TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/29 W200 2203449-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.09.2021
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Entscheidungsdatum

29.09.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W200 2203449-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. SCHERZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien, vom 09.07.2018, Zl. 1125269400/161084466, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.04.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28.09.2022 erteilt.

IV. Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. – VI. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer führt laut eigenen Angaben den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem, reiste gemeinsam mit seinem Bruder illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich der Erstbefragung am 05.08.2016 gab der Beschwerdeführer an, noch minderjährig zu sein. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass in Afghanistan Krieg herrsche. Man werde sehr leicht getötet. Wo solle man leben, wenn das eigene Haus angezündet und das ganze Geld geraubt werde. Die Sicherheitslage sei katastrophal. Der Beschwerdeführer und sein Bruder hätten beschlossen, das Land zu verlassen. Bei einer Rückkehr in seine Heimat hätte er Angst vor dem Krieg und Angst um sein Leben.

Zur Altersfeststellung wurde der Beschwerdeführer am 10.09.2016 einer Untersuchung unterzogen. Im daraufhin erstellten medizinischen Sachverständigengutachten vom 24.10.2016 wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer zum Untersuchungszeitpunkt vom 10.09.2016 ein höchstmögliches Mindestalter von 16,3 Jahren gehabt hätte. Als „fiktives“ Geburtsdatum wurde der XXXX angeführt. Die Vollendung des 18. Lebensjahres werde anhand des errechneten „fiktiven“ Geburtsdatums bezogen auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung am XXXX erreicht.

Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 26.04.2018 gab der Beschwerdeführer niederschriftlich an, dass er afghanischer Staatsbürger und schiitischer Moslem sei, der Volksgruppe der Hazara angehöre und über eine fünfjährige Schulbildung verfüge.

Zu seinem Fluchtgrund befragt brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass sein Leben in Gefahr gewesen wäre, weil sein Vater Polizist gewesen wäre. Deshalb hätten die Taliban auch den Beschwerdeführer und seinen Bruder umbringen wollen. Das wäre der Grund, warum sie aus dieser Region geflüchtet wären. Der Vater des Beschwerdeführers wäre in XXXX umgebracht worden. Daraufhin habe die Mutter des Beschwerdeführers seinem Bruder Geld gegeben und gesagt, dass sie das Land verlassen sollen. Der Beschwerdeführer legte zudem Integrationsunterlagen und medizinische Befunde vor.

Mit Bescheid des BFA vom 09.07.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Weiters wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), gegenüber dem Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das BFA aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht vollumfängliche Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre. Er bekräftigte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Zudem führte er aus, dass neben der schlechten Sicherheitslage in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif für den Beschwerdeführer keine zumutbare interne Fluchtalternative in diesen Städten bestehe, da die Aufnahmeressourcen in diesen Städten erschöpft wären. Der Beschwerdeführer wäre im Fall einer Neuansiedlung in diesen Städten von unzumutbaren Härten betroffen. Solche würden laut UNHCR einer internen Fluchtalternative entgegenstehen. Zudem wäre besonders für IDPs und Rückkehrer der Zugang zu existenzsichernder Arbeit sehr limitiert.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.04.2020 zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Im Wesentlichen bekräftigte der Beschwerdeführer seine bisherigen Angaben. Er legte weitere Integrationsunterlagen vor.

Mit Schreiben vom 23.10.2020 übermittelte der Beschwerdeführer eine Vereinbarung zur gemeinnützigen Tätigkeit nach dem Grundversorgungsgesetz.

Mit Schreiben vom 27.09.2021 übermittelte der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Österreich:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, Hazara, Schiit, ledig, kinderlos und spricht Dari als Muttersprache. In das Bundesgebiet reiste er gemeinsam mit seinem Bruder illegal ein und stellte am 05.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war der Beschwerdeführer noch minderjährig.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Maidan Wardak geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise mit seiner Familie im gemeinsamen Familienverband gelebt. Er hat in Afghanistan fünf Jahre lang die Schule besucht. In seinem Herkunftsstaat sammelte er keine Arbeits- beziehungsweise Berufserfahrung.

Der Vater des Beschwerdeführers, der ein Polizist war, ist bereits verstorben. Zur noch verbliebenen Kernfamilie (Mutter und Geschwister) hat der Beschwerdeführer – mit Ausnahme des in Österreich lebenden Bruders – keinen Kontakt. Der Aufenthaltsort der Kernfamilie konnte nicht festgestellt werden. Es konnte zudem nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer noch weitere Verwandte in Afghanistan hätte, zu denen er Kontakt hält. Dass Familienmitglieder bzw. Verwandte des Beschwerdeführers in der Lage und willens wären, den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer und sein in Österreich aufhältiger Bruder leben in der gleichen Unterkunft. Das Beschwerdeverfahren des Bruders, GZ W265 2203450-1, ist zum Entscheidungszeitpunkt noch offen.

Der gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer wird in Österreich im Rahmen der Grundversorgung versorgt. Strafgerichtlich ist er unbescholten.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Falle einer Rückkehr:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Taliban den Vater des Beschwerdeführers umgebracht hätten. Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer selbst ins Blickfeld der Taliban geraten ist. Schließlich konnte insbesondere nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine individuell konkret gegen ihn gerichtete Bedrohung oder Verfolgung (durch die Taliban oder Kutschi) droht.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

Zudem droht dem Beschwerdeführer auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der Tatsache, dass er in Europa gelebt hat. Gleichsam wird festgestellt, dass nicht jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Ebenso wenig droht dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der (schiitischen) Hazara konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan.

Festgestellt wird weiters, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan seit Beginn des Abzuges der internationalen Truppen im Frühjahr 2021 aufgrund des Vormarsches der aufständischen Taliban stetig verschlechtert hat. Es kam vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen den Regierungstruppen und den Taliban. Am 14.08.2021 nahmen die Taliban die Provinzhauptstadt von Balkh, Mazar-e Sharif, ein. Mit 15.08.2021 fiel die Hauptstadt Kabul an die Taliban. Im Zuge dessen verließ auch der afghanische Präsident das Land und die Taliban übernahmen den Präsidentenpalast.

Dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dort vorherrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage und dem stetigen Vorstoß bzw. der mittlerweile erfolgten Machtübernahme der Taliban mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Es kann somit eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit des Beschwerdeführers aufgrund der zum Entscheidungszeitpunkt instabilen Sicherheitslage und der damit einhergehenden willkürlichen Gewalt in Afghanistan nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

Dem Beschwerdeführer ist es dementsprechend auch nicht möglich und nicht zumutbar, sich im Rückkehrfall in einer der bisher als sicher geltenden Großstädte Afghanistans niederzulassen. Dies insbesondere nicht, nachdem die Städte Herat, Mazar-e Sharif und Kabul, neben vielen Provinzhauptstädten, mittlerweile ebenfalls von den Taliban eingenommen wurden. Auch ist es ihm in der Folge nicht möglich, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen zu können bzw. ohne dabei in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende Pandemie aufgrund des Corona-Virus kein Rückkehrhindernis darstellen würde. Der Beschwerdeführer gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen (chronischer) physischer Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde. Jedoch ist die diesbezügliche Situation mit der nun erfolgten Machtübernahme durch die Taliban nicht mehr einschätzbar bzw. der Umgang mit der Corona-Pandemie der Taliban ungewiss.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention. Ihm steht keine (zumutbare) innerstaatliche Flucht- oder Schutzalternative zur Verfügung.


Zu Afghanistan:

1.       COVID-19

KI der Staatendokumentation des BFA, 19.07.2021

Die Delta-Variante treibt Beobachtern zufolge die Covid-19-Infektionen in Afghanistan in die Höhe, wobei die Dunkelziffer an Fällen weiterhin als sehr hoch geschätzt wird. Krankenhäuser kommen weiterhin an ihre Belastungsgrenze und es sind nicht genug Betten vorhanden um neue Covid-19 Patienten zu behandeln (DW 17.6.2021; vgl. USAID 11.6.2021) Gesundheitseinrichtungen berichten auch von Engpässen bei medizinischem Material und Sauerstoff (USAID 11.6.2021). Schulen und Universitäten sind weiterhin geschlossen (DW 17.6.2021; vgl. VOA 13.7.2021) und es gibt Berichte, wonach sich Menschen nicht streng an die Vorgaben halten und häufig keine Masken tragen (DW 17.6.2021; vgl. VOA 13.7.2021).

Anfang Juli erreichten mehr als 1,4 Millionen Impfdosen des Herstellers Johnson & Johnson Afghanistan. Die Impfraten in Afghanistan sind nach wie vor extrem niedrig, weniger als 4% der Bevölkerung sind geimpft (UNICEF 9.7.2021).

Entwicklung der COVID-19-Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19- Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“ (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als „schwer erreichbar“ gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch langanhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).

Frauen, Kinder und Binnenvertriebene

Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen (IOM 23.9.2020; vgl. ACCORD 25.5.2021), wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden (ACCORD 25.5.2021). Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021) wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021, UNICEF 4.5.2021). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Ende Mai 2021 wurde berichtet, dass in 16 Provinzen aufgrund steigender Fallzahlen für 14 Tage die Schulen geschlossen würden (BAMF 31.5.2021).

Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, waren nun auch anfälliger für Rekrutierung durch die Konfliktparteien (IPS 12.11.2020; vgl. UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). In den ersten Monaten des Jahres 2021 wurde im Durchschnitt eines von drei Kindern in Afghanistan außer Haus geschickt, um zu arbeiten. Besonders außerhalb der Städte wurde ein hoher Anstieg der Kinderarbeit berichtet (IOM 18.3.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021). Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IPS 12.11.2020, UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt (ACCORD 25.5.2021; vgl. AI 3.2021, HRW 13.1.2021, UNOCHA 19.12.2020). Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (AI 3.2021; vgl. HRW 13.1.2021, Martins/Parto 11.2020, AAN 1.10.2020).

Binnenvertriebene sind besonders gefährdet, sich mit COVID-19 anzustecken, da sie bereits vorher anfällig waren, es keine Gesundheitseinrichtungen gibt, die Siedlungen überfüllt sind und sie nur begrenzten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen sind die vertriebenen Gemeinschaften nicht in der Lage, Präventivmaßnahmen wie soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren und sind daher anfälliger für die Ansteckung und Verbreitung des Virus (AI 3.2021).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021). Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (IOM AUT 25.5.2021).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (16.7.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035827/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_16.07.2020.pdf, Zugriff 20.9.2020

-        AAN - Afghanistan Analysts Network (1.10.2020): Covid-19 in Afghanistan (7): The effects of the pandemic on the private lives and safety of women at home, https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/economy-development-environment/covid-19-in-afghanistan-7-the-effects-of-the-pandemic-on-the-private-lives-and-safety-of-women-at-home/, Zugriff 18.11.20020

-        ABC News (27.1.2021): Afghanistan prepares to vaccinate citizens against coronavirus amid ongoing violence, https://www.abc.net.au/news/2021-01-27/afghanistan-prepares-for-vaccine-rollout-amid-ongoing-violence/13096290, Zugriff 1.2.2021

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-        UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.10.2020): Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response, Operational Situation Report 15 October 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-covid-19-multi-sectoral-response-operational-situation-report-15, Zugriff 17.11.2020

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2.       Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019).

Für die meisten zivilen Opfer im Jahr 2020 waren weiterhin regierungsfeindliche Elemente verantwortlich, 62% wurden ihnen zugeschrieben. Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 schrieb UNAMA 5.459 zivile Opfer (1.885 Tote und 3.574 Verletzte) regierungsfeindlichen Elementen zu. Dies bedeutete einen Gesamtrückgang um 15% im Vergleich zu 2019. Die Zahl der von regierungsfeindlichen Elementen getöteten Zivilisten stieg jedoch um 13% (UNAMA 2.2021a)

Quellen:

-        CRS - Congressional Research Center (12.2.2019): Al-Qaida and Islamic State Affiliates in Afghanistan, https://crsreports.congress.gov/product/pdf/download/IF/IF10604/IF10604.pdf/, Zugriff 23.10.2020

-        UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2021a): Afghanistan Annual Report On Protection Of Civilians In Armed Conflict: 2020, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_report_2020.pdf, Zugriff 24.2.2021

-        USDOD - United States Department of Defence (12.2019): Enhancing Security and Stability in Afghanistan, https://media.defense.gov/2020/Jan/23/2002238296/-1/-1/1/1225-REPORT-DECEMBER-2019.PDF, Zugriff 1.3.2020

2.1 Taliban

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde; nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020). Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten (EASO 8.2020c; vgl. RFE/RL 27.4.2020).

Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen "Werte" betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik einer eventuellen Regierung der Machtteilung, die die Taliban einschließt, zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab (Ruttig 3.2021). Sie sehen sich nicht als bloße Rebellengruppe, sondern als eine Regierung im Wartestand und bezeichnen sich selbst als "Islamisches Emirat Afghanistan", der Name, den sie benutzten, als sie von 1996 bis zu ihrem Sturz nach den Anschlägen vom 11.9.2001 an der Macht waren (BBC 15.4.2021).

Quellen:

-        BBC - British Broadcasting Corporation (15.4.2021): Afghanistan: 'We have won the war, America has lost', say Taliban, https://www.bbc.com/news/world-asia-56747158, Zugriff 7.5.2021

-        EASO - European Asylum Support Office (8.2020c): Afghanistan: Anti-Government Elements (AGEs), https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/2020_08_EASO_COI_Report_Afghanistan_Anti_Governement_Elements_AGEs.pdf, Zugriff 23.10.2020

-        NYT - New York Times, The (26.5.2020): How the Taliban Outlasted a Superpower: Tenacity and Carnage, https://www.nytimes.com/2020/05/26/world/asia/taliban-afghanistan-war.html, Zugriff 5.11.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (27.4.2020): Taliban Constitution Offers Glimpse Into Militant Group's Vision For Afghanistan, https://gandhara.rferl.org/a/taliban-constitution-offers-glimpse-into-militant-group-s-vision-for-afghanistan/30578541.html, Zugriff 16.4.2021

-        Ruttig, Thomas (3.2021): Have the Taliban Changed?, https://ctc.usma.edu/have-the-taliban-changed/, Zugriff 27.4.2021

Struktur und Führung

Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020). Die Taliban sind zu einer organisierten politischen Bewegung geworden, die in weiten Teilen Afghanistans eine Parallelverwaltung betreibt (EASO 8.2020c; vgl. USIP 11.2019; BBC 15.4.2021) und haben sich zu einem lokalen Regierungsakteur im Land entwickelt, indem sie Territorium halten und damit eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der lokalen Gemeinschaften übernehmen (EASO 8.2020c; vgl. USIP 4.2020). Was militärische Operationen betrifft, so handelt es sich um einen vernetzten Aufstand mit einer starken Führung an der Spitze und dezentralisierten lokalen Befehlshabern, die Ressourcen auf Distriktebene mobilisieren können (EASO 8.2020c; vgl. NYT 26.5.2020).

Das wichtigste offizielle politische Büro der Taliban befindet sich in Katar (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. EASO 8.2020c, UNSC 27.5.2020, AnA 28.7.2020) - Stellvertreter sind der Erste Stellvertreter Sirajuddin Jalaluddin Haqqani (Leiter des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020) und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020).

Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.; vgl. BBC 15.4.2021). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020). Während der US-Taliban-Verhandlungen war die Führung der Taliban in der Lage, die Einheit innerhalb der Basis aufrechtzuerhalten, obwohl sich Spaltungen wegen des Abbruchs der Beziehungen zu Al-Qaida vertieft haben (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Seit Mai 2020 ist eine neue Splittergruppe von hochrangigen Taliban-Dissidenten entstanden, die als Hizb-e Vulayet Islami oder Hezb-e Walayat-e Islami (Islamische Gouverneurspartei oder Islamische Vormundschaftspartei) bekannt ist (EASO 8.2020c; vgl. UNSC 27.5.2020). Die Gruppe ist gegen den US-Taliban-Vertrag und hat Verbindungen in den Iran (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020). Eine gespaltene Führung bei der Umsetzung des US-Taliban-Abkommens und Machtkämpfe innerhalb der Organisation könnten den möglichen Friedensprozess beeinträchtigen (EASO 8.2020c; vgl. FP 9.6.2020).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger in acht Provinzen haben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Sar-e Pul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Quellen:

-        AAN - Afghanistan Analysts Network (6.12.2018): One Land, Two Rules (1): Service delivery in insurgentaffected areas, an introduction, https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/economy-development-environment/one-land-two-rules-1-service-delivery-in-insurgent-affected-areas-

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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