TE Bvwg Beschluss 2021/9/14 W235 2241846-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2021
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Entscheidungsdatum

14.09.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W235 2241837-1/7E

W235 2241839-1/8E

W235 2241844-1/7E

W235 2241842-1/7E

W235 2241846-1/7E

W235 2241841-1/7E

W235 2241840-1/7E

W235 2241848-1/7E

W235 2241845-1/10E

W235 2241847-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. mj. XXXX , geb. XXXX , 5. mj. XXXX , geb XXXX , 6. mj. XXXX , geb. XXXX , 7. mj. XXXX , geb. XXXX , 8. mj. XXXX , geb. XXXX , 9. mj. XXXX , geb. XXXX , und 10. mj. XXXX , geb. XXXX , 4. bis 10. gesetzlich vertreten durch: XXXX und XXXX , alle StA. staatenlos (palästinensische Autonomiegebiete), gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.03.2021, Zl. 1268827603-200888110 (ad 1.), Zl. 1268828001-200888152 (ad 2.), Zl. 1268828100-200888136 (ad 3.), Zl. 1268827908-200888098 (ad 4.), Zl. 1268828306-200888179 (ad 5.), Zl. 1268828807-200888217 (ad 6.), Zl. 1268828709-200888195 (ad 7.), Zl. 1268828600-200888209 (ad 8.), Zl. 1268828502-200888187 (ad 9.) und Zl. 1268828404-200888165 (ad 10.), beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet. Der im Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährige, zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt volljährige Drittbeschwerdeführers ist der Sohn des Erstbeschwerdeführers aus dessen erster Ehe. Der minderjährige Viertbeschwerdeführer, die minderjährigen Fünft- und Sechstbeschwerdeführerinnen, die minderjährigen Siebt- und Achtbeschwerdeführer, die minderjährige Neuntbeschwerdeführerin und der minderjährigen Zehntbeschwerdeführer sind die gemeinsamen Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin. Alle zehn Beschwerdeführer sind staatenlos und stammen aus den palästinensischen Autonomiegebieten. Nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für sich sowie als gesetzliche Vertreter für die Dritt- bis Zehntbeschwerdeführer gemeinsam mit den mitgereisten volljährigen Kindern des Erstbeschwerdeführers, XXXX und XXXX , am 19.09.2020 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Die durchgeführte Eurodac-Abfrage ergab, dass die Erst- bis Viertbeschwerdeführer am XXXX .01.2019 in Griechenland jeweils einen Asylantrag stellten.

1.2. Am Tag der Antragstellung wurden die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen.

Der Erstbeschwerdeführer gab zusammengefasst an, er habe vor ca. drei Jahren den Herkunftsstaat legal verlassen. Zunächst sei er nach Ägypten gereist, wo er sich vier Monate aufgehalten habe. In der Folge sei er sechs Monate in der Türkei gewesen und sei schließlich nach Griechenland weitergereist, wo er zwei Jahre gelebt habe. In Griechenland habe er auch Papiere erhalten. Es sei dort jedoch nicht gut gewesen, da er keine staatliche Unterstützung erhalten habe. Ferner sei sein Leben dort in Gefahr, da der Erstbeschwerdeführer dem Schlepper, welcher ihn und seine Familie von der Türkei nach Griechenland gebracht habe, noch Geld schulde. In Bezug auf die Sechst- bis Zehntbeschwerdeführer gab der Erstbeschwerdeführer an, dass diese seit ihrer Geburt in seiner Obhut seien und keine eigenen Fluchtgründe hätten.

Die Zweitbeschwerdeführerin bestätigte die Angaben des Erstbeschwerdeführers zu den Fluchtbewegungen und führte ergänzend zu den Gründen für die Ausreise aus Griechenland aus, dass die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin von anderen Flüchtlingen sexuell belästigt worden sei. Die Zweitbeschwerdeführerin habe dies den Behörden gemeldet, sei jedoch ignoriert worden.

Der im Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährige, im nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt volljährige Drittbeschwerdeführer brachte in seiner eigenen Erstbefragung im Wesentlichen vor, dass die Beschwerdeführer in Griechenland um Asyl angesucht und auch bekommen hätten. Sie hätten sich ca. zwei Jahre lang in Griechenland aufgehalten, seien jedoch nach der positiven Asylentscheidung weitergereist, da der Erstbeschwerdeführer bedroht worden sei und den Schleppern nicht die ganze Summe habe bezahlen können. Auch sonst seien sie in Griechenland eher schlecht behandelt worden. Sie hätten in Griechenland eine ID-Card bekommen, die jedoch verloren gegangen sei. Der Drittbeschwerdeführer glaube, es sei ein Aufenthaltstitel gewesen.

Der minderjährige Viertbeschwerdeführer gab im Zuge seiner Erstbefragung zu seinen Reisebewegungen an, vor ca. drei Jahren aus dem Herkunftsstaat ausgereist zu sein und sich in weiterer Folge drei Wochen in Ägypten und drei Wochen in der Türkei aufgehalten zu haben. Von dort aus habe er seine Reise nach Griechenland fortgesetzt, wo er ein Jahr gelebt habe und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Für einen unbekannten Zeitraum habe er sich in Malta aufgehalten und sei dann über ihm unbekannte Länder nach Österreich gereist. Zu den Lebensbedingungen in Griechenland brachte er vor, die Beschwerdeführer hätten in einem Zelt gelebt und seien nicht unterstützt worden. Die Schlepper hätten seinen Vater, den Erstbeschwerdeführer, ebenso wie andere Leute erpresst. Konkret habe man dem Erstbeschwerdeführer gedroht, man werde ihm die Kinder wegnehmen, sollte er nicht bezahlen. Im Flüchtlingslager sei nach ihnen gesucht worden. Die Beschwerdeführer seien allerdings rechtzeitig von syrischen Flüchtlingen gewarnt worden und hätten sich verstecken können. Die Syrer hätten dann gegenüber den Schleppern angegeben, dass die Beschwerdeführer bereits nach Athen gereist seien. Weiters merkte der minderjährige Viertbeschwerdeführer an, sie hätten zu wenig Geld gehabt, um die Schlepper zu bezahlen, da sie eine große Familie seien.

Die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin bestätigte im Wesentlichen die Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtbewegungen. Zum Aufenthalt in Griechenland führte sie zusammengefasst aus, es habe keine Lebensmittel und keine Hygiene gegeben. Ferner sei sie fast vergewaltigt worden. Ihr Bruder sei im Gesicht schwer verletzt worden.

Dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin wurden für sich sowie für die Dritt- bis Zehntbeschwerdeführer weiters am 19.09.2020 Mitteilungen gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ausgehändigt, mit welchen ihnen zur Kenntnis gebracht wurde, dass aufgrund von Konsultationen mit Griechenland die in § 28 Abs. 2 AsylG definierte 20-Tages-Frist für Verfahrenszulassungen nicht mehr gilt. Diese Mitteilung wurde dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin am selben Tag übergeben und von ihnen unterfertigt (vgl. AS 77 im Akt des Erstbeschwerdeführers bzw. AS 81 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin).

1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 23.09.2020 ein auf Art. 34 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (= Dublin III-VO) gestütztes Informationsersuchen an Griechenland.

Mit Schreiben vom 11.12.2020 gab die griechische Dublinbehörde bekannt, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin für sich und ihre acht minderjährigen Kinder am XXXX .01.2019 in Griechenland Asylanträge gestellt hätten und dem Erstbeschwerdeführer am XXXX .08.2019 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Zudem sei der Erstbeschwerdeführer in Besitz eines Aufenthaltstitels mit einer Gültigkeit von XXXX .08.2019 bis XXXX .08.2022 sowie eines speziellen Reisedokumentes (T.D.V) mit Gültigkeit von XXXX .06.2020 bis XXXX .06.2025.

Ferner gab die griechische Dublinbehörde mit Schreiben vom 25.01.2021 bekannt, dass der Zweitbeschwerdeführerin am XXXX .08.2019 der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Überdies sei sie in Besitz eines Aufenthaltstitels mit einer Gültigkeit von XXXX .08.2019 bis XXXX .08.2022 sowie eines speziellen Reisedokumentes (T.D.V) mit Gültigkeit von XXXX .05.2020 bis XXXX .05.2025.

1.4.1. Am 15.03.2021 fanden die Einvernahmen des Erstbeschwerdeführers sowie des Drittbeschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt.

Der Erstbeschwerdeführer führte zusammengefasst an, gesund zu sein und keine Medikamente zu benötigen. In Griechenland sei ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Für die Dauer von zwei Jahren habe der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie in Griechenland gelebt. Vor sechs Monaten seien sie von dort aus gemeinsam nach Österreich gereist. Die finanziellen Mittel für die Ausreise aus Griechenland habe er von zwei Freunden erhalten, welche in Deutschland bzw. in Belgien leben würden. Auch seine Mutter, welche im Gazastreifen wohne, habe sie unterstützt, indem sie ihr Gold verkauft habe. Zu seinem Aufenthalt in Griechenland brachte er vor, er habe mit seiner Familie im Camp XXXX auf der Insel XXXX gelebt. In Griechenland hätten der Erstbeschwerdeführer und seine Familie weder Essen noch Trinken oder sonstige Unterstützung erhalten. Ferner sei der Erstbeschwerdeführer von den Schleppern, welche ihn und seine Familie von der Türkei nach Griechenland gebracht hätten, bedroht worden. Die Schlepper hätten mehr Geld gefordert und gedroht, sie würden zwei der Kinder des Erstbeschwerdeführers töten, sollte er nicht bezahlen. Daraufhin habe der Erstbeschwerdeführer versucht Anzeige zu erstatten; seine Anzeige sei jedoch nicht aufgenommen worden. Ergänzend führte er zu den Lebensumständen in Griechenland aus, seine Familie habe in einem Caravan gelebt. Sie seien jedoch von der Polizei aus ihrem Caravan geworfen worden. Die zum damaligen Zeitpunkt schwangere Zweitbeschwerdeführerin und er seien gemeinsam zur Polizei gegangen. Dort habe man sie jedoch aufgefordert zu verschwinden. Die Erstbeschwerdeführerin habe dann im Krankenhaus das Kind (= Zehntbeschwerdeführer) auf die Welt gebracht. Das Kind sei jedoch erkrankt und sei in Österreich eine Woche stationär im Krankenhaus behandelt worden. Zu den weiteren Gründen für ihre Ausreise aus Griechenland brachte der Erstbeschwerdeführer vor, die minderjährige Neuntbeschwerdeführerin habe eine Lebensmittelvergiftung bekommen. Seine Kinder seien nicht zur Schule gegangen und es habe auch keine sonstige Unterstützung gegeben. Befragt, wie lange die Beschwerdeführer noch in Griechenland gelebt hätten nachdem der Erstbeschwerdeführer bedroht worden sei, führte er an, sie seien noch ca. ein Jahr in Griechenland gewesen. Insgesamt sei er dreimal am Handy bedroht worden und habe schließlich seine Nummer gewechselt. Im Camp seien auch Iraker ermordet worden. Die Schlepper hätten € 3.000,00 verlangt, woraufhin der Erstbeschwerdeführer ihnen gesagt habe, dass er nichts habe. In Griechenland habe der Erstbeschwerdeführer keine Probleme mit der Polizei oder mit staatlichen Stellen gehabt und sei auch kein Gerichtsverfahren gegen ihn anhängig gewesen. Auf Nachfrage, ob er in Griechenland Anzeige erstattet habe, führte der Erstbeschwerdeführer aus, die Polizei habe gesagt, er solle weiter nach Europa gehen. Nach seiner Ausreise seien Familien aus dem Camp von Deutschland sowie von Belgien aufgenommen worden. In Österreich sei seine Versorgung gesichert und würde ein Kind bereits in die Schule sowie ein weiteres Kind in den Kindergarten gehen. Der Erstbeschwerdeführer habe bisher keine Integrationsschritte gesetzt; er warte jedoch auf Kurse. Abgesehen von seiner Kernfamilie habe er in Österreich keine Verwandten. Angehörige in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union habe er ebenso wenig. Befragt, welche Fluchtgründe die minderjährigen Fünft- bis Zehntbeschwerdeführer hätten, gab der Erstbeschwerdeführer an, sie hätten dieselben Gründe wie er selbst. Sie seien gesund, würden allerdings von einem Psychologen betreut werden.

Der Drittbeschwerdeführer gab in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt zunächst zu Protokoll, dass er gesund sei. Zu seinem Familienstand führte er aus, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Zu den Lebensumständen in Griechenland brachte er vor, er habe mit seiner Familie nur sechs Monate im Caravan gelebt. Dann seien die Beschwerdeführer auf die Straße geworfen worden. Es habe keine Unterstützung gegeben und seiner Mutter (= Zweitbeschwerdeführerin) sei nicht geholfen worden, als der Zehntbeschwerdeführer geboren worden sei. Erst als sie fast verblutet sei, habe sie Hilfe erhalten. Der minderjährige Zehntbeschwerdeführer sei auch krank geworden und sei in Österreich medizinisch versorgt worden. Seine Schwester habe überdies eine Lebensmittelvergiftung bekommen. Dies seien alle Gründe für die Ausreise aus Griechenland. Befragt, ob er jemals persönlich bedroht worden sei, führte er an, sein Vater sei von den Schleppern über das Handy bedroht worden und habe dann die Nummer gewechselt. Sein Vater sei oft bedroht worden. Die Schlepper seien schon auf der Insel angekommen und hätten eine Person auf der Insel erhängt. Die gesamten zwei Jahre in Griechenland habe es Drohungen gegeben. Die Schlepper würden nicht wissen, dass die Beschwerdeführer nunmehr in Österreich leben würden. Ob jemand aus der Familie die Schlepper gesehen habe, wisse er nicht. Der Drittbeschwerdeführer selbst habe sie nicht gesehen. Der Erstbeschwerdeführer habe Anzeige erstattet, als die Familie nach Griechenland gekommen sei. Die Polizei habe ihn aber „rausgeschmissen“ und ihm gesagt, er solle dies mit den Schleppern klären.

1.4.2. Am 16.03.2021 erfolgten die Einvernahmen der Zweitbeschwerdeführerin sowie des minderjährigen Viertbeschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu Protokoll, sie sei gesund, konsultiere jedoch einen Psychologen. In Österreich habe sie einen Abort gehabt. Auf Nachfrage führte sie an, sie habe sieben Kinder. Betreffend den Aufenthalt in Griechenland brachte sie vor, keiner der Beschwerdeführer sei dort einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Sie hätten Griechenland am XXXX .09.2020 verlassen. Zu den Gründen für das Verlassen Griechenlands gab sie an, Schlepper hätten von ihnen Geld gefordert und hätten gedroht, sie würden zwei Köpfe ihrer Kinder holen, wenn sie nicht bezahlen würden. Die minderjährige Neuntbeschwerdeführerin sei überdies zwischen „Leben und Tod“ gewesen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe die Polizei angefleht, ihr zu helfen, woraufhin sie von der Polizei beleidigt und belächelt worden sei. Ferner habe die Polizei die Beschwerdeführer aus dem Caravan geschmissen, obwohl die Zweitbeschwerdeführerin schwanger gewesen sei. Daraufhin hätten sie im Wald in einem Zelt leben müssen. Sie hätten nichts zu essen gehabt. Die Kinder hätten Essensreste aus Mülleimern gesammelt. Bei der Geburt des Zehntbeschwerdeführers sei die Zweitbeschwerdeführerin fast verblutet und keiner habe ihr helfen wollen. Die Geburt sei ferner nicht anerkannt worden und sie habe weder Windeln noch Babynahrung erhalten. Weiters führte sie an, die Fünftbeschwerdeführerin sei sexuell belästigt worden. Ohne näheren Zusammenhang zu ihrem sonstigen Vorbringen gab sie überdies zu Protokoll, eine Person sei erhängt worden und eine andere Person sei geköpft worden. Auf Nachfrage gab die Zweitbeschwerdeführerin zur Bedrohung durch die Schlepper an, sie seien insgesamt ca. neun Monate bedroht worden. Die Drohungen hätten Monate nach ihrer Einreise in Griechenland begonnen. Der Erstbeschwerdeführer sei dreimal angerufen worden, wobei zwischen den Anrufen immer zwei Monate verstrichen seien. Der Erstbeschwerdeführer habe Anzeige erstatten wollen; die Anzeige sei jedoch nicht aufgenommen worden. Hinsichtlich der Belästigung der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin führte die Zweitbeschwerdeführerin an, die Fünftbeschwerdeführerin habe auf die Toilette gehen müssen, welche weiter von ihrem Zelt entfernt gewesen sei. Ein Junge, der sich dort aufgehalten habe, habe versucht, sie anzufassen. Die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin habe geschrien, der Junge habe jedoch versucht ihren Mund zuzuhalten. Der minderjährige Viertbeschwerdeführer habe sie dennoch gehört und habe versucht, sie zu retten. Er sei selbst verletzt worden, habe aber Schlimmeres verhindern können. Der Erstbeschwerdeführer wisse nichts davon und gehe es der Fünftbeschwerdeführerin wieder besser. Anzeige hätten sie nicht erstattet.

Der minderjährige Viertbeschwerdeführer gab vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, gesund zu sein. Zum Leben in Griechenland führte er aus, seine Familie und er seien nach sechs Monaten aus dem Caravan geschmissen worden. Sie hätten Holz sowie Decken gesammelt und hätten sich ein Zelt zum Schlafen gemacht. Es habe kein Essen und Trinken gegeben. Sie hätten aus dem Müll Essensreste genommen, welche die Zweitbeschwerdeführerin über offenem Feuer gekocht habe. Dies seien alle seine Gründe. Auf Nachfrage, ob er jemals persönlich bedroht worden sei, brachte er vor, Afghanen hätten ihn mit dem Messer in den Arm gestochen. Konkret führte er zu dem Vorfall aus, seine Schwester und er seien auf dem Rückweg zu ihrem Zelt gewesen. Dort seien zwei betrunkene Afghanen gewesen. Einer von ihnen habe seine Schwester anfassen wollen, der andere habe sie an den Haaren festgehalten. Der minderjährige Viertbeschwerdeführer habe seiner Schwester jedoch helfen können, bevor Schlimmeres passiert sei. Im Zuge dieses Vorfalls habe ihn einer der Burschen mit dem Messer gestochen. Auf Nachfrage führte der Viertbeschwerdeführer an, sie hätten sowohl der Zweitbeschwerdeführerin als auch dem Erstbeschwerdeführer von dem Vorfall erzählt.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich die Beschwerdeführer nach Griechenland zurückzubegeben hätten (Spruchpunkte I.). Unter den Spruchpunkten II. der jeweils angefochtenen Bescheide wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Letztlich wurde unter den Spruchpunkten III. die Anordnung der Außerlandesbringung der Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Griechenland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig ist.

Begründend wurde in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen festgestellt, dass der Erstbeschwerdeführer mit der Zweitbeschwerdeführerin und seinen Kindern, konkret dem im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen und im Entscheidungszeitpunkt volljährigen ledigen und kinderlosen Drittbeschwerdeführer, den minderjährigen Viert- bis Zehntbeschwerdeführern sowie seinen zwei mitgereisten volljährigen Kindern, unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei. Die Beschwerdeführer seien in Griechenland anerkannte Flüchtlinge. Sie würden an keinen schwerwiegenden psychischen oder physischen Erkrankungen leiden. Ferner bestehe für keinen der Beschwerdeführer im Fall einer COVID-19 Infektion ein erhöhtes Risiko, einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden. Die Beschwerdeführer seien arbeitsfähig. Es würden keine in der Person der Beschwerdeführer resultierende Umstände vorliegen, welche einer Ausweisung aus Österreich nach Griechenland entgegenstünden. Es habe überdies nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer in Griechenland systematischen Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen seien oder dort zu erwarten hätten. Eine Verfolgung durch Schlepper hätten die Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht. Im österreichischen Bundesgebiet hätten die Beschwerdeführer - abgesehen von der Kernfamilie - keine Angehörigen. Eine Integrationsverfestigung der Beschwerdeführer in Österreich bestehe nicht. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf in den angefochtenen Bescheiden Feststellungen zur Lage in Griechenland betreffend die Situation von Schutzberechtigten.

Beweiswürdigend wurde im Bescheid betreffend den Erstbeschwerdeführer zusammengefasst und verfahrenswesentlich ausgeführt, dass er im Verfahren nicht glaubhaft gemacht habe, dass für ihn in Griechenland die reale Gefahr, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, bestehe. Aus den aktuellen Länderinformationen ergebe sich, dass anerkannte Flüchtlinge Zugang zu ausreichender Versorgung hätten. Zudem bestehe die Möglichkeit, Unterstützung der zahlreichen Hilfsorganisationen in Anspruch zu nehmen. Hinsichtlich der behaupteten Verfolgung durch Schlepper wurde festgehalten, die diesbezüglichen Angaben des Erstbeschwerdeführers sowie seiner Familienmitglieder würden sich als vage sowie als widersprüchlich und daher als nicht glaubhaft erweisen. Zunächst sei nicht nachvollziehbar, dass die von den Beschwerdeführern als besonders grausam dargestellten Schlepper einerseits auf brutale Weise Flüchtlinge töten würden, während es andererseits den Beschwerdeführern möglich gewesen wäre, fast zwei Jahre ohne Erfüllung der von den Schleppern gestellten Forderungen unbehelligt in Griechenland leben zu können. Ferner würden sich die Angaben der Beschwerdeführer im Hinblick auf den Beginn sowie auf die Häufigkeit der Bedrohungen widersprechen. Der Erstbeschwerdeführer habe beispielsweise angeführt, die Drohungen hätten bereits mit Einreise in Griechenland begonnen, wobei er insgesamt dreimal angerufen worden sei. Demgegenüber habe die Zweitbeschwerdeführerin vorgebracht, die Drohungen hätten erst Monate nach ihrer Einreise begonnen und hätten über neun Monate angedauert. Der mitgereiste [volljährige] Sohn des Erstbeschwerdeführers habe wiederum angegeben, die Schlepper hätten sechs Monate nach der Einreise in Griechenland monatlich angerufen und den Erstbeschwerdeführer bedroht. Im Gegensatz dazu habe die mitgereiste [volljährige] Tochter des Erstbeschwerdeführers behauptet, bereits bei der Ankunft in Griechenland habe es Drohungen gegeben. In einer Gesamtschau sei das Vorbringen sohin nicht glaubhaft und bestünden keine Überstellungshindernisse.

In den Verfahren des volljährigen Sohnes und der volljährigen Tochter des Erstbeschwerdeführers wurden inhaltlich gleichlautende Bescheide erlassen.

3. Gegen die oben angeführten Bescheide erhoben die Beschwerdeführer im Wege ihrer Vertretung am 22.04.2021 Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mangelhafter Beweiswürdigung und Verletzung von Verfahrensvorschriften. Begründend wurde nach Darstellung des Sachverhalts im Wesentlichen ausgeführt, dass die Länderfeststellungen zur Situation in Griechenland unvollständig seien und nicht dem aktuellsten Stand entsprechen würden. Zudem werde in den Bescheiden die COVID-19 Situation in Afghanistan erörtert, was verdeutliche, dass sich die belangte Behörde nicht mit der konkreten Situation der Beschwerdeführer befasst habe. Darüber hinaus habe die belangte Behörde die herangezogenen Länderberichte selektiv und unausgewogen ausgewertet, da doch darin unter anderem ausgeführt werde, dass die Lebensbedingungen für Menschen mit internationalem Schutzstatus in Griechenland alarmierend seien und Schutzberechtigte sich oft nicht nur mit fehlenden Möglichkeiten zur Integration in die griechische Gesellschaft konfrontiert sehen würden, sondern auch mit unzulänglichen Lebensumständen und humanitären Standards sowie einer äußerst prekären sozioökonomischen Situation. Oft würden sie um ihr bloßes Überleben kämpfen. In der Praxis bestehe noch immer kein gesicherter Zugang zu Unterbringung, Arbeitsmarkt, Lebensmittelversorgung, medizinischer Versorgung und psychologischer Behandlung. In der Folge wurden weitere Berichte zur Situation von Schutzberechtigten in Griechenland auszugsweise zitiert. Ergänzend wurde ausgeführt, dass aus den Länderberichten hervorgehe, dass die Beschwerdeführer in Griechenland keine finanzielle Unterstützung erhalten würden und ihnen keine Unterkunft zur Verfügung stehe. In der Folge wurde – ohne näheren Bezug zum konkreten Fall – Stellung zur Situation einer alleinerziehenden Mutter mit Kleinkind bezogen. Schließlich wurde moniert, dass sich die Behörde nur mangelhaft mit dem Kindeswohl der Dritt- bis Neuntbeschwerdeführer auseinandergesetzt habe. Ferner sei die Feststellung unrichtig, wonach die Fünftbeschwerdeführerin und der Achtbeschwerdeführer an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leiden würden. In rechtlicher Hinsicht wurde insbesondere festgehalten, dass den Beschwerdeführern in Griechenland eine Verletzung ihrer in Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC gewährleisteten Rechte drohe.

Der Beschwerde wurden unter anderem folgende Unterlagen (in Kopie) beigelegt:

?        Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX .01.2021, wonach der Zehntbeschwerdeführer an Campylobacter erkrankt sei, und

?        ein in Griechisch verfasstes Schreiben betreffend die Neuntbeschwerdeführerin (ohne Übersetzung).

4. Mit Schriftsatz vom 18.05.2021 wurden überdies folgenden Unterlagen (in Kopie) vorgelegt:

?        fachliche Äußerung eines Beratungs- und Therapiezentrums vom XXXX .05.2021 betreffend die Zweitbeschwerdeführerin, wonach sie ein Psychotherapieangebot in Anspruch nimmt, da bei ihr die Diagnose „Belastungsstörung Angst und Depression“ (F41.2.) gestellt wurde;

?        fachliche Äußerung eines Beratungs- und Therapiezentrums vom XXXX .05.2021 betreffend den Viertbeschwerdeführer, wonach er an Psychotherapiesitzungen teilnimmt und der Verdacht besteht, dass bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1.) vorliegt;

?        fachliche Äußerung eines Beratungs- und Therapiezentrums vom XXXX .05.2021 betreffend die Fünft- und die Sechstbeschwerdeführerinnen, wonach sie an Psychotherapiesitzungen teilnehmen und der Verdacht besteht, dass bei ihnen eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1.) vorliegt sowie, dass im Fall ihrer Rückkehr nach Griechenland die Wahrscheinlichkeit einer Retraumatisierung mit stärker ausgeprägten psychischen und physischen Langzeitfolgen sehr hoch einzuschätzen ist und

?        fachliche Äußerung eines Beratungs- und Therapiezentrums vom XXXX .05.2021 betreffend den Siebtbeschwerdeführer, wonach er an Psychotherapiesitzungen teilnimmt, bei ihm der Verdacht besteht, dass er an einer Störung des Sozialverhaltens und der emotionalen Regulation (F92.9) leidet, und eine Rückkehr nach Griechenland eine Retraumatisierung zur Folge hätte

5. Das Bundesverwaltungsgericht holte amtswegig eine Übersetzung des der Beschwerde beigelegten und in griechischer Sprache verfassten Schreibens ein. Aus der am 27.05.2021 eingelangten Übersetzung geht zusammengefasst hervor, dass die Neuntbeschwerdeführerin von XXXX .05.2019 bis XXXX .05.2019 im Allgemeinen Krankenhaus von XXXX stationär behandelt wurde.

6. Mit Beschluss vom 16.06.2021 erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde vom 22.04.2021 gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl. I 2012/87 idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt.

Zu A)

1.1. Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

1.2. Gemäß § 4a AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

Das Bundesamt hat gemäß § 58 Abs. 1 Z 1 AsylG die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1.       wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechts-kräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.       zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitender Prostitutionshandel oder

3.       wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG.

Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat gemäß Abs. 2 leg. cit. zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben, wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind.

Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird (§ 61 Abs. 4 FPG).

2.1. In den gegenständlichen Verfahren ist unstrittig, dass die Beschwerdeführer in Griechenland asylberechtigt sind und sohin im Mitgliedstaat Griechenland Schutz vor Verfolgung gefunden haben. Allerdings sind die gegenständlichen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf der Basis eines mangelhaften Verfahrens ergangen, weshalb eine Behebung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zu erfolgen hat.

2.2. Zusammengefasst brachten die Beschwerdeführer vor, sie hätten Griechenland verlassen, da sie nicht in der Lage gewesen seien, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung und Unterkunft befriedigen zu können. Weiters führten sie aus, die Familie habe Schleppern Geld geschuldet, weshalb diese dem Erstbeschwerdeführer gedroht hätten, zwei seiner Kinder zu töten, sollte er nicht in der Lage sein, die Schulden zu begleichen. Die Familie habe sich an die Polizei gewandt, diese habe ihr allerdings jeglichen Schutz verweigert. Ergänzend wurde ein Vorfall geschildert, bei welchem die Fünftbeschwerdeführerin sexuell belästigt worden sei.

Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist im gegenständlichen Fall nicht entgegenzutreten, wenn es zu dem Ergebnis kommt, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer zu ihrer Verfolgung durch einen Schlepper bzw. eine Schlepperbande widersprüchlich und daher nicht glaubhaft ist. Beispielsweise führte der Erstbeschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt an, er sei insgesamt dreimal im Rahmen von Telefongesprächen bedroht worden und habe daraufhin seine Telefonnummer gewechselt. Nach der letzten Bedrohung habe die Familie noch insgesamt ein Jahr in Griechenland gelebt (vgl. AS 158 im Akt des Erstbeschwerdeführers). Der Drittbeschwerdeführer gab demgegenüber vor dem Bundesamt zu Protokoll, es sei während des gesamten Aufenthalts in Griechenland – sohin innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren - zu Bedrohungen gekommen (vgl. AS 130 im Akt des Drittbeschwerdeführers). Hinzuweisen ist ferner darauf, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin – abgesehen von den behaupteten Bedrohungen am Telefon – keine weiteren Vorfälle schilderten. Der minderjährige Viertbeschwerdeführer führte hingegen im Rahmen seiner Erstbefragung an, die Schlepper seien in das Flüchtlingslager gekommen, um nach den Beschwerdeführern zu suchen. Eine syrische Familie habe ihnen jedoch geholfen, indem sie die Beschwerdeführer zunächst gewarnt und den Schleppern in weiterer Folge erklärt habe, die Beschwerdeführer seien bereits nach Athen gereist (vgl. AS 65 im Akt des minderjährigen Viertbeschwerdeführers). Angesichts der gravierenden Widersprüche kommt dem Vorbringen der Beschwerdeführer zur Verfolgung durch die Schlepper keine Glaubhaftigkeit zu.

Weiters ist festzuhalten, dass auch das Vorbringen, wonach die minderjährig Fünftbeschwerdeführerin sexuellen Belästigungen ausgesetzt gewesen sei, gravierende Ungereimtheiten aufweist. Die Zweitbeschwerdeführerin schilderte, dass ein Junge versucht habe, die Fünftbeschwerdeführerin anzufassen. Als sie versucht habe zu schreien, habe der Junge ihr den Mund zugehalten. Der minderjährige Viertbeschwerdeführer, habe versucht sie zu retten und sei dabei verletzt worden (vgl. AS 137 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin). Im Gegensatz dazu sprach der minderjährige Viertbeschwerdeführer im Rahmen seiner Befragung jedoch nicht von einem, sondern von zwei Männern, welche die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin attackiert hätten. Konkret schilderte er, dass einer der Männer sie festgehalten und der andere Mann sie berühren habe wollen (vgl. AS 131 im Akt des minderjährigen Viertbeschwerdeführers). Unschlüssig ist weiters, dass die Zweitbeschwerdeführerin anführte, der Erstbeschwerdeführer wisse nichts von diesem Vorfall (vgl. AS 137 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin), während der minderjährige Viertbeschwerdeführer angab, die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin und er hätten sowohl der Zweitbeschwerdeführerin als auch dem Erstbeschwerdeführer von dem Vorfall erzählt (vgl. AS 131 im Akt des minderjährigen Viertbeschwerdeführers). Insgesamt sind die Angaben der Beschwerdeführer zu diesem Ereignis sohin nicht glaubhaft.

Insoweit die Zweitbeschwerdeführerin vorbrachte, die Polizei habe ihr jegliche Hilfe verweigert, als die minderjährige Neuntbeschwerdeführerin lebensbedrohlich erkrankt sei, ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass aus der Übersetzung des der Beschwerde beigelegten Schreibens des Allgemeinen Krankenhauses von XXXX hervorgeht, dass die minderjährige Neuntbeschwerdeführerin von XXXX .05.2019 bis XXXX .05.2019 in diesem Krankenhaus stationär behandelt und ihre Erkrankung geheilt wurde. Sohin ist auch dieser Teil des Vorbringens nicht als glaubhaft zu werten.

Die widersprüchlichen und unschlüssigen Angaben der Beschwerdeführer lassen nur den Schluss zu, dass sie ihre Situation in Griechenland offensichtlich dramatischer dargestellt haben, als sie tatsächlich war.

Dies vermag jedoch nichts an dem Umstand zu ändern, dass die Situation von Schutzberechtigten in Griechenland in den vom Bundesamt den gegenständlichen Bescheiden zugrunde gelegten Länderberichten wie folgt beschrieben wird:

„Schutzberechtigte sehen sich nicht nur mit fehlenden Möglichkeiten zur Integration in die griechische Gesellschaft konfrontiert, sondern auch oft mit unzulänglichen Lebensumständen und humanitären Standards, einer äußerst prekären sozioökonomischen Situation und kämpfen oft um ihr bloßes Überleben. Es bestehen weiterhin flächendeckende Defizite bezogen auf die Aufnahme, Versorgung und Integration von Schutzberechtigten. In der Praxis besteht für Flüchtlinge immer noch kein gesicherter Zugang zu Unterbringung, Lebensmittel-versorgung, medizinischer und psychologischer Behandlung oder zum Arbeitsmarkt. Auf dem Festland sind Fälle bekannt, in denen anerkannte Flüchtlinge inoffiziell für einige Monate weiter in den Unterbringungszentren bleiben durften und Bargeld erhielten wie Asylbewerber. Jedoch wurden für sie keine weiteren Integrationsmaßnahmen ergriffen. Sie erhielten keinen Zugang zu entsprechenden Informationen oder Unterstützung bei der Integration (Pro Asyl/RSA 8.2018). Besondere staatliche Hilfsangebote für anerkannte Schutzberechtigte neben dem allgemeinen staatlichen Sozialsystem bestehen nicht. […]

Gemäß Gesetz haben Flüchtlinge in Griechenland dieselben sozialen Rechte wie griechische Staatsbürger, aber bürokratische Hürden, staatliche Handlungsdefizite, mangelnde Umsetzung des Gesetzes und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise können den Genuss dieser Rechte schmälern (AIDA 3.2019; vgl. Pro Asyl/RSA 30.8.2018; UNHCR 4.2019). Das neue System der sozialen Grundsicherung vom Februar 2017 befindet sich noch im Aufbau und wird schrittweise eingeführt. Es sieht Geldleistungen (erste Säule) sowie Sachleistungen (zweite Säule) und Arbeitsvermittlung (dritte Säule) vor. Eine etablierte Verwaltungspraxis besteht bislang nicht. Allerdings wurde der Zugang im Rahmen einer Gesetzesänderung im Juni 2018 für jene Personen eingeschränkt, die in EU-finanzierten Aufnahmelagern und Apartments wohnen. Die überwiegende Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten bezieht bisher keine soziale Grundsicherung (AA 6.12.2018). Voraussetzung für den Leistungsbezug allgemeiner Sozialhilfe ist das Einreichen verschiedener Dokumente (Aufenthaltserlaubnis, Sozialversicherungsnummer, Bankverbindung, Steuererklärung über das Online-Portal Taxis-Net), wobei der Nachweis des dauerhaften einjährigen Mindestaufenthalts im Inland durch die inländische Steuererklärung des Vorjahres nachzuweisen ist. Dabei sind Unterlagen grundsätzlich online und in griechischer Sprache einzureichen, staatlicherseits werden keine Dolmetscher gestellt (AA 7.2.2018). Bei der Beschaffung der genannten Dokumente stoßen jedoch die Betroffenen in der Praxis auf zahlreiche Schwierigkeiten (Pro Asyl/RSA 30.8.2018; vgl. UNHCR 4.2019). […]

Anerkannte Schutzberechtigte haben seit 2013 Zugang zu Unterbringung unter den gleichen Bedingungen wie Drittstaatsangehörige, die sich legal in Griechenland aufhalten. Eine staatliche Sozialleistung zur Wohnungsunterstützung besteht derzeit auch für die griechische Bevölkerung noch nicht (AA 26.9.2018a; vgl. AIDA 3.2019). In der Praxis wird Schutz-berechtigten, die als Asylwerber in einem Flüchtlingslager oder in einer Wohnung des UNHCR-Unterbringungsprogramms (ESTIA) untergebracht waren, gestattet, nach ihrer Anerkennung für weitere 6 Monate in der gleichen Unterkunft zu bleiben (Pro Asyl/RSA 8.2018). Wohnraum wäre grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmarkt zu beschaffen (AA 6.12.2018). Das private Anmieten von Wohnraum für bzw. durch anerkannte Schutzberechtigte wird durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten, sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert (AA 26.9.2018a). Personen, die keine Unterkunft haben und nicht das Geld besitzen, eine zu mieten, leben oft in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern ohne Zugang zu Strom oder Wasser oder werden obdachlos (AIDA 3.2019; Pro Asyl/RSA 8.2018). Schutzberechtigte haben Zugang zu Unterbringungseinrichtungen für Obdachlose, die jedoch nur begrenzt vorhanden sind. Eigene Unterbringungsplätze für anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte existieren nicht. […]

Einige NGOs bieten punktuell Wohnraum an. Hierzu gehören z.B. Caritas Hellas, Orange House und PRAKSIS. Insbesondere Caritas Hellas unterhält einen sogenannten „Social Spot" in Athen. […] Die Zahl der Unterkünfte in Athen ist insgesamt nicht ausreichend.“

Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage hätte sich das Bundesamt – unabhängig vom Vorbringen der Beschwerdeführer zu den behaupteten, angeblich gezielt gegen sie gerichteten Verfolgungshandlungen – mit der Frage näher auseinandersetzen müssen, ob die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Griechenland eine reale Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung zu gewärtigen hätten.

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Viert- bis Zehntbeschwerdeführer bereits aufgrund ihrer Minderjährigkeit nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt eigenständig aufzukommen, hätte es weiterer Ermittlungen bedurft, ob und wieweit der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführer sowie der im Entscheidungszeitpunkt ebenso volljährige Drittbeschwerdeführer in der Lage sind, für sich sowie für die minderjährigen Viert- bis Zehntbeschwerdeführer lebensnotwendige Bedürfnisse, wie den Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen, befriedigen zu können, sei es durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sei es durch die Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung (vgl. dazu insbesondere auch VfGH vom 25.06.2021, E 599/2021).

2.2.1. In den vorliegenden Fällen der Beschwerdeführer ist sohin die Frage zu klären, ob die Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Griechenland in eine existenzielle Notlage geraten könnten. Es handelt sich sohin um die Klärung der Frage, ob eine Überstellung der Beschwerdeführer nach Griechenland aufgrund der besonderen Umstände einen ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführer – insbesondere die reale Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte – mit sich brächte.

2.2.2. Daher wird im fortgesetzten Verfahren in Bezug auf Art. 3 EMRK näher zu prüfen sein, ob unter der Berücksichtigung, dass es sich bei den Beschwerdeführern – einem Ehepaar mit einem im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen und im Entscheidungszeitpunkt volljährigen Sohn sowie sieben minderjährigen Kindern – um besonders schutzbedürftige Personen bzw. eine besonderes vulnerable Personengruppe handelt, für diese bei einer Rückkehr nach Griechenland eine grundlegende Existenzsicherung gegeben ist, insbesondere auch, ob diese die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer geeigneten Unterkunft dort haben. Hierzu werden aktuelle Länderfeststellungen zu Griechenland, auch unter Berücksichtigung der aktuellen COVID-19 Pandemie, zu treffen sein. Die Behörde wird überdies die im Beschwerdeverfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen zu berücksichtigen haben. Der Vollständigkeit halber ist in Bezug auf die Viert- bis Zehntbeschwerdeführer darauf zu verweisen, dass im fortgesetzten Verfahren auch die Rechtsvorschriften zum Wohl des Kindes zu beachten sind.

Die Ermittlungsergebnisse des Bundesamtes sind den Beschwerdeführern zur Kenntnis zu bringen und ist ihnen hierzu Parteiengehör zu gewähren bzw. ist erforderlichenfalls eine Einvernahme durchzuführen.

3. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

In den gegenständlichen Fällen konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der Beschwerde stattzugeben und die bekämpften Bescheide zu beheben sind. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

4. Da sich eine Entscheidung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG (wie die vorliegende) nicht als eine solche darstellt, die als Entscheidung in der Sache den dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Gegenstand erledigt, hat sie gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG in Form eines (das Beschwerdeverfahren beendenden und nicht bloß verfahrensleitenden) Beschluss zu ergehen (vgl. z.B. VwGH vom 05.10.2016, Ra 2016/19/0208-8).

5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

In den vorliegenden Fällen ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Kern der getroffenen zurückverweisenden Entscheidung ist die mangelhafte Ermittlung von relevanten Sachverhaltselementen im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens und die Einräumung eines Parteiengehörs entsprechend den insofern eindeutigen Verfahrensvorschriften durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie die daran anknüpfende Konsequenz des § 21 BFA-VG. Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage sind sohin nicht zu erblicken.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht existenzbedrohende Notlage Familienverfahren individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W235.2241846.1.00

Im RIS seit

17.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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