TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/10 L502 2153194-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2021
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Entscheidungsdatum

10.09.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L502 2153194-1/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2017, FZ. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.03.2021 zu Recht erkannt:

A)

1. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I, II und III, erster Satz, als unbegründet abgewiesen.

2. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III, zweiter Satz, stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

3. Gemäß § 55 Abs. 1 Z. 1 und 2 AsylG wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

4. Spruchpunkt III, dritter Satz, und Spruchpunkt IV des Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 19.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 20.10.2015 erfolgte seine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In der Folge wurde das Verfahren zugelassen.

3. Am 07.03.2017 wurde er beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Er brachte dabei Beweismittel in Vorlage, die in Kopie zum Akt genommen wurden.

4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 05.04.2017 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde sein Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV).

5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 05.04.2017 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

6. Gegen den ihm am 06.04.2017 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner ehemaligen Vertretung vom 11.04.2017 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde erhoben.

7. Mit 18.04.2017 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.

8. Am 07.06.2017 langte eine Beschwerdeergänzung seiner ehemaligen Vertretung beim BVwG ein.

9. Mit Eingabe vom 06.06.2018 gab die nunmehrige Vertretung des BF die Vollmachtserteilung durch den BF bekannt.

10. Am 12.09.2019 langte im Wege des BFA eine Anzeige der Finanzpolizei betreffend eine vom BF ausgeübte unerlaubte Beschäftigung ein.

11. Mit Eingabe seiner Vertretung vom 11.11.2020 brachte der Beschwerdeführer mehrere Beweismittel in Vorlage.

12. Am 09.12.2020 langte im Wege des BFA ein polizeilicher Abschlussbericht betreffend ein gegen den BF geführtes Ermittlungsverfahren ein.

13. Am 17.03.2021 langten im Wege des BFA mehrere Unterlagen betreffend ein gegen die vormalige Ehegattin des BF eingeleitetes Aberkennungsverfahren bezüglich des zuvor zuerkannten Status der subsidiär Schutzberechtigten ein.

14. Das BVwG führte am 18.03.2021 eine mündliche Verhandlung in der Sache des BF in dessen Anwesenheit und der seines Vertreters durch. Er legte im Zuge dessen mehrere Beweismittel vor, die zum Akt genommen wurden. Dabei wurden ihm auch Länderberichte zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme dazu eingeräumt, worauf er verzichtete.

15. Mit Eingaben vom 23.03.2021, vom 24.03.2021, vom 12.04.2021, vom 13.04.2021, vom 03.05.2021, vom 29.06.2021 und vom 25.08.2021 brachte er mehrere Unterlagen über ausgeübte Erwerbstätigkeiten als Beweismittel in Vorlage.

16. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus den Datenbanken der Grundversorgungsinformation, des AJ-Web, des Melde- sowie des Strafregisters.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität des BF steht fest. Er ist irakischer Staatsangehöriger und gehört der arabischen Volksgruppe sowie der muslimischen Glaubensgemeinschaft an.

Er reiste im Jahr 2015 zusammen mit seiner damaligen Ehegattin und den drei gemeinsamen minderjährigen Kindern nach Österreich ein. Die Ehe wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX geschieden. Zu seiner ehemaligen Ehegattin unterhält er seit der Scheidung keinen persönlichen Kontakt mehr.

Er stammt aus XXXX . Dort besaß er ein eigenes Haus, wo er bis ein Jahr vor der Ausreise gelebt hat. Das letzte Jahr vor der Ausreise verbrachte er mit seiner Familie in XXXX in einem angemieteten Haus. Er hat in XXXX für sechs Jahre die Grundschule und für fünf Jahre ein Gymnasium besucht, dieses jedoch ohne Abschluss. Vor der Ausreise war er für fünf Jahre als Schlosser erwerbstätig.

Im Irak leben noch seine Mutter, ein Bruder und zwei Schwestern. Sein Vater ist bereits verstorben. Seine Mutter und die Schwestern bewohnen zusammen das Haus seiner Familie in XXXX . Seine Mutter ist aufgrund von Herzproblemen arbeitsunfähig. Seine Schwestern arbeiten als Näherinnen. Er steht mit seiner Mutter und den Schwestern in regelmäßigem Kontakt. Dass sein im Irak aufhältiger Bruder derzeit vermisst wird, konnte nicht festgestellt werden. Ein weiterer Bruder verzog im Jahr 2019 mit seiner Familie in die Türkei.

Er hat den Irak zusammen mit seiner damaligen Ehegattin und den gemeinsamen Kindern am 24.09.2015 ausgehend von XXXX auf legale Weise, unter Verwendung seines irakischen Reisepasses, mit dem Flugzeug nach Istanbul verlassen. Von der Türkei aus setzten sie schlepperunterstützt auf eine griechische Insel über. Vom griechischen Festland aus reisten sie über mehrere Länder bis nach Österreich, wo er am 19.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither aufhält.

1.2. In Österreich leben die ehemalige Ehegattin des Beschwerdeführers sowie deren drei gemeinsame minderjährige Kinder. Die Obsorge für die drei Kinder kommt allein seiner ehemaligen Ehegattin zu. Ihm kommt ein Kontaktrecht im Ausmaß von einem Besuch alle zwei Monate für drei Stunden unter Besuchsbegleitung zu. Während er in den ersten Jahren nach der Scheidung von dieser Berechtigung Gebrauch machte, hat er seine Kinder seit etwa zwei Jahren nicht mehr besucht. Der letzte telefonische Kontakt zu seinen Kindern war vor mehr als einem Jahr.

Er leistet keine Unterhaltszahlungen für seine ehemalige Ehegattin und die drei Kinder. Diese bestreiten ihren hiesigen Lebensunterhalt seit der Antragstellung bis dato durch den Bezug von Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber.

Seiner ehemaligen Ehegattin und den drei Kindern wurde jeweils mit Bescheid des BFA vom 26.04.2017 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Gegen seine ehemalige Ehegattin wurde im Gefolge einer Anzeige bei der Oberstaatsanwaltschaft XXXX wegen des Verdachts des Verbrechens der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a StGB vom BFA ein Verfahren zur Aberkennung des zuerkannten Schutzstatus eingeleitet, welches bislang nicht abgeschlossen worden ist.

Er bezog seit der Antragstellung bis 30.04.2021 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Er war am 11.07.2019, von 19.03.2021 bis 31.03.2021, von 01.04.2021 bis 30.04.2021 und von 04.05.2021 bis 13.05.2021 als Arbeiter bei drei verschiedenen Dienstgebern geringfügig beschäftigt. Seit 18.05.2021 geht er einer Erwerbstätigkeit als Saisonarbeitskraft für die Grünraumbetreuung sowie Hausbetreuung und Objekterhaltung befristet bis 31.10.2021 im Ausmaß von 30 Wochenstunden nach, wofür ein monatliches Nettomonatsgehalt von EUR XXXX vereinbart ist.

Am 15.03.2021 hat er zudem einen Arbeitsvorvertrag über die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bei einem Elektriker im Falle der Erteilung einer entsprechenden Beschäftigungsbewilligung abgeschlossen. Das Ausmaß dieser Tätigkeit beträgt 40 Wochenstunden, wofür ein monatliches Bruttoeinkommen von EUR XXXX vereinbart wurde.

Er wurde am 13.08.2019 von Organen der Finanzpolizei bei der Ausübung einer Beschäftigung ohne entsprechende Beschäftigungsbewilligung und ohne Anmeldung zur Sozialversicherung betreten.

Er hat Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 und A2 absolviert und mehrere Deutschkurse besucht und verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse. Zudem hat er an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen.

Er war im Jahr 2019 kurzzeitig als freiwilliger Mitarbeiter in einem Pflegewohnhaus der Caritas tätig. Zuvor war er für den Arbeiter-Samariter-Bund ehrenamtlich in der Essensausgabe tätig. Er fungierte zudem unentgeltlich als Übersetzer für die Stadtgemeinde XXXX und hat im Jahr 2016 gemeinnützige Leistungen in Form von Reinigungsarbeiten im öffentlichen Raum für die Stadtgemeinde XXXX erbracht. Er hat auch mehrere private Anknüpfungspunkte in Österreich.

Er leidet an keinen gravierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist voll erwerbsfähig.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Ein gegen ihn geführtes Strafverfahren wegen des Verdachts der Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung gegen seine ehemalige Ehegattin und die gemeinsamen Kinder nach § 107b Abs. 1 StGB wurde von der Staatsanwaltschaft XXXX gemäß § 190 Z. 2 StPO eingestellt.

1.3. Er hat den Irak nicht aufgrund individueller Verfolgung durch Mitglieder einer Miliz oder einer sonstigen Gruppierung verlassen und ist im Falle einer Rückkehr in den Irak auch nicht der Gefahr einer Verfolgung durch diese ausgesetzt.

1.4. Er ist bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht aus sonstigen individuellen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt und findet dort eine hinreichende Existenzgrundlage vor.

1.5. Sicherheitslage in Dhi-Qar:

1.5.1. Die Provinz grenzt im Norden an al-Wasit, im Osten an Maisan, im Osten und im Süden an Basra und im Westen an al-Muthanna, Samawah und al-Qadisiya. Die Hauptstadt ist Nasiriyah. Die Provinz umfasst fünf Bezirke: Al-Chibayish, Nasiriya, Al-Shatra, Al-Suq al-Shoyokh und Al-Rifai.

Schiitische Araber stellen die Mehrheit der Bevölkerung von Dhi-Qar. Ferner gibt es eine sunnitisch-arabische Minderheit und kleinere Gemeinschaften von Assyrern und chaldäischen Christen sowie Mandäern.

Für 2019 schätzte das irakische CSO (Zentrales Statistisches Amt) die Bevölkerung der Provinz auf 2 150 338 Einwohner.

Im Januar 2020 blockierten Demonstranten die wichtigsten Brücken in die Hauptstadt, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, und blockierten Straßen, um Milizen während der Trauerversammlungen für den ermordeten militärischen Führer Soleimani und den Milizenführer al-Muhandis fernzuhalten. Im Juli 2020 wurde ein LKW-Konvoi, der militärische Ausrüstung transportierte, mit Sprengfallen an Straßen angegriffen.

Die Wirtschaft ist agrarisch geprägt. Das Öffentliche Verteilungsprogramm zur Rationierung von Lebensmitteln hat die Erzeugung von Grundnahrungsmitteln unrentabel gemacht. Die vom Saddam-Regime betriebene Trockenlegung von Feuchtgebieten hat verheerende Folgen für traditionell betriebene(n) Fischerei und Ackerbau in den Feuchtgebieten. In der Provinz haben sich einige Ölraffinerien niedergelassen. Das Ölfeld Badra, das auf 3 Milliarden Barrel Öl geschätzt wird, hat die Förderung 2013 aufgenommen.

1.5.2. Hintergrund des Konflikts und bewaffnete Akteure in der Provinz

Nach der Invasion von 2003 wurde die Provinz zum Spielball zwischen verschiedenen schiitischen Gruppierungen und Milizen, was zu Auseinandersetzungen führte. Nach einer Absprache zwischen Milizen und der irakischen Regierung war die Lage in der Provinz seit 2008 weitgehend friedlich. Dhi-Qar wurde nicht vom ISIL besetzt. Das Sicherheitsvakuum, das sich in den südlichen Provinzen auftat, als die Sicherheitskräfte 2014 in den Kampf gegen den ISIL im Zentral- und Nordirak entsandt wurden, öffnete Auseinandersetzungen zwischen Stämmen, kriminellen Aktivitäten und politisch motivierter Gewalt Tür und Tor.

Öffentliche Massenproteste haben Berichten zufolge in der ersten Oktoberwoche und dann erneut ab 25. Oktober 2019 in Dhi-Qar und anderen südlichen Provinzen stattgefunden.

Bewaffnete Akteure

Irakische Sicherheitskräfte (ISF)

Das ISW berichtete 2017, das Gemeinsame Einsatzkommando (JOC) der irakischen Armee sei für die Sicherheit in der Provinz zuständig. Das JOC koordiniert gemeinsame Operationen der irakischen Armee und der kurdischen Peschmerga. Knights et al. befanden 2020, dass alle acht südlichen Provinzen als Gebiete gelten sollten, die gemeinsam von der irakischen Armee oder Polizei und den PMU kontrolliert werden.

Volksmobilisierungseinheiten (PMU)

Das vom Washington Institut im Mai 2019 veröffentlichte Shia Militia Mapping Project bietet eine interaktive Karte mit allen von Iran unterstützten schiitischen Milizen, die im Mittleren Osten einschließlich Irak aktiv sind. Für Dhi-Qar erwähnte das Projekt zwei Milizen; eine davon ist Kataib Sayeed al-Shuhada (Brigade 14), eine Iran nahestehende Miliz. Die andere ist Saraya al-Jihad (Brigade 17), ein bewaffneter Flügel des Jihad and Development Movement, das sich vom ISCI (dem Obersten Islamischen Rat im Irak, einer politischen Partei) abgespaltet hat. Im September 2019 berichtete Chatham House, dass die PMU-Brigaden 2, 3, 5, 7, 11, 21, 22, 26 in den Provinzen Maisan, Dhi-Qar und Basra präsent sind. Laut Knights et al. gehört der PMU-Kommandeur in Dhi-Qar zur Badr-Miliz.

1.5.3. Neueste Sicherheitstrends und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung

Im Referenzzeitraum fanden in der Provinz öffentliche Proteste statt. Quellen berichteten von Sicherheitskräften sowie von nicht identifizierten maskierten Männern in Lieferwagen, die an den Protesten teilnehmende Aktivisten töteten, und über Aktivisten, die von der Polizei mit scharfer Munition erschossen wurden. Berichte gab es auch über die Ermordung und gezielte Tötung bekannter Protestaktivisten sowie über Demonstranten, die Straßen und Brücken blockierten. Bei einem Angriff von Demonstranten auf eine Polizeistation in Nasiriyah im Dezember 2019 hieß es, er sei ausgelöst worden durch das Aufhalten und Erschießen eines Aktivisten durch die Polizei am Tag zuvor. Das Gulf Center for Human Rights, eine NRO mit Sitz in Libanon, dokumentierte eine Reihe gezielter tödlicher Überfälle auf Aktivisten Anfang Januar 2020. Damals sollen Berichten zufolge PMU mit scharfer Munition auf Demonstranten geschossen haben. Im Februar 2020 soll die Provinz Berichten zufolge die „Drehscheibe“ oder die „Hauptstadt“ der Proteste geworden sein.

Im Juli 2020 zitierte Shafaaq News einen Parlamentarier aus der Provinz, der behauptete, die Sicherheitslage verschlechtere sich „auf nie dagewesene Weise“. Der Abgeordnete bezog sich dabei auf Stammeskonflikte, Bandenkriege und Bandenherrschaft sowie auf Terroranschläge, ohne jedoch näher auf die Art der Terroranschläge oder die dahinter stehenden Akteure einzugehen. Die Vorfälle sollen sich in Gebieten ereignet haben, in denen sich Sicherheitsdienste nur selten sehen lassen.

Einige Beispiele für Sicherheitsvorfälle

Nachstehend einige gemeldete Vorfälle aus den Jahren 2019 und 2020:

•        Nicht identifizierte Männer brachen im Oktober 2019 in Dhi-Qar in ein Regierungsgebäude ein und setzten es in Brand.

•        Im November 2019 töteten Berichten von Xinhua zufolge staatliche Kräfte sieben Menschen während einer viertägigen Demonstration.

•        Im November 2019 blockierten Demonstranten eine Straße, die zu einem Ölfeld führt.

•        Im Dezember 2019 setzten Demonstranten die Residenz eines Militärkommandeurs in Brand.

•        Im Januar 2020 feuerten Regierungskräfte scharfe Munition, Schrotkugeln und Tränengas auf Demonstranten im Verlauf einer Razzia in Basra und Dhi-Qar. Unter Bezugnahme auf die irakische Hochkommission für Menschenrechte berichtete EPIC, dass an zwei Tagen 12 Demonstranten getötet und 230 verletzt wurden.

•        Im Februar 2020 wurde ein Stammesführer von unbekannten Killern niedergeschossen und getötet.

•        Im Februar 2020 blockierten Demonstranten eine Brücke und sperrten den Zugang zu örtlichen Regierungsgebäuden in Nasiriyah, wobei 27 Demonstranten verletzt wurden.

•        Ein Anwalt, der inhaftierte Demonstranten vertritt, wurde bei einem Mordversuch im Februar 2020 in Nasiriyah verwundet.

Zahl der zivilen Opfer

Die nachstehende Tabelle gibt Auskunft über mit bewaffneten Konflikten zusammenhängende Vorfälle und zivile Opfer in der Provinz, die von der UNAMI für den Zeitraum 1. Januar 2019 - 31. Juli 2020 erfasst wurden.

Anzahl der sicherheitsrelevanten Störfälle

Im Berichtszeitraum verzeichnete ACLED 12 Kämpfe, 23 Vorfälle von ferngesteuerter Gewalt/Explosionen, 24 Fälle von Gewalt gegen Zivilpersonen, 150 Unruhen; das sind insgesamt 209 sicherheitsrelevante Vorfälle dieser Arten in der Provinz Dhi-Qar. Ferner wurden für den Referenzzeitraum 217 Demonstrationen in der Provinz gemeldet, die mehrheitlich in der Hauptstadt Nasiriyah stattfanden. Die folgende Abbildung gibt Auskunft über die Entwicklung aller Arten sicherheitsrelevanter Vorfälle im Referenzzeitraum.

Fähigkeit des Staates zur Sicherung von Recht und Ordnung

Einem Bericht von HRW zufolge hatte der irakische Premierminister den staatlichen Kräften befohlen, gegen Demonstranten keine scharfe Munition einzusetzen, wurden aber weiterhin Demonstranten von ihnen getötet. Im Dezember 2019 stellten Gerichte in Südirak Haftbefehle gegen Offiziere in Nadschaf wegen Anwendung exzessiver Gewalt und Erteilung von Befehlen aus, die zur Tötung von Demonstranten geführt hatten.2064 HRW berichtete, der Staat erscheine „mitschuldig“ an den Tötungen, aber auch, Kommandeure von Polizei und Militär würden wegen der Tötung von Demonstranten strafrechtlich verfolgt.

Knights et al. erklärten, die PMU hätten so weit ihr eigenes Kommando- und Kontrollsystem, dass ihre Führung als „Parallelstaat“ auftreten könnte. Dementsprechend, so die Autoren, können sich PMU-Einheiten rechtmäßigen Befehlen des staatlichen Oberkommandierenden, also des Premierministers, widersetzen, was sie auch „ständig“ tun.

HRW berichtete, Gerichte in Südirak stellten Haftbefehle gegen Offiziere in Nadschaf und Dhi-Qar wegen Anwendung exzessiver Gewalt und Erteilung von Befehlen aus, die zur Tötung von Demonstranten geführt hatten. Polizei- und Militärkommandeure sollen Berichten zufolge wegen der Tötung von Demonstranten strafrechtlich belangt werden. Am 29. November 2019 kündigteder Oberste Justizrat, das oberste irakische Gericht, die Einsetzung eines Gremiums an, das den Tod von Demonstranten in Nasiriyah untersuchen soll. Im Dezember 2019 meldete Al-Arabiya, die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen. Neuere Informationen über den Stand des Verfahrens liegen nicht vor.

Die New York Times zitierte ein Mitglied der irakischen Hochkommission für Menschenrechte mit der Aussage, Einheiten staatlicher Sicherheitskräfte, die mutmaßlich von Iran unterstützten PMU-Milizen nahestehen, würden für die Tötung von Demonstranten in Dhi-Qar und anderen Provinzen nur unzureichend zur Rechenschaft gezogen. Als Reaktion auf die Tötung von Demonstranten im Oktober 2019 wurde der Polizeichef von Dhi-Qar entlassen und öffentlich angeprangert.

Der Analyst Philip Smyth vom Washington institute erklärte, einige „Stammesangehörige“ in Dhi-Qar und anderen südlichen Provinzen seien bei einigen Protestaktivitäten führend gewesen. Stammesführer sollen Berichten zufolge auch in Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei eingegriffen haben.

Schäden an der Infrastruktur und explosive Kampfmittelrückstände

Der Anteil der Infrastruktur, der wegen explosiver Kampfmittelrückstände nicht genutzt werden konnte, wurde auf 1 % geschätzt. Auch der Anteil der Straßen, die wegen explosiver Kampfmittelrückstände nicht zugänglich sind, wurde nach Angaben des irakischen Minenräumdienstes 2018 auf 1 % geschätzt. Aktuellere Informationen waren nicht zu finden.

Vertreibung und Rückkehr

Per 16. Juli 2020 hatte Dhi-Qar insgesamt 3 396 Binnenvertriebene aufgenommen, die im Wesentlichen in den Bezirken Nasiriyah (1 920), Al-Rifai (756) und Suq al-Shoyokh (546) unterkamen. Von diesen Binnenvertriebenen stammten 60 % aus Ninawa, 17 % aus al-Anbar, 14 % aus Kirkuk und 9 % aus anderen Provinzen. Die IOM verzeichnete keine Rückkehrer in die Provinz Dhi-Qar. Im COVID-19-Zeitraum (März-Mai 2020) war die Bewegungsfreiheit zwischen Provinzen beschränkt.

(Quelle: Security Situation Iraq – Country of Origin Information Report; EASO, Oktober 2020)

1.6.1. Die Expansion und anschließende Bekämpfung des IS zwischen 2014 und 2017 führte zu großflächigen Vertreibungen. Angesichts dessen führten zahlreiche lokale Behörden strenge Einreisebestimmungen und Aufenthaltsbeschränkungen, unter anderem Sponsoring-Anforderungen sowie teils nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen aus Konfliktgebieten – insbesondere für sunnitische Araber – ein. Auch aktuell bestehen Sicherheitsüberprüfungen und Freigabeanforderungen für Personen die früher für IS-Mitglieder gehalten wurden oder, die aus Konfliktregionen stammen. Diese betreffen vor allem sunnitische Araber und Turkmenen. Während Zugangsverbote und Einreisebeschränkungen Anfang 2020 aufgehoben wurden, blieben Sponsoring und andere Aufenthaltserfordernisse als Niederlassungsvoraussetzung in mehreren Gouvernements, für Personen die für IS-Mitglieder gehalten wurden, oder aus Konfliktregionen stammen, bestehen.

Die Zugangs- und Aufenthaltsanforderungen sind nicht immer klar definiert bzw. kann deren Umsetzung variieren. Es kann auch zu Änderungen der Anforderungen kommen, die hauptsächlich von der aktuellen Sicherheitslage abhängen. Sponsoring und andere Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich begründet noch offiziell angekündigt.

1.6.2. Damit Personen Checkpoints passieren können und, um in die Umsiedlungsgebiete zu gelangen ist ein Ausweis erforderlich (z.B. ein Personalausweis, ein Reisepass oder die Staatsangehörigkeitsbescheinigung).

Zentral- und Südirak

Aktuell benötigen Personen die ehemals für Mitglieder des IS gehalten wurden oder, die aus Konfliktregionen stammen, einschließlich Personen, die aus einem Drittland zurückgekehrt sind, keinen Sponsor, um nach Babel, Bagdad, Basrah, Dhi-Qar, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Missan, Muthanna, Najef, Qadissiyah und Wasit einzureisen.

Region Kurdistan im Irak (KR-I)

Iraker, die nicht aus der KR-I stammen, einschließlich Personen die ehemals für IS-Mitglieder gehalten wurden, oder, die aus Konfliktregionen stammen, benötigen für die Einreise nach Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah keinen Sponsor. Bei der Einreise in die KR-I wird ihnen nach der Sicherheitsüberprüfung idR eine vorübergehende, 30-tägige Einreisegenehmigung erteilt. Damit kann man innerhalb der Gültigkeitsdauer in der KR-I verbleiben. Inhabern einer Einreisegenehmigung ist es jedoch nicht möglich ein Haus zu mieten oder eine reguläre Beschäftigung auszuüben.

1.6.3. Für die rechtmäßige Aufnahme eines Wohnsitzes sind je nach Region zusätzlich zur Genehmigung gültige zivilrechtliche Unterlagen erforderlich (eine Bestätigung/Empfehlung/Unterstützungsschreiben der zuständigen örtlichen Behörde, wie der Mukhtar oder dem Gemeinderat). Abhängig vom Profil des Einzelnen, insbesondere des familiären, religiösen und ethnischen Hintergrundes sowie des Herkunftsorts, kann zudem ein Sponsor erforderlich sein, um einen legalen Wohnsitz begründen zu können. Zudem ist idR eine Sicherheitsfreigabe der zuständigen Sicherheitsbehörde erforderlich. Sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die für IS-Mitglieder gehalten wurden, oder die aus Konfliktregionen stammen, kann die Sicherheitsüberprüfung verweigert werden und sind dem Risiko willkürlicher Verhaftungen nach dem Antiterrorgesetz ausgesetzt.

Aktuell sind UNCR folgende Wohnsitzerfordernisse für Personen, die für IS-Mitglieder gehalten wurden, oder die aus Konfliktregionen stammen – insbesondere sunnitische Araber und auch für Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren – bekannt:

1.6.3.1. Zentral- und Südirak

Gouvernement Bagdad

Alle Personen benötigen zwei Sponsoren aus der Nachbarschaft, in der sie ihren Wohnsitz begründen wollen sowie ein Unterstützungsschreiben des örtlichen Mukhtar.

Gouvernement Diyala

Personen, die für IS-Mitglieder gehalten wurden, oder die aus Konfliktregionen stammen benötigen einen Sponsor aus der Nachbarschaft, in der sie sich niederlassen wollen, sowie ein Unterstützungsschreiben des örtlichen Mukhtar.

Kirkuk City

Personen, die für IS-Mitglieder gehalten wurden, oder die aus Konfliktregionen stammen benötigen ein Unterstützungsschreiben des örtlichen Mukhtar in der Nachbarschaft, in der sie wohnen wollen.

Südliche Gouvernorate

Personen, die für IS-Mitglieder gehalten wurden, oder die aus Konfliktregionen stammen benötigen einen lokalen Sponsor sowie einen Unterstützungsbrief des örtlichen Mukhtar, um legal in Babel, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Missan, Muthanna, Najef, Qadissiyah und Wasit zu leben. Zudem benötigen sie eine Sicherheitsfreigabe durch den Operations Command, zusätzlich zur regulären Sicherheitsüberprüfung durch die örtlichen Behörden.

1.6.3.2. Region Kurdistan im Irak (KR-I)

Gouvernement Dohuk

Iraker, die nicht aus der KR-I stammen, und die länger als einen Monat im Gouvernement bleiben möchten, müssen sich an das lokale asayische Büro, in der Nachbarschaft in der sie bleiben möchten, wenden. Dabei müssen sie von einem Sponsor begleitet werden und sich für eine Aufenthaltserlaubnis bewerben. Bei Stattgabe des Ansuchens erhält man eine (erneuerbare) Aufenthaltserlaubnis für bis zu sechs Monate.

Gouvernements Erbil und Sulaymaniyah

Iraker, die nicht aus der KR-I stammen, müssen sich ebenfalls an die örtlichen Asayish, in der Nachbarschaft in der sie wohnen möchten, wenden, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Ein Sponsor ist nicht nötig. Eine solche Genehmigung ist in der Regel ein Jahr gültig. Alleinstehende arabische und turkmenische Männer erhalten jedoch in der Regel nur eine einmonatige Aufenthaltserlaubnis. Inhaber einer einmonatigen Aufenthaltserlaubnis haben aufgrund der kurzen Dauer ihrer Erlaubnis Schwierigkeiten, eine reguläre Beschäftigung zu finden. Alleinstehende arabische und turkmenische Männer, die einen Nachweis über eine reguläre Beschäftigung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers haben, können eine einjährige Aufenthaltserlaubnis beantragen, die jedoch nur wenige erhalten.

1.6.4. Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 haben die Behörden auf nationaler und regionaler Ebene eine Reihe von Beschränkungen eingeführt. Der Ansatz der lokalen Behörden zur Durchsetzung dieser Beschränkungen war in den Gouvernements unterschiedlich. Die meisten Beschränkungen wurden ab August 2020 aufgehoben. Aktuell gibt es keine internen Bewegungsbeschränkungen im Zusammenhang mit COVID-19. Da jedoch Regierungs- und Sicherheitsbeamte möglicherweise nicht regelmäßig in ihren Büros Bericht erstatten, kann es zu Verzögerungen bei der Ausstellung von Sicherheitsüberprüfungen und / oder Unterstützungsschreiben kommen.

1.6.5. Regierungsbehörden haben wiederholt ihre Priorität betont, die „Vertreibungsakte“ bis 2021 durch die Rückkehr von Binnenvertriebenen in ihre Herkunftsgebiete und die Schließung von Lagern für Binnenvertriebene umzukehren. In zahlreichen Gebieten im gesamten Irak, insbesondere in Zentralregionen im Südirak, werden Personen, die aus ehemals vom IS-besetzten Gebieten oder Konfliktregionen vertreiben wurden, zunehmend von zentralen und lokalen Behörden und anderen Akteuren unter Druck gesetzt oder gezwungen, in ihre Heimatgebiete zurückzukehren. Zu den bekannten Druckmitteln zählen unter anderem die Schließung von Lagern, Meldungen mit Austrittsfristen, die Verweigerung oder Einschränkung des Zugangs zu öffentlichen Gesundheitsdiensten und Existenzgrundlagen, Belästigungen (meist verbal und in einigen Fällen sexuell) sowie willkürliche Festnahmen. In einigen Fällen haben die Behörden Berichten zufolge entweder auf Räumungsdrohungen zurückgegriffen oder die Räumungsdrohungen privater Akteure gegen Binnenvertriebene in informellen Siedlungen ignoriert. Nach mehreren Schließungen von Lagern Ende 2019, haben die Behörden zwischen Oktober 2020 und Dezember 2020 weitere großflächige Schließungen von IDP-Lagern und informellen Unterkünften im gesamten Irak vorgenommen. Die Betroffenen hatten oft nur sehr wenig Zeit. Entscheidungen zur Schließung von Lagern wurden ohne Rücksprache mit den betroffenen Bevölkerungsgruppen und trotz ernsthafter Sicherheits- und humanitärer Bedenken, getroffen. Einige Binnenvertriebene konnten zwar in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren, zahlreiche andere jedoch nicht und wurden erneut vertrieben.

(Quelle: Länderinformationen zur Frage der innerstaatlichen Niederlassungsmöglichkeit, UNHCR, Jänner 2021).

1.7. Die aktuellen Covid-19 Fallzahlen im Irak belaufen sich auf insgesamt 1.922.942 bestätigte Fälle seit Beginn der Pandemie. In den letzten 24 Stunden wurden 5.650 Neuinfektionen registriert. Insgesamt kam es bislang zu 21.162 registrierten Todesfällen.

(Quelle: Iraq COVID-19 dashboard, Website der WHO)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie der vom BF vorgelegten Beweismittel, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Einsichtnahme in vom BVwG beigeschaffte länderkundliche Informationen sowie die Einholung von Auskünften des Melderegisters, des Strafregisters, des AJ-Web und des Grundversorgungsdatensystems den BF betreffend.

2.2. Identität und Staatsangehörigkeit des BF waren anhand der von ihm vorgelegten nationalen Identitätsdokumente feststellbar. Die Feststellungen der Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe und zur muslimischen Religionsgemeinschaft stützen sich auf die entsprechenden Angaben des BF während des gesamten Verfahrens.

Die Feststellungen zu den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen des BF im Herkunftsstaat vor der Ausreise sowie in Österreich im Gefolge derselben, zum Verhältnis zur ehemaligen Ehegattin und den gemeinsamen Kindern und deren Aufenthaltsstatus, zum Reiseverlauf zwischen dem Irak und Österreich, zu den Lebensumständen seiner Verwandten im Irak, zu seinem Gesundheitszustand, seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit und dem eingestellten Strafverfahren und seinen sonstigen Integrationsbemühungen sowie der aktuellen und der in Aussicht gestellten Erwerbstätigkeiten ergaben sich in unstrittiger Weise aus einer Zusammenschau seiner persönlichen Angaben im Verlauf des gg. Verfahrens, dem Inhalt der von ihm vorgelegten Unterlagen sowie aus den vom BVwG eingeholten Informationen der genannten Datenbanken.

Dass er inzwischen über sehr gute Deutschkenntnisse verfügt, war aufgrund der von ihm wahrgenommenen Spracherwerbsmaßnahmen und absolvierten Sprachprüfungen in Verbindung mit seinem etwa sechsjährigen Aufenthalt in Österreich, seiner sozialen Vernetzung und seiner hiesigen Erwerbstätigkeit festzustellen, zumal daraus nach allgemeiner Erfahrung ein entsprechender Spracherwerb resultiert. Diese Annahme bestätigte sich durch die von ihm in der mündlichen Verhandlung demonstrierten Deutschkenntnisse.

Während er in der erstinstanzlichen Einvernahme noch angab, dass sich seine beiden Brüder im Irak aufhalten und einer der beiden für seinen Onkel Autoteile vertreiben und der andere im Justizministerium arbeiten würde, vermeinte er in der mündlichen Verhandlung, dass einer seiner Brüder mit dessen Familie in die Türkei verzogen wäre, während der andere im Gefolge einer Teilnahme an einer Demonstration vor etwa einem Jahr verschwunden sei. Die Übersiedlung eines Bruders samt Familie in die Türkei stellte sich für das Gericht als nachvollziehbar, weil bei irakischen Immigranten häufig vorkommend, dar. Demgegenüber entbehrte die Behauptung des vermeintlichen Verschwindens des anderen Bruders deshalb der nötigen Glaubhaftigkeit, weil er diese Behauptung auffallend kurz in den Raum stellte ohne näher auf die konkreten Umstände dieses Ereignisses einzugehen, weshalb angesichts dieser nur vagen Behauptung nicht festgestellt werden konnte, dass sein zweiter Bruder tatsächlich vermisst wird.

2.3. Zur Feststellung fehlender individueller Verfolgung des BF im Herkunftsstaat pro futuro gelangte das erkennende Gericht aufgrund folgender Erwägungen:

2.3.1. In seiner Erstbefragung gab er zu seinen Ausreisegründen befragt an, dass er im August 2015 von einer Terrormiliz entführt worden sei. Diese Gruppierung habe von seinen Onkeln 10.000 USD als Lösegeld verlangt. Während der fünftägigen Anhaltung sei er gefoltert worden. Nach der Zahlung des Lösegeldes sei er freigelassen worden. Danach habe er alles verkauft und sei mit seiner Familie aus dem Irak geflohen.

In seiner Einvernahme am 07.03.2017 gab er an, dass am 10.07.2014 drei Leute zu ihm gekommen seien und ihm gesagt hätten, dass sie eine Gruppierung bilden wollen um ihre Region gegen den IS zu verteidigen. Sie hätten ihn gebeten mitzuwirken, was er jedoch aus Zeitgründen abgelehnt habe. Sie hätten ihn dann aufgefordert sie wenigstens finanziell zu unterstützen, was er bejaht habe, allerdings habe er nicht gewusst wieviel Geld er ihnen geben könne. Er habe dann einen Freund in Bagdad kontaktiert, ob er bei ihm leben und arbeiten könne. Seiner Familie habe er nur vom neuen Job in Bagdad erzählt, den Besuch der Gruppierung habe er hingegen verschwiegen, weshalb die Familie dem Umzug zugestimmt habe. Er habe dann für ein Jahr und einen Monat in Bagdad gelebt und gearbeitet. Er habe auch seine Telefonnummer gewechselt, damit man ihn nicht ausfindig machen könne. Am 15.08.2015 sei ihm am Rückweg von Besorgungen ein Fahrzeug ohne Kennzeichen entgegengekommen. Es seien alle vier Türen aufgegangen und vier vermummte Personen hätten ihn ins Auto gezogen. Sie hätten ihm einen Sack übergezogen und ihm gesagt, dass sie ihn bereits seit einem Jahr suchen würden. Er sei dann etwa eine Stunde mit dem Auto an einen unbekannten Ort transportiert worden. Dort sei er geschlagen und gefoltert worden und fünf Tage lang aufhältig gewesen. Sie hätten nach fünf Tagen seinen Bruder angerufen und 25.000 USD als Lösegeld für ihn gefordert. Sein Bruder habe ihnen gesagt, dass er nicht so viel Geld habe und sie ihn umbringen sollten. Sie hätten dann mit seinem Bruder eine Summe von 10.000 USD vereinbart. Am 02.08.2015 seien ihm die Augen verbunden worden und sei er in ein Auto gesetzt worden. Er sei dann noch einmal bedroht und aufgefordert worden nicht zur Polizei oder zum Militär zu gehen. Dann sei er in einer Wüstengegend freigelassen worden. Er sei von einem Taxifahrer mitgenommen worden und in Bagdad ins Krankenhaus gekommen. Nach einem Tag sei er wieder entlassen worden und habe Anzeige bei der Polizei erstattet. Eine Woche später habe er die Ausreise vorbereitet.

In der Beschwerde wurden im Wesentlichen seine Angaben in der Einvernahme wiederholt.

2.3.2. Schon das BFA wies zutreffend darauf hin, dass sich die Schilderungen in der Erstbefragung in zentralen Punkten von jener in der Einvernahme unterschied. Konkret vermeinte er in der Erstbefragung, dass seine Entführer von einem Onkel 10.000 USD als Lösegeld verlangt hätten, wohingegen er in der Einvernahme von einer Lösegeldforderung in Höhe von 25.000 USD gegenüber seinem Bruder sprach, welche letztlich auf 10.000 USD herabgesetzt worden sei.

Nun wird zwar nicht verkannt, dass die Erstbefragung nicht primär die ausführliche Erörterung der Fluchtgründe zum Zweck hat, nichtsdestotrotz konnte diese gravierende Abweichung nicht außer Betracht bleiben, zumal auch keine Gründe ersichtlich wurden, die auf eine etwaige Hemmung des BF, vor uniformierten Sicherheitskräften auszusagen, hindeuten würden, zumal er auch zu keinem Zeitpunkt Probleme mit Sicherheitskräften des Herkunftsstaates thematisierte.

Nicht nur, dass sich die erstinstanzlichen Angaben des BF selbst in der Erstbefragung und Einvernahme nicht deckten, noch gravierender fielen die Unterschiede zwischen den Angaben des BF und jenen seiner mitgereisten ehemaligen Ehegattin in deren Einvernahme aus. Diese vermeinte, dass der BF im August 2014 für einen Zeitraum von einem Monat entführt worden sei, wohingegen er stets davon sprach, dass er im August 2015 entführt und für fünf Tage angehalten worden sei. Auch diese erhebliche Divergenz legt nahe, dass sich die Entführung des BF in Wahrheit nie zugetragen hat.

Überdies waren seine eigenen Ausführungen vor dem BFA in zeitlicher Hinsicht nicht in Einklang bringen, zumal er davon sprach, dass sich die Entführung am 15.08.2015 ereignet habe, er jedoch wenig später angab, dass man ihn am 02.08.2015 wieder freigelassen habe.

Die Zweifel am Tatsachengehalt der angeblichen Entführung erhärteten sich in der mündlichen Verhandlung, zumal er die vermeintliche Entführung dort besonders vage schilderte. Er vermeinte bloß, dass er in XXXX bedroht worden sei und seinen Wohnsitz nach Bagdad verlegen habe müssen, wo er nach einem Jahr festgenommen worden und fünf Tage in Haft gewesen sei und nach einer Lösegeldzahlung von 10.000 USD freigelassen worden sei (S. 8 des Verhandlungsprotokolls). Dabei fanden weder die vermeintlichen Lösegeldverhandlungen mit seinem Bruder noch nähere Gründe für die angebliche Entführung eine Erwähnung. Auffällig war zudem, dass er vermeinte er selbst habe 10.000 USD an Lösegeld bezahlt, während er in der Erstbefragung angab, sein Onkel habe die 10.000 USD entrichtet, und in der Einvernahme seinen Bruder als Lösegeldzahler angab.

Abgesehen davon erfuhren seine Angaben eine wesentliche, jedoch nicht glaubhafte Steigerung, zumal er in erster Instanz lediglich allgemein von einer Gruppierung bzw. Miliz sprach, die ihn entführt habe, und nunmehr erstmals die Miliz Asa'ib Ahl al-Haq als Täter benannte, was er erst später erfahren haben wollte, wobei er aber nicht konkretisierte, von wem er diese Information erhalten haben will.

Seine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zur Geldforderung durch die Miliz waren zudem nicht schlüssig, indem er vermeinte, dass Geld von ihm verlangt worden sei, die Milizionäre jedoch keinen bestimmten Geldbetrag genannt hätten (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls). Ausgehend davon, dass er nicht einmal den Betrag gekannt habe, den er hätte leisten müssen um von den Milizmitgliedern in Ruhe gelassen zu werden, war es aber nicht nachvollziehbar, dass er sich sofort gezwungen sah XXXX mit seiner Familie zu verlassen. Denn wäre er in Kenntnis eines Betrags gewesen und wäre die Zahlung für ihn machbar gewesen, wären die Bedrohung und ein plötzlicher Umzug damit obsolet geworden. Diese Folgerung drängte sich insbesondere deshalb auf, weil er stets betonte, dass die Miliz unter anderem deshalb bloß ihn und nicht etwa auch seine Geschwister zur Zahlung aufgefordert habe, weil er durch seine Erwerbstätigkeit mehr Geld gehabt habe als seine Brüder. Dass er angesichts einer sohin guten finanziellen Lage sogleich geflüchtet sei, ohne vorab zu klären, ob er die Miliz durch die Zahlung des geforderten Geldbetrages nicht zufriedenstellen kann, erwies sich daher als lebensfremd.

Auch seine Behauptung, dass seine Entführer bis heute nach ihm fragen würden und die letzten fünf Jahre etwa alle zwei bis drei Monate nach ihm gefragt hätten, erschien als realitätsfern, bedenkt man, dass er inzwischen seit beinahe sechs Jahren in Österreich ist. Auf den Vorhalt hin, ob den Entführern denn niemand gesagt habe, dass er schon seit 2015 im Ausland sei, replizierte er auch bloß, dass seine Schwester nichts gesagt habe, es jedoch sein könne, dass seine früheren Mitarbeiter die Milizmitglieder über seinen Auslandsaufenthalt informiert haben, was der Plausibilität der vermeintlichen Nachfragen über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren hinweg ebenso abträglich war.

Er behauptete vor dem BFA zudem, dass er von einem Mitglied der Gruppierung, die ihn entführt habe, in der Türkei über Facebook kontaktiert worden sei, wobei schon die belangte Behörde an der Plausibilität dieser Darstellung zweifelte, weil es nur sehr schwer vorstellbar sei, dass er sein Facebook-Profil mit seiner Adresse öffentlich sichtbar gelassen habe, wo er doch angeblich Angst vor weiteren Kontaktaufnahmen durch seine Entführer gehabt habe.

Auch die von ihm zum Beweis für die vermeintliche Entführung vorgelegten polizeilichen bzw. gerichtlichen Unterlagen vermochten an dieser Einschätzung nichts zu ändern, zumal diesen kein maßgeblicher Beweiswert zukam, bedenkt man, dass im Irak notorischer Weise jedwedes Dokument als Fälschung beschafft werden kann. Dies galt im Falle der von ihm vorgelegten Schriftstücke umso mehr, als es sich dabei lediglich um Fotokopien handschriftlich befüllter Schriftstücke handelt, welche folglich von jedem mit geringem Aufwand erstellt werden können. Auch eine Überprüfung der vorgelegten Ablichtungen von Schriftstücken auf deren Echtheit hin musste schon deshalb unterbleiben, weil eine Echtheitsprüfung von bloßen Ablichtungen per se unmöglich ist.

2.3.3. Insgesamt betrachtet fehlte sohin dem Vorbringen des BF zu den von ihm geäußerten Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen eine substantiierte Tatsachengrundlage. Eine individuelle Verfolgung vor der Ausreise oder die Gefahr einer solchen bei einer Rückkehr konnte er damit nicht glaubhaft darlegen.

2.4. Die Annahme, dass der BF bei einer Rückkehr auch insoweit keiner maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt wäre, als er etwa in wirtschaftlicher Hinsicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, stützt sich darauf, dass es sich bei ihm um einen arbeitsfähigen Mann mit beruflicher Erfahrung handelt. Abgesehen davon leben mehrere Verwandte des BF im Irak und verfügen dort über ein Haus. Dass er in seiner Heimat bei einer Rückkehr eine neue Lebensgrundlage findet, war im Lichte dessen als maßgeblich wahrscheinlich anzusehen.

2.6. Die vom BVwG getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak stützen sich auf die Seiten 251 bis 257 des Berichts von EASO zur Sicherheitslage im Irak vom Oktober 2020, die Länderinformationen zur Frage der innerstaatlichen Niederlassungsmöglichkeit von UNHCR vom Jänner 2021 und die Informationen der WHO zur aktuellen Covid-19 Lage im Irak. Die Länderfeststellungen stellen sich in den für die gg. Entscheidung wesentlichen Aspekten als ausreichend und tragfähig dar.

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war im Lichte dessen nicht dergestalt einzuschätzen, dass schon mit der bloßen Anwesenheit für jeden Zurückkehrenden das reale Risiko verbunden wäre, Opfer eines Terroranschlags oder sonstiger gewaltsamer Auseinandersetzungen zu werden. Daraus ergab sich außerdem, dass im Herkunftsstaat des BF aktuell kein landesweiter bewaffneter Konflikt ausgetragen wird, der eine gravierende Gefährdung indizieren würde.

In der Beschwerde fand sich kein entgegenstehendes substantielles Vorbringen. Auch in der mündlichen Verhandlung wurde den herangezogenen Länderinformationen, trotz eingeräumter Möglichkeit hierzu, nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 56/2018.

Mit dem BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) als Rechtsnachfolger des vormaligen Bundesasylamtes eingerichtet. Gemäß § 3 Abs. 1 BFA-VG obliegt dem BFA u.a. die Vollziehung des BFA-VG und des AsylG 2005 idgF.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheides des Bundesamtes.

Zu A)

1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht. Darüber hinaus darf keiner der in § 6 Abs. 1 AsylG genannten Ausschlussgründe vorliegen, andernfalls der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Im Hinblick auf die Neufassung des § 3 AsylG 2005 im Vergleich zu § 7 AsylG 1997 wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK gilt, nunmehr grundsätzlich auch auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 anzuwenden ist.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

1.2. Das erkennende Gericht kam auf der Grundlage seiner Beweiswürdigung und der darauf gestützten Feststellungen zum Ergebnis, dass der BF die von ihm behauptete Bedrohung durch die von ihm genannte Miliz nicht glaubhaft machen konnte.

Im Übrigen hätte er mit seinem Vorbringen auch bei einer Wahrunterstellung desselben keine Asylrelevanz aufzeigen können, da er die Ausreise lediglich mit einer Lösegelderpressung durch die genannte Gruppierung begründete, was jedoch eine von kriminellen Motiven getragene Straftat darstellt und keine Verfolgung aus Gründen der GFK.

1.3. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides war daher als unbegründet abzuweisen.

2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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