TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/21 W156 2243305-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.09.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.09.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W156 2243305-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Alexandra KREBITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 10.05.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.07.2021, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis 21.09.2022 erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden § 28 VwGVG ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folg: BF) stellte am 14.01.2021 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung gab er an, von den Taliban aufgrund seiner Tätigkeit als afghanischer Polizist bedroht worden zu sein, indem er zunächst einen Anruf und schließlich einen Drohbrief von ihnen erhalten hätte.

2. Am 09.03.2021 wurde der BF von einem Organwalter des BFA (in weiterer Folge: belangte Behörde) einvernommen. Zusammengefasst bezog er sich zu seinen Fluchtgründen auf eine Gefährdung durch die Taliban aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.05.2021 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen (II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (V.), die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage betrage (VI.).

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte vollumfängliche Beschwerde. Die belangte Behörde hätte gänzlich unterlassen, die vom BF vorgelegten Beweismaterialien einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung zu unterziehen. Der BF hätte hiebei ein Schreiben von seinem Kommandanten vorgelegt, aus dem hervorgehe, dass er an einer großen Operation gegen die Taliban beteiligt gewesen wäre und deshalb in ganz Afghanistan bedroht werde.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die eingebrachte Beschwerde am 27.07.2021 eine öffentliche, mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seiner Rechtsvertretung und eines Dolmetschers der Sprache Dari durchgeführt.

Beigeschafft wurden folgende Berichte zur Situation in Afghanistan:

Länderinformation der Staatendokumentation Afghanistan aus dem COI-CMS (Country of Origin Information – Content Management System) Version 4 (veröffentlicht am 11.06.2021), Kurzinformation der Staatendokumentation, Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan, Stand 19.07.2021, Daten zur Pandemie auf der Homepage der WHO: https://www.who.int/ und https://covid19.who.in, EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2018 (EASO 2018)

EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019), EASO Country Guidance: Afghanistan vom Dezember 2020 (EASO 2020), ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif), ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat), ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 16.10.2020 (ECOI Oktober 2020), UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF ist Staatsangehöriger Afghanistans, führt den im Spruch genannten Namen, ist Tadschike und sunnitischer Moslem. Er wurde in der Stadt Kunduz geboren. Der BF besuchte sieben Jahre lang die Schule. Der BF war ein Jahr als Obst- und Gemüseverkäufer und anschließend in den letzten 2 Jahren bis zu seiner Ausreise als Polizist im Range eines Unteroffiziers tätig.

Der BF war 18 Monate in der Türkei aufhältig und arbeitet dort in einem Restaurant. In den 6-7 Monaten Aufenthalt in Griechenland arbeitet er in einem Schlachthaus und in Serbien etwa ein Monat in einem Lebensmittelgeschäft.

Der BF spricht Dari. Er ist ledig und hat keine Kinder. In Afghanistan hatte der BF selbst keine Probleme mit staatlichen Behörden oder der Polizei. Er ist ein junger und arbeitsfähiger Mann, gesund und leidet an keinen schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen. In Afghanistan leben nach wie vor seine Eltern sowie seine acht Geschwister. Der BF hält sich nachweislich seit Jänner 2021 in Österreich auf. Im Bundesgebiet befinden sich keine Familienmitglieder des BF. Der BF hat Deutschkurse besucht, er kann sich jedoch nicht ausreichend auf Deutsch verständigen. Der BF verfügt über eine Einstellzusage. Derzeit lebt er von der Grundversorgung. Er verfügt über keine Kenntnisse der österreichischen Geschichte, Kultur oder Politik. Er verrichtet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Der BF hat wenig Kontakt mit Österreichern. Eine Verurteilung ist im Strafregister zum Entscheidungszeitpunkt nicht evident.

1.2. Zum Fluchtvorbringen:

Im Falle einer Verbringung des BF in den Herkunftsstaat droht diesen kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Zu der vom BF vorgebrachten Fluchtgrund ist festzustellen, dass eine tatsächliche Verfolgung des BF durch die Taliban aufgrund seiner polizeilichen Tätigkeit von ihm nicht glaubhaft gemacht werden konnte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würde.

Der BF hätte im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine Verfolgung durch den Staat zu befürchten.

Der BF hat sich im Herkunftsstaat nicht politisch betätigt, war nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in seinem Recht auf das Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

1.3. Zum Herkunftsstaat:

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation der Gesamtaktualisierung vom 10.08.2021, in den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Dezember 2020 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

COVID-19

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan:

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; cf. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 [Anmerkung: offizielle] Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19- Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; cf. IOM 18.3.2021).

Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021)

Maßnahmen der Regierung und der Taliban:

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020).

Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“. Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung:

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt:

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5 % geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 18.3.2021). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde; nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020). Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 27.4.2020).

Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen „Werte“ betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik einer eventuellen Regierung der Machtteilung, die die Taliban einschließt, zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab (Ruttig 3.2021). Sie sehen sich nicht als bloße Rebellengruppe, sondern als eine Regierung im Wartestand und bezeichnen sich selbst als „Islamisches Emirat Afghanistan“, der Name, den sie benutzten, als sie von 1996 bis zu ihrem Sturz nach den Anschlägen vom 11.9.2001 an der Macht waren (BBC 15.4.2021).

Ethnische Gruppen

Tadschike

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.d; vgl. RFE/RL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.d). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.d).

Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.d). Heute werden unter dem Terminus t?jik „Tadschike“ fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (STDOK 7.2016).

Tadschiken dominierten die „Nordallianz“, eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominanteste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.d). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation: Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan Stand vom 20.8.2021

Aktuelle Lage

Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a).

Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a). Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b). Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c). Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d).

Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.8.2021). Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SRVerlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (VN 18.8.2021)

Exkurs

Die Anführer der Taliban

Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen TalibanFührer auch nach außen auf. Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des SchariaGerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird.

Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die Taliban-Einsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht. Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban-Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an. Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (orf.at o.D.b; vgl. bbc.com o.D.c).

Stärke der Taliban-Kampftruppen

Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (orf.at o.D.b).

UNHCR POSITION ON RETURNS TO AFGHANISTAN

[…] 4. All claims of nationals and former habitual residents of Afghanistan seeking international protection should be processed in fair and efficient procedures in accordance with international and regional refugee law. UNHCR is concerned that recent developments in Afghanistan are giving rise to an increase in international protection needs for people fleeing Afghanistan, whether as refugees under the 1951 Convention or regional refugee instruments, or as beneficiaries of other forms of international protection.7 The same applies to those who were already in countries of asylum before the recent escalation of violence in Afghanistan. In light of the volatile situation in Afghanistan, UNHCR welcomes steps taken by some countries of asylum to suspend decision-making on international protection needs of nationals and former habitual residents of Afghanistan, until such time as the situation in the country has stabilized and reliable information about the security and human rights situation is available to assess the international protection needs of individual applicants. In view of the volatility of the situation in Afghanistan, UNHCR does not consider it appropriate to deny international protection to Afghans and former habitual residents of Afghanistan on the basis of an internal flight or relocation alternative. […]

Auszug aus dem EASO-Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan vom September 2021

As of 31 August 2021, an assessment of the LWJ mapping Taliban control in Afghanistan in a frequently updated map and based on open-source information, considered all districts in Kunduz province to be under Taliban control. According to ACLED data, between 1 March and 30 July 2021 there were 240 security incidents recorded in Kunduz, of whom 186 were coded as battles, 47 remote violence and 7 incidents of violence against civilians.

The Analytical Support and Sanctions Monitoring Team report covering the period May 2020 and April 2021 noted that the Taliban moved forces into five northern provinces including Kunduz, with the objective to deny the ANSF freedom of movement and to control road communications and border crossings to facilitate narcotic and mineral trade. By early July 2021 AAN reported that seven out of 10 districts had been recently captured by the Taliban, with two already held. The source explained that the ‘even recently-captured districts in Kunduz had all changed hands between ANSF and the Taliban many times and were vulnerable to Taliban capture. But the collapse of all within days of each other appears to have been triggered by low morale within the ANSF.’ During the reporting period, rockets, mortar fire, roadside bombs, Taliban attacks on security outposts and battles were documented in Kunduz. On 6 March 2021 two people were reportedly killed at an illegal checkpoint in Aliabad district. On 20 April 2021 an Afghan air force rocket hit a house in Emamsaheb district, killing one child and wounding three civilians. On 11 May 2021 an ANSF mortar hit a house in Imam Sahib district which killed five civilians and injured a further two and on 18 May 2021 the Taliban attacked the house of a police chief in Emamsaheb district killing two and wounding nine security force members. In one week towards the end of June 2021, 21 people were reportedly killed and a further 225 wounded by conflict in the province. In one incident that week in Emamsaheb district, seven civilians were killed and 67 others wounded and ten security force members killed and 17 others wounded. At the end of June 2021 the Taliban captured Shir Khan Bandar, the main border crossing with Tajikistan, described as ‘the most significant gain for the Taliban’ since its increase in operations following the US troop withdrawal, forcing 134 Afghan soldiers to flee to Tajikistan. Regarding the security situation in the main urban centre/provincial capital Kunduz city, on 6 March 2021 a roadside bomb hit a military vehicle in the fifth police district, killing a pro-government commander and wounded two others. On 6 May 2021 the Taliban attacked a battalion headquarters in the third police district, killing eight soldiers, wounding two others and reportedly 13 Taliban fighters were also killed. On 13 May 2021, an IED denotated in the Sar-e-Dawa area killed two civilians and wounded 14 others. In mid-June 2021 ‘fierce fighting’ was reported between the Taliban and ANSF on the outskirts of Kunduz city. By 24 June 2021 the Taliban was reported to be involved in streetto-street battles with the security forces in every neighbourhood of the provincial capital. In one incident on 23 June 2021 cross fire killed four civilians and wounded 78 more and on 24 June 2021 with two civilians and 42 more wounded in clashes between the Taliban and Afghan security forces. Also on 24 June 2021 in Eighth police district an airstrike killed two police officers and wounded eight more and the Taliban captured the district. At the end of June 2021 residents of Bagh-e Sherkat stated that homes had been burnt and they had been ordered by the Taliban to evacuate with the militants reportedly threatening those they claimed had offered previous support to the government. In early July 2021 the Taliban was also reported to be searching for members of the ALP, uprising forces and former mujahedin commanders in the districts under their control. On 16 July 2021 a vehicle exploded in the third police district, killing one civilian and wounding nine more. UNOCHA reported at the end of July 2021 that the ANSF had been conducting military operations in police districts 1, 2, 3, 4 and that IEDs and magnetic IEDs had killed a civilian and injured 20 others. In one incident on 23 July 2021 the Taliban targeted a pro-government militia base at a mosque, killing two members. On 8 August 2021 the Taliban claimed Kunduz city, with residents reported to be forced to flee and the city’s market on fire. Bilal Sarwary posted on Twitter on 8 August 2021 that at least 100 civilians were killed following fighting in Kunduz. The Red Unit, the Taliban’s ‘special fighters’ were reported to have been seen in Kunduz city. As of April 2021 Kunduz was listed as one of the 15 Afghan provinces where AQ was reportedly present. ISKP was assessed in April 2021 to have retained a small group in Kunduz, predominantly made up of local ethnic Tajiks and Uzbeks. The ISKP attacked electricity pylons and fuel tankers in Kunduz in the first half of May 2021. During the government and Taliban declared ceasefire for the celebration of Eidul-Fitr, on 13 May 2021 the ISKP claimed a remote detonated IED attack outside a shop in the Zer-e-Dawra area of Kunduz city which killed two civilians and injured a further 15. On 30 July 2021 Islamic State fighters abducted and executed a traffic police officer from the Eighth police district in Kunduz city.

The WHO did not record any attacks related to health care provision in Kunduz province in the first seven months of 2021. There is an airport in Kunduz that is located 3 nautical miles (5.5 km) southeast from Kunduz city.921 As of end July, Kunduz to Kabul is an intended future Kam Air passenger services route. UNOCHA noted that in mid-July 2021 attacks near the Kunduz airport impacted some flights, although humanitarian flights remained operational. The airport was reported to remain under government control as of 8 August 2021 but Afghan troops reportedly surrendered to the Taliban three days later. The Taliban also captured the airport outside of the Jawzjan’s provincial capital Shiberghan on 11 August 2021, along the Pamir Corps headquarters, meaning that the Taliban controls the roads leading to the two cities and denying the ability to launch counterattacks by road. As of 29 August 2021, flights were scheduled to and from Kabul. On 30 August 2021, Reuters cited the US FAA (Federal Aviation Administration) reporting on the absence of ‘air traffic services and a functional civil aviation authority in Afghanistan’. In the first quarter of 2021, the Taliban set up new checkpoints on the Kunduz-Takhar highway to control transit and commerce routes. In May 2021 the Taliban blew up two bridges in Emamsaheb district. In July 2021 AAN noted that ‘most of the roads connecting Kunduz city to its districts are under Taliban control, as are the highways to Baghlan to the south and Takhar to the east’. Displacement UNOCHA collected data for the period 1 March 2021 – 9 August 2021, reporting 95 909 persons displaced from Kunduz province, of which around 90% (86 667) were displaced within the province, almost all (84 042) remaining within the Kunduz district. 11 837 IDPs left the Kunduz province, seeking refuge in Badakhshan (6 475), Kabul (2 667), Herat (63) and Panjsher (37). No displacement from other provinces was registered to Kunduz province in the same period. Between 22 and 28 March 2021, 4 200 people from remote villages in Imam Sahib district, Kunduz province were displaced to safer districts due to fighting. Between 29 March and 4 April 2021, 3 472 people were displaced to Emamsaheb district due to ongoing fighting in Kunduz province. Between 19 and 25 April 2021, 9 100 people were displaced from Estameng, Agibai, Mominabad, Rawza and Ismael Qishlaq villages to Emamsaheb district due to ongoing fighting in the province. Between 14 and 20 June 2021, around 35 000 people had been displaced by conflict around Kunduz with a further 7 500 people displaced from Khanabad, Aliabad, Emamsaheb, and the outskirts of Kunduz city to safer locations in Kunduz city in the week of 21 to 27 June 2021.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Nationalität und Volksgruppenzugehörigkeit, Religion des BF und zu seiner Abstammung aus der Stadt Kunduz sowie der Schulbildung und Tätigkeit als Polizist stützen sich auf die Angaben im Asylverfahren.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben. Da der BF ist zu seiner Ankunft in Österreich tätig war und er unter keiner lebensbedrohlichen Krankheit leidet und sich noch im erwerbsfähigen Alter befindet, ist ihm nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes eine Teilnahme am Erwerbsleben möglich und zumutbar.

Die Feststellungen zur Lebenssituation in Österreich beruhen auf den Angaben vor der belangten Behörde und dem BVwG. Der BF weist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes keinen besonderen Grad der Integration auf, da er über so geringe Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, dass eine Kommunikation nur in geringem Maße möglich ist und keinerlei Kenntnisse der österreichischen Geschichte, Kultur oder Politik aufweisen. Auch intensive Beziehungen zu Österreichern sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung waren im Strafregister keine Verurteilungen evident.

2.2. Zum vorgebrachten Fluchtgrund:

Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV270 Blg. NR. 18. GP; AB 328 Blg. NR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entnommen wurden):

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und

4. der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck ist, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt (siehe z.B. VwGH 24.06.1999, Zl. 98/20/0435 bzw. VwGH 20.5.1999, Zl. 98/20/0505).

2.2. Das Fluchtvorbringen wird wie folgt gewürdigt:

Der BF brachte im Zuge des Asylverfahrens zusammengefasst vor, aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist von Anhängern der Taliban per Anruf und in weiterer Folge durch einen Brief bedroht worden zu sein, indem diese ihn aufgefordert hätten, seine polizeiliche Arbeit zu quittieren, ansonsten er von ihnen getötet werde.

Glaubhaft ist, das der BF in Afghanistan in den letzten 2 Jahren bis zu seiner Ausreise als Polizist im Rang eines Unteroffiziers tätig war. Dass dieser jedoch aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist von den Taliban bedroht bzw. verfolgt worden wäre, erscheint als unglaubwürdig.

Hinsichtlich des beschwerdeseitigen Fluchtvorbringens gilt es zunächst festzuhalten, dass der BF im Laufe des gesamten Asylverfahrens nicht imstande war, überhaupt ein besonderes Interesse der Taliban an einer weiteren Verfolgung bzw. Bedrohung seiner Person darzulegen, zumal er durch die Beendigung seiner Tätigkeit den von ihnen geltend gemachten Forderungen bereits nachgegangen ist. Im Hinblick darauf, dass der BF lediglich als einfacher Polizist tätig war und seine Tätigkeit beendet hat, ist auch vor dem Hintergrund der Länderberichte jedenfalls keine (landesweite) Verfolgung durch die Taliban mangels exponierter Tätigkeit sowie im Hinblick auf die Beendigung der Tätigkeit anzunehmen.

Es ist auch in keiner Weise ersichtlich gewesen, warum die Taliban überhaupt ein Interesse am BF haben hätten sollen. Das Vorbringen des BF, die Anhänger würden ihn allein aufgrund seiner Tätigkeit als einfacher Polizist bedrohen, ist nicht überzeugend, zumal er selbst angab, es hätte insgesamt etwa 30 bis 35 Personen gegeben, die gegen die Taliban gekämpft hätten. Ob diese bedroht wurden, weiß der BF nicht. Es erscheint nicht plausibel, dass der BF sich nicht danach erkundigt hätte, wäre er durch einen Anruf bedroht worden, zumal diesen ein Kollege entgegengenommen hat.

Auch hinsichtlich des Umstandes, ob der BF seinen Vorgesetzte über den Drohanruf informierte, verstrickte sich der BF in Widersprüche. So gab er zuerst an, nach dem Anruf, ein paar Tage weitergearbeitet zu habe und im Anschluss den Kommandanten um Urlaub gebeten zu habe. Erst nachdem Erhalt des Drohbriefes habe er dem Kommandanten Bescheid gegeben. Später in der mündlichen Verhandlung brachte er dann vor, dass er dem Kommandanten sofort informiert habe, sondern ihn erst nach dem folgenden Drohbrief informiert haben will.

Auch, dass der BF erst am nächste. oder übernächsten Tag nach dem Fund des Drohbriefes seinen Heimatort verlassen haben will, ist nicht plausibel. Es ist doch anzunehmen, dass er sich unverzüglich der Gefahrensituation hätten entziehen wollen und nicht noch den Bedrohern ein oder zwei Tage Gelegenheit gegeben hätte, ihre Drohungen in die Tat umzusetzen.

Die Ausführungen des BF, dass die Taliban lediglich von seiner Polizeitätigkeit – und nicht auch von jener seines Vaters und Bruders – gewusst hätten, basieren auf bloße Vermutungen, zumal der BF niemals direkten Kontakt zu den Taliban gehabt habe.

Der BF verstrickte sich zudem in Bezug auf die einzelnen Zeitpunkte der vorgebrachten Vorfälle in Widersprüche. So gab er vor der belangten Behörde einerseits an, den Drohanruf etwa 25 Tage und den Drohbrief etwa 25 bis 30 Tage vor seiner Flucht erhalten zu haben. In Widerspruch dazu führte er andererseits in der mündlichen Verhandlung aus, er hätte den Drohanruf im vierten oder fünften Monats des Jahres 2018 erhalten. Dies obwohl er – gleichbleibend im gesamten Verfahren – ebenso angab, Afghanistan erst etwa Ende 2018 verlassen zu haben. Da der BF in keiner Weise auf einer zeitlichen Ebene stringent die Vorfälle darlegen hat können, vermittelt er den Eindruck, dass er sich lediglich eines gedanklichen Konstruktes bediente.

Zu dem vom BF eigens vorgebrachten Dokument, mit welchen bestätigt werden soll, dass sein Leben durch die Taliban in Gefahr sei, ist anzumerken, dass diese vom Juli 2017 stammen, die Bedrohungsvorfälle jedoch – seinen Ausführungen zu Folge – sich erst im Jahr 2018 zugetragen hätten. Zudem wird in dieser Bestätigung lediglich jene Informationen bestätigt, die der BF dem Kommandanten nach eigenen Angabe selbst gegeben hat. Eine Bestätigung eigener Wahrnehmungen des Kommandanten enthält sie jedoch nicht. Dieses im Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen des BF vorgelegte Dokument war daher nicht geeignet, die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens zu widerlegen.

Anzumerken ist auch, dass auch der BF die telefonische Bedrohung lediglich von Hören-Sagen kennt, da er selber den Inhalt des Telefonates, das auf Paschto geführt worden sein, nicht verstanden habe und ein Kollege ihm diese dann mitgeteilt hätte.

Abschließend ist anzumerken, dass der BF seine Tätigkeit bei der Polizei aufgegeben hat und – bei Wahrunterstellung – somit den Forderungen der Bedroher auch nachgekommen ist.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation sowie die Kurzinformation der Staatendokumentation vom 20.08.2021, den EASO-Richtlinien (Country Guidance Afghanistan) von Dezember 2020 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018, der UNHCR Position zu Afghanistan aus 08/2021 sowie der zahlreichen nationalen und internationalen Berichterstattung zum Vormarsch und zur Machtübernahme der Taliban. Aufgrund der derzeitigen Entwicklung war der aktuellsten Kurzinformationen der Staatendokumentation, der aktuellen UNHCR Position, des aktuellen EASO-Informationsbericht vom September 2021 und den aktuellen Medienberichten in der Beweiswürdigung der größte Stellenwert aufgrund der notwendigen Aktualität einzuräumen.

Bezüglich der vom erkennenden Gericht getätigten Feststellungen zur aktuellen Situation in Afghanistan (Machtübernahme der Taliban Mitte August 2021) ist festzuhalten, dass diese Kenntnisse als notorisch vorauszusetzen sind. Gemäß § 45 Absatz 1 AVG bedürfen nämlich Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind (so genannte „notorische“ Tatsachen; vergleiche Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze 13-MSA1998-89) keines Beweises. „Offenkundig“ ist eine Tatsache dann, wenn sie entweder „allgemein bekannt“ (notorisch) oder der Behörde im Zuge ihrer Amtstätigkeit bekannt und dadurch „bei der Behörde notorisch“ (amtsbekannt) geworden ist; „allgemein bekannt“ sind Tatsachen, die aus der alltäglichen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen – ohne besondere Fachkenntnisse – hergeleitet werden können (VwGH 23.01.1986, 85/02/0210; vergleiche auch Fasching; Lehrbuch 2 Rz 853). Zu den notorischen Tatsachen zählen auch Tatsachen, die in einer Vielzahl von Massenmedien in einer der Allgemeinheit zugänglichen Form über Wochen hin im Wesentlichen gleichlautend und oftmals wiederholt auch für einen Durchschnittsmenschen leicht überprüfbar publiziert wurden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 6.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzf

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten