TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/20 W240 2157774-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.09.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.09.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W240 2157774-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2017, Zl. 1080670707-150975802, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.09.2021 zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan erteilt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres erteilt.

IV.      In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkt III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 01.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

In seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass Krieg wäre und er keine Arbeit habe. Außerdem würde der BF um sein Leben fürchten und seine Familie wäre bedroht worden. Weiteres hätte er keinen Fluchtgrund. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan habe der BF Angst um sein Leben da Krieg herrschen würde.

2. Am 27.09.2015 fand eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) statt. In dieser gab der BF insbesondere an, er sei sunnitischer Tadschike, sei in der Provinz Balkh, Stadt Mazar-e Sharif, geboren und dort habe er bis zur Ausreise gelebt. Er habe die Grundschule von 1998 bis 2009 in Mazar-e Sharif besucht, ab 2009 bis 2012 Computerwissenschaften auf der Universität Aria studiert sowie ab 2013 bis 2015 persische Literatur auf der staatlicher Universität Balkh. Er habe in einem Fotogeschäft gearbeitet als Computerfachmann in Mazar-e Sharif, er habe Dokumente ausgedruckt und andere Tätigkeiten im Geschäft verrichtet in den letzten drei Jahren vor der Ausreise. Die Familie des BF lebe seit 2015 im Iran. Die Familie des BF habe Afghanistan verlassen müssen, weil auch die Familie in Afghanistan Probleme gehabt habe.

Der BF führte zu den Fluchtgründen befragt wie folgt aus:

„(…)

A: 3 Monate vor meiner Ausreise habe ich einen neuen Kunden kennen gelernt. Eines Tages hat der Kunde für mich einige staatliche Stempel mit einigen leeren Papieren und ein paar andere Dokumente mitgebracht, dass ich diese für ihn fälschen soll. Ich habe ihm gesagt, dass ich so etwas nicht mache. Er hat mir auch dafür viel Geld angeboten, aber ich habe „Nein“ gesagt. Dann hat er mir 10 Tage Bedenkzeit gegeben und hat gesagt, ob ich das selber mache oder jemand anders, das sei ihm egal. Dann sind diese Papiere bei mir liegen geblieben, dann hat er mich angerufen und gefragt ob ich alles erledigt habe. Und ich habe ihm gesagt, dass ich niemanden gefunden habe wo das macht und ich es auch nicht gemacht habe. Dann hat er mich telefonisch beschimpft und bedroht. Dann hat er mir noch weitere 5 Tage Zeit gegeben und mich bedroht, wenn ich das nicht mache, wird er mir etwas antun. Ich habe die ganze Sache nicht sehr ernst genommen, weil ich solche Sachen schon von anderen Personen mitbekommen habe. Er hat mich noch einmal kontaktiert und ich habe ihm gesagt, dass ich diese Papiere verloren habe. Ich wollte, dass er mich nicht mehr anruft. Er hat mich noch einmal angerufen und bedroht. Und er hat mich bedroht, dass er mit mir auf eine andere Art und Weise sprechen wird. 2 Tage später habe ich den ersten Drohbrief erhalten. Im ersten Brief stand, dass eine Person von den Taliban zu mir kommt und ich solle mit ihm zusammen arbeiten. Dann habe ich erst die ganze Sache ernst genommen. Dann habe ich erst verstanden, dass diese Person ein Taliban war. Ich habe dann das Geschäft für 1 Woche geschlossen. Dann bin ich Zuhause geblieben und bin nur zur Universität gegangen. Dann 1 Woche bis 10 Tage später habe ich den zweiten Brief erhalten und da stand drinnen, dass die Taliban von meinem Vater wollten, dass er mich zu den Taliban schickt und ich mit den Taliban zusammen arbeiten soll. Als wir den zweiten Brief erhalten haben, hat mein Vater diese Anzeige bei der Polizei erstattet. Nach dieser Anzeige haben die Taliban erfahren, dass er eine Anzeige gemacht hat. Eines Abends habe ich bemerkt, dass mich jemand von der Uni bis Nachhause verfolgt hat. Als ich dieses Auto bemerkt habe, bin ich zu einem bekannten Geschäft gegangen und habe die anderen Leute darauf aufmerksam gemacht. Das Auto ist umgedreht und dann habe ich mit der Hilfe der anderen Leute die in der Umgebung waren, bin ich Nachhause gegangen, diese haben mich begleitet. Ich habe mit meinem Vater darüber gesprochen und am selben Abend hat er die Ausreise organisiert. Mein Vater hat einen Schlepper gefunden und er hat das Visum erledigt und die anderen Dinge. Nachher wurden auch meine Familie von den Taliban ständig gestört und belästigt. Meine Familie hatte Angst, dass eventuell meinen anderen Geschwistern etwas passieren könnte und darum haben sie auch nach mir Afghanistan verlassen.

(…)“

3. Mit Bescheid vom 04.05.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 01.08.2015 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Dem BF wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen nach ausführlicher Darlegungen der Widersprüche und Unplausibilitäten in den Angaben des BF ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen des BF nicht glaubhaft sei. Die Voraussetzungen des § 57 AsylG lägen nicht vor und der BF verfüge in Österreich auch über keinerlei schützenswertes Familienleben iSd Art. 8 EMRK. Der BF habe sich zwar um Integration bemüht und auch private Kontakte im Bundesgebiet geknüpft, insgesamt würden jedoch die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt,

5. Am 08.09.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und Farsi eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, in welcher der BF, vertreten durch seine ausgewiesene Vertreterin, zu seinen persönlichen Lebensumständen sowie zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.

Der BF legte Bestätigungen über seine Arbeitstätigkeit samt Lohn- und Gehaltsabrechnung, Zeugnis zur Integrationsprüfung Niveau B1, Führerscheinkurs und Erste-Hilfe-Kurs, mehrere Empfehlungsschreiben samt Zusage einer Arbeitsstelle in einem österreichischen Restaurant vom 04.09.2021 vor.

Gemeinsam mit der Ladung und in der Verhandlung wurden folgende herkunftsstaatsbezogenen Berichte zur Beurteilung der politischen und menschenrechtlichen Situation im Herkunftsstaat ins Verfahren eingebracht:

•        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 11.06.2021 mit Kurzinformation vom 20.08.2021

•        UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan aus 30.08.2018

•        UNHCR Afghanistan Situation Emergency Update, 20.08.2021 und vom 01.09.2021

•        UNHCR Afghanistan Situation - Supplementary Appeal, July - December 2021 (08/2021)

•        EASO: Guidance note and common analysis zu Afghanistan vom Juni 2018 und Juni 2019

Die Vertreterin des BF führte nach Einvernahme des BF in der Verhandlung aus, es werde abgesehen vom Fluchtvorbringen des BF darauf verwiesen, dass die Taliban ganz Afghanistan eingenommen haben und im Moment an der Macht sind. Die Sicherheitslage ist instabil und unsicher und wurde auf die UNHCR Position zur Rückkehr nach Afghanistan von August 2021 verwiesen, in welchem empfohlen wird, dass Abschiebungen zu stoppen sind und Personen nicht nach Afghanistan abzuschieben sind, da man nicht wisse, was mit ihnen passieren würde, weil die Taliban sich momentan nicht an ihr Wort halten und es immer wieder zu Tötungen von Personen kommt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den im Spruch ersichtlichen Namen und wurde am XXXX in Afghanistan, in Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitisch-muslimischen Religionsgemeinschaft an. Seine Muttersprache ist Dari. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF hat bis zu seiner Ausreise nach Europa im gemeinsamen Haushalt mit seiner Kernfamilie (Eltern und sechs Geschwister) in Afghanistan, in Mazar-e Sharif gelebt. Nach seiner Ausreise nach Österreich haben auch seine Eltern und seine sechs Geschwister Afghanistan verlassen, sie leben seither im Iran. Er steht zu keiner Person in Afghanistan in Kontakt.

Der BF hat zwölf Schulstufen in Afghanistan besucht, zwei Jahre lang Computerwissenschaften an einer Universität studiert, danach zwei Jahre lang Literaturwissenschaften, jedoch nicht abgeschlossen, da er ausgereist ist. In Afghanistan hat der BF ein Geschäft besessen, es war ein Kopierladen und er hat Fotos bearbeitet in seinem Geschäft.

In Afghanistan verfügt weder der BF noch seine Familie über Unterkünfte oder Eigentum.

Der BF ist arbeitsfähig und gesund.

1.2. Zum (Privat-)Leben des BF in Österreich:

Der BF reiste im August 2015 nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither hält sich der BF durchgehend in Österreich auf.

Der BF hat keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet oder einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union.

Der BF bezieht in Österreich keine Leistungen aus der Grundversorgung

Er hat eine Deutschprüfung im Niveau B1 erfolgreich absolviert.

2019 hat der BF in Österreich angefangen zu arbeiten in einem Restaurant, in dem er auch aktuell tätig ist als Koch. Da der Chef des Lokals nicht regelmäßig anwesend ist, wurde dem BF die Verantwortung für die Leitung des Lokals übertragen.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des BF:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsland aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung in seinem Herkunftsstaat Afghanistan verfolgt wird.

Das vom BF dargelegte Fluchtvorbringen betreffend die Gefahr, von den Taliban verfolgt und getötet zu werden, ist nicht glaubhaft.

Es konnte darüber hinaus auch nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund seiner Angehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken sowie zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt wäre.

Ebensowenig konnte festgestellt werden, dass der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich über längere Zeit in Europa aufgehalten hat und nunmehr "westlich" orientiert ist (bzw. jeder derartige "Rückkehrer") in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, wurde in Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh geboren und ist dort aufgewachsen, bis er mit 25 Jahren ausreiste um nach Österreich zu gelangen. Der BF ist mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sowie mit den örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Afghanistan vertraut, er spricht die Landessprachen und verfügt über eine Schulbildung im Herkunftsstaat. Er hat in Afghanistan keinerlei familiäres oder sonstiges soziales Unterstützungsnetzwerk.

Der BF ist gesund und im erwerbsfähigen Alter, hat keinerlei Sorgepflichten. Er ist in Österreich als Koch in der Gastronomie tätig.

Bei einer Rückkehr des BF in seine Herkunftsregion Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh liefe er aufgrund der dort herrschenden volatilen Sicherheitslage Gefahr, in seiner körperlichen Integrität verletzt zu werden.

Der BF kann auch nicht in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile, wie insbesondere die Städte Kabul oder Herat verwiesen werden.

Der BF liefe im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Jedenfalls wäre es ihm aber nicht möglich, im Fall einer Rückkehr Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen.

1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

1.5.1.  Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan (Stand 11.06.2021 samt Passagen aus den aktuellen ins Verfahren eingebrachten Länderberichten zur aktuellen entscheidungsrelevanten Situation in Afghanistan):

Kurzinformation der Staatendokumentation [des BFA] vom 20.08.2021 zu aktuellen Entwicklungen und Informationen in Afghanistan (Schreibfehler teilweise korrigiert):

„Aktuelle Lage

Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a). Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a).

Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.08.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b).

Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c).

Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach „Kollaborateuren“. In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens zwölf Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d). Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.08.2021).

Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es, die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (£ Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SR- Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17.09.2021 (VN 18.08.2021).

Exkurs:

Die Anführer der Taliban

Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen Taliban-Führer auch nach außen auf.

Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu‘minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des Scharia-Gerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird. Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die Taliban-Einsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht.

Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban-Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an.

Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (orf.at o.D.b; vgl. bbc.com o.D.c).

Stärke der Taliban-Kampftruppen

Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (orf.at o.D.b). [...]“

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 10.06.2021

Administrative Einheiten (Distrikte und Provinzen von Afghanistan):

NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf

Angaben zur Anzahl der Distrikte, den Distriktgrenzen und der administrativen Zugehörigkeit der Distrikte variieren mitunter. 2020 veröffentlichte die afghanische National Statistics and Information Authority (NSIA) eine Publikation mit der Anzahl der Distrikte (insg. 388). Da es sich hierbei mit Stand Juni 2020 um die aktuellste und umfassendste Publikation zur Anzahl und Einordnung der Distrikte in ganz Afghanistan handelt, stützt sich die Darstellung der Sicherheitslage in den Provinzen auf diese Einteilung. Sogenannte "temporäre" Distrikte werden eigens ausgewiesen, ebenso wie kürzlich erfolgte Änderungen der Distrikt- oder Provinzgrenzen (NSIA 1.6.2020).

Die Transkription afghanischer Eigennamen erfolgt im Allgemeinen nicht nach universell angewandten Regeln. Im Folgenden wurde im Sinne einer Einheitlichkeit weitgehend die Schreibweise der NSIA übernommen. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass Variationen möglich und üblich sind.

Sicherheitsrelevante Vorfälle:

ACLED – Armed Conflict Location and Event Data (o.D.): ACLED Data http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 26.2.2021

ACLED erfasst sicherheitsrelevante Vorfälle und Todesopfer mittels Medienbeobachtung, d.h. es werden online verfügbare Nachrichtenberichte über sicherheitsrelevante Vorfälle gesammelt und die relevanten Ereignisse anhand eines vorgegebenen Codierschemas in den Vorfallsdatensatz aufgenommen (ACLED 3.2020). Nicht alle Gebiete in Afghanistan können jedoch gleichermaßen von Journalisten besucht werden (HE 5.5.2019). ACLED berücksichtigt bei der Datensammlung unter anderem auch Berichte von Voice of Jihad, der Website der Taliban (ACLED 3.2020). Angaben der Taliban zu den Opferzahlen sind oftmals übertrieben (FAZ 19.10.2017). ACLED verwendet bei der Zählung der Todesopfer die kleinste in den Quellen zu findende Anzahl an Todesopfern. Sind die Angaben zu den Todesopfern in den Quellen ungenau (z.B. „zahlreiche Tote“) oder unbekannt, so codiert ACLED automatisch zehn Todesopfer - oder drei Todesopfer, sofern bekannt ist, dass es sich um weniger als zehn Todesopfer handelt (ACLED 3.2020). Die Angaben zu den Todesopfern sind somit Schätzungen von ACLED.

ACLED erfasst die folgenden gewaltsamen Vorfälle: Kampfhandlungen ohne Gebietsveränderungen, Kampfhandlungen, bei denen ein nichtstaatlicher Akteur ein Gebiet einnimmt, Kampfhandlungen, in denen eine Regierung Gebiete zurückgewinnt, Gewalt gegen Zivilisten, so genannte „remote violence“ - Gewalt ohne die physische Anwesenheit des Gewaltausübenden (z.B. Bombenanschläge, IEDs, Raketenangriffe etc.), wie auch Demonstrationen und Aufstände. Die folgenden gewaltlosen Ereignisse werden erfasst: gewaltfreie Gebietsübernahmen, Aufbau von Hauptquartieren oder Stützpunkten sowie strategische Entwicklungen (ACLED 3.2020).

ACLED empfiehlt mit Stand Februar 2021, die Daten zur Gewalt bzw. zu den Todesopfern in Afghanistan in den Jahren 2019 und 2020 nicht miteinander zu vergleichen, da ein Wandel in der Berichtspraxis der Taliban (bzw. von Voice of Jihad) und der afghanischen Regierung (bzw. dem afghanischen Verteidigungsministerium) zum Anschein einer Gewaltreduktion beigetragen haben könnte. ACLED überprüft derzeit Veränderungen in der Berichterstattung und ergänzt die Daten durch weitere Quellen (ACLED o.D.).

Anmerkung: Detaillierte Informationen zu diesem Thema finden Sie im Kapitel "Sicherheitslage".

Weitergehende Informationen zur Vorgehensweise von ACLED können der aktuellen Methodologie von ACLED entnommen werden: https://acleddata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Methodology-and-Coding-Decisions-Around-the-Conflict-in-Afghanistan_Mar2020_update.pdf.

Im Folgenden wird bei der Beschreibung der Sicherheitslage in den Provinzen auf Daten von ACLED zurückgegriffen, da sie eine Betrachtung von sicherheitsrelevanten Vorfällen auf Distriktebene zulassen. Die Staatendokumentation stellt Tabellen über Vorfälle zur Verfügung, die ACLED als sicherheitsrelevant einschätzt und bei denen ACLED mindestens ein Todesopfer zählte.

GIM - Globalincidentmap: Globalincidentmap displaying Terrorist Acts, Suspicious Activity, and General Terrorism News, www.globalincidentmap.com, Zugriff 26.2.2021

Globalincidentmap nutzt internetbasierte globale Nachrichtenmedien, um weltweit sicherheitsrelevante Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus zu sammeln und georeferenzierte Darstellungen solcher Vorfälle unter Kategorien auf einer Online-Karte darzubieten. Jeder sicherheitsrelevante Vorfall wird immer mit einem Verweis auf die Quelle angezeigt. Die Klassifizierung von GIM nach Vorfalltyp wird von der Staatendokumentation beibehalten, mit Ausnahme der beiden Kategorien „Sonstige verdächtige Aktivitäten“ und „Allgemeine Terrorismus-Nachrichten“, welche die Staatendokumentation der breiteren Kategorie „Sonstige, undefiniert“ zuordnet, da sie sich keiner spezifischen Gruppierung zurechnen lassen. Es werden nur Vorfälle registriert und dargestellt, die Globalincidentmap Aufständischen zuschreibt bzw. mit deren Handlungen verbindet, einschließlich Bombenanschläge (erfolgreiche oder versuchte), gezielte Tötungen oder Mordversuche, Entführungen, Brandanschläge, Feuerüberfälle und Schießereien. Kriminelle Vorfälle, die nicht mit terroristischen Handlungen verbunden sind, werden nicht erfasst. Aktivitäten staatlicher Akteure werden unter der Kategorie „Verhaftungen, Tötungen“ eingeordnet.

Im Folgenden wird bei der Beschreibung der Sicherheitslage in den Provinzen auf Daten von Globalincidentmap zurückgegriffen, da der Datensatz eine Betrachtung von sicherheitsrelevanten Vorfällen auf Distriktebene zulässt. Die Staatendokumentation stellt Tabellen über Vorfälle zur Verfügung, die Globalincidentmap als sicherheitsrelevant einschätzt. Dabei wurden Doppeleinträge händisch herausgefiltert.

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2021a): Afghanistan Annual Report On Protection Of Civilians In Armed Conflict: 2020, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_report_2020.pdf, Zugriff 24.2.2021

Im Folgenden wird auf Informationen zur Anzahl an zivilen Opfern zurückgegriffen, die UNAMA in ihren Berichten zum Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt bereitstellt. UNAMA verifiziert Vorfälle durch Mehrfachprüfung und führt unter anderem vor-Ort-Recherchen durch. Zur Verifizierung von zivilen Opfern verwendet UNAMA mindestens drei verschiedene unabhängige Quellen. Unverifizierte Vorfälle werden nicht in die Berichte aufgenommen. UNAMA weißt darauf hin, dass eine lückenhafte Erfassung von zivilen Opfern aufgrund von Einschränkungen, welche mit dem Rechercheumfeld einhergehen, möglich ist (UNAMA 2.2021a).

Bevölkerungsdaten:

NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf

Im Folgenden wird auf Informationen zur Bevölkerungsanzahl in Afghanistan zurückgegriffen, welche die National Statistics and Information Authority bereitstellt. Aufgrund von mehr als drei Jahrzehnten Krieg und Konflikt im Land war es seit 1979 nicht möglich, eine Volkszählung durchzuführen. Die Bevölkerungszahlen von 2020-21 wurden daher auf der Grundlage der Daten aus den Haushaltslisten von 2003-05 geschätzt (NSIA 1.6.2020).

Covid-19

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann.

Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.

Die hier gesammelten Informationen sollen daher die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (3.2021) wiedergeben. Es sei zu beachten, dass sich bestimmte Sachverhalte (zum Beispiel Flugverbindungen bzw. die Öffnung und Schließung von Flughäfen oder etwaige Lockdown-Maßnahmen) kurzfristig ändern können.

Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Themengebieten sind den jeweiligen Kapiteln zu entnehmen.

Weitere Produkte der Staatendokumentation zu Afghanistan

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Rasuly-Paleczek Gabriele - Österreich] (10.2020): Die aktuelle sozioökonomische Lage in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038971/AFGH_THEM_Die+aktuelle+sozio%C3%B6konomische+Lage+in+Afghanistan+%28Rasuly-Paleczek%29_2020-09.pdf

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Heugl, Katharina- Österreich] (21.7.2020): Informationen zu sozioökonomischen und sicherheitsrelevanten Faktoren in der Provinz Balkh auf Basis von Interviews im Rahmen der FFM Mazar-e Sharif 2019, https://www.ecoi.net/en/document/2034796.html

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Tschabuschnig, Florian- Österreich] (14.7.2020): Afghanistan: IOM-Reintegrationsprojekt Restart III, https://www.ecoi.net/en/document/2033512.html

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Latek, Dina- Österreich] (25.6.2020): Gesellschaftliche Einstellung zu Frauen in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2032976.html

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Durante, Xenia- Österreich] (13.6.2019): Analyse der Staatendokumentation: Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (4.2018) : Fact Finding Mission Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (7.2016): AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (3.7.2014): Frauen in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1216171/4236_1415347452_analy-afgh-frauen-in-afghanistan-2014-02-07-as.doc

Quellen:

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (3.2020): ACLED Methodology and Coding Decisions around the Conflict in Afghanistan, https://acleddata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Methodology-and-Coding-Decisions-Around-the-Conflict-in-Afghanistan_Mar2020_update.pdf Zugriff 29.10.2020

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (o.D.): ACLED Data https://acleddata.com/data-export-tool/, Zugriff 26.2.2021

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.10.2017): Talibanangriff in Kandahar fordert zahlreiche Tote, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kandahar-taliban-angriff-auf-militaerbasis-fordert-zahlreiche-tote-15253597.html,

HE - Heise (5.5.2019): Afghanistan: Brutale CIA-Schattenmilizen, https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Brutale-CIA-Schattenmilizen-4413419.html, Zugriff 22.8.2020

NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf,

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2021a): Afghanistan Annual Report On Protection Of Civilians In Armed Conflict: 2020, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_report_2020.pdf, Zugriff 24.2.2021

Primär- und Sekundärquellen, die in Berichten von nach europäischen Standards arbeitenden COI (Country of Origin Information)-Einheiten anderer EU-Staaten zitiert werden, werden nicht separat ausgewiesen.

5.5 Balkh

Letzte Änderung: 10.06.2021

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA Balkh 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Balkh 2019).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1,509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif (NSIA 1.6.2020). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) (PAJ Balkh o.D.; vgl. NPS Balkh o.D.) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird (AAN 8.7.2020).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Ring Road (auch Highway 1 genannt) verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul (TD 5.12.2017). Rund 30 km östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway (NH) 89 von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab (OSM o.D.; vgl. TD 5.12.2017). Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan (LCA 4.7.2018).

Entlang des Highway 1 westlich der Stadt Balkh in Richtung der Provinz Jawzjan befindet sich der volatilste Straßenabschnitt in der Provinz Balkh, es kommt dort beinahe täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Auch besteht auf diesem Abschnitt in der Nähe der Posten der Regierungstruppen ein erhöhtes Risiko von IEDs - nicht nur entlang des Highway 1, sondern auch auf den Regionalstraßen (STDOK 21.7.2020). In Gegenden mit Talibanpräsenz, wie zum Beispiel in den südlichen Distrikten Zari (AAN 23.5.2020), Kishindeh und Sholgara, ist das Risiko, auf Straßenkontrollen der Taliban zu stoßen, höher (STDOK 21.7.2020; vgl. TN 20.12.2019).

In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (Kam Air o.D.; vgl. F 24 o.D.).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählte zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert (KP 10.2.2020; vgl. STDOK 21.7.2020), da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen (KP 10.2.2020; vgl. AA 16.7.2020). Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Bewohner der Stadt berichteten insbesondere von bewaffneten Raubüberfällen (STDOK 21.7.2020). Im Jahr 2020 gehörte Balkh zu den konfliktreichsten Provinzen des Landes (UNGASC 9.12.2020; vgl. UNGASC 17.6.2020, UNGASC 17.3.2020, LWJ 10.3.2020) und in der Hauptstadt und den Distrikten kommt auch im Jahr 2021 weiterhin zu sicherheitsrelevanten Vorfällen (ACCORD 27.1.2021; vgl. KP 3.3.2021). Nach Schätzungen des Long War Journal befindet sich der Distrikt Dawlat Abad mit Stand Mai 2021 unter Talibankontrolle, während Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dehdadi, Kishindeh, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari umkämpft sind (LWJ o.D.).

Auf Regierungsseite befindet sich Balkh im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps (USDOD 1.7.2020; vgl. TN 22.4.2018), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020). Das Hauptquartier des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Die meisten Soldaten der deutschen Bundeswehr sind in Camp Marmal stationiert (SP 7.4.2019). Weiters unterhalten die US-amerikanischen Streitkräfte eine regionale Drehscheibe in der Provinz (USDOD 1.7.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[…] Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 712 zivile Opfer (263 Tote und 449 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 157% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2021a).

Ungeachtet der Friedensgespräche finden auch weiterhin sicherheitsrelevante Vorfälle in der Hauptstadt und den Distrikten statt (KP 3.3.2021, ACCORD 27.1.2021). Es kommt zu direkten Kämpfen (KP 3.3.2021; UNOCHA 23.9.2020; AJ 1.5.2020; DH 8.4.2020) und Angriffen der Taliban auf Distriktzentren (UNOCHA 23.7.2020; REU 1.5.2020; UNOCHA 26.2.2020) oder Sicherheitsposten (RFE/RL 14.4.2021; ANI 6.3.2021; NYTM 1.10.2020; NYTM 28.8.2020; AnA 18.3.2020). Die Regierungskräfte führen Räumungsoperationen durch (RFE/RL 14.4.2021; KP 3.3.2021; AN 25.6.2020; MENAFN 24.3.2020; AnA 18.3.2020). Ebenso wird von IED-Explosionen, beispielsweise durch Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 28.8.2020), aber auch an Fahrzeugen befestigten Sprengkörpern (vehicle-borne IEDs, VBIEDs) (TN 25.8.2020; RFE/RL 25.8.2020; NYTM 28.8.2020) sowie Selbstmordanschlägen berichtet (TN 25.8.2020; RFE/RL 25.8.2020; RFE/RL 19.9.2020). Auch in Mazar-e Sharif kommt es wiederholt zu IED-Anschlägen (ACCORD 6.5.2021a; BAMF 12.4.2021; ACCORD 27.1.2021; NYTM 1.10.2020; AN 19.9.2020; TN 1.7.2020) sowie Angriffen auf bzw. die Tötung von Sicherheitskräften (ACCORD 6.5.2021a; KP 3.3.2021; ANI 6.3.2021; ACCORD 27.1.2021; BAMF 18.1.2021; PAJ 12.1.2021; AT 12.1.2021). Zudem wird von der Entführung (ACCORD 6.5.2021a; TN 13.3.2021; DH 8.4.2020) und Ermordung von Zivilisten in der Provinz berichtet (ACCORD 6.5.2021a; KP 3.3.2021; ACCORD 27.1.2021; NYTM 1.10.2020; DH 8.4.2020).

Anmerkung: Weitere Informationen zu Balkh bzw. Mazar-e Sharif - u.a. zur Sicherheitslage - können der Analyse der Staatendokumentation „Informationen zu sozioökonomischen und sicherheitsrelevanten Faktoren in der Provinz Balkh “ vom 21.7.2020 entnommen werden (STDOK 21.7.2020). […]“

5.13 Herat

Letzte Änderung: 10.06.2021

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA Herat 4.2014). Herat ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Enjil, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kuhna, Obe, Pashtun Zarghun, Zendahjan und die „temporären“ Distrikte Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar, Kozeor), Zawol und Zerko (NSIA 1.6.2020; IEC Herat 2019), die aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Ihre Schaffung wurde vom Präsidenten nach Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, während das Parlament seine Zustimmung (noch) nicht erteilt hat (AAN 16.8.2018). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (NSIA 1.6.2020). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ Herat o.D.).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Herat im Zeitraum 2020-21 auf 2,140.662 Personen, davon 574.276 in der Provinzhauptstadt (NSIA 1.6.2020). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ Herat o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. STDOK 13.6.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017, LCA 4.7.2018). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Straßen verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (LCA 4.7.2018), wo sich einer der größten Trockenhäfen Afghanistans befindet (KN 7.7.2020). Die Schaffung einer weiteren Zollgrenze zum Iran ist im Distrikt Ghoryan geplant (TN 11.9.2020). Eine Eisenbahnverbindung zwischen der Stadt Herat und dem Iran, die die Grenze an diesem Punkt überqueren wird, ist derzeit im Bau (1TV 28.10.2020, TN 11.9.2020). Auf der Strecke Herat-Islam-Qala wurde über Tötungen und Entführungen berichtet (UNAMA 7.2020, KN 7.7.2020; vgl. PAJ 6.2.2020) sowie über Sprengfallen am Straßenrand (KN 7.7.2020; vgl. PAJ 6.2.2020), auch auf der Ring Road in Richtung Kandahar (TN 10.10.2020). Darüber hinaus gibt es Berichte über illegale Zolleinhebungen durch Aufständische sowie Polizeibeamte entlang der Strecke Herat-Kandahar (HOA 12.1.2020, PAJ 4.1.2020; vgl. NYT 1.11.2020). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (STDOK 25.11.2020; vgl. Kam Air o.D., F 24 o.D.).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, kam es in Herat-Stadt in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte (AAN 21.4.2020; vgl. OA 20.7.2020). Darüber hinaus fanden im Juli und September 2020 (UNAMA 10.2020) sowie Oktober 2019 Angriffe statt, die sich gegen Schiiten richteten (AAN 21.4.2020). Bezüglich krimineller Handlungen wurde beispielsweise über bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen berichtet (OA 20.7.2020, AAN 21.4.2020, AN 2.1.2020).

Je weiter man sich von der Stadt Herat (die im Januar 2019 als „sehr sicher“ galt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban (STDOK 13.6.2019). Pushtkoh und Zerko befanden sich im Februar 2020 einem Bericht zufolge vollständig in der Hand der Taliban (AAN 28.2.2020), während die Kontrolle der Regierung in Obe auf das Distriktzentrum beschränkt ist (AAN 8.4.2020, AAN 20.12.2019). In Shindand befindet sich angeblich das „Taliban-Hauptquartier“ von Herat (AAN 20.12.2019). Nach Schätzungen des Long War Journal befindet sich der Distrikt Fersi mit Stand Mai 2021 unter Talibankontrolle, während Adraskan, Chishti Sharif, Ghoryan, Gulran, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kuhna, Obe, Pashtun Zarghun und Shindand umkämpft sind (LWJ o.D.).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (SaS 2.11.2018; vgl. RUSI 16.3.2016). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab (SaS 2.11.2018). Die Rasoul-Gruppe, die mit der stillschweigenden Unterstützung der afghanischen Regierung operiert hat, kämpft mit Stand Jänner 2020 weiterhin gegen die Hauptfraktion der Taliban in Herat, auch wenn die Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen laut einer Quelle innerhalb der Rasoul-Fraktion nicht mehr so häufig und heftig sind wie in den vergangenen Jahren. Etwa 15 Kämpfer der Gruppe sind Anfang 2020 bei einem Drohnenangriff der USA gemeinsam mit ihrem regionalen Führer getötet worden (SaS 9.1.2020; vgl. UNSC 27.5.2020).

Während ein UN-Bericht einen Angriff in der Nähe einer schiitischen Moschee im Oktober 2019 dem Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) zuschrieb (UNGASC 10.12.2019) und ein Zeitungsartikel vom März 2020 behauptete, dass der ISKP eine Hochburg in der Provinz unterhält (VOA 20.3.2020), gab eine andere Quelle an, dass es unklar sei, ob und welche Art von Präsenz der ISKP in Herat hat. Angriffe gegen schiitische Muslime sind Teil des Modus operandi des ISKP, aber - insbesondere angesichts der Schwäche der Gruppe in Afghanistan - stellt ein Bekenntnis des ISKP zu einem bestimmten Angriff noch keinen vollständigen Beweis dafür dar, dass die Gruppe ihn wirklich begangen hat (AAN 21.4.2020). Ein Bewohner des Distrikts Obe hielt eine ISKP-Präsenz in Herat angesichts der Präsenz der Taliban z.B. im Distrikt Shindand für unwahrscheinlich (AAN 20.12.2019).

Auf Regierungsseite befindet sich Herat im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) „Zafar“ Corps (USDOD 1.7.2020; vgl. ST 2.10.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[…] Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 339 zivile Opfer (124 Tote und 215 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 15% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 2.2021a). Im Jahr 2020 wurden auch mehrere Fälle von zivilen Opfern aufgrund von Luftangriffen gemeldet (UNAMA 10.2020, AAN 24.2.2020, RFE/RL 22.1.2020).

Es kommt in mehreren Distrikten der Provinz Herat zu Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Taliban sowie zu Angriffen der Taliban auf Regierungseinrichtungen (KP 20.11.2020; NYTM 29.10.2020; PAJ 15.10.2020; NYTM 1.10.2020; KP 5.9.2020; NYTM 28.8.2020; NYTM 27.2.2.2020; NYTM 30.1.2020). Die Regierungstruppen führen in der Provinz Operationen durch (AN 5.9.2020; AJ 23.7.2020; XI 29.1.2020b, RFE/RL 22.1.2020). Darüber hinaus wird von Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand in verschiedenen Distrikten berichtet (KP 22.11.2020, NYTM 29.10.2020; TN 10.10.2020, NYTM 1.10.2020, NYTM 28.8.2020; TN 5.7.2020; NYTM 30.1.2020). Vorfälle mit IEDs, wie Detonationen von an Fahrzeugen befestigten IEDs (VBIED) (AJ 13.3.2021; REU 12.3.2021; KP 1.11.2020; ACCORD 27.1.2021), einer Sprengfalle am Straßenrand (NYTM 28.8.2020) und eines weiteren IEDs kommen auch in der Stadt Herat vor (GW 10.11.2020; vgl. AAN 27.10.2020). Auch werden sowohl in den Distrikten als auch der Stadt Herat gezielte Tötungen durchgeführt (ACCORD 6.5.2021a; AJ 13.3.2021; REU 12.3.202; NYTM 29.10.2020; NYTM 1.10.2020; NYTM 28.8.2020; NYTM 27.2.2.2020; NYTM 30.1.2020) und es kommt zu Angriffen auf Soldaten und Sicherheitskräfte (ACCORD 6.5.2021a; BAMF 15.3.2021; AJ 13.3.2021; REU 12.3.2021; ACCORD 27.1.2021; AN 16.1.2021; ANI 8.1.2021).

Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat, einschließlich der Sicherheitslage, können der Analyse der Staatendokumentation „Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat“ vom 13.6.2019 entnommen werden (STDOK 13.6.2019). […]“

5.1 Kabul

Letzte Änderung: 09.06.2021

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ Kabul o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS Kabul o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Kabul 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kabul im Zeitraum 2020-21 auf 4.459.463 Personen (NSIA 1.6.2020).

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 4.434.550 Personen für den Zeitraum 2020-21 (NSIA 1.6.2020). Die genaue Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten, und Schätzungen reichen von 3,5 Millionen bis zu möglichen 6,5 Millionen Einwohnern (AAN 19.3.2019; vgl. IGC 13.2.2020). Laut einem Bericht expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die Bevölkerung besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ Kabul o.D.; vgl. NPS Kabul o.D.).

[…]

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014), inklusive der Ring Road (Highway 1), welche die fünf größten Städte Afghanistans - Kabul, Herat, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Jalalabad - miteinander verbindet (USAID o.D.).

Der Highway zwischen Kabul und Kandarhar gilt als unsicher (TN 7.7.2020a). Aufständische sind auf dem Highway aktiv (UNGASC 28.2.2019; vgl. UNOCHA 23.2.2020) und kontrollieren Teile der Straße und es wurde von Straßenblockaden und Checkpoints durch Aufständische berichtet, die sich gegen Regierungsmitglieder und Sicherheitskräfte richten (LI 22.1.2020; vgl. EASO 9.2020).

Der Kabul-Jalalabad-Highway ist eine wichtige Handelsroute, die oft als „eine der gefährlichsten Straßen der Welt“ gilt (was sich auf die zahlreichen Verkehrsunfälle bezieht, die sich auf dieser Straße ereignet haben) und durch Gebiete führt, in denen Aufständische aktiv sind (TD 13.12.2015; vgl. EASO 9.2020).

Es wird berichtet, dass 20 Kilometer der Kabul-Bamyan-Autobahn, welche die Region Hazarajat mit der Hauptstadt verbindet, unter der Kontrolle der Taliban stehen (AAN 16.12.2019) und Reisenden zufolge haben die sicherheitsrelevanten Vorfälle auf der Autobahn, die Kabul mit den Provinzen Logar und Paktia verbindet, im Juli 2020 zugenommen (TN 7.7.2020a).

In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit Stand Mai 2021 für die Abwicklung von internationalen und nationalen Passagierflügen geöffnet ist (F 24 o.D.).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine negative Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalem oder ethnischem Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul (USDOD 1.7.2020; vgl. LWJ o.D.). Nach Schätzungen des Long War Journal sind die Distrikte Chahar Asyab, Dehsabz, Farza, Guldara, Kalakan, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi mit Stand Mai 2021 umkämpft (LWJ o.D.). Es finden weiterhin High-Profile-Angriffe - auch in der Hauptstadt - statt (UNAMA 2.2021a; vgl. HRW 13.1.2021, USDOD 1.7.2020, NYTM 26.3.2020, HRW 12.5.2020), wie Angriffe auf schiitische Feiernde und einen Sikhtempel im März 2020 (USDOD 1.7.2020) sowie auf Bildungseinrichtungen wie die Universität in Kabul (GN 2.11.2020; vgl. AJ 2.11.2020) oder ein Selbstmordattentat auf eine Schule in Kabul im Oktober 2020 (HRW 26.10.2020) für die alle der Islamische Staat die Verantwortung übernahm (HRW 26.10.2020; vgl. AJ 2.11.2020, GN 2.11.2020). Den Angriff auf eine Geburtenklinik im Mai 2020 reklamierte bislang keine Gruppierung für sich (AJ 15.6.2020; vgl. AP 16.6.2020, HRW 12.5.2020), wobei die Taliban eine Verantwortung abstritten (AP 16.6.2020, vgl. HRW 12.5.2020) und auch im Mai 2021 bekannte sich niemand zu einem Anschlag mit einer Autobombe vor einer Mädchenschule im mehrheitlich von Hazara bewohntem Gebiet Dasht-e Barchi(AI 10.5.2021; vgl. AJ 9.5.2021, RFE/RL 9.5.2021, NYT 9.5.2021, TN 8.5.2021). Bei Angriffen in Kabul kommt es oft vor, dass keine Gruppierung die Verantwortung übernimmt, oder es werden diese von nicht identifizierten bewaffneten Gruppen durchgeführt (UNAMA 2.2021a; vgl. UNGASC 2.2019, EASO 9.2020).

Das U.S. Department of Defence (USDOD) beschreibt die Ziele militanter Gruppen, die in Kabul Selbstmordattentate verüben, als den Versuch internationale Medienaufmerksamkeit zu erregen, den Eindruck einer weitverbreiteten Unsicherheit zu erzeugen und die Legitimität der afghanischen Regierung sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanischen Sicherheitskräfte zu untergraben (USDOD 23.1.2020; vgl. EASO 9.2020). Afghanische Regierungsgebäude und -beamte, die afghanischen Sicherheitskräfte und hochrangige internationale Institutionen, sowohl militärische als auch zivile, gelten als die Hauptziele in Kabul-Stadt (USDOS 24.6.2020; vgl LI 22.1.2020, LIFOS 15.10.2019, EASO 9.2020).

Aufgrund öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten