollmächtigten Vertretung vom 14.08.2017, beim BFA eingelangt am 16.08.2017, fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben.

10. Mit 21.08.2017 langten die Beschwerdevorlagen des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurden die gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.

11. Am 17.06.2019 langten beim BVwG Integrationsunterlagen des BF1 und der BF2 ein.

12. Für die in Österreich nachgeborene Viertbeschwerdeführerin (BF4) stellte die BF2 als gesetzliche Vertreterin am 03.09.2019 unter Vorlage einer Kopie der Geburtsurkunde einen schriftlichen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens.

13. Sie wurde dazu als ihre gesetzliche Vertreterin am 25.09.2019 beim BFA niederschriftlich einvernommen.

14. Am 01.10.2019 langte beim BVwG ein Zeugnis zur Integrationsprüfung A1 der BF2 ein.

15. Mit dem im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde vom 18.11.2019 wurde auch der Antrag der BF4 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihr eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

16. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 18.11.2019 wurde der BF4 von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

17. Gegen den der anwaltlichen Vertretung der BF2 am 20.11.2019 zugestellten Bescheid wurde von dieser am 13.12.2019 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben.

18. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 20.12.2019 beim BVwG ein und wurde das Verfahren in der Folge ebenfalls der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichtes zur Entscheidung zugewiesen.

19. Am 16.07.2021 führte das BVwG eine mündliche Verhandlung in den Rechtssachen der Beschwerdeführer durch, in der BF1 und BF2 zu ihren Antragsgründen persönlich gehört wurden. Ihr anwaltlicher Vertreter nahm an der Verhandlung nicht teil.

Ihnen wurden auch Länderberichte zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und diese in das Verfahren eingebracht. Der BF1 legte einen weiteren Integrationsnachweis vor.

20. Das BVwG erstellte Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Betreuungsinformationssystem, dem AJ-Web, dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität der Beschwerdeführer steht jeweils fest. Sie sind irakische Staatsangehörige und gehören der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft des Islams an. BF1 und BF2 wurden in XXXX geboren und sind dort bei ihren Herkunftsfamilien aufgewachsen. Am 03.02.2014 schlossen sie in XXXX standesamtlich die Ehe. Sie lebten bis zu ihrer Ausreise aus dem Irak gemeinsam im Stadtteil XXXX im Elternhaus des BF1. Der BF1 ist auch der Cousin der BF2. Der BF3 wurde 2017 und die BF4 2019 in Österreich geboren.

Der BF1 hat von 1993 bis 1999 die Grund- und von 1999 bis 2006 die Hauptschule in XXXX besucht. Anschließend studierte er in XXXX an einem technischen Institut Elektrotechnik mit den Schwerpunkten Netzwerktechnik und Hochspannung. Er schloss das Studium 2008 ab. Nach seinem Studienabschluss arbeitete er bis zu seiner Ausreise aus dem Irak bei einem Transport- und Logistikunternehmen in leitender Position.

Die BF2 hat von 1995 bis 2001 die Grund- und von 2001 bis 2008 die Hauptschule besucht. Sie studierte anschließend Businessmanagement und schloss das Studium 2013 ab. Sie hat im Irak nicht gearbeitet.

Der Vater des BF1 ist verstorben, seine Mutter sowie ein Bruder und zwei Schwestern leben in XXXX im Stadtteil XXXX . Seine beiden Schwestern sind verheiratet, sein Bruder ist geschieden und wohnt bei seiner Mutter in einem Eigentumshaus. Sein Bruder ist als Taxifahrer erwerbstätig. Mit der Mutter, dem Bruder und einer der beiden Schwestern steht der BF1 in telefonischem Kontakt.

Der Vater der BF2 ist vor drei Jahren verstorben. Ihre Mutter lebt gemeinsam mit einer ihrer Schwestern in der Türkei. Ihre älteste Schwester lebt in den Niederlanden, eine weitere Schwester in Belgien und ein Bruder in Finnland. Eine mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratete Schwester lebt seit 12 Jahren in Österreich und verfügt hier über ein Aufenthaltsrecht. In Bagdad im Stadtteil XXXX halten sich ein Onkel und zwei Tanten auf. In XXXX leben weitere Verwandte der Beschwerdeführer.

BF1 und BF2 verließen den Irak am 14.04.2015 ausgehend von Bagdad auf dem Luftweg und auf legale Weise nach Istanbul, setzten einige Tage danach von Izmir auf die griechische Insel Chios über, reisten von dort nach Athen und auf dem Landweg weiter bis Österreich, wo sie am 06.06.2015 ihre Anträge stellten und sich seither aufhalten.

Die Beschwerdeführer sprechen Arabisch als Muttersprache. Der BF1 absolvierte am 22.02.2019 die Integrationsprüfung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) auf dem Sprachniveau A2 und am 25.01.2020 die Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1 samt Werte- und Orientierungswissen. Am 16.05.2018 nahm er am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF und von 30.01.2018 bis 15.03.2018 an einem Deutschkurs B1 teil. Die BF2 besuchte am 22.06.2018 den Werte- und Orientierungskurs des ÖIF und bestand am 07.06.2019 die Integrationsprüfung A1 samt Werte- und Orientierungswissen. Aktuell besucht sie einen Deutschkurs auf dem Sprachniveau A2.

Der BF1 erbringt Hilfstätigkeiten im Rahmen seiner organisierten Unterbringung. BF1 und BF2 sind in Österreich bisher noch keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Alle Beschwerdeführer beziehen für ihren Lebensunterhalt seit der Einreise bzw. Geburt durch Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und wohnen in einer organisierten Unterkunft. BF1 und BF2 sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten. BF3 und BF4 sind strafunmündig.

Die Beschwerdeführer sind gesund und leiden an keinen gravierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. BF1 und BF2 sind voll erwerbsfähig.

1.2. Der BF1 hat seinen Herkunftsstaat nicht aufgrund individueller Verfolgung durch unbekannte Personen – auch nicht im Zusammenhang mit seiner vormaligen beruflichen Tätigkeit – verlassen und ist im Falle einer Rückkehr in den Irak auch nicht der Gefahr einer solchen ausgesetzt.

Eine individuelle Verfolgung der BF2 und ihrer minderjährigen Kinder als Angehörige des BF1 war ebenso nicht feststellbar.

1.3. Die Beschwerdeführer sind bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht aus sonstigen individuellen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt und finden dort eine hinreichende Existenzgrundlage vor.

1.4. Aktuelle Versorgungslage in Bagdad (Lebensmittel, Wasser, Strom)

Ernährungssicherheit

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) erstellte im April 2019 eine Karte der sozioökonomischen Situation der Bevölkerung Bagdads, die sich auf Erhebungen von 2016 und 2018 stützt. Laut WFP hätten 99 Prozent der Haushalte in Bagdad einen „akzeptablen Lebensmittelkonsum“. 53 Prozent der Haushalte seien „ernährungssicher“, 46 Prozent nur marginal ernährungssicher und 1 Prozent sei ernährungsunsicher. (WFP, 2019, S. 101)

WFP zusammen mit der Weltbank, IFAD (International Fund for Agricultural Development) und FAO (UN Food and Agricultural Organization) erstellte einen detaillierten Bericht zu Ernährungssicherheit im Irak im Zeitraum Juni bis August 2020 unter Berücksichtigung der Auswirkungen von COVID-19. Die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln sei aufgrund stetiger internationaler Lebensmittelhandelsströme und einer günstigen Inlandsproduktion stabil geblieben. Die Funktionalität des Lebensmittelmarktes und der Zugang der Haushalte zu Nahrungsmitteln hätten sich im Vergleich zum April kurz nach Beginn des Ausbruchs verbessert. Die Preisstabilität gebe laut den UNO-Organisationen und der Weltbank jedoch Anlass zur Sorge. Die Grundnahrungsmittelpreise hätten sich nicht wesentlich verändert. Die Preise für Gemüse - insbesondere für Tomaten - würden jedoch stark schwanken. (FAO/World Bank/WFP/IFAD, 23. September 2020, S. 2)

Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln sowie anderer Artikel sei im ganzen Land gut. (FAO, World Bank, WFP, IFAD, 23. September 2020, S. 18)

Ökonomische Konsequenzen von COVID-19 sowie Bewegungseinschränkungen und Infektionsängste hätten jedoch den Zugang zu Lebensmitteln im Irak erschwert. Während 2016 rund 1,5% der Menschen mit unzureichendem Lebensmittelkonsum registriert worden seien, habe laut dem Hunger Monitoring System des WFP der Wert von April bis August 2020 zwischen 5 und 9,3 Prozent fluktuiert. Rund 13,7 Prozent der Befragten, was rund 5,3 Millionen Menschen entspreche, habe angegeben, am 9. August negative Bewältigungsstrategien zur Deckung ihres Lebensmittelbedarfs angewendet zu haben. Zusätzliche Gesundheits- und Hygienekosten würden dazu führen, dass Personen nicht genügend Lebensmittel für ihre Familie kaufen könnten. Der Tageslohn eines Hilfsarbeiters habe vor COVID-19 31 kg Weizenmehl kaufen können; das sei jedoch auf 27 kg gesunken. (FAO/World Bank/WFP/IFAD, 23. September 2020, S. 22)

WFP, World Bank, IFAD und FAO gaben in ihrem zweiwöchentlichen Update zur Ernährungssicherheit im Irak Mitte November 2020 an, dass laut des Mobile Vulnerability Analysis and Monitoring Systems von WFP rund 3 Millionen Menschen im ganzen Land mit unzureichendem Lebensmittelkonsum leben würden. Laut des irakischen Planungsministeriums sei die Armutsquote im Irak durch COVID-19 von 20 auf 30 Prozent gestiegen. In Bagdad hätten 10 Prozent der Bevölkerung unzureichenden Lebensmittelkonsum. 9,8 Prozent der landesweit Befragten würden negative Bewältigungsstrategien zur Deckung ihres Lebensmittelbedarfs anwenden. 12 Prozent hätten Probleme mit dem Zugang zu Märkten. (FAO, WFP, World Bank, IFAD, 16. November 2020, S. 8)

Wasserversorgung

Laut dem WFP hätten basierend auf Erhebungen von 2016 70 Prozent der Bevölkerung Bagdads kontinuierliche Verfügbarkeit von Trinkwasser und 91 Prozent würden ihr Wasser vom allgemeinen Wasserversorgungsnetz erhalten, die restlichen 9 Prozent von in Flaschen abgefülltem Wasser. (WFP, 2019, S. 101)

Im Vergleich dazu veröffentlichen die staatlichen Einrichtungen Iraks folgende Zahlen:

Die zentrale Statistikorganisation (Central Statistical Organization Iraq, CSO) gibt auf ihrer Webseite zu einer Erhebung der Situation von Bagdad 2018 an, dass 86,9 Prozent der Einwohner Bagdads 2017 mit Trinkwassernetzen versorgt seien, und 75,9 Prozent der Einwohner mit einem Abwassersystem. (CSO, ohne Datum a)

Das irakische Planungsministerium (Ministry of Planning, MOP) veröffentlicht im Juni 2018 einen National Development Plan, laut dem der Prozentsatz der Bevölkerung, der mit reinem Trinkwasser versorgt werde, in Bagdad bei 100 Prozent liege. (MOP, Juni 2018, S. 160)

Das Abwassersystem in Bagdad sei alt und habe seine Lebensdauer überschritten. Es leide unter vielen Problemen, insbesondere in Regenperioden. Es sei nicht in der Lage, die täglichen Wassermengen zu absorbieren, insbesondere angesichts beispielloser Regenfälle im Zusammenhang mit dem Klimawandel, die die Entwurfs- und Notfallberechnungen überschreiten würden. Ende 2016 sei 90% der Bevölkerung mit Kanalisation ausgestattet gewesen. Die restlichen 10% würden viele Nichtwohn- und Landwirtschaftsgebiete umfassen. (MOP, Juni 2018, S. 163)

Die Weltbank berichtet im Jänner 2018, dass die EinwohnerInnen von Bagdad vor allem in den heißen Sommermonaten mit täglichen Unterbrechungen der Wasserversorgung zu kämpfen hätten. Bagdad sei von Ausbrüchen von durch Wasser übertragenen Krankheiten betroffen. Das Trinkwassernetzwerk sei durch Abwasser kontaminiert. Kontaminierte Wasserversorgung und unsachgemäße Entsorgung von Abwasser würden Familien dazu zwingen, einen erheblichen Teil ihres Einkommens für die medizinische Behandlung und Wasser in Flaschen auszugeben. (World Bank, 31. Jänner 2018)

Das Enabling Peace in Iraq Center (EPIC) schreibt in einem Artikel über die Wasserkrise im Irak vom Juli 2017, dass das Trinkwasser oft von schlechter Qualität sei. Dies führe zur Verbreitung von durch Wasser übertragbaren Krankheiten wie Typhus, Ruhr, Hepatitis B und Cholera. Bagdad sei auch von dieser Wasserverschmutzung betroffen. In Bagdads Sadr City sei es zum Beispiel nur möglich, sauberes Wasser in Flaschen abgefüllt zu erhalten. Dies sei aber für viele der ärmeren EinwohnerInnen zu teuer. (EPIC, 18. Juli 2017)

Stromversorgung

Al-Jazeera zitiert in einem Artikel von 2018 EinwohnerInnen Bagdads, die regelmäßige Stromausfälle in der Hauptstadt beschreiben. Laut einer 42-jährigen Mutter von vier Kindern aus Shawaka gebe es in ihrem Stadtteil im Sommer nur zwei bis vier Stunden Strom pro Tag.

Die Häufung der Stromausfälle sei von Stadtteil zu Stadtteil unterschiedlich. Einige Haushalte würden nur vier Stunden Strom pro Tag erhalten, andere bis zu 20.

Einwohner, die es sich leisten könnten, würden daher auf Generatoren zurückgreifen. Ein Generator versorge 70 Haushalte. Der Generator schalte sich automatisch ein, sobald der Strom ausfalle. Laut dem Inhaber eines solchen Generators liefere der Generator zwischen 500 und 600 Ampere Strom pro Monat, wobei jedes Ampere für 25,000 Irakische Dinar (umgerechnet etwa 14,15 Euro, Anm. ACCORD) verkauft werde. Laut Al-Jazeera würde ein Haushalt durchschnittlich 125,000 Irakische Dinar (umgerechnet etwa 70,73 Euro, Anm. ACCORD) pro Monat ausgeben, um die Stromausfälle auszugleichen. Dies sei nicht für alle erschwinglich. (Al-Jazeera, 31. Juli 2018)

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund, UNICEF) und die Weltbank veröffentlichen im Juli 2020 eine Analyse der Auswirkungen von COVID-19 auf Armut im Irak. Die Armut sei 2020 um 11,7 Prozent auf 31,7 Prozent gestiegen, im Vergleich zu 20,0 Prozent aus den Jahren 2017-2018. Kinder unter 18 Jahren seien mit einer höheren Armutsrate von 37,9 Prozent konfrontiert. (UNICEF/World Bank, Juli 2020, S. 22)

Laut UNICEF und der Weltbank würden 42 Prozent der Bevölkerung in Hinblick auf mehr als einen der Aspekte des Vulnerabilitätsindex (Bildung, Gesundheit, Lebensbedingungen und finanzielle Sicherheit) Mängel aufweisen. Familien mit mehr als sieben Mitgliedern, insbesondere Familien mit mehr als einem Kind, würden mit mehr als 46 Prozent eine hohe Anfälligkeitsrate für Vulnerabilität aufweisen. (UNICEF/World Bank, Juli 2020, S. 23)

Aktuelle Wohnungsmarktsituation in Bagdad für eine 8-köpfige Familie

IOM erklärt in ihrem Länderinformationsblatt zum Irak aus dem Jahr 2019 Folgendes:

„Die Höhe der Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Stand 2019, liegt die Miete in KR-I [Region Kurdistan, Irak] Städten bei 200-750 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage zum Mieten stieg, nahm die Nachfrage zum Kaufen ab. Die durchschnittlichen Betriebskosten pro Monat sind wie folgt:

• Gas (8,000IQD) [4.53 Euro]

• Wasser (10-25,000IQD) [5.66 – 14.15 Euro]

• Öffentliche Elektrizität (30-50,000IQD) [16.97 – 28.29 Euro]

• Private oder nachbarschaftliche Generatoren (40-80,000IQD) [22.64 – 45.27 Euro] [...]

2. Unterstützung bei der Wohnungssuche

Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrende nicht. Dennoch sind private Immobilienfirmen vorzufinden.

3. Finanzielle Unterstützung

Die Regierung gewährte Kredite an Bürger/-innen für den Hausbau, solange diese ein Grundstück mit einer Mindestgröße von 100 m² besaßen. Derzeit ist diese Förderung jedoch eingestellt. Allerdings stellen einige Privatbanken Kredite für den Hausbau bereit:

• Al-Rasheed Bank

• Al-Rafideen Bank

• Iraqi Real Estate Bank

• National Bank of Iraq

• Iraqi Islamic Bank“ (IOM, 2019, S. 6)

ACCORD sprach mit zwei Immobilienmaklern sowie zwei privaten Vermietern in Bagdad und erfragte die Möglichkeit, kurzfristig ein Haus beziehungsweise eine Wohnung für eine 8-köpfige Familie anzumieten. Laut Auskunft eines Immobilienmaklers in Al Mansour, einem traditionell wohlhabenden Bezirk im Westen der Stadt, gebe es Mietmöglichkeiten für eine Familie dieser Größe. Ein Haus mit 100m² Grundfläche und drei Stockwerken, welches vier Schlafzimmer beinhalte, komme auf 1.000 Dollar (827.52 Euro) Miete pro Monat. Es gebe auch die Möglichkeit, ein Haus mit einer Grundfläche von 300m² und mit zwei Stockwerken zu mieten. Dieses komme auf 1.700 oder 1.800 Dollar (1,406.78 oder 1,489.53 Euro) Miete pro Monat. Die Immobilienagentur verrechne zusätzlich eine Monatsmiete für die Vermittlung. Eine Kaution gebe es nicht, doch sei es wahrscheinlich, dass die Vermieter darauf bestehen würden, mehrere Monatsmieten im Voraus bezahlt zu bekommen. Der potenzielle Mieter müsse seinen Ausweis, sowie seine Aufenthaltskarte vorlegen. (Immobilienmakler, 16. Jänner 2021)

Ein Immobilienmakler aus Al-Ghadeer, einem Mittelschichtsviertel im Osten der Stadt, erklärte gegenüber ACCORD, dass er momentan ein älteres Haus der gewünschten Größe zur Miete anbieten könne. Dies würde eine Million irakische Dinar (565,81 Euro) pro Monat ausmachen. Der Mieter müsse seine Ausweise vorlegen. (Immobilienmakler, 9. Jänner 2021)

In einem Gespräch mit ACCORD gab ein privater Vermieter aus Sadr City, ein weniger wohlhabendes schiitisches Viertel im Osten Bagdads, an, dass er momentan ein Haus mit einer Grundfläche von 144 m² und zwei Stockwerken zu vermieten habe. Er würde 400-500 Dollar (331-413,76 Euro) pro Monat verlangen. Er würde jedoch nur an Personen vermieten, die einen Kontakt zu Sadr City haben würden, um sich abzusichern, dass die Miete auch bezahlt werde. (Privater Vermieter, 12. Jänner 2021)

In einem Telefongespräch mit einem privaten Vermieter aus Bismayah, einem neuen Stadtprojekt 10 km südöstlich von Bagdad, wurde erklärt, dass eine 140m² große Wohnung mit vier Schlafzimmern um 600 Dollar (496,51 Euro) pro Monat zu vermieten sei. Weitere Details zur Vermietung wurden nicht bekannt gegeben. (Privater Vermieter, 15. Jänner 2021)

Zugang zu Schulen in Bagdad

Die UNO-Unterstützungsmission für den Irak (UNAMI) und das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR) fassen im Februar 2020 die rechtliche Grundlage des Schulbesuchs im Irak wie folgt zusammen: Artikel 34 der irakischen Verfassung garantiere das Recht auf Bildung. Darüber hinaus sehe die Verfassung vor, dass die Grundschulbildung obligatorisch sei und garantiere das Recht auf Bildung in der Muttersprache. Alle IrakerInnen hätten außerdem das Recht auf kostenlose Bildung in allen Stufen. Diese verfassungsrechtlichen Garantien würden von föderalen und regionalen Vorschriften und Richtlinien begleitet. (UNAMI/OHCHR, 17. Februar 2020, S. 7)

Das Planungsministerium veröffentlicht 2018 Zahlen zum nationalen Schulbesuch im Schuljahr 2016/2017. In Bagdad hätten 97 Prozent der Kinder im Alter von 6 bis 11 eine Volksschule (öffentlich, privat oder waqf [Schulen mit religiösem Fokus, Anm. ACCORD]) besucht. Die Mittelschule wurde in Bagdad von 67,7 Prozent der 12 bis 14-Jährigen besucht und die höheren Schulstufen von 34,6 Prozent der 15 bis 17-Jährigen. (MOP, Juni 2018, S. 170)

Das zentrale irakische Statistikbüro des Planungsministeriums gab bekannt, dass es im Schuljahr 2016/2017 mehr als 2.300 öffentliche Volksschulen in Bagdad und mehr als 1.200 weiterführende Schulen gegeben habe. (CSO, ohne Datum b)

IOM veröffentlich in seinem Länderinformationsblatt zum Irak von 2019 Informationen zum Bildungssystem:

„1.Allgemeine Informationen

Das staatliche Bildungssystem ist in allen Stufen kostenfrei. Die Schulpflicht beginnt ab sechs Jahren. In kurdischen Regionen dauert die Grundschule neun, die weiterführende Schule drei und das College vier Jahre. Im Zentral-, und Südirak beinhaltet die Grundschule sechs Jahrgangsstufen, die Sekundärschule drei, die Weiterführende Schule auch drei und die Universität vier. […]

2. Kosten, Studienkredite und Stipendien

Die Bildung im öffentlichen Sektor ist kostenfrei. Daher sind in diesem Zusammenhang auch keine Darlehen oder Stipendien nötig. Für private Bildungseinrichtungen variieren die Gebühren je nach Institution. Es gibt einige private Institutionen die in besonderen Fällen, z.B. Waisenkindern, Märtyrerangehörigen oder Schülern mit überdurchschnittlich guten Noten, Nachlasse gewähren. Diese variieren jedoch je nach Institution. Rückkehrende können sich mit Vertretern der Einrichtung ihrer Wahl treffen und Zahlungsoptionen besprechen.

3. Anerkennung ausländischer Abschlüsse

Im Falle von rückkehrenden Kindern, die eine Schule im Gastland besucht haben, ist folgendes Verfahren zur Einschreibung im irakischen Bildungssystem notwendig: Zuerst muss ein Zertifikat der ausländischen Schule (beglaubigt vom irakischen Konsulat im Ausland, dem Ministerium für Bildung/Ministerium für höhere Bildung und dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten) vorgelegt werden. […]

Zusätzlich müssen zukünftige, Studierende eine Kopie des Passes (inklusive Visum und Informationen zum Aufenthalt, falls erforderlich) bereitstellen. Zur Aufnahme in private Bildungseinrichtungen können weitere Tests und Aufnahmeverfahren erforderlich sein.

Bildungssystem: Zugang und Anmeldeverfahren für Rückkehrende

Folgende Dokumente werden für die Anmeldung in Bildungseinrichtungen benötigt:

• Ausweiskopien des Kindes und der Eltern

• Food Ration Card

• Persönliche Fotos

Sollte das Kind/der Studierende im Ausland zur Schule/Universität gegangen sein und entsprechende Zertifikate erhalten haben, müssen diese bei der irakischen Botschaft im Gastland sowie dem Ministerium für AuswärtigeAngelegenheiten bestätigt und angeglichen werden.“ (IOM, 2019, S. 9)

UNAMI und OHCHR unterstreichen in ihrem Bericht die Wichtigkeit des Besitzes von Dokumenten, um Kinder an einer Schule zu registrieren. (UNAMI/OHCHR, 17. Februar 2020, S. 11-12)

(Quelle: ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Versorgungslage Bagdad [Lebensmittel, Wasser, Strom], Wohnungsmarkt, Schulbesuch, 20.01.2021)

1.5. Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED)

In Baghdad wurden 595 Vorfälle mit 176 Toten erfasst und an folgenden Orten lokalisiert: Abu Ghraib, Al Ghuzayliyah, Al Latifiyah, Al Mahmudiyah, Al Moshahda, Al Mushahidah, Al Wahdah, Al Yusufiyah, Ar Rashidiyah, Ash Shulah, At Tarmiyah, Az Zaydan, Baghdad, Baghdad -9 Nissan, Baghdad -Adhamiya, Baghdad - Al Rashid, Baghdad - Kadhimiya, Baghdad - Karadah, Baghdad - Karkh, Baghdad - Mansour, Baghdad - Rusafa, Baghdad – Sadr City, Baghdad International Airport, Bismayah, Hawr Rajab, Jisr Diyala, Madain, Nahrawan, Radwaniyah, Sabaa Al Bour, Taji, Uwayrij, Zaidan, Zawbaa.

(Quelle: ACCORD, Kurzübersicht über sicherheitsrelevante Vorfälle im Irak im Jahr 2020; 25.03.2021)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF1 und der BF2, der bekämpften Bescheide, der Beschwerdeschriftsätze, der vorgelegten Beweismittel, die Durchführung einer mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG, die Einsichtnahme in vom BVwG beigeschaffte länderkundliche Informationen sowie die Einholung von Auskünften des Melderegisters, des Strafregisters, des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister, des AJ-Web und des Grundversorgungsdatensystems.

2.2. Identität und Staatsangehörigkeit des BF1 und der BF2 waren auf Grundlage der im Original vorgelegten Personalausweise und ihrer gleichlautenden und schlüssigen Angaben feststellbar. Die belangte Behörde ging aufgrund der fragwürdigen Beschaffungsmöglichkeiten irakischer identitätsbescheinigender Dokumente sowie einer nicht ausreichenden Identitätsprüfung vor Ausstellung solcher Dokumente durch irakische Behörden pauschal davon aus, dass den vorgelegten Personalausweisen keine Beweiskraft zukomme. Sie stützte diese Annahme auf einschlägige Länderberichte und leitete daraus ab, dass die gegenständlich vorgelegten Personalausweise bedenklich seien. Da die Dokumente zudem unterschiedliche Namensbezeichnungen aufweisen, war für die Behörde die Identität nicht feststellbar. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat bereits wiederholt festgehalten, dass ein bloß allgemeiner Verdacht nicht genügt, um im Verfahren vorgelegten Urkunden generell den Beweiswert abzusprechen (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0356; 4.8.2016, Ra 2016/21/0083, jeweils mwN). Es bedarf vielmehr einer konkreten Beweiswürdigung. Den im Akt befindlichen deutschen Übersetzungen der Personalausweise ist zu entnehmen, dass der Vorname des BF1 „ XXXX “ und der Vorname der BF2 „ XXXX “ lautet. Nachnamen sind den Dokumenten nicht zu entnehmen, jedoch werden die Namen der Väter und Großväter genannt. Bei einem Vergleich der Namensschreibweisen mit jenen in der vorgelegten Heiratsurkunde war feststellbar, dass diese übereinstimmen und die Namen der Väter und Großväter ergänzend angeführt sind. Die BF2 gab in ihrer behördlichen Einvernahme erklärend an, dass der von ihr angegebene Familienname „ XXXX “ der Stammesname sei und dieser nicht im Personalausweis aufscheine (AS 46). Anhand ihrer gleichbleibenden Angaben, eines Vergleichs der Namensschreibweisen in den Dokumenten und ihrer plausiblen Erklärung bestand daher für das erkennende Gericht an der Identität der Beschwerdeführer kein Zweifel. Identität und Staatsangehörigkeit der in Österreich nachgeborenen minderjährigen Beschwerdeführer waren anhand ihrer Geburtsurkunden feststellbar.

Die Feststellungen ihrer Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe und zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft stützen sich auf den Umstand, dass diese von BF1 und BF2 bereits beginnend mit ihrer Erstbefragung angegeben wurden, woraus wiederum auf jene ihrer minderjährigen Kinder zu schließen war.

Die Feststellungen zu den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat vor der Ausreise sowie in Österreich im Gefolge derselben, zu ihrer Eheschließung, zum Reiseverlauf, zu den Lebensumständen ihrer Verwandten, zu ihrem Gesundheitszustand und ihrer strafgerichtlichen Unbescholtenheit und ihren Integrationsbemühungen ergaben sich in unstrittiger Weise aus einer Zusammenschau ihrer persönlichen Angaben im Verlauf des gg. Verfahrens, dem Inhalt der von ihnen vorgelegten Unterlagen sowie aus den vom BVwG eingeholten Informationen der genannten Datenbanken.

Die Feststellungen zum jeweiligen Bildungsweg des BF1 und der BF2 ergaben sich aus ihren schlüssigen Angaben und dem vorgelegten Abschlusszeugnis des BF1. Dass die BF2 ihr Studium im Jahr 2013 abgeschlossen hat, konnte – trotz fehlender Vorlage ihres Abschlusszeugnisses – anhand ihrer glaubwürdigen Angaben festgestellt werden.

Die Feststellung, dass eine der Schwestern der BF2 seit 12 Jahren in Österreich wohnhaft, mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet ist und über ein Aufenthaltsrecht verfügt, konnte trotz negativer ZMR-Abfrage seitens des BFA (Bescheid Seite 75) aufgrund der stets gleichbleibenden Angaben seit der Erstbefragung festgestellt werden. Im Verfahren kam nicht heraus, dass zur Schwester bzw. Schwägerin bzw. Cousine ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht.

2.3. Zur Feststellung fehlender individueller Verfolgung des BF1 vor der Ausreise aus von ihm behaupteten Gründen bzw. der fehlenden Gefahr einer solchen pro futuro gelangte das erkennende Gericht aufgrund folgender Erwägungen:

2.3.1. Anlässlich seiner Erstbefragung am 06.06.2015 brachte der BF1 zu seinen Antragsgründen befragt vor, dass er in XXXX als Steuerberater gearbeitet habe und eines Tages ein Brief an der Windschutzscheibe seines Autos angebracht gewesen sei. Darin sei er aufgefordert worden XXXX innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Er habe diese Drohung nicht ernst genommen und sei weiterhin zur Arbeit gegangen. Eines Tages sei er nach der Arbeit von einem Taxi verfolgt worden. Die Personen in dem Auto hätten auf ihn geschossen. Seitdem habe er um das Leben seiner Frau und um sein eigenes Leben Angst gehabt.

Anlässlich seiner Einvernahme vor dem BFA am 20.02.2017 legte er zunächst dar, dass er von 2008 bis zu seiner Ausreise aus dem Irak bei einem Transport- und Logistikunternehmen beschäftigt gewesen sei. Er habe dort im Laufe der Zeit die Führung einer Abteilung übernommen. Er sei für die im Irak eingetroffenen Container zuständig gewesen und sei auch Ansprechpartner für Kunden gewesen, wenn diese wissen wollten, wo sich ihre Ware derzeit befindet. Er habe auch viel im Rechnungswesen zu tun gehabt. Eines Tages nach Beendigung seiner Arbeit habe er an der Windschutzscheibe seines Autos einen namentlich an ihn gerichteten Drohbrief bemerkt. Von ihm sei verlangt worden binnen 24 Stunden das Land zu verlassen. Er habe den Brief bloß zu 50% wahrgenommen. Er habe seiner Familie nichts davon erzählt. Er habe danach die Arbeit von zu Hause aus erledigt, da er befürchtet habe, dass jemand zu ihm in das Unternehmen kommen könnte. Er sei am dritten Tag in die Arbeit zurückgekehrt, als ihm mitgeteilt worden sei, dass sich niemand nach ihm erkundigt habe. Nach Beendigung seiner Arbeit sei er auf dem Weg nach Hause von einem Auto verfolgt worden. Es sei auf ihn geschossen worden. Er habe versucht den Verfolgern zu entkommen. Er sei in einer Nebenstraße stehen geblieben und habe sein Auto stehen gelassen. Er sei weggelaufen und habe sich in einem Garten versteckt. Nach einer halben Stunde seien fünf Personen gekommen. Dabei habe es sich nicht um die Verfolger gehandelt. Er habe versucht die Situation zu erklären. Seine Hände seien nach hinten gezogen worden und hätten die Männer seine Aussage überprüft und seien sie auch zu seinem Auto gegangen. Er sei daraufhin freigelassen und von zwei seiner Cousins abgeholt worden. Ein Cousin sei mit seinem Auto weggefahren. Er sei zu seinen Cousins nach Hause gegangen. Von dort habe er mit seiner Frau telefoniert. Er habe ihr erklärt was passiert sei und dass er bei seinem Onkel bleibe. Am nächsten Tag sei seine Mutter mit seiner Frau zu seinem Onkel gekommen. Sie hätten sich dort neun Tage lang nach dem Vorfall aufgehalten. Er habe in dieser Zeit alles für seine Ausreise vorbereitet. Während dieser Zeit habe er sein Auto reparieren und verkaufen lassen. Danach sei er mit seiner Familie geflüchtet.

In der Beschwerde wurde ausgeführt, dass der BF1 bei seiner behördlichen Einvernahme nicht den gesamten Sachverhalt geschildert habe, da er befürchtet habe, dass bei entsprechenden Erhebungen im Irak, die das BFA im Rahmen der Einvernahme angekündigt habe, seine noch im Irak lebenden Verwandten massive Schwierigkeiten bekommen könnten. Er habe zwar die Bedrohung selbst geschildert, nicht aber die dazugehörige Vorgeschichte. Zunächst wurde in der Beschwerde der Umstand hervorgehoben, dass die Beschwerdeführer Sunniten seien und die Situation für diese Bevölkerungsgruppe in Bagdad besonders gefährlich sei. Kriminelle Banden, die mit irakischen Sicherheitskräften und schiitischen Milizen verbunden seien, würden Drohungen aussprechen und Morde verüben. Die schiitischen Milizen seien einflussreicher als die örtliche Polizei. In weiterer Folge führte die Beschwerde die Vorgeschichte zur Bedrohung aus. Vor dem Ereignis mit dem Drohbrief seien drei schiitische Personen zu ihm gekommen. Diese hätten von ihm einen Containertransport von den Vereinigten Arabischen Emiraten in den Irak verlangt, ohne dass der Inhalt dieses Containers – entgegen zwingender Bestimmungen – kontrolliert werde. Der BF1, welcher eine leitende Position im Transportunternehmen innegehabt habe, habe vermutet, dass es sich um verbotene Waffen- oder Sprengstofflieferungen handeln könnte. Diese Vorgehensweisen würden immer wieder vorkommen und seien auch den Medien zu entnehmen. Wiederholt wurde in der Beschwerde darauf abgestellt, dass der BF1 Sunnit sei und die drei Personen Schiiten gewesen seien und für den BF1 „daher klar war, dass er an einer verbotenen Waffen- bzw. Sprengstofflieferung hätte teilnehmen sollen“ (Seite 5 der Beschwerde). Er habe den Personen mitgeteilt, dass er diesen Auftrag nicht übernehmen werde. Daraufhin hätten diese zu ihm gesagt, „dass er sich dies gut überlegen solle, sein Leben sei so in Gefahr, wenn er dies nicht mache, er habe nochmals Zeit sich zu überlegen, was er hier tue, wenn er diesen Auftrag tatsächlich ablehnen würde“ (Seite 5 der Beschwerde). Nach einer Woche habe er dann den bereits vor der Behörde erwähnten Drohbrief erhalten. Angesichts dieser Vorgeschichte seien die Angaben des BF1 glaubwürdig und seien auch mit entsprechenden Medienberichten über Waffenlieferungen an Terroristen, insbesondere IS-Gefolgsleute, in Einklang zu bringen. Die Zuhilfenahme der irakischen Sicherheitskräfte sei ihm nicht möglich gewesen, da diese mit schiitischen Milizen in Verbindung stehen würden.

In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 16.07.2021 bestätigte der BF1 den bereits bei der Behörde geschilderten Vorfall und erklärte, dass er inzwischen herausgefunden habe, warum auf ihn geschossen worden sei. Vor dem Vorfall hätten drei Personen von ihm einen unkontrollierten Transport eines Containers verlangt. Er habe ihnen erklärt, dass dies die Hafenbehörde nicht zulassen würde und ein unkontrollierter Transport daher nicht möglich sei. Diese Personen würden hinter dem Anschlag auf ihn stehen.

2.3.2. Im Beschwerdeschriftsatz vom 14.08.2017 wurden neue Tatsachen vorgebracht. Einerseits wurde erstmalig eine dem Drohbrief vorangegangene Vorgeschichte geschildert, andererseits die sunnitische Glaubenszugehörigkeit als weiteres Indiz für ein Bedrohungsszenario ins Treffen geführt. Dieses Vorbringen wurde weder vom BF1 noch von der BF2 vor der belangten Behörde erstattet.

§ 20 BFA-VG lautet:

(1) In einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesamtes dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden,

1. wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, nach der Entscheidung des Bundesamtes maßgeblich geändert hat;

2. wenn das Verfahren vor dem Bundesamt mangelhaft war;

3. wenn diese dem Fremden bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes nicht zugänglich waren oder

4. wenn der Fremde nicht in der Lage war, diese vorzubringen.

(2) Über die Zulässigkeit des Vorbringens neuer Tatsachen und Beweise muss nicht entschieden werden, wenn diese für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht maßgeblich sind.

(3) […]

Der BF1 und die BF2 hatten im behördlichen Verfahren die Möglichkeit alles umfassend vorzubringen. Mehrmals wurden sie nach den fluchtauslösenden Ereignissen gefragt und wurde auch – um ein detaillierteres Vorbringen zu erhalten – konkret nachgefragt. Auch die BF2 wurde nochmals später im Rahmen der Anträge ihrer in Österreich nachgeborenen Kinder ausdrücklich danach befragt, ob bei den ursprünglich geschilderten Fluchtgründen eine Änderung eingetreten sei. Dies wurde von ihr verneint. Die Beschwerdeführer wurden auch zu Beginn ihrer Einvernahmen über das Neuerungsverbot belehrt (jeweils AS 45). Das BVwG konnte daher kein mangelhaftes Verfahren vor dem BFA erblicken (§ 20 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG).

Gegenständlich lag auch keine nachträglich hervorgekommene Tatsache vor. Der BF1 gab an, dass ihm der neu geschilderte Vorfall bereits bei der Einreise nach Österreich bekannt war (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls).

Eine Durchbrechung des Neuerungsverbotes sieht die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Z. 4 BFA-VG vor, wenn der Fremde nicht in der Lage war, diese neuen Tatsachen vorzubringen. Das auslösende Moment für die Unfähigkeit der Tatsachenvorbringung ist irrelevant, sofern dies dem Antragsteller nicht schuldhaft vorzuwerfen ist, er also rechtsmissbräuchlich gehandelt hätte (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 20 AsylG, K7). In der Beschwerde wurde zum Umstand, dass der BF1 dieses neue Vorbringen nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren erstattet hatte, erklärend ausgeführt, dass dies seiner Angst vor Ermittlungen vor Ort und einer damit zusammenhängenden möglichen Gefährdung seiner im Irak verbliebenen Familie geschuldet gewesen sei. Diesem Erklärungsversuch konnte das erkennende Gericht nicht folgen. Der Niederschrift der Einvernahme vom 20.02.2017 ist auf Seite 44 zu entnehmen, dass er einerseits auf seine Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG hingewiesen wurde, andererseits wurde ihm ausdrücklich erklärt, dass seine Angaben vertraulich behandelt und nicht an die Behörden seines Heimatlandes weitergeleitet werden. Auch bei der Frage nach seiner Zustimmung zu allfällig notwendigen amtswegigen Erhebungen vor Ort wurde er wiederholt daraufhin hingewiesen, dass diese nur unter Wahrung seiner Anonymität stattfinden (AS 61). Grundsätzlich ist es Sache des Asylwerbers, vor dem BFA ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Hat er keine Beweismittel oder würde er sich bei Beschaffung solcher sich selbst in unzumutbarer Weise der Gefahr von Verfolgung aussetzen, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht insofern Rechnung, als es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss demnach die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100 mwN). Das Asylverfahren bietet nur beschränkt Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsland des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Ermittlungen, die dem Asylwerber schaden oder die Gefahr von Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens für andere im Herkunftsstaat verbliebene Personen mit sich bringen können, sind als ungeeignet und nicht zweckdienlich im Sinn von § 46 AVG anzusehen und aus diesem Grund zu unterlassen (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

Im Hinblick auf die gegenständlich mehrmalig erfolgten Belehrungen zur Mitwirkungspflicht und Aufklärungen über allenfalls erforderliche anonyme Erhebungen vor Ort und der vertraulichen Behandlung seiner Angaben war die im Beschwerdeschriftsatz erhobene Erklärung als bloße Schutzbehauptung zu qualifizieren.

In Ansehung dieser Erwägungen gelangte das Gericht zur Schlussfolgerung, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorlagen, dass der BF1 im Sinne des § 20 Abs. 1 Z. 4 BFA-VG nicht in der Lage war, die erstmals im Beschwerdeschriftsatz behauptete Vorgeschichte schon vor der erstinstanzlichen Behörde als kausalen Grund für den Drohbrief und in weiterer Folge als Ausreisegrund vorzubringen. Vielmehr erweckte es den Eindruck der BF1 habe mit diesem neuen Vorbringen auf missbräuchliche Weise das Verfahren in seiner Sache verlängern und letztlich einen günstigeren Verfahrensausgang herbeiführen wollen. Dieses neue Vorbringen war daher bereits im Lichte des Neuerungsverbotes unzulässig und daher unbeachtlich.

2.3.3. Diese Erwägungen schlagen darüber hinaus auf die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des vorgetragenen Sachverhalts zu den Antragsgründen durch, indem dieses missbräuchliche Verhalten auch die persönliche Glaubwürdigkeit des BF1 als solche in Frage stellte was seine Ausreisegründe angeht.

Zum einen konnte der BF1 nicht plausibel erklären, warum er einen illegalen Waffen- oder Sprengstofftransport vermutet hatte – in der Beschwerde wurde bloß pauschal auf „üblicher Weise vorkommende“ Transportarten und -wege verwiesen ohne dies nachvollziehbar zu machen –, zum anderen wurde dies bloß vage behauptet. So wurde nicht erklärt, warum schon aufgrund einer schiitischen Glaubenszugehörigkeit der drei Personen klar gewesen sein soll, dass diese mit illegalen Waffentransporten in Verbindung zu bringen seien (Seite 5 der Beschwerde), und stellte dies eine bloße Spekulation dar.

Bringt man diese Vorgeschichte außerdem mit dem behaupteten Drohbrief in Verbindung, ließ sich nicht erkennen, warum lediglich ein Verlassen des Landes binnen 24 Stunden gefordert worden sein sollte, ohne eine Forderung im Hinblick auf die Sicherstellung des geschilderten Transports zu stellen, ja erschiene dies geradezu als kontraproduktiv für das behauptete Ansinnen dieser Personen, die eine Mitwirkung des BF1 verlangt hatten.

Als nicht plausibel erschien auch das Vorbringen des BF1, er habe den Drohbrief bloß „zu 50% wahrgenommen“ (AS 50). In der Beschwerde wurde geschildert, dass die drei Personen ihm gesagt hätten, dass sein Leben in Gefahr sei, wenn er ihren Forderungen nicht nachkommen würde (Seite 5 der Beschwerde). Hätte sich die Bedrohung durch die drei Personen tatsächlich eine Woche (Seite 5 der Beschwerde) vor dem Erhalt des Drohbriefes ereignet, wäre nicht nachvollziehbar, warum er den Drohbrief nicht sofort mit den drei Personen in Verbindung gebracht und diesem Brief nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Auch seine Erklärung in der mündlichen Verhandlung, dass er erst ein oder zwei Tage nach dem Vorfall gewusst habe, wer hinter dem Anschlag gestanden sein könnte, da es keine andere Erklärung dafür gegeben habe (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls), war nicht schlüssig.

Inwiefern die im Irak verbliebene Familie aufgrund der – zusätzlich zur vor dem BFA geschilderten Bedrohung – in weiterer Folge in der Beschwerde behaupteten Vorgeschichte noch gefährdeter gewesen wäre, wie der BF1 vermeinte, war im Übrigen mangels schlüssiger Begründung dafür auch nicht zu erkennen.

2.3.4. Die belangte Behörde hatte dem schon erstinstanzlich vorgetragenen Fluchtvorbringen auch zu Recht aufgrund von Ungereimtheiten und mangelnder Plausibilität die Glaubhaftigkeit abgesprochen.

Sie führte dazu unter anderem aus, dass der BF1 trotz behaupteter Furcht vor Verfolgung neun Tage lang nach dem behaupteten Ereignis im Irak verblieb und zunächst sein Auto um USD 750,00 reparieren ließ um sich letztendlich durch einen damit erzielbaren höheren Verkaufserlös den Aufenthalt in der Türkei finanzieren zu können. Über Nachfrage, wieviel sein Flugticket in die Türkei gekostet habe, gab er einen Ticketpreis in Höhe von USD 600,00 an (AS 56). Der Behörde war in diesem Zusammenhang zuzustimmen, dass es als lebensfremd erscheint, wenn der BF1 bei begründeter Angst vor Verfolgung noch versucht habe sein Fahrzeug so instand setzen zu lassen, dass er einen besseren Verkaufserlös erzielen konnte. Insbesondere habe er seiner weiteren Aussage nach ohnehin ausreichende finanzielle Mittel für den Kauf von Tickets gehabt („Es war nicht das Problem, dass ich kein Geld für die Flugtickets hatte.“ Vgl. AS 58).

Mit der Frage konfrontiert, ob nicht sein Bruder die Reparatur und den Verkauf des Autos abwickeln und ihm den erzielten Verkaufserlös nachschicken hätte können, vermeinte er im Übrigen, dass er nicht zulassen hätte können, dass seinem Bruder etwas zustößt. Die Attentäter würden sein Auto erkennen und sein Bruder und seine Familie wären dadurch möglicherweise in Gefahr geraten. In Anbetracht dieses Einwands stellte es sich jedoch als umso unschlüssiger dar, dass er selbst demgegenüber trotz behaupteter begründeter Furcht vor Verfolgung noch Tage lang bestrebt gewesen sei sein Fahrzeug instand setzen zu lassen und in weiterer Folge zu veräußern.

Über Vorhalt seiner zuvor anderslautenden Aussage, dass „die Familie“ das Auto reparieren habe lassen, vermeinte er vor der belangten Behörde, dass es sich dabei um einen Cousin gehandelt habe und diesem nichts passiert sei, da dieser Autohändler sei (AS 56f), womit er den evidenten Widerspruch aber nicht auflöste.

Der Frage, ob nicht sein Cousin auch den Verkauf abwickeln und ihm den Verkaufspreis nachschicken hätte können, wich er bloß aus, indem er vermeinte, dass er nicht gewusst habe was passieren werde und es für ihn sicherer gewesen sei, dass Geld selbst mitzunehmen (AS 57).

Widersprüche ließen sich auch bei einem Vergleich seiner Aussage mit der Aussage seiner Ehegattin, der BF2, erkennen. So gab der BF1 mehrmals an, nach dem vermeintlichen Schussattentat auf ihn bei seinem Onkel geblieben zu sein („Nachdem wir bei meinem Onkel waren, haben sie das Auto kontrolliert und angeschaut.“ AS 54; „Ich habe ihr erklärt, dass ich bei meinem Onkel bleibe. Am nächsten Tag kam meine Mutter mit meiner Frau zu meinem Onkel. […] Ich blieb diese Zeit bei meinem Onkel.“ AS 51). Die BF2 gab demgegenüber an, dass ihr gemeinsamer Onkel zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben gewesen sei („F: Lebte ihr Onkel Salman noch, als Sie bei ihm wohnten? A: Nein, er war schon tot. Wir haben bei seiner Familie gelebt.“ AS 52).

2.3.5. Die BF2 gab in ihrer Erstbefragung an, dass unbekannte Personen auf ihren Ehemann geschossen hätten. In ihrer behördlichen Einvernahme am 20.02.2017 wiederholte sie kurz das Fluchtvorbringen des BF1 und gab an, selbst keine eigenen Antragsgründe zu haben. Befragt, warum der BF1 in dem Drohbrief zum Verlassen des Iraks aufgefordert worden sei, gab sie an, dass sie und ihr Ehemann dies nicht wüssten.

In den behördlichen Einvernahmen am 18.04.2017 und 25.09.2019 hinsichtlich der Anträge auf internationalen Schutz der in Österreich nachgeborenen minderjährigen Beschwerdeführern gab die BF2 als gesetzliche Vertreterin an, dass der BF3 und die BF4 keine eigenen Antragsgründe hätten und sie sich auf die Fluchtgründe ihres Vaters beziehen würden. Eine Änderung der Fluchtgründe sei in der Zwischenzeit nicht eingetreten. Im Rahmen der Einvernahme am 25.09.2019 gab die BF2 zudem zu Protokoll, dass Kinder im Irak oftmals als Organspender herangezogen werden würden, ohne dies näher zu erläutern.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab sie erneut an selbst keine eigenen Antragsgründe zu haben und verwies bloß allgemein auf eine schlechte Sicherheitslage im Irak. Es gäbe viele Morde und vor kurzem sei ein Krankenhaus in Brand geraten.

Angesichts dessen sowie ausgehend von den Feststellungen des Gerichts zu den Antragsgründen ihres Gatten war eine individuelle Verfolgung der BF2 und ihrer Kinder vor der Ausreise aus dem Irak daher ebenso wie die Gefahr einer solchen bei einer Rückkehr nicht festzustellen.

2.3.6. Das erstmals in der Beschwerde als relevant für das Schutzbegehren der Beschwerdeführer ins Treffen geführte Vorbringen der Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft und einer daraus mutmaßlich resultierenden individuellen Gefährdung blieb schließlich – ungeachtet der oben dargelegten Erwägungen zur Unbeachtlichkeit des neuen Beschwerdevorbringens aufgrund des Neuerungsverbots – gänzlich unsubtantiiert und konnte auch insoweit außer Betracht blieben.

2.4. Die Annahme, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr auch insoweit keiner maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt wären, als sie etwa in wirtschaftlicher Hinsicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden, stützt sich darauf, dass es sich beim BF1 um einen arbeitsfähigen Menschen mit Studienabschluss handelt, der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für seinen Unterhalt und den seiner Familienangehörigen sorgen kann, zumal er auch bereits vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer langjährigen beruflichen Tätigkeit in leitender Position mit einem entsprechenden Einkommen nachging und sohin über berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Auch die BF2 verfügt über eine überdurchschnittliche Schulbildung mit Universitätsabschluss. Wenngleich die BF2 vor der Ausreise keiner Erwerbstätigkeit nachging, ist auch sie grundsätzlich gesund und arbeitsfähig. Es kann ihr daher zugemutet werden sich im Rückkehrfall um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu bemühen. Auch die Möglichkeit einer verwandtschaftlichen Unterstützung stünde den Beschwerdeführern angesichts zahlreicher entsprechender Anknüpfungspunkte in ihrer Herkunftsregion zur Verfügung. Bei einer Rückkehr ist auch davon auszugehen, dass sie wieder im Elternhaus des BF1 eine Unterkunft finden können. Auch im Hinblick auf die getroffenen Länderfeststellungen zur Versorgungslage in Bagdad ergab sich keine Gefährdung der Beschwerdeführer.

Es wird nicht verkannt, dass es sich bei BF3 und BF4 um besonders vulnerable Personen handelt, da sie noch minderjährig sind. Aus den ins Verfahren eingebrachten aktuellen Länderberichten ist eine Verletzung ihrer durch Art. 2, 3 EMRK geschützten Rechte im Ergebnis aber nicht ersichtlich. Im gg. Fall besteht, wie soeben dargelegt wurde, eine gesicherte Unterkunfts- und Versorgungssituation in Bagdad. Die Mutter des BF1 lebt nach wie vor in jenem Haus, in welchem die Beschwerdeführer bis zur Ausreise gemeinsam mit ihr gelebt haben. Es ist davon auszugehen, dass sie bei einer Rückkehr auch dort wieder – zumindest kurzfristig – wohnen können. Die Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer verfügen über eine überdurchschnittliche Schulbildung mit Studienabschluss. Bei einer Rückkehr kann daher mit hoher Wahrscheinlichkeit eine wirtschaftlich stabile Situation angenommen werden. Diese bestand schließlich auch bereits vor der Ausreise durch die Erwerbstätigkeit des BF1 in einer leitenden Position in einem Transportunternehmen. Die Familie kann letztendlich auch auf ein familiäres Netzwerk im Irak zurückgreifen. Unter anderem sind die Mutter und die Geschwister des BF1 nach wie vor in XXXX wohnhaft. Die mj. Beschwerdeführer wären zudem insofern nicht schutzlos, da sie von ihren Eltern in den Irak begleitet werden würden. Auch vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte zur aktuellen Versorgungslage in Bagdad (Grundversorgung mit Trinkwasser, sanitärer Infrastruktur, Strom und Grundnahrungsmitteln; kostenfreier Zugang zum Bildungssystem) war im Ergebnis keine Kindeswohlgefährdung zu erblicken.

2.5. Die vom BVwG getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak stützen sich auf eine aktuelle Kurzübersicht über sicherheitsrelevante Vorfälle im Irak von ACCORD vom 25.03.2021 sowie auf eine Anfragebeantwortung zur Versorgungslage in Bagdad von ACCORD vom 20.01.2021. Die Länderfeststellungen stellen sich in den für die gg. Entscheidung wesentlichen Aspekten als ausreichend und tragfähig dar.

Zur Sicherheitslage in XXXX gab der BF1 in der mündlichen Verhandlung an, dass es dort Demonstrationen gegen vorherrschende Missstände im Land gäbe, diese Demonstrationen würden von Milizen bekämpft werden (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls). Der bloße Umstand, dass dort Demonstrationen stattfinden, stellt aus Sicht des erkennenden Gerichts keinen Grund für eine generell schlechte Sicherheitslage dar, zumal es sich bei XXXX um eine Großstadt handelt und sich in den eingesehenen Länderinformationen keine Anhaltspunkte dafür fanden, dass alle oder zumindest viele Einwohner dort wegen Demonstrationen zur Flucht gezwungen wären. Auch der Umstand, dass ein großer Teil ihrer Verwandten nach wie vor in XXXX unbehelligt wohnhaft ist, lässt den Schluss zu, dass die Sicherheitslage nicht schlecht ist.

Insofern die BF2 im behördlichen Verfahren angab, dass Kinder im Irak oftmals als Organspender herangezogen werden würden und in der mündlichen Verhandlung allgemein auf eine schlechte Sicherheitslage im Irak verwies, war anzumerken, dass dieses unsubstantiierte und ohne jeglichen individuellen Bezug zu den Beschwerdeführern allgemein gehaltene Vorbringen nicht den Aussagen in den Länderberichten zu widersprechen vermochte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichts

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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